Protocol of the Session on April 13, 2011

Ich hatte es gerade gesagt, die Hürde ist mit 10 % hoch. Die Schweiz lässt sich mit Niedersachsen sehr gut vergleichen, weil die Bevölkerungszahl in etwa gleich ist. 7,8 Millionen Einwohner in der Schweiz und 7,9 Millionen in Niedersachsen.

Schauen Sie einmal in die Schweizer Verfassung, um zu sehen, wie hoch dort die Hürde für eine Volksabstimmung ist. Man muss dort nur 50 000 Unterschriften sammeln. In Niedersachsen bisher rund 600 000. Das heißt: Die Hürde ist in Niedersachsen zwölfmal so hoch wie in der Schweiz.

Das Interessante dabei ist: Es funktioniert in der Schweiz. Es führt zu einem lebendigen Abstimmen und Wählen etwa alle Vierteljahre. Mir ist natürlich klar, dass dort eine ganz andere demokratische Tradition eine Rolle spielt. Es wäre doch aber nicht schlecht, wenn wir uns wenigstens auf die Absenkung einigen könnten, die im Gesetzentwurf der Grünen vorgeschlagen wird. Das heißt: eine Absenkung der Hürde von 600 000 auf 300 000 Unterschriften.

(Beifall bei der LINKEN und bei den GRÜNEN)

Die Grünen haben auch vorgeschlagen, dass bei einem Volksentscheid nicht mehr mindestens ein Viertel der Wahlberechtigten zustimmen muss, sondern dass die einfache Mehrheit ausreichen soll.

Ich bitte Sie, an dieser Stelle einmal nachzuvollziehen, was sich aus den Zahlen ergibt: Bei 6 Millionen Wahlberechtigten und einer unterstellten Wahlbeteiligung von 45 % - eine solche Wahlbeteiligung ist bei Volksabstimmungen durchaus wahrscheinlich - geht es um 2,7 Millionen Stimmen. Wenn 50 % dafür sind, müssten die Unterstützer des Volksbegehrens 1,35 Millionen Stimmen gewinnen. Dann ist da aber noch die zweite Klausel, nämlich die, dass ein Viertel der Wahlberechtigten zustimmen muss. Das wären 1,5 Millionen.

Das heißt: Diese Regelung schafft einen Anreiz bei denjenigen, die gegen das Anliegen des Volksentscheides sind, auf die zweite Hürde zu setzen, nämlich auf ein Viertel der Wahlberechtigten. Damit wird Passivität belohnt und derjenige unterstützt, der auf die Trägheit des Volkes setzt.

Der Gesetzentwurf der Grünen sieht deshalb konsequenterweise vor, die zweite Hürde wegfallen zu lassen. Es wäre sicherlich schon ein Schritt in die richtige Richtung, wenn wir uns darauf einigen könnten, diese Hürde wenigstens abzusenken.

Jetzt noch ein Blick in die Schweizer Verfassung. Ich habe zunächst gedacht: Na gut, vielleicht gibt es ja auch dort eine Mindesthürde. - Ich kann Ihnen das Ergebnis verraten: Dort gibt es überhaupt keine Mindesthürde. - Auch das ist interessant.

Jetzt möchte ich Sie noch einmal an das erinnern, was die Kollegin Heister-Neumann anlässlich unserer Reise in die Schweiz unsere Gastgeber mehrfach gefragt hat: Funktioniert das denn? - Sie hatte die Auskunft bekommen: Es funktioniert.

(Elisabeth Heister-Neumann [CDU]: Aber langsam!)

- Langsam. Aber es funktioniert. - Deshalb möchte ich Sie ermuntern, die Verfassung in diesem Sinne zeitgemäß zu ändern und - um es mit einem Wort von Willy Brandt zu sagen - mehr Demokratie zu wagen.

(Beifall bei der LINKEN und bei den GRÜNEN)

Für die CDU-Fraktion spricht jetzt Frau HeisterNeumann. Bitte schön!

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist noch nicht lange her, da haben wir 60 Jahre Bundesrepublik Deutschland gefeiert. Wir haben zu Recht gefeiert; denn diese Geschichte ist eine Erfolgsgeschichte. Dieses Land hat in der Vergangenheit viele Krisen und Herausforderungen meistern müssen: die Ölkrise und zuletzt die weltweite Wirtschafts- und Finanzkrise. Gerade für die Bewältigung dieser Finanz- und Weltwirtschaftskrise haben wir hohe internationale Anerkennung bekommen. Das führt mich zu allererst zu dem Schluss, dass sich diese Bundesrepublik Deutschland mit der in ihrer Verfassung repräsentativ ausgerichteten Demokratie bewährt hat.

(Zustimmung bei der CDU - Ralf Brie- se [GRÜNE]: Man kann sich aber noch verbessern, Frau Kollegin!)

Bündnis 90/Die Grünen haben sich seit jeher auf allen politischen Ebenen für die direkte Demokratie eingesetzt. 1983 ist diese Forderung in ihrem Parteiprogramm, glaube ich, zum ersten Mal enthalten gewesen.

Aktuell finden erneute Vorstöße z. B. in NordrheinWestfalen, Baden-Württemberg und auch hier in Niedersachsen statt. Es lohnt sich schon, einmal genauer hinzuschauen.

(Ralf Briese [GRÜNE]: Wir glauben an das Volk!)

In Baden-Württemberg, Herr Briese, soll „Mehr direkte Demokratie wagen“ das zentrale Markenzeichen der Koalition von Bündnis 90/Die Grünen und SPD werden.

(Stefan Wenzel [GRÜNE]: Da warten Sie mit Spannung drauf!)

- Ja, das ist spannend.

(Björn Thümler [CDU]: Ein Feldver- such sozusagen!)

Als ein Beispiel für mehr direkte Demokratie in Baden-Württemberg werden die Abschaffung der verbindlichen Grundschulempfehlung und damit die Einführung des freien Elternwillens genannt. Das finde ich gut. Aber, meine Damen und Herren: In Niedersachsen sind wir aber sehr viel fortschrittlicher; denn den freien Elternwillen als direkte Demokratie haben wir schon sehr lange.

(Zustimmung bei der CDU)

Wir haben in Niedersachsen auch jetzt schon Elemente der direkten Demokratie, wie eben auch schon von meinen Vorrednern gesagt worden ist. Wir haben Volksinitiativen, Volksbegehren und Volksentscheide in unserer Verfassung bereits verankert. Ich möchte an dieser Stelle Herrn Dinkla, unserem Landtagspräsidenten, noch einmal ausdrücklich dafür danken, dass er heute an die 60-jährige Geschichte unserer Verfassung erinnert hat.

Wir haben also auch das schon. Was nun, liebe Kolleginnen und Kollegen von Bündnis 90/Die Grünen? - Nun wollen Sie die gesetzlichen Anforderungen für die genannten Elemente erleichtern. Damit soll die Kluft - so ist es in der Begründung nachzulesen - zwischen Bürgergesellschaft und parlamentarischer Politik verringert werden, eine

Kluft, die auch an der stetig zurückgehenden Wahlbeteiligung in Deutschland festgemacht wird. Das ist ein Phänomen, mit dem wir alle uns auseinanderzusetzen haben und das nicht zu leugnen ist. Ist diese mögliche Kluft zwischen Bürgergesellschaft und Politik also durch mehr direkte Demokratie zu verhindern, insbesondere durch die Mittel, die Sie vorschlagen?

(Ursula Helmhold [GRÜNE]: Ja!)

- Ich, Frau Helmhold, bezweifle das und fühle mich unter Hinweis auf die Wahlbeteiligung in der vergleichsweise basisdemokratischen Schweiz, Herr Adler, bestätigt. Denn dort - das dürfen Sie nicht vergessen - stellen wir die geringste Wahlbeteiligung in einem demokratischen Land überhaupt fest.

(Zuruf von Helge Stefan Limburg [GRÜNE])

- Das stimmt. Sie wollen die Anforderungen auch deshalb herunterschrauben, weil die Initiativen ansonsten kaum Erfolg haben können. Aber auch dieser Begründung mag ich mit Blick ins benachbarte Hamburg nicht folgen. Dort ist die Initiative gegen längeres gemeinsames Lernen umgesetzt worden, weil der Großteil der Bevölkerung genau diese Initiative mit Überzeugung unterstützt hat. Nur das, meine Damen und Herren, nämlich die große Unterstützung und Beteiligung des Volkes und der Bürgerschaft, nicht aber der möglichst häufige Einsatz der Initiative als Werkzeug der direkten Demokratie ist der eigentliche Erfolg von Volksinitiativen, Volksbegehren und Volksentscheiden.

Ihr Ziel - das ist mir sehr wichtig, und ich freue mich auf die Diskussion im Ausschuss -, meine Damen und Herren, die Anforderungen herunterzusetzen, würde zwar kleineren aktiven Minderheiten zu Erfolgen verhelfen, widerspräche aber meines Erachtens der auf Mehrheitsmeinung basierenden demokratischen Gesellschaft, in der wir leben. Es geht um die Gewichtung: Kleine Gruppen haben dann in Einzelaktionen gegenüber einer auf Konsens ausgerichteten Mehrheitsmeinungsbildung in der Demokratie auf einmal Erfolg.

Frau Kollegin Heister-Neumann, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Ich möchte bitte zu Ende ausführen.

Meine hohe Wertschätzung hat der Minderheitenschutz in unserem Land, aber die Dominanz von Meinungsminderheiten in der Gesellschaft lehne ich ab. Das hat meines Erachtens sehr viel mit Rechtsstaatlichkeit unserer Gesellschaft zu tun.

Wie gesagt, ich freue mich auf die Diskussion, weil es sich lohnt, darüber zu sprechen und die erfolgreiche Demokratie, wie wir sie kennengelernt haben, weiterzuentwickeln.

(Beifall bei der CDU)

Herr Bachmann hat sich zu einer Kurzintervention gemeldet. Ich erteile ihm das Wort.

Vielen Dank, Herr Präsident. - Die Position unserer Fraktion, hierüber offen und umfassend in den Ausschüssen zu diskutieren, wird gleich noch deutlich. Ich möchte den Beitrag von Frau Heister-Neumann zum Anlass nehmen, meine Zwischenfrage, die sie gerade nicht zugelassen hat, jetzt zu stellen; das ist das Ergebnis. Nun haben Sie die Chance, darauf zu antworten und das deutlich zu machen:

Wenn das Ihr Ansatz ist und diese Gesetzesinitiative möglicherweise an der Quorumsfrage scheitern könnte, wobei ja in jedem Fall eine Mehrheit für Entscheidungen gebraucht wird, was hat dann gerechtfertigt, die Stichwahl für Organe abzuschaffen, womit in Zukunft Oberbürgermeister und Landräte mit vielleicht 10 oder 15 % Zustimmung der Wähler ins Amt kommen?

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN - Ralf Briese [GRÜNE]: Sehr richtig! - Stefan Schostok [SPD]: Blattschuss!)

Zu einer weiteren Kurzintervention hat der Kollege Briese das Wort. Bitte schön!

Der Kollege Bachmann war mit einem zentralen Argument schon schneller; genau das hatte ich mir auch aufgeschrieben.

Bei keiner anderen Wahl haben wir Mindestbeteiligungsquoren; das hat Herr Limburg in seinem Beitrag auch dargestellt. Wir haben weder bei ei

ner Landtagswahl noch bei einer Bürgermeisterwahl, Kommunalwahl oder Bundestagswahl Mindestbeteiligungsquoren. Es kann also das Phänomen eintreten, dass wir nur eine Wahlbeteiligung von 40 % haben, was dann effektiv bedeutet, dass die gesamte Regierung gerade mal 20 % Unterstützung aus der Bevölkerung hat.

(Stefan Wenzel [GRÜNE]: Hört, hört!)

Sie kann aber sehr einschneidende Gesetze machen. Darüber regt sich anscheinend niemand auf. Was ist das anderes als eine aktive Minderheit, die dann die gesamten Geschicke eines Landes beschäftigt?

Insofern ist es ein absoluter Wertungswiderspruch, wenn man bei allgemeinen Wahlen sagt, dass man keine Mindestbeteiligungsquoren braucht, die Hürden bei einer einzelnen Volksabstimmung aber sehr hoch setzt.

Das zeigt eines eindeutig: Man hat kein Vertrauen in die Bevölkerung. Das ärgert mich ganz besonders, weil insbesondere Sie immer so gerne sagen: Wir wollen mehr Verantwortung an die Bevölkerung delegieren. Wenn es aber um konkrete politische Rechte geht, dann misstrauen Sie der Bevölkerung, halten sie doch nicht für ganz so mündig und reif und wollen hohe Schutzklauseln einführen.