Protocol of the Session on June 29, 2011

Wir sind der festen Überzeugung, dass ein einfaches Gesetz ausreicht und dass man das nicht in die Verfassung schreiben muss. Aber das gilt natürlich; das ist völlig klar, Herr Aller.

(Zuruf von Heinrich Aller [SPD])

Ich habe den Eindruck, Herr Dr. Sohn, dass Ihnen Herr Kollege Aller noch eine Zwischenfrage stellen möchte. Das kann ich zulassen.

Wenn ich dann noch ein paar Minuten kriege, mache ich das glatt. - Aber es ist doch wirklich so. Dadurch, dass das in unser aller Verfassung, also in der Hauptverfassung, steht, muss es nicht zwingend - - -

(Zuruf von der SPD: Unsere Aller- Verfassung! - Heiterkeit bei der SPD)

- Das ist kein Punkt zum Lachen. Sie tun immer so, als müsse das in unserer Verfassung nachvollzogen werden. Das ist aber juristisch nicht nötig. Deshalb muss man das in die Debatte mit einbeziehen.

(Beifall bei der LINKEN - Christian Dürr [FDP]: Das hat er auch nie ge- sagt!)

Ich möchte noch etwas zu dem Punkt sagen, was Sie in der Zeit, die wir uns für die Diskussion hof

fentlich gönnen, tun können. Ich glaube, dass erwähnt worden ist, dass der DGB diese schöne Broschüre herausgegeben hat.

(Der Redner zeigt eine Broschüre des DGB zum Thema Schuldenbremse)

Ich finde diesen Begriff ziemlich bescheuert. „Schuldenbremse“ ist eine euphemistische Umschreibung. Es handelt sich um ein Nettokreditverbot. Gegen eine Schuldenbremse hat ja eigentlich niemand etwas. Aber wir haben natürlich etwas gegen das Verbot, Kredite aufzunehmen. Das ist der Kern. Dann soll man es auch so bezeichnen. Deshalb werde ich das bei den Zitaten jetzt immer stillschweigend ändern. Im Kern geht es nicht um eine Schuldenbremse; im Kern geht es um ein Kreditverbot. Das ist das, was hier für das Land beschlossen werden soll.

(Beifall bei der LINKEN)

Der DGB hat zusammen mit vielen anderen - verschiedenen ASten, den Falken, den Naturfreunden, dem Sozialverband usw. - eine gemeinsame Erklärung herausgegeben, aus der ich abschließend für diejenigen, die das jetzt unbedingt so umsetzen wollen, aus dem langen Punktekatalog nur vier Punkte benennen möchte, weil sie meines Erachtens den Kern treffen. Ich zitiere aus diesem gemeinsamen Papier:

Erstens. Das Kreditverbot „gefährdet die Handlungsfähigkeit von Bund und Ländern.“ Es „engt den finanziellen Handlungsspielraum Niedersachsens massiv ein.“ Es „nimmt dem Land eine wesentliche Möglichkeit, klug die Zukunft zu gestalten, Innovationen anzustoßen und schnell auf Herausforderungen zu reagieren.“

(Vizepräsident Hans-Werner Schwarz übernimmt den Vorsitz)

Zweitens. Das Kreditverbot „gefährdet den sozialen Zusammenhalt in Niedersachsen.“

(Beifall bei der LINKEN)

„Die zu erwartenden, massiven Kürzungen aber werden zu Lasten der ohnehin Benachteiligten gehen: Arme Menschen, Menschen mit Behinderung, ältere Menschen, Arbeitslose, Menschen in prekärer Beschäftigung, alleinerziehende Mütter und Väter, Migrantinnen und Migranten...“

Dies ist ein Programm der sozialen Kälte. Auch deshalb sind wir gegen das Nettokreditverbot.

(Beifall bei der LINKEN)

Drittens - das ist auch völlig klar -: Das Kreditverbot „gefährdet Arbeitsplätze im Öffentlichen Dienst und bei Auftragnehmern der öffentlichen Hand.“ Übrigens zu großen Teilen gerade auch im Handwerk! Auch deshalb sind wir dagegen.

Viertens - darauf hatte ich eben schon hingewiesen -: Es ist nicht nötig, das Kreditverbot in die Niedersächsische Verfassung zu schreiben. Wir haben außerdem Zeit bis 2020.

Es sei auch daran erinnert, dass vor dem Bundesverfassungsgericht eine Klage des Landes Schleswig-Holstein anhängig ist. Vielleicht sollte man vor dem Bundesverfassungsgericht so viel Respekt haben, dass man zunächst einmal den Ausgang dieser Klage abwartet, anstatt zu glauben, hier mit diesem Thema ein bisschen Landtagsvorwahlkampf betreiben zu können oder zu müssen.

Insofern glaube ich: Wir sollten uns alle tatsächlich Zeit gönnen, das in Ruhe zu diskutieren.

Schönen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Lebhafter Beifall bei der LINKEN)

Die nächste Wortmeldung kommt von Herrn Klein für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Sie haben das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Für die Grünen sind die neuen Regelungen zur Schuldenbremse im Grundgesetz geltendes Verfassungsrecht. Wir werden und wir wollen sie beachten.

Die Begrenzung der Neuverschuldung in Höhe der eigenfinanzierten Investitionen hat jedenfalls bisher nicht verhindert, dass wir inzwischen bundesweit über 2 Billionen Euro Schulden aufgehäuft haben. Daran waren alle Regierungen beteiligt. Zur historischen Wahrheit gehört aber natürlich auch, dass die höchsten Schuldenzuwächse immer während konservativer Regierungszeiten erfolgten.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, Niedersachsen ist mit 57 Milliarden Euro Kreditmarktschulden beteiligt. Zusammen mit diversen Verbindlichkeiten in Schatten- und Nebenhaushalten, mit den Schulden und Kassenkrediten der Kommunen und mit der impliziten Verschuldung über die inzwischen aufgelaufenen Ansprüche an Pensionen liegen wir weit im dreistelligen Milliardenbereich.

Die Finanz- und europäische Staatsschuldenkrise lehrt uns, dass auch bei uns der Weg in immer höhere Schuldenstände ein Weg in die Sackgasse ist. Da muss man nicht erst auf Griechenland schauen.

Wir sind es unseren Kindern und Enkeln schuldig, dass wir unsere Finanzen in Ordnung bringen, damit auch sie weiter selbstbestimmt Staat machen können und nicht in Abhängigkeit von Banken und Ratingagenturen arbeiten müssen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Das ist der zentrale Punkt. Deswegen treten auch wir für neue Regeln ein, die von dem Gebot ausgehen, dass der Staat künftig grundsätzlich ohne neue Kredite wirtschaften muss. Die bekannten Ausnahmen bei Naturkatastrophen, Notsituationen und zur Pufferung konjunktureller Einnahmeschwankungen sind dabei unstrittig.

Zentrale Voraussetzung für eine solche Schuldenbremse ist aber, dass die strukturelle Unterfinanzierung der staatlichen und der kommunalen Ebenen beseitigt wird.

Für uns Grüne zielt deshalb die Schuldenbremse zunächst einmal ausschließlich auf die Einnahmeverantwortung des Landes. Dafür brauchen wir Einigkeit mit Ihnen, wenn wir zusammen etwas beschließen wollen.

Wir wollen keinen omnipotenten Staat. Aber wir wollen einen Staat, der stark genug ist, um unsere natürlichen Lebensgrundlagen und unser Klima schützen zu können, der stark genug ist, um unserem Nachwuchs sehr gute und gleiche Bildungschancen bieten zu können, und der stark genug ist, um sozialen Frieden und soziale Gerechtigkeit in unserer Gesellschaft sichern zu können.

Um diese Aufgaben zukunftsfähig wahrnehmen zu können, darf der Staat nicht am Existenzminimum darben. Unser Staat und seine Kommunen müssen zu den Besserverdienenden gehören.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Für das Projekt Nettoneuverschuldung null reicht die jetzige fünfjährige Mipla nicht aus. Wir brauchen einen belastbaren Pfad für die Ausgaben und die Einnahmen bis 2019. Wenn die Umsetzung schneller geht, umso besser! Ich gebe dabei zu bedenken, dass einige der Rahmendaten noch durch den Staatsgerichtshof entschieden werden müssen - ich hoffe jedenfalls, noch in diesem Jahr.

Der zweite Punkt, über den wir reden müssen, ist die beabsichtigte Ausweitung der Verschuldensgrenze über den bisher geltenden Wert der eigenfinanzierten Investitionen im Gesetzentwurf von CDU und FDP. Sie wollen bis zu 1,6 Milliarden Euro neue Schulden für 2012 vorsehen. Das heißt: Sie wollen eine Schuldenbremse etablieren und beginnen das Ganze erst einmal mit einem Schulden-Turbo. So geht es doch nicht. Und das im Vorwahljahr! Ein Schelm, wer Böses dabei denkt! Das erinnert jedenfalls stark an den Alkoholiker, der beschließt, mit dem Trinken aufzuhören und sich zur Feier dieser Entscheidung erst einmal eine Kiste Doppelkorn kauft.

(Beifall bei den GRÜNEN und Zu- stimmung bei der SPD)

Meine Damen und Herren, diese Rechnung nach Ausweitung geht auch nach Adam Riese nicht auf. Im Rekordjahr 2008 hatten wir Steuereinnahmen in Höhe von 18,2 Milliarden Euro. Zum Haushaltsausgleich brauchte Schwarz-Gelb damals nur noch 550 Millionen Euro neue Schulden. Für 2012 sind mit der Mai-Steuerschätzung 19,4 Milliarden Euro prognostiziert. Selbst wenn man die Einnahmesteigerung von 1,2 Milliarden Euro voll für Kostensteigerungen in diesen vier Jahren verbucht - was ja nicht realistisch ist -, stellt sich doch die Frage: Was ist passiert, dass Sie 2012 trotz gestiegener Einnahmen 1,6 Milliarden Euro neue Schulden machen wollen, wenn Sie 2008 bei gleichen Bedingungen noch mit einem Drittel ausgekommen sind? Das geht doch nicht zusammen. Dem werden wir auch nicht zustimmen können.

Deshalb will ich zusammenfassend festhalten: Wir brauchen für eine gemeinsame Entscheidung eine belastbare Vereinbarung über die Einnahmesicherung und die aufgabengerechten Mehreinnahmen in den nächsten Jahren. Außerdem brauchen wir eine Einigung über die Neuverschuldung 2012, die sich am geltenden Verfassungsrecht orientiert. Wir brauchen - dazu konnte ich heute keine Ausführungen machen - natürlich auch den Schutz der Kommunen, wie ihn der Kollege Schostok angesprochen hat.

Auf dieser Basis möchte ich gerne weiter diskutieren. Auf ihr können wir uns auch einigen.

(Lebhafter Beifall bei den GRÜNEN)

Jetzt hat Herr Kollege Dürr für die FDP-Fraktion das Wort. Bitte sehr!

(Zuruf von Heinrich Aller [SPD] - Ge- genruf von Björn Thümler [CDU]: Ich würde mich an Ihrer Stelle etwas zu- rückhalten, Herr Aller! Den Anschein zu erwecken? Das ist ja unerhört!)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Aller, ich glaube, wir sollten uns ganz kurz noch einmal klarmachen, worüber wir hier eigentlich reden. Die Verschuldung der öffentlichen Haushalte ist keine abstrakte Verschuldung, die auch abstrakt irgendwie wieder verschwindet. Diesen Eindruck konnte man bei den Worten von Herrn Kollegen Sohn vorhin ja gewinnen. Es sind knallharte Zahlungsverpflichtungen, die wir jedem einzelnen Menschen in diesem Land aufbürden.

Herr Dr. Sohn, Sie haben vorhin ein bisschen den Eindruck erweckt, dass der Haushalt so etwas ist wie eine feste Manövriermasse, die man beliebig erweitern kann, indem man ein bisschen mehr Schulden macht. Dann wird der Haushalt größer, und man kann im Interesse der Linken mehr soziale Wohltaten verteilen.