Protocol of the Session on April 13, 2011

Deswegen meine ich, dass es in einer Zuwanderungsgesellschaft, die sehr dynamisch ist, nicht mehr aufgeht, Dörfer, Straßenzüge oder Gebiete zuzuschneiden, damit man zukünftig den Wahlkreis wieder unter Kontrolle hat.

Kommen Sie bitte zum Ende!

Ich komme zum Ende, Herr Präsident. - Darüber sollten wir im Ausschuss noch einmal reden. Das finde ich richtig.

Ich finde es aber falsch - allerletzter Satz -, wenn wir jetzt wieder neue, zusätzliche Wahlkreise gründen. Das würde der gesamtdemografischen Entwicklung in Niedersachsen einfach nicht gerecht. Insgesamt nimmt die Bevölkerungszahl ab. Deshalb können wir nicht einfach neue Wahlkreise gründen. Das jedenfalls fände ich falsch.

Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der LINKEN)

Ich möchte eine gewisse Ermahnung an unseren Herrn Justizminister weitergeben. Zurufe von der Regierungsbank sind in diesem Hause nicht gerne gesehen.

Es liegen keine weiteren Wortmeldungen vor. Damit sind wir am Ende der Beratung.

Wir kommen zur Ausschussüberweisung.

Federführend soll der Ausschuss für Inneres und Sport sein, mitberatend der Ausschuss für Rechts- und Verfassungsfragen. Spricht jemand dagegen? - Enthält sich jemand der Stimme? - Dann ist das so einstimmig beschlossen worden.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 8 auf:

Erste Beratung: Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der direkten Demokratie in Niedersachsen - Ge

setzentwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen - Drs. 16/3531

Der Gesetzentwurf wird von dem Kollegen Limburg für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen eingebracht. Ich erteile Ihnen das Wort.

Vielen Dank. - Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Heute Morgen hat der Landtagspräsident hier zu Recht an die Verabschiedung der Vorläufigen Niedersächsischen Verfassung vor 60 Jahren erinnert. Diese Verfassung war eine gute Verfassung, weil sie, wie wir auch heute Morgen hören konnten, die demokratische und rechtsstaatliche Entwicklung des Landes Niedersachsen ermöglichte.

Aber es war keine moderne Verfassung im Sinne direkter Demokratie, weil zwar natürlich auch nach ihr alle Staatsgewalt vom Volke ausging, das Volk diese Staatsgewalt aber lediglich und ausschließlich durch Wahlen ausüben konnte. Bereits das zwei Jahre vorher verabschiedete Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland erwähnte zumindest ausdrücklich, dass die Staatsgewalt auch durch Abstimmungen ausgeübt wird. Immerhin - auch wenn man die Volksabstimmungen, die im Grundgesetz vorgesehen sind, mit der Lupe suchen muss, es gibt sie bis heute nur bei Länderfusionen. Alle weiteren Volksentscheide sind bislang vor allem von der CDU immer abgelehnt worden.

Erst die 1993 verabschiedete Niedersächsische Verfassung sah erstmals Elemente direkter Demokratie wie Volksinitiative, Volksbegehen und Volksentscheid auch in Niedersachsen vor. Das war ein Fortschritt. Die Demokratie ist erwachsener geworden. Die demokratische Mündigkeit ist gestiegen.

Aber war es fortschrittlich genug? - Damals vielleicht. Aber wenn wir heute, im Jahre 2011, Bilanz ziehen, müssen wir mehrere Dinge feststellen.

Erstens. Die Hürden für diese direktdemokratischen Beteiligungsformen waren doch sehr hoch angesetzt - so hoch, dass es seit Einführung dieser Beteiligungsformen kein einziges Mal in Niedersachsen zu einem Volksentscheid gekommen ist. Bei dem erfolgreichen Volksbegehren zum KitaGesetz nahm die SPD-Regierung klugerweise den Rat des Volkes an und verabschiedete das Gesetz, sodass ein Volksentscheid entbehrlich wurde.

Zweitens müssen wir feststellen, dass das Interesse der Bürgerinnen und Bürger an Landtagswahlen in Niedersachsen in den letzten Jahren kontinuierlich abgenommen hat. Gingen 1994 noch rund 74 % zur Wahl, so beteiligten sich 2008, bei der letzten Wahl, nur noch etwas mehr als 57 % der Wahlberechtigten an der Wahl.

Drittens. Offensichtlich wollen die Bürgerinnen und Bürger heute, im Jahr 2011, deutlich stärker direkt mitentscheiden als früher. Belege dafür sind der engagierte monatelange Kampf vieler Menschen gegen das Milliardengrab Stuttgart 21 - mein Schwager sagt dazu immer: das ist doch toll, die Leute gehen nicht für mehr Geld auf die Straße, sondern die Leute gehen ganz engagiert dafür auf die Straße, das weniger Geld ausgegeben wird, das ist doch ein Zeichen echter demokratischer Reife in Stuttgart -,

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der LINKEN)

aber auch der Kampf um mehr Nichtraucherschutz in Bayern, Massenonlinepetitionen in Berlin und natürlich auch das Volksbegehren für gute Schule hier in Niedersachsen. In vielen sozialwissenschaftlichen Untersuchungen fordern die Menschen mit großer Mehrheit mehr und leichtere direktdemokratische Mitbestimmung. Viele Politikwissenschaftlicher und Staatsrechtler sehen in mehr direkten Beteiligungsrechten eine notwendige Antwort gegen Politikapathie und Parteienverdruss. Wir sollten den Bürgerinnen und Bürgern mehr zutrauen statt ihnen zu misstrauen. Direkte Demokratie stärkt den Zusammenhalt und das Gemeinwesen, und ein Volksentscheid fördert die Akzeptanz von kontroversen Projekten.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Die Bürgerinnen und Bürger können sich dann nicht mehr herausreden, die Politiker hätten über ihre Köpfe hinweg entschieden. Direkte Demokratie bedeutet mehr Verantwortung für alle, meine Damen und Herren.

Direkte Demokratie nimmt heute einen breiteren Stellenwert in der Gesellschaft ein. Sie ist ein guter Weg, den Bürgerinnen und Bürger, denen es nicht mehr ausreicht, im Abstand von fünf Jahren ihre Stimme abzugeben, und die wahlmüde geworden sind, eine Möglichkeit der Beteiligung zu erleichtern.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir wollen den Stimmenanteil, der zum Erfolg eines Volksbegehrens erforderlich ist, absenken. Bislang

braucht es dafür 10% der Wahlberechtigten. Das sind etwa 600 000 in Niedersachsen. Wir wollen diese Hürde auf 5 % senken. Das wären dann immer noch rund 300 000 Stimmen. Ich weiß, dass einige Freundinnen und Freunde der direkten Demokratie diese Hürde immer noch für zu hoch halten. Aber es geht uns nicht um eine Umwälzung der repräsentativen Demokratie, sondern um eine Ergänzung. Deshalb erscheint uns diese Hürde durchaus als angemessen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Nun zum eigentlichen Element direkter Mitbestimmung: dem Volksentscheid. Bislang muss ein Volksentscheid zwei Hürden nehmen, um erfolgreich zu sein. Es muss sich eine Mehrheit der Abstimmenden für einen Volksentscheid aussprechen. Das ist in einer Demokratie logisch. Aber diese Mehrheit muss aus mindestens 25 % der Wahlberechtigten bestehen. Das wiederum ist weniger nachzuvollziehen. Jede und jeder Wahlberechtigte bekommt eine Wahlbenachrichtigungskarte. Jede und jeder hat die Möglichkeit, an der Abstimmung teilzunehmen. Warum braucht es da eines Mindestquorums für den Erfolg der Abstimmung?

Vergleicht man den Volksentscheid mit der allgemeinen Wahl, meine Damen und Herren, dann stellt man fest: Ein solches Quorum haben wir bei fast keiner allgemeinen Wahl. Weder bei der Europawahl noch bei der Bundestagswahl oder der Landtagswahl in Niedersachsen müssen die jeweiligen Wahlsieger von einer Mindestzahl der Wählerinnen oder Wähler gewählt worden sein. Man muss schon sehr, sehr genau in den Gesetzen blättern, um in § 45 g Abs. 3 des Niedersächsischen Kommunalwahlgesetzes eine einzige Ausnahme für ein Mindestquorum im Wahlrecht zu finden.

Ich komme noch einmal auf die Wahlbeteiligung bei Landtagswahlen zurück. 2008 lag diese bei 57 %. Die Regierung von Herrn McAllister stützt sich auf eine Landtagsmehrheit, die effektiv von rund 28,5 % der wahlberechtigten Niedersachsen gewählt worden ist. Das ist nicht viel. Aber Sie haben damit die Mehrheit, hier fünf Jahre lang so wunderbare Gesetze wie das Landesschulgesetz, das Verfassungsschutzgesetz oder jedes Jahr aufs Neue einen mehr oder weniger gelungenen, mehr oder weniger verfassungskonformen Landeshaushalt zu beschließen.

(Kreszentia Flauger [LINKE]: Eher weniger!)

Sie haben also, legitimiert von 28,5%, viel weiter reichende Kompetenzen, viel weiter reichende Entscheidungsbefugnisse, als sie ein einfacher Volksentscheid hat. Vor diesem Hintergrund fordern wir die Streichung des Quorums beim Volksentscheid.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Unsere Verfassung ist ein hohes Gut - ohne Frage. Direkte Demokratie muss genauso wie parlamentarische Demokratie mit Schutzflanken versehen werden, um Grund- und Minderheitenrechte zu schützen. Das ist für uns selbstverständlich. In unserer Verfassung schützt Artikel 46 Abs. 2 die Grundrechte und die demokratischen Grundprinzipien. Eine Abstimmung über ein Minarettverbot z. B. wie in der Schweiz wäre bei uns gar nicht möglich.

Aber auch für Verfassungsänderungen wollen wir die Hürden absenken, weil die derzeitige Hürde faktisch prohibitiv, faktisch ausschließend wirkt. Deshalb wollen wir die Hürden für Verfassungsänderungen leicht absenken.

Demokratie braucht aber auch Transparenz. Wir haben das häufiger schon an anderer Stelle betont. Ich erinnere nur einmal an unseren Entwurf für ein Informationsfreiheitsgesetz. Das gilt natürlich aber auch für Volksbegehren und Volksentscheide. Zu Recht schreibt das Parteiengesetz des Bundes den Parteien absolute Transparenz bei ihrer Finanzierung vor. Wir schlagen mit unserem Gesetzentwurf erstmals eine transparente Finanzierung auch für die Initiatoren eines Volksentscheides vor. Der Finanzstrukturbericht, den wir vorschreiben wollen, mag umständlich klingen. Aber das wird er in der Praxis kaum sein, weil wir von den Initiatoren letztendlich nur verlangen, dass sie ihre Finanzplanung, die sie ja ohnehin erstellen müssen, öffentlich machen und ins Internet stellen. So können sich die Bürgerinnen und Bürger ein Bild davon machen, wer eine Kampagne finanziert, wer hinter einer Kampagne steckt.

Schließlich wollen wir zahlreiche Verordnungsermächtigungen am Ende des Volksabstimmungsgesetzes streichen, damit Volksentscheide zu den gleichen Bedingungen wie allgemeine Wahlen stattfinden.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ergebnisse direkter Demokratie sind nicht rechts oder links. Die Ergebnisse spielen nicht bestimmten Parteien oder Gruppen mehr in die Hände als das parlamentarische System. Es gab Volksab

stimmungen zur EU-Verfassung, deren Ergebnis fanden die Grünen gut; z. B in Spanien. Es gab welche, die waren schlecht; wie etwa in Frankreich. Es gab Volksabstimmungen zum Nichtraucherschutz in Bayern; die fand ich persönlich eher weniger gelungen. Es gab eine Abstimmung gegen den Verkauf der Kliniken in Hamburg; die fand ich sehr gut. Schließlich gab es die Abstimmung über die Schulpolitik in Hamburg, deren Ergebnis wir als Grüne und auch die CDU als zweite Regierungspartei sehr, sehr bedauert haben.

Aber auch solche Ergebnisse gehören dazu. Wer mehr Demokratie will - und das wollen wir -, der darf keine Angst vor dem Ergebnis haben. Wir wollen mehr direkte Mitbestimmung. Wir wollen die repräsentative Demokratie, wir wollen die Parlamente nicht entmachten, sondern wir wollen sie ergänzen. Es täte uns allen ganz gut, auch mal zwischen zwei Landtagswahlen Bürgerinnen und Bürger direkt entscheiden zu lassen. In diese Richtung gehen auch die durchaus wohltuenden Äußerungen einiger Kolleginnen und Kollegen, die ich im Vorfeld vernommen habe.

Lassen Sie uns doch konsequent einen Schritt mehr in diese Richtung gehen und für mehr direkte Demokratie in Niedersachsen stimmen. Die Zeit und die Menschen in unserem Land sind reif dafür.

Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der LINKEN)

Als Nächster hat das Wort Herr Adler von der Fraktion DIE LINKE. Bitte sehr!

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In Deutschland tun sich die Verantwortlichen immer noch schwer mit der direkten Demokratie. Im Grundgesetz heißt es auf der einen Seite zwar, dass die Volkssouveränität durch Wahlen und Abstimmungen ausgeübt wird. Blättert man im Grundgesetz aber weiter, dann wird man feststellen, dass eine Volksabstimmung nur im Fall von Länderneugliederungen vorgesehen ist.

In Niedersachsen war das in der Vorläufigen Verfassung, über die wir heute Morgen gesprochen haben, auch nicht anders. Erst mit der Neuformulierung der Verfassung im Jahr 1993 sind die Elemente „Volksinitiative“ und „Volksentscheid“ in die Verfassung hineingekommen.

Die 10-%-Hürde, die dort gesetzt wurde, ist jedoch recht hoch. Sie hat in der Praxis dazu geführt, dass dieser Artikel der Niedersächsischen Verfassung in der Praxis bisher kaum Anwendungsfälle gefunden hat.

Nun waren wir mit dem Rechtsausschuss ja in der Schweiz. Diese Reise war sehr gut. Es wäre eigentlich ganz gut gewesen, wenn der ganze Landtag mitgefahren wäre.

Ich hatte es gerade gesagt, die Hürde ist mit 10 % hoch. Die Schweiz lässt sich mit Niedersachsen sehr gut vergleichen, weil die Bevölkerungszahl in etwa gleich ist. 7,8 Millionen Einwohner in der Schweiz und 7,9 Millionen in Niedersachsen.