Protocol of the Session on July 13, 2006

Ich gehe davon aus, dass die Oppositionsfraktionen in den nachfolgenden Redebeiträgen darauf hinweisen werden, dass es sich hierbei um eine Einschränkung der Oppositionsrechte handelt. Meine Damen und Herren, zu den Fakten: Trotz Einsetzung einer Enquete-Kommission im Jahre 2000, die bis 2002 unter einer anderen Mehrheit getagt hat, hat es erst mit dem Regierungswechsel 2003 tatsächlich einen Wechsel von der Ankündigung zur Tat gegeben.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Selbst wenn es bei den jetzigen Mehrheitsverhältnissen kaum zu vermuten ist: Mit Blick auf die jetzt hinter uns liegende Zeit muss man sagen: Es hat nie zuvor ein solches Entgegenkommen der Mehrheit hier im Hause gegenüber einer Minderheit gegeben. Ich bitte Sie, das zu akzeptieren.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Ich kann mich nicht erinnern, dass Sie uns jemals Kurzinterventionen oder Ähnliches gestatten wollten.

Wir haben im Übrigen gleich zu Beginn der Legislaturperiode die Anzahl der Ausschüsse reduziert; sie bestehen jetzt nahezu spiegelbildlich zu den Ministerien. Die Arbeit wurde dadurch straffer. Wir haben einen Petitionsausschuss eingerichtet - das haben Sie auch nicht gemacht -, in dem hervorragende Arbeit, gerade unseres Ausschussvorsitzenden Klaus Krumfuß und der Mitglieder in diesem Petitionsausschuss, geleistet wird.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Weiter haben wir unzweifelhaft die bisher größte Reform auf den Weg gebracht, nämlich die Verkleinerung des Landtages - außerdem die Reform der Altersversorgung. Das alles haben wir in großer Gemeinsamkeit im Landesparlament verabschiedet.

Abschließend: Eine Geschäftsordnung - ich beziehe mich dabei auf die Abgeordnete Frau Elke Müller, die auch der Enquete-Kommission angehörte - darf das Mehrheitsprinzip im Parlament nicht aushebeln wollen, insofern nehmen wir - wie angekündigt - lediglich eine behutsame Korrektur der Geschäftsordnung vor.

Durch die nunmehr auf Bundesebene stattgefundene Föderalismusreform wird die Bedeutung der Länderparlamente und damit auch des niedersächsischen Länderparlaments deutlich in den Vordergrund gerückt werden. Sie wissen, dass es mit Blick auf diese Rechtsänderung darauf ankommt, den neuen Herausforderungen mit einer effizienten und effektiven Geschäftsordnung zu begegnen, um zukünftig ein geordnetes Beratungsverfahren im niedersächsischen Landesparlament zu gewährleisten.

Insofern danke ich Ihnen für die Aufmerksamkeit und freue mich, dass wir diese Änderungen schon beim nächsten Mal so beschließen können. - Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun die Abgeordnete Helmhold das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Seit Februar arbeitet dieser Landtag mit der geänderten Geschäftsordnung. Wir haben damit - so glaube ich - gute Erfahrungen gemacht. Ziel war es, das Plenum lebendiger und aktueller zu machen. Das ist gelungen, und zwar vor allem durch das Instrument der Kurzintervention.

(Beifall bei allen Fraktionen)

Die Möglichkeit, direkt auf einen Debattenbeitrag zu reagieren, hat die Debattenkultur in diesem Hause belebt und macht eigentlich erst eine wirkliche Debatte möglich.

Sie schlagen uns heute vor, das gerade eingeführte Instrument der Kurzintervention bei Anfragen, Aktueller Stunde und strittigen Eingaben wieder abzuschaffen. Einmal abgesehen davon, dass die Änderung der Geschäftsordnung sozusagen ein Gesamtkunstwerk war, ein am Ende zwischen allen Fraktionen gemeinsam getragener Kompromiss,

(Zustimmung von Dieter Möhrmann [SPD])

den einseitig aufzukündigen in der Folge normalerweise bedeutet, dass auch alle anderen Punkte wieder zur Disposition stehen - ich denke z. B. an die Öffentlichkeit der Ausschusssitzungen, ein Punkt, der uns immer sehr wichtig gewesen ist -, ist die Intention dieses Antrags mehr als durchsichtig. Es hat seit Einführung der Kurzinterventionen bis einschließlich des Juni-Plenums 87 Kurzinterventionen gegeben. Das waren im Schnitt sieben pro Plenartag. Ich finde, das ist durchaus noch ausbaufähig.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Es gab überhaupt keine Kurzinterventionen bei Mündlichen oder Dringlichen Anfragen. Deshalb könnte man sich schon fragen, warum Sie sie dort explizit ausschließen wollen. Aber diese Frage beantwortet sich leicht: Das dient nur als Verbrämung Ihrer eigentlichen Intention. Es gab nämlich 13 Kurzinterventionen zu strittigen Eingaben, davon sechs zu Abschiebungen - übrigens alle am 18. Mai, als wir das Schicksal der Familie Kasem diskutierten. Das war in dieser Debatte dringend nötig. Hier wurde wieder einmal mit Härte eine Abschiebung exekutiert. Eine Frau und ihre acht Kinder wurden nach Hause geschickt.

(Bernd Althusmann [CDU]: Oh, oh!)

Natürlich hatten wir eine hoch emotionale Auseinandersetzung, in deren Verlauf einige - gelinde gesagt - sehr unglückliche Äußerungen von Debattenteilnehmern mittels Kurzintervention gerade gerückt werden mussten. Das war außerordentlich notwendig; lesen Sie es noch einmal nach.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Meine Damen und Herren, dass Ihnen von den Regierungsfraktionen eine intensive öffentliche Auseinandersetzung an dieser Stelle nicht passt, will ich wohl glauben.

(Bernd Althusmann [CDU]: Darum geht es überhaupt nicht! Die findet nach wie vor statt!)

Sie haben naturgemäß kein Interesse daran, die unbarmherzige Flüchtlingspolitik hier länger zu diskutieren als unbedingt notwendig. Deshalb möchten Sie gerne die parlamentarischen Instrumente schwächen.

(Bernd Althusmann [CDU]: Nein!)

Das lassen wir Ihnen aber nicht ohne Weiteres durchgehen.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD - Wolfgang Jüttner [SPD]: Den Journalisten einen Maulkorb umhän- gen!)

Sie möchten lieber fernab der Öffentlichkeit Ihre Abschiebungen durchziehen. Uns lassen diese Schicksale aber nicht kalt und - wie Sie wissen die Öffentlichkeit auch nicht. Meine Damen und Herren, wir können auch nicht jedes Mal darauf vertrauen, dass ein mutiger Pilot jemanden buchstäblich in letzter Sekunde vor einem schrecklichen Schicksal rettet.

Meine Damen und Herren, Ihr Antrag zur Einschränkung der Kurzintervention kommt tatsächlich seltsam begründungslos daher. Es gibt auch keine sinnvolle Begründung. Sie begründen hier mündlich, dass die Kurzinterventionen nicht praktikabel seien. Warum eigentlich nicht? - Kurzinterventionen sind Bemerkungen zu dem Redebeitrag eines Vorredners oder einer Vorrednerin, nicht mehr und nicht weniger, ganz gleich, ob bei Eingaben oder anderen Tagesordnungspunkten. Allerdings haben strittige Eingaben, wie übrigens auch die Aktuellen

Stunden, einen herausgehobenen Stellenwert im parlamentarischen Geschehen. Hier handelt es sich um Gegenstände von besonderer, unmittelbarer Betroffenheit der Bürgerinnen und Bürger.

(Unruhe - Glocke des Präsidenten)

Sie haben das Recht auf eine vernünftige Debatte unter Einschluss aller zur Verfügung stehenden parlamentarischen Instrumente und nicht in abgespeckter Version, wie Sie es vorhaben.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Meine Damen und Herren, im Gegensatz zu Ihnen finden wir die Beratung von Eingaben überhaupt nicht lästig. Wir wollen sogar mehr: Wir wollen die Mitgestaltungsrechte weiterentwickeln und den Petitionsausschuss stärken. Darum machen wir Ihnen mit unserem Antrag ein Angebot, das niedersächsische Petitionssystem noch effektiver, attraktiver und bürgerfreundlicher zu gestalten.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Der Petitionsausschuss hat sich bewährt und dennoch bislang sein Potenzial sicherlich nicht vollständig ausgeschöpft. Er kann und muss im Sinne einer transparenten und bürgerfreundlichen Arbeit weiterentwickelt werden.

In jedem Jahr wenden sich Hunderttausende Petenten an Bund und Länder. Die Petition, insbesondere in Form der Massenpetitionen, hat den Charakter einer politischen Einmischung der Bürgerinnen und Bürger in das parlamentarische Getriebe. Das Petitionssystem kann ein Schrittmacher für mehr Bürgerrechte in den Parlamenten sein, wenn wir es klug fortentwickeln. Dies dürfte der Zielsetzung aller Fraktionen entsprechen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Wir bringen heute sechs Vorschläge ein. Der erste lautet: Ein Grundrecht geht online. Seit dem letzten Jahr können sich Petenten via Netz mit Bitten und Beschwerden an den Petitionsausschuss des Deutschen Bundestages wenden. Die Resonanz ist überraschend gut. Der Anteil der E-Petitionen liegt derzeit bei etwa 10 %. Überraschenderweise sind 44 % der Nutzerinnen und Nutzer im Alter von 45 bis 65 Jahren. Allein im Januar 2006 klickten 45 000 Bürgerinnen und Bürger die Homepage des Petitionsausschusses des Bundestages an - eine beeindruckende Zahl, wie ich finde. Die Befürchtung einiger Skeptiker, dass der Ausschuss

mit E-Mail-Petitionen überschwemmt werde, hat sich nicht bewahrheitet. Deshalb hat Bayern als erstes Bundesland noch vor Ende dieses Modellvorhabens E-Mail-Petitionen eingeführt.

Wir wollen öffentliche Petitionen und die Mitzeichnung von Petitionen ermöglichen. Öffentliche Petitionen sind Bitten und Beschwerden von allgemeinem Interesse, die im Einvernehmen mit dem Petenten auf der Internetseite mit dem Ziel veröffentlicht werden, dass andere Personen im Internet mitdiskutieren und diese Petition mitzeichnen können. Das ist unbestritten ein Beitrag zu mehr Beteiligung der Bürger.

(Zustimmung von Ina Korter [GRÜ- NE])

Der Massenpetition zur Schaffung einer Übergangsfrist bei der sehr aktuellen Diskussion um die Einführung des Elterngeldes haben sich inzwischen 16 000 Petentinnen und Petenten angeschlossen, meine Damen und Herren.

(Bernd Althusmann [CDU]: Das will nichts heißen!)

Wir wollen öffentliche Anhörungen zu Petitionen ermöglichen. Es ist nicht ganz in Ordnung, wie ich finde, und es bewährt sich nicht, dass Massenpetitionen und Sammelpetitionen auf der einen Seite und Einzelpetitionen mit starkem Individualinteresse auf der anderen Seite gleich behandelt werden. Petenten, hinter denen eine massenhafte Zahl anderer Petenten steht, muss man anders als Individualpetenten wahrnehmen.

(Bernd Althusmann [CDU]: Auf Bun- desebene wird das nicht weiterver- folgt! Das ist noch ein Vorhaben der alten Bundesregierung!)

Deswegen schlagen wir Ihnen vor, dass eine öffentliche Anhörung in diesem Fall ermöglicht wird.

Ein Selbstaufgriffsrecht, wie es beispielsweise in Schleswig-Holstein schon praktiziert wird, dient der Stärkung und Aufwertung der Befugnisse des Petitionsausschusses. Es kann ja nur in dessen Sinne sein.