Protocol of the Session on September 14, 2011

Bei aller Richtigkeit von Haushaltskürzungen und Sparanstrengungen muss auf die soziale Balance geachtet werden. Das ist die gemeinsame europäische Aufgabe. Die Protestierenden in Athen und

Madrid sind nicht gegen Europa. Sie stemmen sich zu Recht gegen eine Sparpolitik, die es sich einfach macht, indem sie die Finanzmärkte und Reiche verschont und sich das Geld bei den Armen holt.

(Zustimmung bei der SPD)

Der Weg aus der europäischen Schuldenkrise kostet Geld und Mut. Aber, Herr Rickert - das haben Sie hier nicht gesagt -, die Kosten des Nichthandelns sind viel, viel größer. Ein Ausscheren einzelner Staaten aus der Eurozone - das wissen Sie alle -, würde einen massiven Schaden für alle Beteiligten bedeuten, und die europäische Integration wäre auf Jahrzehnte ausgebremst.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Deshalb brauchen wir eine dauerhafte Lösung und keine Lösung bis zum Wahltag in Berlin. Wir brauchen eine Lösung für die Verschuldungs-, Finanz- und Wirtschaftskrise. Die Europäische Union muss nämlich weiterentwickelt werden. Deswegen brauchen wir eine Harmonisierung der Finanzpolitiken und der Wirtschaftspolitiken. Sie müssen doch sehen, dass die Ursachen auch in den Leistungs- bzw. Handelsbilanzüberschüssen liegen, dass die deutschen Unternehmen hier profitiert haben, dass wir vom Euro profitiert haben. Die KfW-Bankengruppe hat das letzte Woche vorgerechnet: Es geht um einen dreistelligen Milliardenbetrag, von dem wir gegenüber der D-Mark profitiert haben.

Meine Damen und Herren, Sie fordern eine Stabilitätsunion und erzielen mit Ihrer öffentlichen Spekulation und einer populistischen Kampagne das genaue Gegenteil. Herr Dürr, Sie sollten lieber selbst über eine geordnete Insolvenz Ihrer Partei nachdenken.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Europa braucht gerade jetzt eine Bundesregierung mit Konzept und richtungsentscheidenden Maßnahmen. Wir diskutieren sie seit Langem und denken auch darüber nach, was Ihre Partei scheinbar nicht getan hat. Hören Sie also auf zu blockieren und werden Sie endlich Ihrer Verantwortung gerecht! Wir brauchen keine „Wackeleuropäer“.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Meine Damen und Herren, für die Fraktion DIE LINKE erhält nun Frau Flauger das Wort.

(Zuruf von der SPD: Rettungsschirm für die FDP! - Johanne Modder [SPD]: Wer will denn das Risiko überneh- men?)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Was sind die Ursachen für die unbestreitbar höchstschwierige Situation in der Europäischen Union zurzeit? Man kann sich die Welt passend machen, so, wie es Ihre Kanzlerin - die CDU und FDP - versucht hat, als sie im Mai versuchte zu erklären, es liege daran, dass in Griechenland und in anderen Ländern früher in Rente gegangen und mehr Urlaub gemacht werde als in anderen Ländern. Das sind Parolen auf Stammtischniveau, die - das will ich Ihnen sagen - mit der Realität nichts zu tun haben. Aber so macht man sich halt ein übersichtliches Weltbild und kommt selbst ungeschoren davon.

(Beifall bei der LINKEN)

In Ihrer Koalition herrscht ein wirres Durcheinander. Da fallen jetzt unfassbare zerstörerische Äußerungen. Herr Rickert unterstützt das auch noch. Ich finde, Sie sollten sich schämen, Herr Rickert. Vizekanzler Rösler spricht von einer geordneten Insolvenz Griechenlands und redet in unverantwortlicher Art und Weise davon, dass Griechenland die Europäische Union auch verlassen könnte. Das Gleiche kommt aus dem „16. Landesverband der CDU“ in Bayern. Auch da wird von einem Rausschmiss Griechenlands gesprochen. Und die Kanzlerin sagt: Na ja, aber eine geordnete Insolvenz geht ja erst 2013. - Viel besser ist das aber bitte schön auch nicht.

All das offenbart in erschreckender Weise die Haltung der CDU und der FDP zur Europäischen Union.

(Heinz Rolfes [CDU]: Was?)

Ihnen geht es nicht um die Überwindung nationalstaatlicher Grenzen, um ein besseres, um ein solidarischeres Miteinander der Völker, wie es das Europaverständnis der Linken ist. Nein, Ihnen geht es um mehr Absatzpotenziale für die deutsche Wirtschaft. Wenn das vorbei ist, ist es bei Ihnen auch ganz schnell vorbei mit der europäischen Idee.

(Beifall bei der LINKEN)

Dann kann der Mohr, der seine Schuldigkeit als Absatzmarkt getan hat, ganz schnell gehen. Wissen Sie, so national-egoistische Pseudoeuropäer, wie Sie das sind, wollen wir Linken nie sein.

(Beifall bei der LINKEN - Heinz Rolfes [CDU]: Was soll das? Mein Gott!)

Sie blenden die Rolle Deutschlands bei der Entstehung der Probleme völlig aus, obwohl Deutschland maßgeblich an den zwei Hauptursachen dieser Krise beteiligt war. Die erste Ursache ist die völlige Deregulierung der Finanzmärkte, durch die die Politik unter die Fuchtel von Banken und Ratingagenturen gelangt und erpressbar geworden ist. Das Schicksal ganzer Länder haben Sie diesen ausgeliefert.

(Beifall bei der LINKEN - Jens Nacke [CDU]: Aber nicht gleich heulen, wenn wir antworten! Wie treten Sie hier ei- gentlich auf?)

Die zweite Ursache ist ein unglaubliches volkswirtschaftliches Ungleichgewicht, eine gigantische Umverteilung von unten nach oben, eine Konzentration von Vermögen in wenigen Händen. Damit entsteht Spielgeld für Spekulanten, die sich dann Möglichkeiten zum Zocken an den - siehe erstens - völlig deregulierten Finanzmärkten suchen.

(Beifall bei der LINKEN)

Eines muss ich allerdings sagen: Das mit den Hedgefonds, Frau Emmerich-Kopatsch, war schon unter Rot-Grün, das waren nicht die CDU und die FDP, aber sie tragen das ja mit.

Die deutsche Politik ist seit Jahren und Jahrzehnten, und zwar egal, ob unter Rot-Grün oder unter Rot-Schwarz oder jetzt unter Gelb-Schwarz, einseitig auf Export ausgerichtet. Dazu haben Sie Lohn- und Sozialdumping vollzogen. Dazu wurden hier Hartz IV eingeführt, Leiharbeitsexzesse möglich gemacht, Reallöhne gesenkt, Gewerkschaften geschwächt. Damit haben Sie andere Länder „plattkonkurriert“, auch Griechenland.

(Jens Nacke [CDU] lacht)

Deutschland hat in den vergangenen zehn Jahren 1 552 Milliarden Euro mehr exportiert als importiert, und zwar ganz überwiegend in EU-Länder.

(Jens Nacke [CDU]: Das glauben Sie selbst, oder?)

Mathematisch unbestechlich ist: Des einen Überschuss ist des anderen Defizit. Das müssen Sie einmal begreifen. Die Lösung besteht bestimmt nicht darin, auch noch den deutschen Sozialabbau zu exportieren.

(Beifall bei der LINKEN - Zuruf von der CDU: Es geht auch um Arbeits- plätze!)

Ich weiß gar nicht, wie Griechenland mit Ihren Vorschlägen Steuern einnehmen soll. Ich frage Sie: Wie soll das weitergehen, wenn das, was Sie jetzt hier eingeschlagen haben, die Linie in Europa sein soll?

In Griechenland haben 2 000 Familien über 80 % des Vermögens. Bei den Militärausgaben liegt Griechenland auf dem dritten Platz im europäischen Vergleich. Warum fordern Sie Sozialabbau von Griechenland - Rentenkürzungen, Lohnkürzungen -? Warum kürzen Sie immer bei den Schwächsten? Warum fordern Sie nicht, dass diese 2 000 superreichen Familien, die auf Kosten anderer leben, sozial gerechte Steuern zahlen sollen?

(Beifall bei der LINKEN)

Warum fordern Sie nicht, die Rüstungsausgaben drastisch zu reduzieren? Aber es geht Ihnen wieder einmal nicht um den Erhalt der Europäischen Union, es geht Ihnen nicht um den Erhalt des Euro, sondern es geht Ihnen um deutsche Wirtschaftsinteressen. Sie haben Angst, die Forderung nach Vermögensteuer könnte auf Deutschland zurückschlagen und sich gegen Ihre Klientel wenden. Sie haben Angst, deutsche Rüstungsexporte könnten einbrechen. Deutschland ist immerhin drittgrößter Waffenexporteur der Welt - nach Griechenland, nach Saudi Arabien -: Egal wohin, solange die Knete nur stimmt.

(Beifall bei der LINKEN)

Die Linke fordert: Sorgen Sie für antizyklische Wirtschaftspolitik mit Investitionsprogrammen, statt die Wirtschaft weiter zu strangulieren. Seien Sie solidarisch mit Griechenland. Bitten Sie die Besitzer großer Geldvermögen endlich zur Kasse, statt immer weiter Steuern zu senken. Sie können niemandem erklären, dass Sie von den Reichen nichts wollen, sondern immer nur von den Schwächsten. Brechen Sie die Diktatur der Finanzmärkte, der privaten Banken und Ratingagenturen über die Politik.

(Glocke des Präsidenten)

Wir brauchen öffentliche Ratingagenturen. Wir brauchen eine europäische Bank für öffentliche Anleihen, damit private Banken und Finanzmärkte die Staaten nicht mehr erpressen können. Kümmern Sie sich um Spekulations-, um Finanztransaktionsteuer, um Begrenzung hoch spekulativer schädlicher Finanzinstrumente. Verbieten Sie die. Kommen Sie weg von der einseitigen Exportorientierung, und sorgen Sie für ausgewogene Handelsbilanzen. Stärken Sie den Binnenmarkt, die Kaufkraft, die Löhne, die Gewerkschaften. Führen Sie einen Mindestlohn ein. Sie hören auf all das nicht, was wir Ihnen seit Jahren sagen. Wenn Sie jetzt nicht endlich für eine - - -

Frau Kollegin, jetzt ein letzter Satz, bitte!

(Heinz Rolfes [CDU]: Jetzt ist gut! - Jens Nacke [CDU]: Der einzige ver- nünftige Satz seit fünf Minuten!)

Wenn Sie jetzt nicht endlich für eine Kehrwende sorgen, hat sich das Thema Stabilität in Europa endgültig erledigt. Dann sind Sie direkt verantwortlich für die nächste Krise und für die Zerstörung der Europäischen Union.

(Beifall bei der LINKEN)

Meine Damen und Herren, für die CDU-Fraktion erteile ich nun Herrn Rolfes das Wort.

(Björn Thümler [CDU]: Jetzt wird es wieder sachlich!)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Aktuelle Stunde der FDP-Fraktion hat es nicht verdient, dass man sich auch nur eine Sekunde lang mit der Rede von Frau Flauger beschäftigt.

(Zustimmung bei der CDU und bei der FDP - Kreszentia Flauger [LINKE]: Ih- re Arroganz wird Ihnen noch in den Rücken laufen!)