Protocol of the Session on February 23, 2012

Ein weiterer wichtiger Punkt in der gemeinsamen Beschlussempfehlung ist die Forderung nach der Entwicklung transparenter Anrechnungsverfahren zwischen Hochschulen und Bildungsträgern. Eine bundeseinheitliche Lösung wäre hier sicherlich wünschenswert, aber wir wollen nicht länger warten, sondern auf Landesebene mit gutem Beispiel vorangehen, wobei hier in der Praxis sicherlich die größte Herausforderung liegt.

Wichtig war uns auch, die Anstrengungen der Hochschulen im Rahmen der Offenen Hochschule sowohl durch ein Anreizsystem als auch durch Zielvereinbarungen zu unterstützen. Nur wenn die Offene Hochschule verbindliche Rahmenbedingungen erhält und den Hochschulen klare Vorgaben gemacht werden, wird das Projekt gelingen.

Da die Offene Hochschule ein Baustein im Konzept des lebenslangen Lernens ist, braucht sie auch ein adäquates Studienfinanzierungskonzept. Dazu gehört als erster Schritt, dass Teilzeitstudierende und beruflich Qualifizierte ohne Altersgrenze finanzielle Unterstützung im Rahmen des BAföG oder anderer Studienfinanzierungsmodelle erhalten. Es ist erfreulich, dass CDU und FDP auch an dieser Stelle den rot-grünen Vorschlägen gefolgt sind und dass sich das Land jetzt in diesem Sinne auf Bundesebene einsetzen wird.

Meine Damen und Herren, es gibt sicherlich Begleitmaßnahmen zur Offenen Hochschule, die im Antrag nicht festgeschrieben sind, wie die Abschaffung von Studiengebühren oder der Umbau des BAföG in ein breit aufgestelltes Bildungsfinanzierungsmodell. Wir sind trotzdem davon überzeugt, dass wir der Realisierung der Offenen Hochschule mit dieser Beschlussempfehlung einen wichtigen Schritt nähergekommen sind und es sich auf jeden Fall gelohnt hat, den fraktionsübergreifenden Konsens zu suchen.

(Beifall bei den GRÜNEN - Dr. Ste- phan Siemer [CDU] und Almuth von Below-Neufeldt [FDP]: Das stimmt! - Victor Perli [LINKE]: Vier Fraktionen sind weniger als fünf! - Gegenruf von der SPD: Aber mehr als drei!)

Ich erteile jetzt der Kollegin von Below-Neufeldt von der FDP-Fraktion das Wort.

Vielen Dank. - Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vor 30 Jahren konnte man mit dem Telefon nur eines: telefonieren. Heute kann man mit dem Telefon auch fotografieren und vieles mehr.

Vor 30 Jahren führte die Berufsausbildung in ein fest umrissenes Berufsfeld, und das für ein ganzes Leben. Heute gibt es im Beruf ganz andere, vielfältige und sehr innovative Anforderungen. Viel Neues ist dazuzulernen, um den erlernten Beruf überhaupt ausüben zu können. Training on the Job oder lebenslanges Lernen - das ist das eine.

Meine Damen und Herren, wir von den Regierungsfraktionen haben 2010 die Offene Hochschule über eine Novelle im Niedersächsischen Hochschulgesetz verankert. Das war ein ganz wichtiger Schritt; denn er ist zukunftsweisend und entspricht den heutigen Lebenswirklichkeiten und den Erfahrungen aus guten Projekten, die sich immer wieder mit den Schnittstellen zwischen Beruf und Bildung befassen.

Viel Werbung und die Verbesserung der Randbedingungen für die Talente und künftigen Studierenden sind nun eine Notwendigkeit. Für die Offene Hochschule sollte geworben werden; denn sie ist attraktiv.

Meine Damen und Herren, die Möglichkeiten, dass Menschen auch ohne die klassische Hochschulzugangsberechtigung, also ohne Abitur, studieren können, sind ganz offenbar noch viel zu unbekannt. Bisher sind es nur knapp 2 %. Nach unserer gemeinsamen Vorstellung sollten es viel mehr werden.

(Zustimmung bei der FDP und bei der CDU)

Warum? - Meine Damen und Herren, wir haben den demografischen Wandel: immer mehr ältere Menschen als jüngere. Damit gehen spürbare gesellschaftspolitische Veränderungen einher, die sich auch im Arbeitsleben und im Arbeitsalltag bemerkbar machen: Es fehlt an Fachkräften. Es gibt wieder viele offene Lehrstellen. Es werden Ingenieure gesucht.

Das hat Folgen. Wir wollen doch beispielsweise die Energiewende umsetzen. Dafür benötigen wir

aber die technische Kompetenz. Wir brauchen schlau konzipierte Lösungsansätze, die nur Fachleute und Experten entwickeln können. Damit sind wir wieder beim Kern dieser gemeinsamen Entschließung. Die berufliche Qualifikation muss ohne Hürden in die weitere Qualifikation an den Hochschulen führen können, gern zielführend begleitet von Erwachsenenbildungseinrichtungen oder Berufsakademien. Als Braunschweigerin denke ich da natürlich an die Welfen-Akademie.

Diese Entschließung soll die Offene Hochschule gerade bei den Talenten, die bereits im Berufsleben stehen, bekanntmachen. Sie steht auf breiter Basis. Die Grünen gaben den ersten Anstoß, die Regierungsfraktionen haben einen Antrag gestellt, dem sich dann SPD und Grüne anschlossen. Dafür bedanke ich mich.

Diese Einigkeit ist zu begrüßen; denn hierbei geht es um eine Sache - das haben bereits alle meine Vorredner gesagt -, die einen breiten gesellschaftlichen Konsens braucht. Die Offene Hochschule ist eine gemeinsam zu tragende, wichtige Zukunftsaufgabe. Sie ist zeitgemäß und die richtige Entscheidung.

14 Punkte werden zur Bearbeitung an die Landesregierung gerichtet. Viele betreffen die Werbung und die Information. Viele zeigen aber auch, dass sich nicht nur Parteien verständigen müssen, um die Offene Hochschule erfolgreich zum Laufen zu bringen, sondern dass sich auch und gerade alle im Bildungs- und Lehrbereich tätigen Akteure zu einem Bildungsverbund zusammenschließen sollten: Von der Hochschule, den Erwachsenenbildungseinrichtungen bis hin zu den Kammern und der Wirtschaft sind gemeinsame Strukturen, Studienvorbereitungs- wie Studienbegleitprogramme zu entwickeln. Es ist ein guter, transparenter Übergang zu schaffen für die beruflich Qualifizierten und auch für die Menschen, die ausländische Bildungsnachweise haben. Es ist - ich nehme jetzt dasselbe Bild wie Sie, Frau Dr. Heinen-Kljajić - wie ein großes Brückenbauprogramm. Es ist ein anspruchsvolles Vorhaben, dem unbedingt Erfolg beschieden sein muss.

Die schon genannten Akteure sind stark gefordert. Das ist hier wohl jedem klar. Aber diese Anstrengung ist es wert, und sie ist wichtig. Sie wird allerdings auch viel und gut zu koordinierende Arbeit erfordern.

Unser Ziel soll aber erreichbar sein. Wir wollen, dass sich qualifizierte Berufstätige nach ein paar Jahren Berufserfahrung entscheiden können, sich

weiterzuqualifizieren. Wir wollen, dass die Betriebe ihren Talenten Perspektiven bieten; denn sie haben damit auch selbst Perspektive. Wir wollen erreichen, dass sehr verstärkt die Talente, die Besten in den Unternehmen, akademische Abschlüsse erreichen.

Wir wollen und müssen dafür die Rahmenbedingungen schaffen. Sind die Rahmenbedingungen klar, dann kann eine Entscheidung von dem Einzelnen getroffen werden. Schließlich muss die Entscheidung für ein Studium gegebenenfalls schon mit der eigenen Familie passen. Es muss auch finanziell zu schaffen sein. Wer neben dem Beruf studiert, dem müssen Vorlesungszeiten abends und am Wochenende angeboten werden. Er braucht E-Learning und Präsenzphasen, die mit dem Job zu verbinden sind. Finanziell kann BAföG weiterhelfen. Da braucht es ganz sicher auch noch Anpassungen.

Bieten wir also den Einstieg zum beruflichen Aufstieg! Machen wir den qualifizierten Berufstätigen attraktive Angebote! Meine Damen und Herren, stimmen Sie bitte der gemeinsamen Beschlussempfehlung zu.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Ich erteile jetzt dem Kollegen Perli das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Beim Thema Offene Hochschule sind wir uns im Prinzip einig. Alle fünf Fraktionen setzen sich auf der deklaratorischen Ebene für die Öffnung der Hochschulen für Menschen ohne Abitur ein. Gleichzeitig liegt der Anteil der Studierenden ohne Abitur nur knapp über dem Promillebereich. Es gibt also deutlich erkennbaren Handlungsbedarf. So weit, so einstimmig!

Der Text, den der Landtag mit Ihren Stimmen, meine Damen und Herren von CDU, FDP, SPD und Grünen, heute beschließen wird, enthält vieles, was richtig ist und auch in unserem Antrag steht. Da geht es beispielsweise um ein breites Informationsangebot oder um passgenaue Studienvorbereitungsprogramme und Hilfen für den Studienstart. Auch hier gilt: So weit, so einstimmig!

Meine Damen und Herren, aber dann bleiben Sie weit hinter den Erwartungen, den Möglichkeiten

und auch den Notwendigkeiten in diesem Bereich zurück.

Erstens. In Ihrem Antrag steht nichts zur sozialen Dimension der Öffnung der Hochschulen. Der SPD, die dazu einige Forderungen in ihrem Ursprungsantrag hatte, war dieses Thema offensichtlich nicht wichtig genug, um es in den Antrag der vier Fraktionen hineinzuverhandeln. Die soziale Frage ist aber von entscheidender Bedeutung für die Offene Hochschule; denn die Gruppe, die wir im Blick haben, steht in der Regel mit beiden Beinen fest im Berufsleben, hat also bereits einen Berufsabschluss bzw. einen Bildungsabschluss in der Tasche und verfügt über ein regelmäßiges Einkommen. Vielleicht gibt es auch noch Familie und Kinder oder ein Haus, das man abbezahlen muss.

Wenn es uns nicht gelingt, die sozialen Hürden vor dem Studium abzubauen, wird es auch mit der Öffnung der Hochschulen nichts. Daher ist unsere Forderung, auch und besonders die soziale Dimension der Öffnung zu berücksichtigen.

(Beifall bei der LINKEN)

Zweitens nehmen wir die versprochene Durchlässigkeit zwischen beruflicher und akademischer Bildung ernst. Wer einen Meisterbrief hat, muss zumindest die Möglichkeit haben, direkt in einen fachnahen Masterstudiengang zu kommen.

(Beifall bei der LINKEN)

Dieser Vorschlag der Linken ist bei der Anhörung auf große Zustimmung gestoßen. Meine Damen und Herren, an diesem Punkt sind wir die Partei der Industrie- und Handelskammern.

Dass der Zugang kein Automatismus sein kann, ist klar. Aber welcher Meister mit mehrjähriger Berufserfahrung wird eine große Motivation verspüren, sich noch einmal die Grundlagen seines Faches anzuhören, die er seit Jahren kennt und anwendet? Wir dürfen diesen direkten Weg zum Master nicht verbauen. Sie aber tun das.

Bei Fragen der Anerkennung und Anrechnung von beruflichen Kompetenzen ist ein landesweiter verbindlicher Rahmen wichtig. Er wird auch von Wirtschafts- und Hochschulvertretern verlangt. Diese Forderung fehlt bei Ihnen. Aber sie steht in unserem Antrag.

Als dritten und letzten Punkt, bei dem Sie nicht die Kraft zu einem wirklichen Aufbruch finden, möchte ich Ihnen die Beispiele aus Großbritannien und Finnland nennen. Dort ist es durch offene Angebo

te im Bereich des E-Learning oder durch Kooperationen mit Volkshochschulen sehr gut gelungen, Menschen für ein Studium zu gewinnen. Diese Erfahrungen sollten wir uns in Niedersachsen zunutze machen.

Kurz und gut: Im Unterschied zu unserem zukunftsweisenden Antrag bleiben CDU, SPD, FDP und Grüne weit hinter den Möglichkeiten, den Erwartungen und den Notwendigkeiten zurück. So ist der Weg zu einer wirklich offenen Hochschule noch weit.

(Beifall bei der LINKEN)

Frau Ministerin Wanka, bitte!

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich gebe mir immer Mühe, nicht „Studieren ohne Abitur“, sondern „Studieren mit beruflicher Qualifikation“ zu sagen - im Interesse des Einbringens und des Wertschätzens beruflicher Qualifikation.

Sicher geht es um Fachkräftemangel hoch und runter. Ganz entscheidend sind für mich aber individuelle Lebenschancen, die man durch diese Möglichkeit hat. Es geht auch nicht nur um Mangelberufe. Es geht nicht nur um Ingenieure. An dieser Stelle geht es auch darum, dass eine Rechtsanwaltsgehilfin, nachdem sie einige Jahre in diesem Beruf gearbeitet hat, Juristin werden kann, dass eine Krankenschwester Chirurgie studieren kann und viele Beispiele mehr.

Folgendes ist sicher ein Indiz dafür, dass das für mich ein sehr wichtiges Thema ist: Wie wir mehrfach gehört haben, ist in 2010 das Gesetz in Niedersachsen geändert worden. In 2009 gab es den Beschluss der Kultusministerkonferenz. Im Jahre 2008 - das war der Anstoß - fand die Runde aller Ministerpräsidenten mit der Kanzlerin statt, bei der beschlossen wurde, dass alle ihre Gesetze ändern und Durchlässigkeit ermöglichen. Schon davor, schon Anfang 2008, habe ich in Brandenburg das Gesetz novelliert. Schon vor diesem ganzen Zug hat Brandenburg als allererstes Bundesland Durchlässigkeit möglich gemacht.

Vergleichen wir die niedersächsische Variante jetzt einmal mit den Regelungen in allen anderen Bundesländern. Mittlerweile sind alle nachgerückt; ich glaube, inzwischen sind es wirklich alle. Mit drei

oder vier Ausnahmen ist es dort in der Regel wie folgt: Man hat eine berufliche Ausbildung und drei Jahre Praxis. Dann kommen z. B. in RheinlandPfalz Probesemester. Dann kommen Eingangsprüfungen. - Das halte ich für grundlegend falsch, weil man damit eher abschreckt.

Wir haben es möglich gemacht, dass man mit diesen Qualifikationen, also beruflicher Ausbildung und Praxis, in die Hochschule hinein kann. Im Laufe des Studiums muss man aber natürlich alle Qualitätsanforderungen erfüllen. Dann hat man die Möglichkeit, die Dinge, die man vergessen hat, im Studium nachzuholen. Dafür braucht man unter Umständen keine Laborpraktika mehr, wenn man das aus der praktischen Erfahrung kennt.

Auf diese Sonderheit können wir stolz sein, glaube ich. Für mich ist das eine wichtige Voraussetzung für den Erfolg.

Frau Heinen-Kljajić, ich weiß jetzt nicht genau, um welche Statistik es geht. In Bayern war es aber immer so, dass nicht gemessen wird, wie die Studenten in die Hochschule gekommen sind, sondern ob sie berufliche Qualifikationen hatten. Da in Bayern viel weniger Abitur machen und viel über den zweiten Bildungsweg geschieht, ist das kein Indiz dafür, dass die Tore dort weiter offen sind und dass es besser funktioniert. Ich würde sogar sagen: Im Gegenteil!