Ich rufe zunächst die Eingaben aus der 7. Eingabenübersicht in der Drucksache 16/620 auf, zu denen keine Änderungsanträge vorliegen. - Wortmeldungen sehe ich nicht.
Ich lasse über die Beschlussempfehlungen der Ausschüsse, zu denen keine Änderungsanträge vorliegen, abstimmen. Wer ihnen zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. - Gibt es Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Das ist einstimmig so beschlossen.
Meine Damen und Herren, bevor ich die Sitzung unterbreche, möchte ich Ihnen noch zwei Dinge mitteilen. Erstens muss ich Ihnen sagen, draußen gibt es gewalttätige Demonstrationen. Es ist schon zu Sachbeschädigungen gekommen. Zweitens schlage ich Ihnen vor, dass wir die Mittagspause bis 15.30 Uhr ausdehnen.
Die netten kleinen Aufmerksamkeiten, die Sie auf Ihren Tischen finden - zwei Stück, wie könnte es anders sein? -, kommen von Herrn Dr. Rösler, der Vater von Zwillingen geworden ist. Herr Dr. Rösler, ich gratuliere Ihnen im Namen des Hauses.
Zweite Beratung: Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Niedersächsischen Hochschulgesetzes und des Niedersächsischen Hochschulzulassungsgesetzes - Gesetzentwurf der Fraktion DIE LINKE - Drs. 16/292 - Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wissenschaft und Kultur - Drs. 16/627 - Schriftlicher Bericht - Drs. 16/649
Erste Beratung: Kluge Investitionen in kluge Köpfe: Mehr Geld für die Hochschulen - weniger Kosten für die
Wir kommen zur Einbringung des Antrags unter Tagesordnungspunkt 4. Frau Heinen-Kljajić, Sie haben das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich glaube, es gibt nur wenige Themen, bei denen zurzeit Anspruch und Wirklichkeit dieser Landesregierung so weit auseinander liegen wie in der Hochschulpolitik. Während mit blumigen Worten die Wissenschaftsgesellschaft beschworen wird oder der Anstieg der Akademikerquote in Sonntagsreden zum Staatsziel erhoben wird, beschreibt die Wirklichkeit ein anderes Bild. An unseren Hochschulen fehlen Studienplätze. Die Studiengänge sind mit unzureichender Lehrkapazität ausgestattet. Studierende aus hochschulfernen Schichten sind deutlich unterrepräsentiert. Die staatlich aufgebrachten Mittel pro Studienplatz sinken. In Sachen Studierendenquote bleiben wir weiterhin bundesweit abgeschlagen, ganz zu schweigen von dem wirtschaftlichen Schaden, den wir diesem Land dadurch zufügen, dass wir Jahr für Jahr über 27 000 Studenten an andere Bundesländer verlieren.
Meine Damen und Herren von CDU und FDP, diese Bilanz macht deutlich, dass Sie bildungspolitisch gescheitert sind. Sie haben bei der Föderalismusreform schlicht den Mund zu voll genommen. Von wegen Bildungsföderalismus! Ohne Bundesmittel würde hochschulpolitisch hier in Niedersachsen zurzeit gar nichts mehr laufen. Schlimmer noch: Die Effekte, die mit dem Bundesprogramm erreicht werden sollen, konterkarieren Sie mit eigenen landespolitischen Maßnahmen.
Meine Damen und Herren, wenn wir den Hochschulstandort Niedersachsen wieder wettbewerbsfähig machen wollen - dazu gehört vor allem das Aufbrechen der sozialen Ungleichheit beim Zugang zur Hochschule -, dann brauchen wir unverzüglich eine Kurskorrektur. Wir haben mit dem vorliegenden Antrag versucht, die unmittelbar haushaltswirksamen Eckpfeiler eines solchen Kurswechsels zu benennen, wohl wissend, dass
dies nur Eckpfeiler sind und der Katalog der erforderlichen Maßnahmen damit natürlich noch nicht erschöpft ist.
Das heißt auch, dass es aus grüner Sicht mit einem simplen „Alles für alle umsonst!“ à la Antrag der Linken genauso wenig getan ist wie mit der Strategie dieser Landesregierung, Haushaltslöcher mit dem Geld von Studierenden zu stopfen.
Der Hauptkritikpunkt aller Studien zur deutschen Bildungspolitik bezieht sich auf den sogenannten Bildungstrichter: Bildungschancen werden bei uns ererbt statt erworben. Sie alle kennen die Zahlen: 83 % der Akademikerkinder nehmen ein Studium auf, aber nur 23 % aller Kinder aus nicht akademischen Elternhäusern. Die Frage, warum dieser Trend trotz Bildungsexpansion und des gewachsenen Anteils der Abiturientinnen und Abiturienten nicht gebrochen worden konnte, beantworten alle Studien übereinstimmend: Familien, in denen kein Akademiker ist, schätzen die Erfolgschancen eines Studiums schlechter ein. Das betrifft sowohl die Bewältigung eines Studiums als auch die Dauer des Studiums und die Renditeerwartung für das spätere Berufsleben. Vor diesem Hintergrund ist es nur allzu logisch, dass sie das Kostenrisiko eines Studiums schlicht scheuen.
Die Tatsache, dass in keinem anderen OECDLand der Einkommensunterschied zwischen Akademikern und Facharbeitern so gering ist wie in Deutschland, verstärkt diesen Trend noch. Denn das heißt faktisch, dass das duale Bildungssystem für Kinder dieser Familien jedenfalls aus ihrer Sicht schlicht eine kostengünstige und attraktive Alternative zum Studium ist.
Was heißt das für Niedersachsen, wenn wir die Studierendenquote erhöhen wollen? - Wir liegen im nationalen Vergleich mit einer Studienanfängerquote von nur 27 % bei einem Bundesdurchschnitt von 35 % weit abgeschlagen auf Platz 12. International liegt der OECD-Durchschnitt bei 56 %. Wenn wir diese Quote, wie von Union und FDP postuliert, auf 40 % Studienanfänger pro Jahr steigern wollen, dann - meine Damen und Herren, das ist nichts anderes als simple Mathematik - können wir diesen Aufwuchs nur aus den Gruppen schöpfen, die aus den genannten Gründen zurzeit nicht an unsere Hochschulen gehen, obwohl sie die formalen Voraussetzungen dafür erfüllen.
„Da die Rekrutierungspotenziale aus den hochschulnahen Bildungsmilieus mit knapp 90 Prozent so gut wie ausgeschöpft sind, müssen die zusätzlichen Studierenden, die Deutschland dringend braucht, aus den hochschulfernen und einkommensschwächeren Schichten gewonnen werden, die vom derzeitigen System der Studienfinanzierung nicht ausreichend unterstützt werden.“
Das steht nicht etwa im grünen Wahlprogramm. Herr Minister Stratmann, werte Kollegen von CDU und FDP, dieser Satz stammt vielmehr aus einem Papier, das die Wirtschaftsverbände BDA und BDI gemeinsam mit dem Institut der deutschen Wirtschaft und dem Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft verfasst haben. Diese Aussage zeigt: Ihnen sind schlicht die Kronzeugen in Sachen Studiengebühren abhanden gekommen. Ziehen Sie daraus endlich Konsequenzen!
Wir haben nur eine Chance, mehr junge Menschen an die Hochschulen zu bringen: Wir müssen Kindern aus bildungsfernen Elternhäusern schlicht ein attraktives Angebot machen, das ihnen die Angst vor den Risiken des Studiums nimmt und nicht mit Schulden nach dem Studium droht. Ihr Festhalten an den Studiengebühren, werte Kollegen von CDU und FDP, macht jede Erwartung einer höheren Studierendenquote zunichte. Die jüngste HISStudie, die das Bundesforschungsministerium in Auftrag gegeben hat, belegt, dass bis zu 4,4 % aller Studienberechtigten ausdrücklich wegen der Existenz von Studiengebühren kein Studium aufgenommen haben. In Ländern, die Studiengebühren erheben, geben 22 % der Jugendlichen, die ein halbes Jahr nach dem Abitur noch kein Studium aufgenommen haben, an, dass sie dies wegen der Studiengebühren vermutlich auch nicht tun werden. Wer da noch leugnet, dass Studiengebühren eine abschreckende Wirkung haben, der hat den Schuss nicht gehört oder ist einfach zu feige, die eigenen strategischen Fehler einzugestehen.
Ihnen ist doch inzwischen selbst nicht mehr ganz geheuer, wenn Sie sich die Zahlen derer angucken, die die Studienbeitragsdarlehen in Anspruch nehmen: Das sind weniger als 5 %. Diese Zahl belegt eindeutig, dass die Aufnahme eines Studiengebührendarlehens mit variablem Zinssatz
offenbar als zu riskant angesehen wird. An der Bilanz ändert übrigens auch der seit Einführung der Studiengebühren zu verzeichnende Anstieg der Zahl der Studienanfänger nichts. Der ist nämlich auf einen zeitgleichen Anstieg der Zahl der Abiturienten zurückzuführen. Dieser war höher als der bei den Studienanfängern, was zeigt, dass das soziale Ungleichgewicht weiter zunimmt.
Wenn Sie an dieser Rechnung zweifeln, liebe Kollegen, dann schauen Sie einfach ins Land, wo heute jenseits dessen, was hier vielleicht an Übergriffen passiert ist, Zigtausende von Schülerinnen und Schülern friedlich auf die Straße gegangen sind und u. a. auch gegen Studiengebühren demonstriert haben,
und Sie bekommen eine Vorstellung von der Zahl der Menschen, die Studiengebühren als Hürde bei der Aufnahme eines Studiums betrachten.
Schaffen Sie die Studiengebühren für das Erststudium endlich wieder ab, und sorgen Sie für eine Gegenfinanzierung mit Landesmitteln! Ihr jüngst ersonnener Vorschlag, Kleinststipendien in Höhe der Studiengebühren zu vergeben, wird das Dilemma einer Risikoabschätzung zugunsten einer klassischen Berufsausbildung sicher nicht lösen. Zum einen ist es ein Skandal, dass Sie die Studierenden selbst mit ihren Studiengebühren für diese Stipendien zur Kasse bitten. Zum anderen können Stipendien in Konkurrenz zu einer Ausbildung im dualen System nur dann attraktiv sein, wenn sie die gesamten finanziellen Nachteile der Ausbildung aufwiegen. Deshalb fordern wir in einem ersten Schritt die Einrichtung von 1 000 Vollstipendien, die die gesamten Kosten des Studiums abdecken.
Wer die Lebenshaltungskosten während eines Studiums senken will, der muss dann auch - an der Stelle schließen wir uns dem Antrag der SPD an - die Finanzhilfe für die Studentenwerke um 10 % erhöhen; denn sonst sind diese schlicht gezwungen, steigende Lebensmittel- und Energiekosten an die Studierenden weiterzugeben.
Ein weiterer Grund für das Fernbleiben von den Hochschulen - das belegt die HIS-Studie -, ist die Sorge, dass das Studium zu lange dauert, man den Anforderungen nicht gewachsen ist oder das Studium womöglich abbrechen muss. Auch diese
Sorge ist angesichts einer Abbrecherquote von zum Teil über 40 % - zumindest in den MINTFächern - nicht unbegründet. Deshalb brauchen wir eine Verbesserung der Studienbedingungen, wenn wir das Studium wieder attraktiver gestalten wollen. Wenn Sie, meine Damen und Herren von CDU und FDP, heute hingehen und Geld in einen Studienplatzausbau investieren, der in Bezug auf die Betreuungsrelation zwischen Lehrenden und Studierenden die ohnehin prekäre Situation an den Hochschulen weiter zuspitzt, dann produzieren Sie so die Abbrecher von morgen. Damit bringen Sie junge Menschen nicht nur um ihre Bildungschancen und verpulvern Steuergelder, sondern Sie senken die Attraktivität eines Studiums weiter ab, statt sie zu steigern. Auch in Sachen Hochschulfinanzierung ist ein Kurswechsel daher unumgänglich.
Deshalb brauchen wir 50 Millionen Euro zusätzlich, um die Studienbedingungen an unseren Hochschulen zu verbessern.
Deshalb, Herr Minister Stratmann: Bieten Sie endlich dem Finanzminister die Stirn. Alle Wirtschaftsverbände, alle Fachexperten prognostizieren für die kommenden Jahre einen Fachkräftemangel. Dem werden wir nur entgegenwirken können, wenn wir mehr Studierende an die Hochschulen bringen. Das ist das, was Ihre Hochschulpolitik nun ausgerechnet verhindert.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Es hat uns nicht gewundert, dass die Regierungsfraktionen unseren Entwurf zur Abschaffung der Studiengebühren ablehnen wollen. Sie werden sich unsere Argumente dennoch ein zweites Mal anhören müssen.
Der Ministerpräsident höchstpersönlich hat vor wenigen Wochen gezeigt, wie wenig Kenntnis er von der Realität an Niedersachsens Hochschulen
hat. In einem Interview mit dem Deutschlandradio am 22. Oktober behauptet er, dass „beobachtet wird, dass bei uns in Niedersachsen trotz Studienbeiträgen mehr als je zuvor studieren“. Herr Ministerpräsident Wulff hat schlechte Beobachter. Richtig ist, dass die Zahl der Studierenden in Niedersachsen absolut und relativ rückläufig ist. Laut Statistischem Bundesamt gab es im Wintersemester 2005/2006 noch über 152 000 Studierende an den Hochschulen. Zwei Jahre später waren es nur noch 137 000.