Protocol of the Session on June 29, 2011

Herr Dr. Sohn, Sie haben vorhin ein bisschen den Eindruck erweckt, dass der Haushalt so etwas ist wie eine feste Manövriermasse, die man beliebig erweitern kann, indem man ein bisschen mehr Schulden macht. Dann wird der Haushalt größer, und man kann im Interesse der Linken mehr soziale Wohltaten verteilen.

Herr Dürr, gestatten Sie - - -

Nein, keine Zwischenfrage. - Wir müssen uns alle gemeinsam noch einmal Folgendes klarmachen, Herr Dr. Sohn: Das, was Sie hier mit vollen Händen ausgeben wollen, muss von den Menschen im Land erst erwirtschaftet werden. Das Geld liegt doch nicht einfach herum. Die Menschen müssen dafür arbeiten, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU - Zurufe von Kreszentia Flauger [LIN- KE] und Victor Perli [LINKE])

Ich will das an ein paar Zahlen klarmachen, damit auch die Dimension deutlich wird. Wenn heute im Saarland, das lange von Herrn Lafontaine regiert worden ist, ein Kind auf die Welt kommt, dann ist dieses Kind bereits bei der Geburt mit über 11 000 Euro verschuldet, in Berlin sind es 18 400 Euro, und in unserem Nachbarbundesland Bremen sind es sogar 27 000 Euro pro Kopf bzw. pro Kind. Meine Damen und Herren, das sind nur die Schulden von Land und Kommunen; Bundesschulden sind an dieser Stelle noch nicht einmal berücksichtigt. Tatsache ist - das muss man sich auf der Zun

ge zergehen lassen -, dass heute, Stand Juni 2011,

(Unruhe - Glocke des Präsidenten)

jeder Bremer tiefer in der Kreide steht als jeder Grieche, meine Damen und Herren. Das alles müssen wir uns meiner Meinung nach vor Augen führen. Deshalb hat es sich Schwarz-Gelb, diese Landesregierung, seit 2003 zur Aufgabe gemacht, die Zukunft der Menschen in Niedersachsen nicht so leichtfertig zu belasten. Wir fahren seit 2003 einen konsequenten Konsolidierungskurs. Wir werden das auch in Zukunft fortsetzen, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der FDP und Zustimmung bei der CDU)

Deshalb ist es nur konsequent, dass wir dieses Ziel als Maxime in die Verfassung überführen.

Ich möchte zwei Punkte deutlich machen, weil Herr Schostok durchaus zu Recht gesagt hat, dass das nicht nur einfach starr formuliert werden darf, sondern dass es Regelungen für besondere Situationen geben muss.

Erstens. Wir wollen ab 2017 ausgeglichene Haushalte vorschreiben. Verschuldungen im Fall von Naturkatastrophen oder anderen Notsituationen bedürfen einer Zweidrittelmehrheit des Niedersächsischen Landtages sowie eines konkreten Rückzahlungsplanes.

Zweitens. Um bei außergewöhnlichen Konjunkturstörungen reagieren zu können, wollen wir zwar Schulden aufnehmen können. Aber genau so wie im Abschwung Schulden gemacht werden, sollen diese im Aufschwung wieder zurückgezahlt werden. Das ist der Unterschied, meine Damen und Herren: Der Haushalt kann mit der Konjunktur atmen und unterliegt trotzdem einer scharfen Schuldenkontrolle.

Das zeigt, wir sind die Koalition der Haushaltskonsolidierung. Wir sind ferner die Koalition der Generationengerechtigkeit und vor allen Dingen die Koalition der Verantwortung in diesem Zusammenhang. Genau deswegen packen wir jetzt die Schuldenbremse an und laden an dieser Stelle alle ein, mitzumachen.

(Beifall bei der FDP und Zustimmung bei der CDU)

Gerade die Diskussion um den Euro und um die Ereignisse in Griechenland zeigen meiner Meinung nach sehr eindrucksvoll, wie sehr Staatsverschul

dung eine Gesellschaft an den Rand des Abgrunds drängen kann. Wenn Politik handlungsfähig bleiben will, dann braucht sie eine solche Schuldenbremse. Jedem mit gesundem Menschenverstand ist schließlich daran gelegen, dass es unseren Kindern einmal besser geht als uns selbst. Staatsverschuldung, meine Damen und Herren, ist aber genau das Gegenteil davon. Wer hohe Schuldenberge hinterlässt, sorgt dafür, dass es seinen Kindern einmal schlechter geht als ihm selbst. Das ist so perfide, meine Damen und Herren! Das will mittlerweile wirklich nur noch die Partei DIE LINKE, um das an dieser Stelle einmal deutlich zu unterstreichen.

Ich komme zum Schluss. Wir laden Sie deswegen herzlich ein, über diese Änderung der niedersächsischen Landesverfassung zu diskutieren. Richtig ist auch, dass die Regierungsfraktionen von CDU und FDP über keine verfassungsändernde Mehrheit in diesem Hause verfügen. Ich würde mich dennoch freuen, wenn wir das ganze Paket gemeinsam umsetzen könnten. Wir sind an dieser Stelle in der Diskussion offen. Wir könnten es hinbekommen, die vom Grundgesetz vorgeschriebene Schuldenbremse schon drei Jahre früher als 2020 zu erreichen, meine Damen und Herren. Wir möchten mit der Regelung zum Parlamentsvorbehalt für eine Neuverschuldung in Form einer Zweidrittelmehrheit, also über eine Regierungsmehrheit hinaus, eine Möglichkeit zur Aufnahme von Krediten in Notsituationen einführen. Meiner Meinung ist das ein rundes Paket. Ich freue mich auf die Debatte.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Zu dem Beitrag von Herrn Dürr liegen drei Meldungen zu Kurzinterventionen vor. Zunächst spricht Herr Dr. Sohn von der Fraktion DIE LINKE, danach Herr Klein von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und zum Schluss Herr Schostok. Bitte schön, Herr Dr. Sohn!

Sehr geehrte Damen und Herren! Herr Dürr, Sie müssen mir etwas erklären. Frau Merkel hat angesichts der Wahlen in Mecklenburg-Vorpommern und Berlin auf Bitten von Herrn Rösler dieses FDPRettungsprogramm aufgelegt, Steuersenkungen im Volumen von 9 Milliarden Euro durchzuwinken; ich habe mir das gerade noch einmal angeschaut. Ein

erheblicher Teil davon wird Bund und Länder betreffen. Insofern und weil diese Vorschläge von Ihnen kommen, habe ich eine Frage. Sie haben eben gnadenlos gesagt: Wir gehen nicht nur davon aus, dass wir in Niedersachsen mit dem Geld auskommen müssen, was wir jetzt haben, sondern wir gehen davon aus, dass wir mit noch weniger Geld auskommen. Deshalb ziehen wir diese gnadelose Obergrenze ein. - Jetzt erklären Sie mir doch einmal, wie Sie die Gegenfinanzierung dieser von der FDP initiierten Steuersenkungsprogramme auf der Bundesebene, was den Anteil der Länder und der Kommunen angeht, erreichen wollen, ohne Sozialleistungen abzubauen. Welche Sozialmassaker wollen Sie anrichten, solange es Sie noch gibt?

(Beifall bei der LINKEN)

Die nächste Kurzintervention kommt von Herrn Klein von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Dürr, ich habe das gleiche Anliegen wie Herr Dr. Sohn. Ich zweifle angesichts dieser Steuersenkungspläne auf der Bundesebene erheblich an der Ernsthaftigkeit Ihrer Absicht, diese Schuldenbremse durchziehen zu wollen. Es heißt ja: Ein kluger Esel stößt nicht zweimal an den gleichen Stein. - Aber kluge Esel scheinen im Moment im schwarzgelben Bereich etwas rar zu sein. Vielmehr gibt es eine ganze Reihe von ihnen, denen angesichts der Steigerungen der Steuereinnahmen so wohl ist, dass sie bei 30 °C unbedingt aufs Eis wollen. Anders ist das doch nicht zu interpretieren!

Die Beseitigung des sogenannten Mittelstandsbauches kostet zwischen 25 Milliarden und 35 Milliarden Euro. Aber selbst wenn die im Augenblick diskutierten 6 Milliarden bis 12 Milliarden Euro - in diesem Bereich schwanken die Angaben - als Steuersenkung verwirklicht werden, passt das auf keinen Fall zu einer Schuldenbremse. Darauf müssen Sie erst einmal eine schlüssige Antwort geben. Ich glaube, das können Sie nicht.

(Beifall bei den GRÜNEN und Zu- stimmung bei der SPD)

Für die SPD-Fraktion spricht Herr Schostok. Auch Sie haben anderthalb Minuten Redezeit. Bitte!

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Dürr, ich stoße in die gleiche Flanke. Sie müssten merken, dass es für die FDP allmählich ernst wird. Wir machen uns an dieser Stelle allerdings keine großen Sorgen.

90 % der Redezeit zu sachfremden Themen zu verwenden und sich nicht um den Kern des Themas zu kümmern! Wahrscheinlich ging es Ihnen darum, dass auf der Bundesebene von Ihnen eine völlig unsinnige Steuersenkungsdebatte in einer Zeit angezettelt wurde,

(Beifall bei der SPD und bei der LIN- KEN)

in der sich alle um wichtige Themen kümmern: Wie gestaltet man die Energiewende, damit sowohl die Bevölkerung als auch die deutsche Industrie gut durch diese Wende kommen? Sie schalten jedoch völlig ab und kümmern sich um Ihre Lieblingsthemen, Herr Dürr. Was mich besonders irritiert: Selbst Ihre Szene, die von Ihnen im Prinzip immer sehr stark bedient wird, führt ganz andere Diskussionen. Sie sorgt sich darum, wie in Deutschland noch Finanzmittel für Investitionen aufgebracht werden können. Sie aber zetteln wieder eine Steuersenkungsdebatte an. Ich kann das überhaupt nicht nachvollziehen. Kehren Sie bitte zu einer ernsthaften Debatte über die Schuldenbremse zurück!

(Beifall bei der SPD, bei den GRÜ- NEN und bei der LINKEN)

Herr Kollege Dürr möchte antworten. Auch Sie haben eineinhalb Minuten Redezeit. Bitte schön!

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Mir war nicht klar, dass ich bei Herrn Schostok leider, was die Ökonomie angeht, bei Adam und Eva anfangen muss.

(Oh! bei der SPD)

Ich will das kurz erläutern, damit Sie anfangen zu begreifen, wie unternehmerisches Handeln funktioniert.

(Lachen bei der SPD)

Wenn man weniger Steuern zahlt, meine Damen und Herren, bleibt mehr Geld für Investitionen üb

rig. Das ist die Wahrheit, über die wir hier nachdenken müssen, um das ganz klar zu sagen.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU - Widerspruch und Zurufe von der SPD und von der LINKEN)

Moment, Herr Kollege Dürr! - Ich möchte Sie darauf aufmerksam machen, dass derjenige, der antwortet, auch nur eineinhalb Minuten zur Verfügung hat. Geben Sie ihm die Chance, dass er diese Zeit nutzen kann. - Bitte sehr, Herr Dürr!

Herzlichen Dank, Herr Präsident. - Ich will noch auf den Begriff, den Herr Dr. Sohn hier eingeführt hat, eingehen. Er hat von Sozialmassakern gesprochen.

(Zuruf von der LINKEN: Ja!)

In einem Land, in dem über 50 % des Haushaltes für Soziales aufgewandt werden, von einem Sozialmassaker zu reden, ist mehr als abstrus, meine sehr verehrten Damen und Herren!

(Beifall bei der FDP und bei der CDU - Hans-Henning Adler [LINKE]: Es geht darum, wie Sie das Problem der Steuersenkung lösen wollen!)

Auf Herrn Kollegen Klein kann ich nur sehr kurz eingehen, weil ich nicht auf alles im Detail reagieren kann. Sie stellen sich hier hin und sagen, das mit dem Mittelstandsbauch sei ganz furchtbar, aber es sei viel zu teuer, ihn abzuschaffen. Die Wahrheit ist: Es sind die Steueränderungen der rotgrünen Bundesregierung gewesen, meine Damen und Herren, die das erst angerichtet haben. Wir wollen das am Ende wieder beseitigen. Wir machen hier Ihre Hausaufgaben, und nichts anderes, meine Damen und Herren!

(Beifall bei der FDP und Zustimmung bei der CDU - Zurufe von der SPD)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, weitere Wortmeldungen zu diesem Tagesordnungspunkt liegen uns nicht vor. Damit sind wir am Ende der Beratung angekommen.

Wir kommen zur Ausschussüberweisung.