Der Grundansatz dieser Regierung ist nicht: „Was ist uns die Justiz wert? Was muss uns unser Rechtsstaat wert sein?“, sondern: Welchen Aufwand können wir uns im Bereich der Justiz leisten, ohne dass sie unter der Last der Arbeit zusammenbricht? - Das ist Justizpolitik allein nach Haushaltslage, nicht aber eine an den Anforderungen, die wir an eine moderne, leistungsfähige Justiz
Entsprechend sieht der von der Regierung vorgelegte Entwurf auch aus. So erkennt der Minister zwar die durch Pebb§y erhobenen Bedarfszahlen von rund 300 zusätzlichen Richtern, Staatsanwälten und Mitarbeitern in den Folgediensten an. Im Haushaltsentwurf finden sich aber nur eine Handvoll davon sowie einige Stellen im Servicebereich wieder. Wenn ich die Mipla richtig verstehe, wird nicht einmal auf einer Zeitachse deutlich, dass diese Stellen in den nächsten Jahren auf den Weg gebracht werden.
Herr Minister, alle wohlfeilen Reden beim Richterbund oder anderswo, auch wenn sie noch so medienwirksam inszeniert sind, reichen nicht. Die personelle Situation in der Justiz muss verbessert werden. An dieser Stelle sind Taten von Ihnen gefordert.
Natürlich begrüßen wir die längst fälligen, immer wieder eingeforderten Stellenhebungen im mittleren und gehobenen Dienst. Letztlich sind sie aber nicht hinreichend, den vielen tagtäglich hart arbeitenden Menschen in den Gerichten und Justizvollzugsanstalten angesichts ihrer Dauerbelastung zu helfen.
Herr Minister, medienwirksame Knastaufenthalte sind kein Ersatz für eine gute Justizvollzugspolitik.
So wird dann an dem ideologisch begründeten Neubau einer halb privaten JVA in Bremervörde festgehalten. Dies wird als Innovation verkauft und mit 270 Millionen Euro unterlegt - wohl wissend, dass wir zurzeit keinen Mangel an Haftplätzen haben und für diese neue Anstalt kleinere JVAen in der Fläche stillgelegt werden, in denen gute Arbeit im Sinne von Resozialisierung und Haftentlassungsvorbereitung geleistet wurde.
Herr Minister, wo gibt es bisher eine Wirtschaftlichkeitsberechnung für dieses Projekt? Mir ist sie nicht bekannt. Ich weiß aber sehr wohl, dass ein ähnliches Experiment in Hessen ausweislich des dortigen Rechnungshofes zu erheblichen Mehrkosten für das Land geführt hat.
Dieses Geld sollte besser in die Sanierung und Renovierung unserer Justizgebäude gesteckt werden. Nötig haben sie es.
Herr McAllister, insgesamt ist dieser Entwurf wahrlich kein großer Wurf. Es fehlen strukturelle Verbesserungen. Es fehlen neue Ansätze und Innovationen. Vor allen Dingen fehlen auch Dinge, die der Minister tagaus, tagein und auch wirklich gern in seinen Reden verspricht.
Herr Busemann, wo ist die Stärkung des Opferschutzes in diesem Haushalt? Wo sind die Mittel, um die weißen Flecken auf der Präventionslandkarte endlich zu tilgen? Ich sage nur: Fehlanzeige.
Herr McAllister, leider haben auch die Regierungsfraktionen nicht den Mut oder die Kraft gehabt, den Haushaltsentwurf wesentlich zu verbessern.
Meine Damen und Herren, wenn wir unsere Justiz dauerhaft leistungsfähig erhalten wollen und zusätzlich neue, innovative, Erfolg versprechende Ansätze verfolgen wollen, müssen wir mehr tun. In unserem solide durchfinanzierten Änderungsantrag sehen Sie erste Schritte.
Die Menschen in unserem Land haben einen Anspruch auf zeitnahe Verfahren, wenn sie ihr Recht suchen. Deshalb müssen wir deutlich machen, dass wir als Parlament es nicht hinnehmen wollen, dass die Justizbediensteten dauerhaft oberhalb der Belastungsgrenze arbeiten müssen. Langfristig führt dies zu Demotivation, aber auch zu krankheitsbedingten Ausfällen.
Die Gerichte und Staatsanwaltschaften sollen deshalb durch 80 zusätzliche Richterstellen, von denen fünf auf die Sozialgerichte entfallen, und weitere 30 Amtsanwalts- und Staatsanwaltsstellen
entscheidend verstärkt werden. Damit kann die Belastung - die früheren Pensen - der Richter und Staatsanwälte endlich in einem ersten Schritt entscheidend gesenkt werden. Nutznießer sind dann alle Rechtsuchenden, weil die Entscheidungen zeitnäher getroffen werden. Straftäter werden früher angeklagt, sodass die Strafe auf dem Fuße folgt.
Dies kann wohlgemerkt nur ein erster Schritt sein. In einem Stufenplan müssen in den nächsten Jahren weitere Verstärkungen und Einstellungen folgen.
Die Bewährungshilfe soll von uns ebenfalls entscheidend gestärkt werden, und zwar durch 23 zusätzliche Bewährungshelfer sowie umfangreiche Stellenhebungen in diesem Bereich. Jede einzelne erfolgreiche Bewährungshilfe schützt uns alle vor Wiederholungstätern. Gute Bewährungshilfe setzt aber voraus, dass der einzelne Helfer sich auch tatsächlich mit den ihm anvertrauten Menschen befassen kann und nicht letztlich in der in den letzten Jahren immer weiter gestiegenen Fallzahl ertrinkt.
Herr Minister, ich sage Ihnen ganz deutlich: Ihre strukturelle Vernachlässigung der Bewährungshilfe bedeutet auch eine ernsthafte Gefährdung für den Opferschutz in diesem Land. Meiner Auffassung nach können Sie da nicht tatenlos zuschauen.
Von Opferschutz war in letzter Zeit viel die Rede - gerade auch von Ihrer Seite. In diesem Zusammenhang wollen wir das Programm zur Förderung und Stärkung des Täter-Opfer-Ausgleiches, der in unserem Land gerade auch von freien Trägern in vorbildlicher Weise geleistet wird, deutlich erhöhen. Die Erfahrungen mit dem TOA zeigen in Niedersachsen, aber auch andernorts sehr deutlich, dass durch diese Form, bei der Täter und Opfer auf freiwilliger Basis zusammenkommen, sehr viel mehr für den dauerhaften Rechtsfrieden getan werden kann als durch ein herkömmliches Verfahren, das teilweise Monate oder sogar Jahre nach der Tat stattfindet. Insbesondere die Opfer sind dann endlich wirklich Beteiligte und nicht lediglich quasi Zeugen eines Verfahrens. Da auch unsere Staatsanwaltschaften dieses Verfahren zunehmend positiv aufgreifen und es selbst anregen, wollen wir hier eine weitere Entwicklung möglich machen.
Entlassenenfürsorge deutlich erhöhen, um auch hier Rückfallgefahren zu minimieren und den Entlassenen die notwendige Begleitung zu geben.
Die Bediensteten des einfachen und des mittleren allgemeinen Justizvollzugsdienstes in der JVA sind zum Tragen von Dienstkleidung verpflichtet. Hierfür erhalten sie eine seit 1993 unveränderte Aufwandsentschädigung. Vor diesem Hintergrund wollen wir den Bekleidungszuschuss für den AVD zeitgemäß anpassen. Gerade gegenüber diesen Mitarbeitern im mittleren und einfachen Dienst, die in der Tat nicht zu den Hochverdienern im Lande gehören, haben wir angesichts des Uniformzwangs und des notwendigen zentralen Bezugs der Kleidung hier eine Verpflichtung.
Meine Damen und Herren, am Anfang habe ich kurz den Präsidenten des OLG Oldenburg erwähnt, der zu Recht auf viele bauliche Mängel bei unseren Justizgebäuden hingewiesen hat. Aufgrund von Bereisungen kennen wir - vermutlich alle hier im Saal, aber insbesondere die SPD-Fraktion - mittlerweile viele Gerichte und JVAen, die dringend auf Renovierungs-, Erhaltungs- und Sanierungsmittel warten. Deshalb wollen wir aus dem Titel „Kleine Umbauten“ ein Programm zur baulichen Sanierung und Renovierung unserer Justizgebäude durchführen. Daher wollen wir den angesetzten Betrag um 2 Millionen Euro aufstocken - wohlgemerkt als ersten Schritt, dem wiederum weitere Schritte folgen müssen.
Meine Damen und Herren, wir dürfen die Wirkung nicht unterschätzen, die es hat - darin hat der OLG-Präsident meines Erachtens recht -, wenn Justizgebäude, also die Gebäude der dritten Gewalt, nicht in einem ordentlichen Zustand sind, sondern vor sich hin rotten, weil die Mittel vorn und hinten nicht ausreichen. Hier wäre das Geld gut investiert, zumal es dem Substanzerhalt dient. Wir dürfen es nicht zulassen, dass Putz von den Wänden bröckelt oder dass es in die Gebäude hineinregnet. Die dritte Gewalt hat einen Anspruch auf ordentliche Gebäude. Wir wollen mit unserem Antrag dazu einen Beitrag leisten.
Gänzlich verzichten wollen wir allerdings auf die JVA in Bremervörde. Ich habe es schon erwähnt: Justizvollzug ist und bleibt eine ganz besondere Form staatlicher Daseinsvorsorge. Wenn solche unseligen Experimente mutmaßlich sogar zu Mehrkosten führen, dann sollten Sie, liebe Rechtspolitiker der CDU und der FDP, schnell die Notbremse ziehen, Ihre Regierung stoppen und unserem Antrag folgen.
Ich komme zum Schluss. Meine Damen und Herren, überdenken Sie unseren Antrag und folgen Sie ihm. Dies wäre ein gutes Signal für die Justizpolitik in unserem Lande. Gustav Radbruch, der ehemalige Reichsjustizminister und große Sozialdemokrat, sagte: Der Rechtsstaat ist wie das tägliche Brot, wie Wasser zum Trinken und wie Luft zum Atmen. - Unsere Aufgabe ist es, diese Ressource zu bewahren und zu entwickeln.
Sie haben zunächst darauf hingewiesen, dass die Justiz in unserem demokratischen Rechtsstaat eine besondere Bedeutung hat. Diese Ansicht teilen wir; sie wird jeder hier in diesem Saal teilen. Daraus haben Sie den Schluss gezogen, dass fiskalische Gesichtspunkte beim Justizhaushalt keine Rolle spielen dürfen. Und so, frei von allen Sorgen und Nöten, haben Sie dann Ihre Änderungsanträge eingebracht: ohne Finanzierungsvorschläge. Das war rhetorisch recht geschickt, geht an der Lebenswirklichkeit aber natürlich vorbei.
Es ist selbstverständlich, dass wir gerade im Bereich der Justiz eine besondere Verantwortung haben. Aber auch in Bezug auf den Einzelplan 11 des Landeshaushalts sind wir nun einmal nicht frei von fiskalischen Zwängen.