Protocol of the Session on September 18, 2008

Wir haben dieses Thema hier im vergangenen Jahr schon einmal diskutiert. Damals haben Sie spät und unter großem öffentlichen Druck reagiert und unsere Forderung nach einem Sozialfonds aufgenommen, um wenigstens an den Ganztagsschulen den Kindern aus armen Familien ein warmes Mittagessen zu ermöglichen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Dieser Fonds ist relativ bürokratisch ausgestaltet und erfordert von den Schulen einen hohen Aufwand an Abrechnungsbürokratie. Aber immerhin! Heute wissen wir, dass dieses Projekt wohl leider nur dem Wahlkampf geschuldet war; denn in Ihrem Haushaltsentwurf steht kein einziger Euro mehr dafür drin.

(Filiz Polat [GRÜNE]: Aha!)

Diesen Fonds haben Sie klammheimlich wieder abgeschafft.

Ich habe Ihren Reden zum Haushalt aufmerksam zugehört. Das Thema Armut und Armutsbekämpfung kam darin nicht vor, übrigens auch nicht in der Regierungserklärung. Das war arm, meine Damen und Herren.

(Beifall bei den GRÜNEN, bei der SPD und bei der LINKEN - Filiz Polat [GRÜNE]: Hört, hört!)

Sie schweigen, aber das bedeutet nicht, dass es dieses Problem nicht gibt. Dieses Thema können Sie nicht totschweigen.

Jedes sechste Kind in Niedersachsen lebt in Armut. Dies sollten Sie wissen; denn die Sozialverbände, die Landesarmutskonferenz, die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen der speziellen Kindertafeln und von Kirchengemeinden, die Erstausstattungen zum Schulbeginn verteilen - sie alle berichten davon. Wenn man seine Ohren nicht verschließt, dann erkennt man das Problem.

Ganz offensichtlich fühlen Sie sich für die Kinder, die aufgrund ihrer Herkunft weniger Chancen haben als andere, nicht zuständig. Sie verantworten ein Schulsystem, das diese Kinder ausgrenzt und

diskriminiert. Sie verantworten es, wenn die Kinder mit knurrenden Mägen in den Ganztagsschulen sitzen oder - noch schlimmer - wenn sie von der Ganztagsbetreuung gleich ganz abgemeldet werden. Deswegen fordern wir, dass Sie die Mittel für den Sozialfonds wieder einsetzen.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Wir haben hier im vergangenen Jahr auch über die Höhe der Regelsätze diskutiert. Es ist unstrittig, dass der Regelsatz für Kinder nicht reicht und vor allen Dingen falsch berechnet ist. Man kann nämlich nicht einfach sagen: Kinder sind kleine Erwachsene, darum bekommen sie 60 bis 80 % eines Erwachsenensatzes, je nach Alter.

(Beifall bei der LINKEN)

Jeder, der Kinder hat, weiß das. Für Bekleidung und Schuhe z. B. werden für Kinder unter 14 Jahren 18,85 Euro im Monat anerkannt. Der Bedarf an Kleidung und Schuhen, den Kinder haben, meine Damen und Herren, entspricht aber doch nicht 60 % des Erwachsenenbedarfs. Im Unterschied zu unseren Füßen wachsen Kinderfüße nämlich. Sie wachsen so schnell, dass man manchmal innerhalb kürzester Zeit wieder neue Schuhe kaufen muss. Wissen Sie eigentlich, was ein Paar gute Kinderschuhe heute kostet? - Mit 18,85 Euro kommen Sie da nicht hin!

Dasselbe gilt für das Essen. Von 2,57 Euro pro Tag für Essen und Trinken, davon 1,05 Euro für ein Mittagessen, kann niemand eine gesunde Ernährung bezahlen.

(Beifall bei den GRÜNEN, bei der SPD und bei der LINKEN)

Ausgaben für Bildung sind im Regelsatz überhaupt nicht vorgesehen. Von diesem Nichts müssen die Eltern alle Ausgaben bezahlen:

(Ernst-August Hoppenbrock [CDU]: Rot-Grün hat das beschlossen!)

Tuschkästen, Pinsel, Taschenrechner, Laptops, was auch immer angeschafft werden muss. Es grenzt geradezu an Zauberei, wenn die Eltern das versuchen und es zum Teil trotzdem schaffen. Von Musikinstrumenten, von künstlerischer Förderung oder von Sportangeboten können diese Kinder nur träumen.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage von Herrn Hilbers?

Frau Helmhold, wer hat diese Regelsätze, mit denen dies alles abgegolten sein soll, damals im Deutschen Bundestag eigentlich festgelegt?

Herr Hilbers, Sie wissen ebenso gut wie ich, dass das eine Aktion war, die unter dem Zeitdruck des Vermittlungsausschusses stattgefunden hat. Zu diesem Zeitdruck haben Sie maßgeblich beigetragen. Das ist wirklich falsch gelaufen. Deswegen wollen wir das rückgängig machen.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Auch bei den Regelsätzen haben Sie uns vor der Wahl erzählt, alles würde gut. Niedersachsen habe sich einer Bundesratsinitiative von NordrheinWestfalen angeschlossen mit dem Ziel, dass dies geändert werde. - Dies klang im Wahlkampf wirklich schön, und Sie hatten das Problem vom Tisch. Das war ja das Prinzip des Wohlfühlwahlkampfs à la Wulff, der für und gegen alles war und nach dem Motto „Jedem wohl und keinem weh“ jedes Problem weglächelte.

(Beifall bei den GRÜNEN - Filiz Polat [GRÜNE]: Richtig!)

Aber was dann kam, meine Damen und Herren, war kein Ruhmesblatt der Bundesratspolitik. Diese Initiative schmorte monatelang. Die Beratungen wurden mehrmals vertagt.

Frau Kollegin, entschuldigen Sie! Es gibt weitere Wünsche nach einer Zwischenfrage.

Ich möchte erst noch einen Absatz zu Ende führen. Dann gerne, Frau Flauger.

Im Mai 2008 war von einer Gesetzesinitiative keine Rede mehr. Ich zitiere einmal aus einer Rede der Staatsministerin Malu Dreyer aus Rheinland-Pfalz:

„Leider sind Monate verstrichen, in denen zum Thema Kinderarmut nichts

passierte. Die Unionsseite hat ihren Worten keine Taten folgen lassen. Am Ende stand ein einseitiger und unabgestimmter Vorstoß der unionsgeführten Länder in Form eines Gesetzesantrags der Länder Saarland und Nordrhein-Westfalen. Erstaunlich wurde das Ganze, als sich wenige Tage danach das Land Nordrhein-Westfalen völlig überraschend von dem eigenen Kompromissvorschlag distanzierte, das Saarland im Regen stehen ließ und den vorliegenden Entschließungsantrag aus dem Hut zauberte.“

(Filiz Polat [GRÜNE]: Unmöglich!)

Das, meine Damen und Herren, verstehe, wer will. In welchen Kreisen der Union und der Bundesregierung dieses bemerkenswerte Vorgehen beschlossen wurde, darüber möchte ich hier nicht spekulieren. Ich nehme aber an, dass Ministerpräsident Wulff, stellvertretender Vorsitzender seiner Partei, daran nicht ganz unbeteiligt war.

Vielleicht hatte ja auch Herr Merz seine Finger drin, der allen Ernstes behauptet, mit 132 Euro im Monat könnte man gut auskommen. Für ein Kind, meine Damen und Herren, wären das 79 Euro. Das ist in etwa der monatliche Bedarf eines Hundes in einem Tierheim. Ich nehme an, dass das nicht die Mehrheitsmeinung der CDU ist. Aber es ist trotzdem eine Schande, dass es in einer Partei, die das Wort „christlich“ im Namen führt, überhaupt solche Stimmen gibt.

(Beifall bei den GRÜNEN, bei der SPD und bei der LINKEN - Ernst- August Hoppenbrock [CDU]: Unglaub- lich! - Gegenruf von Dr. Manfred Sohn [LINKE]: Aber wahr!)

Jetzt lasse ich die Zwischenfrage zu.

Frau Helmhold, würden Sie mir angesichts der Tatsache, dass von der CDU gerade die Frage gestellt wurde, wer diese Gesetze eigentlich beschlossen habe - dies kann ich ja wohl als Kritik an den bestehenden gesetzlichen Regelungen auffassen -, vor dem Hintergrund, dass bereits darauf hingewiesen wurde, dass diese unter dem Zeitdruck des Vermittlungsausschusses zustande gekommen seien, und angesichts Ihrer Ausführungen sowie unserer Position zu den Gesetzen zustimmen, dass es doch ganz einfach sein müsste, jetzt

im Bundestag erhebliche Verbesserungen zu diesen Regelungen zu erzielen?

(Uwe Schwarz [SPD]: Das finde ich auch!)

Frau Flauger, da gebe ich Ihnen recht. Auch wir fordern diese Änderungen.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der LINKEN)

Meine Damen und Herren, Fakt ist: Christian Wulff ist im Wahlkampf beim Thema Armut mit vollen Backen gestartet. Am Ende ist sozusagen nur noch ein Röcheln übrig geblieben.

(Norbert Böhlke [CDU]: Na, na, na!)

Eine Gesetzesinitiative hätte den Bund zum Handeln getrieben. Eine Entschließung des Bundesrats ist aber ungefähr so viel wie „bitte, bitte“ zu sagen. Bundesarbeitsminister Scholz hat ja auch gleich erklärt, wenn überhaupt, dann passiere erst nach der nächsten Einkommens- und Verbrauchsstichprobe 2008 etwas. Die Ergebnisse werden 2010 vorliegen. Vor 2011 ist nichts zu erwarten. Das heißt, in dieser Wahlperiode werden die Großkoalitionäre dieses heiße Thema wohl nicht mehr anpacken. Das ist schäbig und gleicht einer politischen Armutserklärung!

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der LINKEN)

Das heißt aber auch, dass die Situation für Kinder und Eltern für die nächsten Jahre unverändert bleibt. So haben Sie die Menschen am Ende zweimal an der Nase herumgeführt, Herr Wulff, der gerade nicht da ist: einmal mit dem Sozialfonds und dann mit der Luftnummer im Bundesrat. Niedersachsen hat sich im Bundesrat ja nicht einmal zu Wort gemeldet. Das finde ich wirklich unredlich nach allem, was hier in Niedersachsen im Landtag zu diesem Thema versprochen worden ist!

(Beifall bei den GRÜNEN und Zu- stimmung von Dr. Manfred Sohn [LINKE])

Hier wird doch ein abgekartetes Spiel mit dem Bund auf Kosten der armen Kinder gespielt. Die Große Koalition in Berlin will das Thema fein aussitzen. Damit, meine Damen und Herren, wollen wir Sie aber nicht durchkommen lassen. Deswegen fordern wir Sie heute auf, einen eigenen Gesetzentwurf in den Bundesrat einzubringen, damit