Protocol of the Session on April 13, 2011

Das zeigt eines eindeutig: Man hat kein Vertrauen in die Bevölkerung. Das ärgert mich ganz besonders, weil insbesondere Sie immer so gerne sagen: Wir wollen mehr Verantwortung an die Bevölkerung delegieren. Wenn es aber um konkrete politische Rechte geht, dann misstrauen Sie der Bevölkerung, halten sie doch nicht für ganz so mündig und reif und wollen hohe Schutzklauseln einführen.

Letzter Satz: 80 % der Bevölkerung möchten mehr Plebiszite haben. Überlegen Sie sich genau, Frau Heister-Neumann, ob Sie sich von diesen 80 % so stark entfernen wollen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Jetzt erteile ich Frau Heister-Neumann das Wort. Sie haben ebenfalls 90 Sekunden. Bitte schön!

Da muss ich mich ja wirklich beeilen.

Zunächst zu Herrn Bachmann und dem Vergleich zu der Veränderung in der Kommunalverfassung bezüglich der Stichwahlen: In der Diskussion haben wir Ihnen doch sehr deutlich dargelegt, wie die Wahlbeteiligung bei den Stichwahlen tatsächlich aussieht. Bei einer bei Stichwahlen sehr stark zurückgehenden Wahlbeteiligung haben Sie dann ein noch weiter verringertes Quorum, das die Entscheidung letztendlich ausspielt.

(Ralf Briese [GRÜNE]: Nicht unbe- dingt!)

Bei der Stichwahl wird der Hauptverwaltungsbeamte dann im Zweifel mit sehr viel weniger Unterstützung der Bevölkerung gewählt. Deshalb halte ich das für überhaupt nicht vergleichbar mit dieser Diskussion.

(Beifall bei der CDU - Johanne Mod- der [SPD]: Das Beispiel hinkt! - Klaus- Peter Bachmann [SPD]: Sie wissen genau, dass das nicht stimmt!)

Zu dem anderen Punkt, den Sie angesprochen haben: Vertrauen in die Bevölkerung. Genau dieser Punkt ist mir wichtig. In Hamburg hat sich gezeigt, dass die Volksinitiativen, die Begehren, die wirklich von der Bevölkerung getragen werden, dann auch durchkommen. Darum geht es mir. Damit bin ich absolut einverstanden. Ich habe auch nichts gegen die Merkmale der direkten Demokratie, wie sie in unserer Verfassung sind, sondern sage nur: Wenn man darangeht, die Beteiligungsanforderungen zu minimieren, muss man gewaltig aufpassen, ob man in dem System der Demokratie, wie wir es haben, nicht tatsächlich zu einem Wertungswiderspruch kommt.

(Zustimmung von Ingrid Klopp [CDU])

Die Minderheiten dominieren dann die Mehrheiten, und das kann nicht sein. Das halte ich, gelinde gesagt, für falsch.

(Beifall bei der CDU)

Die nächste Wortmeldung kommt von Herrn Tonne für die SPD-Fraktion. Sie haben das Wort, Herr Tonne.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Seit ein paar Monaten hat das Thema „Direkte Demokratie“ eine Renaissance erfahren, wie man es nur ganz selten vorfindet. Man kann auch von einem Modethema sprechen, wobei ich das gar nicht negativ werten möchte. Daher halte ich es für absolut richtig, dass sich der Niedersächsische Landtag mit dem Thema beschäftigt. Man kann auch sagen, dass sich gerade der Niedersächsische Landtag damit beschäftigen sollte, da er in dieser Angelegenheit offensichtlich ein Bearbeitungsdefizit hat.

Wer einen Blick in die Broschüre von Mehr Demokratie e. V. zum Thema „Volksentscheid-Ranking 2010“ wirft, der stellt fest, dass Niedersachsen bedauerlicherweise einen der hinteren Plätze ein

nimmt. Das ist wenig innovativ, wenig bürgerfreundlich. Die von Mehr Demokratie vergebene Note lautet 4,1. Das mag für CDU und FDP genügen, unsere Ansprüche liegen allerdings etwas höher. Daher begrüßen wir die Diskussion.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Ich will vorab sehr deutlich sagen: Wir befürworten eine Stärkung der direkten Demokratie, erteilen aber gleichwohl allen Tendenzen eine Absage, die einen Keil zwischen die Bevölkerung und ihr Parlament zu treiben versuchen.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Direkte Demokratie ist nicht demokratischer als parlamentarische Demokratie.

(Zustimmung bei der SPD - Björn Thümler [CDU]: So ist das!)

Unser klares Bekenntnis für die direktdemokratische Bürgerbeteiligung schließt ein deutliches Bekenntnis zur parlamentarischen Demokratie mit ein. Direkte Demokratie soll die repräsentative Demokratie ergänzen, sodass die unterschiedlichen Stärken damit auch zur Geltung kommen.

(Zustimmung bei den GRÜNEN)

Wenn wir über die Stärkung der direkten Demokratie reden, dann muss jedem klar sein, dass es allerdings nicht mit einer einfachen Veränderung der Quoren getan ist. Das wäre in der Tat zu kurz gesprungen. Der Niedersächsische Landtag muss der zentrale Ort der gesellschaftlichen Diskussion und Partizipation sein. Die positive Wirkung direkter Demokratie darf nicht nur in einer schlussendlichen Ja-Nein-Entscheidung liegen, sondern im Prozess dahin.

(Johanne Modder [SPD]: Ja!)

Es geht um einen Prozess, in dem Regierung, Opposition und zivilgesellschaftliche Kräfte im Austausch miteinander mit Argumenten werben und die Bürgerinnen und Bürger mitnehmen. Damit entsteht ein neuer öffentlicher Ort zur Begründung und Beratschlagung von Politik, der über inszenierte und, wie ich finde, nur schwer erträgliche Talkshows weit hinausgeht.

(Beifall bei der SPD - Zustimmung von Elisabeth Heister-Neumann [CDU])

Uns ist allerdings genauso wichtig, dass alle Bürgerinnen und Bürger von einer verstärkten Partizi

pation profitieren und sie auch nutzen. Nicht alle werden neue Möglichkeiten nutzen, und schon jetzt ist erkennbar, dass die Trägerinnen und Träger von Volksbegehren meist dort zu finden sind, wo Zeit und Ressourcen zur Verfügung stehen. Wir müssen daher dafür Sorge tragen, dass wir mit einer verstärkten direkten Demokratie nicht zu einer verstärkten sozialen Selektion Beihilfe leisten.

(Beifall bei der SPD)

Wenn nämlich nur die Besserverdienenden zur Volksabstimmung gehen, während die sozial Schwächeren zu Hause bleiben, haben wir keinerlei Fortschritt für die Demokratie erreicht.

(Beifall bei der SPD)

Die Bertelsmann Stiftung hat jüngst im Rahmen einer Studie diese skizzierte Problematik deutlich festgestellt. Auf der einen Seite gibt es den großen Wunsch nach mehr Mitsprache, gleichzeitig auf der anderen Seite aber auch eine besondere Zurückhaltung bei Menschen mit geringem Einkommen, bei Menschen ohne abgeschlossene Berufsausbildung und bei älteren Menschen über 65 Jahren. Wenn wir einen solchen Gesetzentwurf diskutieren, dann müssen wir auch das mitdiskutieren.

(Zustimmung bei der SPD)

Noch eines muss klar sein: Mit dem Absenken von Quoren habe ich noch nicht einen Menschen mehr, der sich an Volksinitiativen, Volksbegehren oder Volksentscheiden beteiligt.

(Beifall bei der SPD)

Eine offensive Stärkung von parlamentarischer und direkter Demokratie muss somit weit- und tiefgreifender sein. Neben dem Reformbedarf auf der Landesebene müssen wir auch die kommunale Ebene berücksichtigen. Auch in dieser Hinsicht stellt uns Mehr Demokratie ein schlechtes Zeugnis aus.

Direktdemokratische Beteiligungsprozesse sind zeit- und ressourcenaufwendig, und manchmal auch kompliziert. Die Schweiz wurde schon mehrfach bemüht. Auch dort hat man diese Erfahrung gemacht. Wenn wir solche Verfahren anstreben, dann brauchen wir auch eine unabhängige Stelle, die das Verfahren erklärt, es unterstützt. Das Land ist dann hierfür gefordert. Originär zuständig wäre eine Landeszentrale für politische Bildung, meine Damen und Herren.

(Lebhafter Beifall bei der SPD - Jens Nacke [CDU]: Da könnte man auch einen Kassettenrekorder hinstellen! Immer dasselbe!)

Demokratisierung kann auch nicht bei der Bürgerbeteiligung halt machen. Wenn wir richtigerweise eine stärkere Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern wünschen, dann müssen wir auch Politikfelder zurückerobern und den Menschen klar machen, dass es eine demokratische Kontrolle der öffentlichen und privaten Wirtschaft gibt, dass Finanzmärkte reguliert werden können und müssen, und dass auch die Mitbestimmung nicht nur in der Krise ein bewährtes Instrument ist.

(Beifall bei der SPD)

Dagegen bewirken die Privatisierung öffentlicher Daseinsvorsorge, Ökonomisierung der Lebenswelt und die gefühlte Ungleichbehandlung der Bürgerinnen und Bürger auf der einen Seite und der wirtschaftlichen Eliten auf der anderen Seite genau das Gegenteil. Deswegen müssen wir auch diese Aspekte in so einem Zusammenhang diskutieren.

(Beifall bei der SPD)

Stabile Demokratie und soziale Gerechtigkeit sind untrennbar miteinander verbunden. Wenn wir das missachten, schwindet Vertrauen in die Staatsform Demokratie, zumindest das Interesse an einer aktiven Beteiligung. Aus diesen Gründen diskutieren wir sehr gern über mehr Bürgerbeteiligung, dann aber eben auch in einem größeren Zusammenhang, meine Damen und Herren.

(Zustimmung bei der SPD)

Nun möchte ich auf einige Aspekte des Gesetzentwurfs eingehen. Ebenso wie die Grünen bemängelt Mehr Demokratie, dass auf allen Verfahrensstufen die Quoren zu hoch angesetzt seien. Ob der jetzt unterbreitete Vorschlag ein besserer ist, lasse ich dahin gestellt. Das Ganze werden wir uns im Zuge der Beratung sehr genau anschauen müssen. Ich habe allerdings eine gewisse Skepsis, was die Absenkung des Quorums für Verfassungsänderungen betrifft. Der gemeinsame Vorschlag von SPD und Grünen auf der Bundesebene hatte eine etwas andere Regelung vorgesehen als die, die jetzt hier vorgeschlagen wird. An eine Änderung der Verfassung hohe Hürden zu stellen, halte ich nämlich ausdrücklich für richtig.

(Beifall bei der SPD)

Ein richtiger Aspekt ist sicherlich der einer verstärkten Transparenz. Bürgerinnen und Bürger

haben einen Anspruch darauf zu erfahren, wer hinter einer direktdemokratischen Initiative steht und wer sie finanziert. Das finde ich völlig in Ordnung. Gegner und Befürworter sollen auf Augenhöhe agieren und ihre Argumente der Öffentlichkeit vermitteln können. Dann kann man auch über die Möglichkeit der Kostenerstattung im Fall erfolgreicher Initiativen analog zur Wahlkampfkostenerstattung nachdenken.

Schlussendlich: Der Ansatz zur Stärkung der direkten Demokratie verdient Unterstützung. Der Weg dorthin ist in unseren Augen schwieriger und komplexer als der, der mit dem uns vorliegenden Gesetzentwurf beschrieben wurde. Insofern freue ich mich auf die Ausschussberatung.