Protocol of the Session on September 14, 2006

Aus den Protokollen und Sachverständigengutachten für Brunsbüttel geht hervor, dass die deutschen Aufsichtsbehörden die Brunsbüttel-Betreiber Vattenfall und E.ON seit 2002 vergeblich zu einer grundlegenden Modernisierung der Notstromversorgung des Reaktors gedrängt haben, meine Damen und Herren - seit 2002!

Ein Störfall vor zwei Jahren im AKW Brunsbüttel war bereits ähnlich wie der in Forsmark - auch das muss man sich noch einmal vor Augen führen abgelaufen. Der äußere Ablauf war nahezu identisch, sagte der Sprecher des Betreibers Vattenfall, Ivo Banek.

Meine Damen und Herren, die Gesellschaft für Anlagen- und Reaktorsicherheit, die GRS, stellte in einer unveröffentlichten Analyse fest, dass die in Brunsbüttel gefundenen Fehler sowohl bei Störfällen innerhalb der Auslegung als auch bei auslegungsüberschreitenden Ereignissen und bei weiteren zusätzlich zu unterstellenden Fehlern zum Teil zu hohen Unverfügbarkeiten im Sicherheitssystem hätten führen können und sie so die Beherrschung der Ereignisse gefährdet hätten.

Herr Sander, es hat sich zudem herausgestellt, dass die zum Teil vor über 20 Jahren vorgenommenen Inbetriebnahmeprüfungen verborgene Fehler in der komplexen Situation in den Systemen nicht immer aufgezeigt hätten.

Die Behauptung der Betreiber, ein Störfall wie in Schweden sei in deutschen Reaktoren nicht möglich, ist also definitiv falsch. Vermutlich würde ein Störfall im Detail anders ablaufen, aber auf kritische Situationen ist der Brunsbüttel-Reaktor erkennbar schlechter vorbereitet als der in Forsmark, meine Damen und Herren. Vor diesem Hintergrund frage ich Sie, Herr Sander: Wer kann garantieren, dass Brunsbüttel ein Einzelfall ist? Wer kann garantieren, dass alle anderen deutschen AKWs keinerlei Schwachstellen oder bis heute unerkannte Fehler aufweisen? - Wir wissen vom AKW Esenshamm schon heute, Herr Sander, dass Esenshamm in Sachen Deichsicherheit und Überflutung nicht richtig ausgelegt ist. Wir wissen, dass die Sturmflutberechnungen heute nicht mehr 6 m ausweisen wie in den 70er-Jahren, sondern 6,90 m. Sie haben ein Problem in Esenshamm, Herr Sander. Das haben Sie uns im Umweltausschuss nicht deutlich gemacht. Ich mache es an dieser Stelle für die Grünen noch einmal deutlich: Der Notstromfall durch Überflutung ist in Esenshamm nicht beherrschbar. Die externen Aggregate wie Trafos sind in einer solchen Situation überflutet, sodass das System nicht mehr gekühlt werden kann. Das ist bis heute nicht abgestellt. Wir wissen spätestens seit 2002 durch Gutachten, dass dort ein großer gefährlicher Vorfall eintreten kann. Bis heute hat niemand auf die zur Verfügung stehenden Gutachten reagiert.

Weitere Untersuchungen sind deshalb aus unserer Sicht dringend notwendig; sie werden ja in diesem Antrag gefordert. Die in unserem Antrag geforderte Überprüfung der Notstromsysteme aller niedersächsischen AKWs, Herr Sander, durch Gutachter, die nicht in die Regelprüfung eingebunden sind,

also durch neutrale Gutachter, ist einfach überfällig.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Alle Konsequenzen aus Forsmark müssen überprüft werden. Der Vorfall in Schweden hat erneut gezeigt, dass viele Atomkraftwerke nicht auf dem neuesten technischen Stand sind. Vor allem die alten Reaktoren - dazu gehört auch Esenshamm müssen so schnell wie möglich als Erste vom Netz.

In den nächsten Monaten wird auf die AKWBetreiber und Aufsichtsbehörden, auch auf Ihre Aufsichtsbehörde, Herr Sander, einiges an Arbeit zukommen. Der Bundesumweltminister erwartet von Ihnen einen umfassenden Bericht zu der Fragestellung: Kann Kurzschluss oder Blitzeinschlag dazu führen, dass die Sicherheitseinrichtungen ganz oder teilweise ausfallen? - Von grüner Seite fügen wir einen neuen Begriff hinzu; es ist der Begriff der Überflutung. Diesen Begriff der Überflutung will ich hiermit ausdrücklich ins Protokoll aufgenommen wissen. Sie müssen Esenshamm darauf überprüfen, ob Überflutungsereignisse dort dazu führen können, dass die Notstromaggregate ausfallen, dass also ein sogenannter Notstromfall eintritt. Das schreiben wir Ihnen von dieser Seite aus mit ins Stammbuch.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Meine Damen und Herren, wir haben in den letzten Wochen viel über politische Lebenslügen aus den Reihen der CDU vernommen. Es war ganz spannend, dass ein Politiker aus Nordrhein-Westfalen diesen Stein ins Wasser geworfen hat. Eine weitere Lebenslüge, die Sie für sich konserviert haben, Herr Dürr und Frau Zachow, betrifft die Atomkraftwerke. Verabschieden Sie sich am besten gleich heute von dieser weiteren Lebenslüge, nämlich von der atompolitischen Lebenslüge,

(Christian Dürr [FDP]: Dass die Grü- nen sich qualifiziert äußern könnten, von dieser Lebenslüge habe ich mich verabschiedet!)

also dass Atomkraftwerke in der Anwendung, im Betrieb sicher sind. Sie würden dann diesem Land einen großen Dienst erweisen.

Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit und bitte um Unterstützung für diesen Antrag. Ich wer

de Ihnen, Herr Sander, von dieser Stelle aus das Gutachten, das unsere Fraktion im April dieses Jahres in Auftrag gegeben hat, übergeben. Nach dem heutigen Tage können Sie nicht mehr sagen: Esenshamm ist sicher und vor Überflutung geschützt, und es würde dort keinen Notstromfall geben. Wir fordern Sie auf, ab dem heutigen Tag aktiv zu werden und Esenshamm gründlich zu überprüfen. - Danke sehr.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD - Andreas Meihsies [GRÜNE] ü- bergibt Minister Hans-Heinrich Sander ein Schriftstück)

Nächster Redner ist Herr Dr. Runkel für die CDUFraktion. Bitte schön, Herr Dr. Runkel, Sie haben das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Meihsies, Ihr Antrag enthält einen richtigen Satz.

(Zuruf von der CDU: Aber nur einen?)

- Ja, nur einen. - Der letzte Satz lautet nämlich:

„Landtag und Öffentlichkeit sind über die Ereignisse zu informieren.“

Das ist richtig. Leider sind Sie dieser Forderung hier nicht nachgekommen. Vielmehr haben Sie ein bisschen polemisiert und Dinge behauptet, die nicht richtig sind.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Was ist passiert? - In Schweden gibt es zehn Kernkraftwerke, verteilt auf die drei Standorte Forsmark, Oskarshamn und Ringhals, mit jeweils Siede- und Druckwasserreaktoren bestückt. In Forsmark laufen drei Siedewasserreaktoren. In Schweden beträgt der Anteil des Kernenergiestroms 50 %. Es wird dort schwierig, eine Stromversorgung ohne Kernenergie sicherzustellen. Deswegen haben die Schweden ein großes Interesse daran, dass ihre Kernkraftwerke sicher laufen. Der Standort Forsmark ist sehr wichtig. In der Vergangenheit hat sich dieser Standort schon einmal hervorgetan; das war im Jahr 1986, als durch empfindliche Messinstrumente in Forsmark die Katastrophe in Tschernobyl erstmals registriert und dann im Westen bekannt gemacht wurde. Insofern haben

Forsmark und Vattenfall auch in der Vergangenheit sehr wohl dazu beigetragen, dass die Öffentlichkeit über alles, was in kerntechnischen Anlagen passiert, gut informiert wird.

Am 25. Juli dieses Jahres gab es in der Tat einen Kurzschluss im 400-kV-Netz. Dieser Kurzschluss wurde durch Wartungsarbeiten verursacht. Durch diesen Kurzschluss gab es einen Spannungseinbruch, der letzten Endes zu einer Turbinenschnellabschaltung, der sogenannten TUSA, führte. Diese Turbinenschnellabschaltung hatte letztlich einen Spannungsausfall im Kernkraftwerk zur Folge. Zwei von vier Wechselrichtern schalteten daraufhin, vermutlich wegen Überspannungen im Netz, ab, zwei schalteten nicht ab, Herr Meihsies, und funktionierten weiter. Danach erfolgte aufgrund eines Fehlers in der Generatorschaltung leider keine - das ist sicherlich ein Fehler im Kraftwerk Umschaltung auf das sogenannte Fremdnetz, also die Versorgung des Kraftwerkes von außen. Vielmehr erfolgte eine Reaktorschnellabschaltung, die in Fachkreisen sogenannte RESA. Die Reaktorschnellabschaltung war automatisch mit einer Druckentlastung im Reaktor und mit dem Start der Notkühlsysteme verbunden. Da zwei von vier Wechselrichtern ausgefallen waren, konnten auch nur zwei von vier Notstromschienen in Betrieb gehen - zwei von vier Schienen, die im Kraftwerk vorhanden sind.

Das Kraftwerk ist so ausgelegt, Herr Meihsies: Es verfügt über 4 mal 50 %. Das heißt, 2 mal 50 % sind 100 %. 2 mal 50 % haben funktioniert, also haben 100 % funktioniert.

(Widerspruch bei den GRÜNEN - Zu- ruf von den GRÜNEN: Wo ist denn dann das Problem?)

Insofern ist Ihre Behauptung hier - das haben Sie ja sogar in Ihren Antrag hineingeschrieben -, die zwei verbliebenen Notstromdiesel reichten entgegen ihrer Auslegung nicht zur vollständigen Notstromversorgung des Reaktors aus, falsch. Die zwei verbliebenen Notstromdiesel reichten zur vollständigen Versorgung des Notstromsystems des Reaktors vollständig aus.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Sie waren, wenn Sie so wollen, im Grunde genommen sogar überflüssig; denn man hat in einem solchen Siedewasserreaktor in etwa eine halbe Stunde Zeit, bevor man überhaupt irgendwelche Pumpen einschalten muss, weil das Wasserreser

voir innerhalb eines Siedewasserreaktors ausreicht, eine halbe Stunde lang den Reaktorkern zu kühlen, ohne dass irgendeine Pumpe gestartet werden muss.

(Hans-Dieter Haase [SPD]: Das sieht Vattenfall anders!)

Das nur mal so am Rande.

Jetzt zu den sieben Minuten. Sie erwähnten den sogenannten Chefkonstrukteur von Vattenfall, Lars-Olov Höglund. In der Tat war er Mitarbeiter von Vattenfall. Er hat Vattenfall 1996 verlassen. Die Gründe dafür sind ungeklärt. Jedenfalls hat er dann ein Ingenieurbüro gegründet und streitet sich seitdem in mehreren gerichtlichen Auseinandersetzungen mit der Firma Vattenfall, weil er angeblich von denen keine Aufträge bekommt. Alle Prozesse hat er verloren.

(Christian Dürr [FDP]: Aha!)

Dieser „Chefkonstrukteur“, wie Sie ihn nannten, war bei Vattenfall zuständig für die Konstruktion der Lüftungsanlagen und der Sicherungsanlagen. Nun meinen Sie, diese „Sicherungsanlagen“ hätten etwas mit Sicherheit zu tun. Mit „Sicherungsanlagen“ ist aber nicht etwa die Reaktorsicherheit gemeint; mit „Sicherungsanlagen“ ist der Zaun ums Kraftwerk gemeint.

(Heiterkeit und Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Herr Höglund ist der Spezialist für den Zaun des Kraftwerks und nicht der Spezialist für irgendwelche Sicherungen im Kernkraftwerk. Er ist kein Experte

(Ursula Körtner [CDU] - zu den GRÜNEN -: Keine Ahnung!)

und niemand, der in irgendeiner Weise in der Lage wäre, dieses zu beurteilen. Wir sind von irgendeinem GAU oder von einer Kernschmelze weit weg gewesen. Es bestand nicht die Gefahr, dass dies dort eintritt. Ganz im Gegenteil. Im Grunde genommen haben alle nachgeschalteten Sicherheitsvorkehrungen die vorher aufgetretenen Fehler - diese Fehler dürfen in der Tat zum Teil nicht passieren; das wird ja auch untersucht, weshalb wir noch einiges tun müssen - aufgefangen. Deshalb ist es nicht zu einer so kritischen Situation gekommen, wie Sie sie hier beschrieben haben.

Ein Kernkraftwerk, meine Damen und Herren, Herr Meihsies, ist keine Keksfabrik. Deshalb gibt es in einem Kernkraftwerk eine Vielfalt von redundanten und kaskadenartig hintereinander geschalteten Sicherheitssystemen - -

(Klaus-Peter Dehde [SPD]: Was ha- ben Sie denn gegen Bahlsen?)

- Ich habe gar nichts gegen Bahlsen, Herr Dehde. Deshalb habe ich es ja gerade auch gesagt. Bei einem Kernkraftwerk darf halt kein Krümel nach draußen gelangen. Deshalb gibt es dort andere Sicherheitsvorkehrungen als in einer Keksfabrik. Wenn Sie so wollen, gibt es zu jedem Gürtel einen Hosenträger. Für den Fall, dass der Hosenträger reißt, gibt es noch weitere Gürtel und weitere Hosenträger.

(Ursula Körtner [CDU] - zur SPD -: Jetzt haben sie es verstanden! - And- reas Meihsies [GRÜNE]: In Schweden war die Hose schon halb runter!)

- Die Hose war noch nicht halb runter, Herr Meihsies. Da drunter kommt nämlich die nächste Hose. Die haben in Schweden lange Unterhosen an.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Nun aber weiter und ein Wort zur Übertragbarkeit auf deutsche Anlagen. Das Problem in Schweden resultierte daraus, dass eine technische Einrichtung, nämlich ein Wechselrichter, benötigt wird, um aus einer Batterie im Notstromfall Wechselstrom aufzubereiten, der dann dazu dient, die Diesel zu starten und Teile der Warteninstrumentierung zu versorgen. Zwei von vier dieser technischen Bauteile sind ausgefallen. Das aber sollte nicht sein.

In deutschen Kernkraftwerken werden die notwendigen Einrichtungen in der Warte sowie die Notstromdiesel und andere Dinge von vornherein mit Gleichstrom versorgt, der über eine Batterie eingespeist wird. Weitere technische Geräte sind nicht notwendig, um die Stromversorgung der Warte und der Notstromdiesel zu gewährleisten. Insofern besteht hier ein grundlegender Unterschied zu der Konstruktion in Schweden, die insofern nicht an den Rand einer Katastrophe geführt hat, weil - wie ich eben schon ausgeführt habe - alle nachgeschalteten Sicherheitssysteme gegriffen haben. Es besteht überhaupt kein Grund zur Panik, meine Damen und Herren. Ganz im Gegenteil: Wir haben Grund, aus diesem Vorfall zu lernen. Wir lernen daraus. Wir werden in Deutschland alle Vorkeh

rungen treffen, die solche Fehler wie den, der in Schweden aufgetreten ist, vermeiden helfen. Die Vorfälle in Brunsbüttel und alles andere, was sonst noch kommt, werden Ihnen sicherlich bei späterer Gelegenheit noch einmal erläutert werden können. - Ich bedanke mich.