Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bundesweit lautet derzeit die zentrale Frage in der Hochschulpolitik: Wie schaffen wir es, angesichts einer rapide ansteigenden Zahl von Hochschulzugangsberechtigten unsere Hochschulen so aufzustellen, dass dieser Anstieg zur Chance wird und nicht zum Bildungskollaps führt?
Während andere Bundesländer wie Bayern, Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen in dieser Situation vollkommen zu Recht ein Zeitfenster erkennen, um ihre strategische Aufstellung im Wettbewerb der Wissenschaftsstandorte neu zu justieren, setzt Minister Stratmann auf gewohnte Gelassenheit. In der Zielformulierung, Herr Minister, riskieren Sie noch eine dicke Lippe, wenn Sie Ihrer Antwort vorausschicken:
„Generelles Ziel ist es, in den kommenden Jahren jeder und jedem Studierwilligen einen Studienplatz ihrer bzw. seiner Wahl anzubieten. Das gilt auch für den so genannten ‚doppelten Abiturjahrgang’.“
Erstens schaffen Sie das ausweislich der Studierendenexportquote schon heute nicht. Zweitens bleiben Sie in jeder Form eine Antwort schuldig, wie Sie das eigentlich erreichen wollen.
Sie gestehen zwar ein, dass die Zahl der Studienanfänger stärker ansteigen wird als bisher. Sie bestätigen einen Mehrbedarf an Vorlesungsräumen, Seminarräumen, Laboren etc. Aber statt die Herausforderungen zeitnah anzugehen, deren Bewältigung einen enormen Planungsvorlauf braucht, verweisen Sie auf das Ausstehen aktualisierter Prognosen der Kultusministerkonferenz.
In der Logik dieser Aussage werden Sie, Herr Minister Stratmann, niemals eine Planung vorlegen müssen; denn es ist schlicht ein Wesensmerkmal aller Prognosen, dass man jederzeit eine Aktualisierung einfordern kann. Am Thema vorbei, Herr Minister Stratmann!
Niemand wird verlangen, dass Sie punktgenau sagen, in welchem Jahr in welchem Studiengang wie viele Studierende tatsächlich irgendwo sein werden. Natürlich ist es vollkommen zutreffend, dass die Ungenauigkeit statistischer Prognosen zunimmt, je weiter sie in die Zukunft reichen, keine Frage. Aber daraus die Konsequenz zu ziehen, es dabei zu belassen, schon einmal etwas Geld für die kommenden Jahre im Haushalt einzuplanen und ansonsten abzuwarten, was da kommt, ist eine hochschulpolitische Bankrotterklärung.
Sie verhalten sich wie der Katastrophenschützer, der angesichts einer bevorstehenden Flut verkündet: Die Deiche werden halten. Wie wir das bewerkstelligen wollen, können wir aber erst sagen, wenn wir den höchsten Pegelstand exakt kennen.
Was Sie als zeitnahe Schaffung von Studienplätzen im Gegenstromverfahren - „Gegenstromverfahren“ ist die zentrale Vokabel in dieser Antwort - verklausulieren, bedeutet für die Hochschulen, dass sie in den nächsten Jahren weiterhin zusätzliche Studierende werden aufnehmen müssen, ohne dass dafür eine bedarfsgerechte Gegenfinanzierung zu erhalten ist.
Schon bei der ersten Runde des Hochschulpakts hat die Landeshochschulkonferenz protestiert, weil faktisch Studienplätze allein dadurch geschaffen werden mussten, dass bei gleichbleibender Lehrkapazität einfach mehr Leute in die Studiengänge geschleust wurden, also ohne Kostenerstattung und damit zulasten der Qualität.
Für die zweite Runde sind die Proteste schon vorprogrammiert. Denn die bisher avisierten Mittel werden bei Weitem nicht ausreichen. Infolge dieser Unterfinanzierung werden sich die Studienbedingungen weiter verschlechtern, und die Attraktivität des Hochschulstandorts Niedersachsen wird weiter abnehmen.
Anhand aktualisierter Schätzungen geht das Zentrum für Hochschulentwicklung schon heute bundesweit von einer Verdopplung der zusätzlichen Nachfrage nach Studienplätzen für die Jahre 2007 bis 2020 im Vergleich zu den Berechnungen aus dem Jahre 2006 aus, auf die Sie sich beziehen. Ohne dass man also von Hochschulpolitik besonders viel Ahnung haben muss, ahnt selbst der Laie, dass hier in den nächsten Jahren eine gewaltige Herausforderung auf uns zukommt.
Trotz der vorliegenden Prognosen gibt es vonseiten des Wissenschaftsministeriums bisher fast keine Bedarfsermittlung. Einzige Ausnahme ist eine Bedarfsabfrage des Ministeriums zur mittelfristigen Bauplanung. Aber in der Antwort verschweigen Sie geflissentlich, dass die Hochschulen in der Antwort auf diese Anfrage allein für die nächsten Jahre 3 Milliarden Euro angemeldet haben.
ab 2011 zusätzliche betriebliche Ausbildungsplätze mittels finanzieller Anreize schaffen. - Wenn das so einfach wäre, gäbe es in Niedersachsen nicht schon heute eine Differenz zwischen Bewerbern und Ausbildungsuchenden von über 23 000.
Die Situation wird sich trotz sinkender Zahlen von Schulabgängern aus der Sekundarstufe I ab 2011 dramatisch verschärfen, ohne dass Sie irgendeine Lösung anbieten könnten.
Auf die Frage nach Maßnahmen zur Steigerung der Nachfrage bei den Ingenieurstudiengängen verweisen sie lediglich auf die IdeenExpo, als würden junge Menschen, die mal einen Tag durch eine Wissenschaftsshow geschleust werden, hinterher allen Ernstes Chemie oder Physik studieren wollen.
Auf die Frage, mit welcher Position Sie denn in die nächste Runde des Hochschulpakts gehen wollen - eigentlich eine sehr wichtige Frage -, antworten Sie lapidar mit - ich darf noch einmal zitieren -: Die Fortführung der Finanzierung des Hochschulpakts muss unter Einbeziehung von Qualitätsgesichtspunkten gesichert werden. - Wenn Ihnen zu der Frage nicht mehr einfällt, Herr Minister Stratmann, kann man sich ausmalen, wie das Ergebnis für Niedersachsen aussehen wird.
Zu allem Überfluss halten Sie wider aller empirischen Erfahrung an der Mär fest, die Umstellung auf Bachelor und Master schaffe freie Kapazitäten an den Hochschulen und verringere mittelfristig - Sie reden immerhin nur von mittelfristig; das klang schon einmal anders - Abbrecherquote und Studiendauer. Fakt ist: Aufgrund mangelnder Ausstattung mit Lehrpersonal steigt die Abbrecherquote im Moment signifikant. Wenn man sich dann einmal die Tabellen anschaut, in denen Sie die Umsetzung der ersten Runde des Hochschulpakts dokumentieren, dann ist zu befürchten, dass ein völlig unterfinanzierter Hochschulpakt dieses Problem weiter zuspitzen wird. Denn hier wird erkennbar, dass Hochschulen zum Teil - es sind zugegebenermaßen bisher nur einzelne Hochschulen - eine bis zu 100-prozentige Überbelegung einzelner Studiengänge in Kauf nehmen, obwohl sie häufig weniger als 10 % davon über die sogenannten Clusterpreise für zusätzlich geschaffene Studienplätze finanziert bekommen.
Die Drohung, bei Nichterreichen der vorgeschriebenen Gesamtzielzahl zu viel gezahlte Bundeszuschüsse im Rahmen des Hochschulpakts zurückzahlen zu müssen, droht hier offensichtlich zur absoluten Fehlsteuerung zu führen. Betroffen sind besonders die Ingenieur- und Wirtschaftsstudiengänge, also genau die Studiengänge, die zum Teil schon heute Abbrecherquoten von über 40 % aufweisen.
Aus Sicht der Hochschulen - so traurig das ist - geht die Rechnung auf. Sie können die nötigen Studierendenzahlen im ersten Hochschulsemester aufweisen, und nur das interessiert erst einmal den Hochschulpakt.
Fazit: Der Hochschulpakt produziert zwar mehr Studienanfänger, aber nicht unbedingt mehr Absolventen.
Herr Minister Stratmann, wer sich angesichts dieser Situation darauf beschränkt, die knappen Mittel aus dem Hochschulpakt zu verteilen und ansonsten an die Hochschulen die Parole auszugeben „Seht zu, wie ihr die Zielzahlen erreicht!“, der liefert den Beweis dafür, dass das Süd-Nord-Gefälle in der deutschen Hochschullandschaft alles andere als gottgegeben ist.
Baden-Württemberg hat schon lange einen Masterplan aufgelegt, der über den Hochschulpakt hinaus mit einem landeseigenen Ausbauprogramm neue Studienplätze schafft. Bayern ist bereits in der Umsetzungsphase von Maßnahmen zur Bewältigung des doppelten Abiturjahrgangs.
Dort läuft die vorzeitige Berufung von Lehrstühlen bereits auf vollen Touren. Niedersachsen hat laut der Antwort auf unsere Anfrage nicht einmal damit angefangen. Nordrhein-Westfalen plant die Errichtung von vier neuen Fachhochschulen. Mit Ihrer Standardfloskel vom zeitnahen Reagieren im Gegenstromverfahren kommen Sie gegen diese Mitbewerber nicht an. Das Gegenstromprinzip, Herr Minister Stratmann, bedeutet: Wenn Heißes auf Kaltes trifft, ohne dass man irgendjemand was dazutut, kommt Lauwarmes hinten heraus.
eine absolut passende Beschreibung, als Steuerungsverfahren für eine Hochschullandschaft, die sich angesichts der Bologna-Strukturreform, des Exzellenzwettbewerbs oder steigender Nachfrage nach Studienplätzen in einem grundlegenden Umwälzungsprozess befindet, aber leider völlig ungeeignet!
Machen Sie also endlich Ihre Aufgaben, Herr Minister Stratmann! Legen Sie eine strategische Hochschulplanung auf, die beschreibt, wo Stärken ausgebaut werden müssen, wo Schwächen entschärft werden müssen und wo Nischen besetzt werden können, statt sich mit dem Hinweis auf fehlende Prognosen der KMK und auf die Zuständigkeit des Bundes aus der Verantwortung zu stehlen!
Meine Damen und Herren, bevor ich Herrn Minister Stratmann das Wort gebe, möchte ich Sie darüber informieren, dass die Fraktionen übereingekommen sind, den Tagesordnungspunkt 12 nicht mehr heute zu beraten, sondern morgen nach Punkt 14, den Dringlichen Anfragen, in die Tagesordnung einzufügen. Ich gehe davon aus, dass das Haus damit einverstanden ist. - Dann verfahren wir so.
Herr Präsident! Auf ein Neues, muss ich sagen. - Liebe Frau Heinen-Kljajić, ich gebe ja zu, dass die 51 Seiten, die wir auf Ihre 56 Fragen als Antwort schreiben mussten, vielleicht so umfangreich sind, dass man nicht alles liest.
Das Gefühl muss hier aufkommen, wenn man Sie so hört. Ich bin in gewisser Weise einigermaßen ratlos, wie ich es hinbekomme, dass Sie endlich Fakten und Tatsachen zur Kenntnis nehmen.
(Widerspruch von Dr. Gabriele Hei- nen-Kljajić [GRÜNE] - Ursula Körtner [CDU]: Das schaffen Sie nicht!)