Protocol of the Session on February 22, 2006

Zu Wort gemeldet hat sich Herr Rösler. Ich erteile ihm das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Selbstverständlich ist es das Recht der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im öffentlichen Dienst, für ihre Rechte einzutreten und zu streiken.

(Zuruf von der SPD: Aber niemand darf es merken! Oder wie?)

Die Gewerkschaft ver.di sollte sich aber immer die Frage stellen, ob das Ziel und die Art und Weise eines Streikes gerechtfertigt sind. Denn jetzt haben wir einen Streik, weil ver.di nicht will, dass die Menschen im öffentlichen Dienst täglich 18 Minuten mehr arbeiten. Meine sehr verehrten Damen und Herren, für dieses Ziel, für diesen Streik hat niemand in unserem Land Verständnis.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU - Widerspruch bei der SPD)

Angesichts eines Arbeitsplatzabbaus in allen Branchen der freien Wirtschaft und angesichts der täglichen Nachrichten über Arbeitsplatzverlagerungen ins Ausland ist die Vierzigstundenwoche für die große Mehrheit der Arbeitnehmer längst schon Normalität geworden. 5 Millionen Menschen würden sich überhaupt über Arbeit freuen. Das zeigt doch, dass ver.di einen Arbeitskampf von gestern oder vorgestern führt; denn angesichts der heutigen wirtschaftlichen Situation wären viele Arbeitnehmer über einen lebenslangen und unkündbaren Arbeitsplatz froh.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Herr Bsirske hingegen glaubt immer noch, dass es nur darum geht, ein bestehendes Arbeitsvolumen anders zu verteilen. Eine Gesellschaft ist aus ihren Problemen aber noch nie durch weniger Arbeit herausgekommen, sondern nur dadurch, dass die Menschen die Ärmel hochgekrempelt haben und bereit gewesen sind, mehr zu leisten als bisher.

Diese Mehrarbeit führt im Übrigen auch nicht zu Arbeitsplatzverlusten; denn selbstverständlich bleiben wir bei unserem Versprechen: keine betriebsbedingten Kündigungen.

(Zuruf von der SPD: Sie sollten sich einmal an Ihre Zeit als Arzt erinnern!)

Trotzdem lohnt sich die Vierzigstundenwoche; denn der Steuerzahler erhält sofort mehr Leistungen für das gleiche Geld. Andernfalls wird der öffentliche Dienst in einem direkten wirtschaftlichen Vergleich mit privaten Anbietern weiter ins Hintertreffen geraten. Dann kommen sogar selbst sozialdemokratisch geführte Kommunen auf die Idee, ihre Krankenhäuser und auch die Müllabfuhr zu privatisieren. Das zeigt doch, dass die Privatisierung weder eine Ideologie noch eine Drohung ist,

sondern dieser Streik beweist doch eigentlich nur eines: Die Privatisierung ist die beste Möglichkeit, um Dienstleistungen auch in schwierigen Zeiten sicherzustellen.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Das Ziel, für das ver.di streikt, und auch der Weg hin zu diesem Ziel sind völlig falsch; denn betroffen sind im Augenblick diejenigen, die sich überhaupt nicht wehren können. Es trifft Kinder, Kranke und allein Erziehende.

(Beifall bei der FDP - Hans-Werner Schwarz [FDP]: Genauso ist es!)

Warum streiken sie nicht in den Regierungsvertretungen oder meinetwegen auch in den Ministerien, also dort, wo es den Arbeitgeber direkt trifft, nicht aber unbeteiligte Dritte?

(Zuruf von der SPD: Weil das Beamte sind!)

Wir, Herr Kollege, fordern ver.di auf, endlich in der Wirklichkeit anzukommen. Streiks lösen die Probleme der heutigen Zeit überhaupt nicht. Wir hätten von der jetzt zweitgrößten Gewerkschaft - ehemals größten Gewerkschaft - eigentlich konstruktive Vorschläge erwartet, um Kommunen und Ländern Flexibilität zu ermöglichen, um Haushalte zu konsolidieren und um Arbeitsplätze auch im öffentlichen Dienst sicherzustellen. Angesichts bundesweit leerer Kassen ist eine verlängerte Wochenarbeitszeit keine Boshaftigkeit, sondern eine pure Notwendigkeit. Es wird Zeit, dass ver.di genau dies erkennt. - Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Nächster Redner ist Herr Hagenah von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Zuspitzung im Titel des Antrages der FDP für die Aktuelle Stunde ist polemisch und falsch. Mit dieser Polemik entlarven Sie letztendlich auch sich selbst.

Zu den Fakten: Die öffentlichen Arbeitgeber unter Führung von Finanzminister Möllring haben durch ihre Forderung nach unbezahlter Mehrarbeit und die vorangegangene Weigerung, den im letzten

Jahr für den öffentlichen Dienst ausgehandelten Tarifvertrag auch für die Landesbediensteten zu übernehmen, den Streik geradezu provoziert. Die FDP bedient nun mit dem Thema für die Aktuelle Stunde das Kalkül von Herrn Möllring und anderen, dass es ihnen im Windschatten der Globalisierung und der Preiswettbewerbe in verschiedenen Wirtschaftsbereichen gelingen könnte, auch im öffentlichen Dienst so en passant Arbeitszeitverlängerungen durchzusetzen. Wir lehnen das ab.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Arbeitszeitverlängerungen im öffentlichen Dienst schlagen im Gegensatz zur übrigen Wirtschaft allein auf die Beschäftigung durch, Herr Rösler. Nur in wenigen Bereichen gibt es Marktbedingungen, bei denen sich der Staat durch ein größeres Arbeitsvolumen mehr Marktanteile sichern könnte. Wie sollen wir etwa bei Führerscheinen oder bei Heiraten mehr Marktanteile bekommen?

Arbeitszeitverlängerung, Herr Minister Möllring, ist eben keine Jobmaschine. Im öffentlichen Dienst jedenfalls bewirkt eine Arbeitszeitverlängerung um 4 % in der Konsequenz den Wegfall jedes 25. Arbeitsplatzes und damit mehr Arbeitslose. Das ist der falsche Weg. Richtig hingegen wäre, die Steigerung von Flexibilität und neue Arbeitszeitmodelle im Rahmen einer gerechteren Entlohnung mit den Arbeitnehmern auszuhandeln. Das ist je nach Tätigkeitsfeldern und Aufgaben sicherlich differenzierter und mühseliger, als mit der plumpen Verordnung von unbezahlter Mehrarbeit vorzupreschen, wie Sie es getan haben, Herr Möllring. Im Interesse der knappen öffentlichen Kassen und des Erhalts der Arbeitsplätze wäre dieser schwierige Weg aber gut für beide Tarifpartner. Das, Herr Möllring, sehen Herr Oettinger und Herr Beck übrigens auch so.

(Dr. Philipp Rösler [FDP]: Vielleicht weil die Wahlkampf haben?)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Forderung des neuen Bundeswirtschaftsministers Glos, dass im wohlverstandenen Eigeninteresse der Binnenkonjunktur nun auch die Arbeitnehmer bei den aktuellen Tarifverhandlungen ihren Anteil aus den Gewinnsteigerungen in der Wirtschaft allgemein abbekommen müssten, kann nicht nur für Arbeitnehmer im Metall- oder Elektrobereich gelten. Auch die Beschäftigten im öffentlichen Dienst haben in den vergangenen

Jahren schon einen großen Beitrag zur Haushaltskonsolidierung geleistet, Herr Rösler.

(Beifall bei den GRÜNEN)

In den vergangenen zehn Jahren stiegen die Stundenlöhne in Deutschland in der Gesamtwirtschaft jährlich um 2,1 %, im Einzelhandel um 2,6 %, im Metall- und Elektrobereich um 2,9 % - im öffentlichen Dienst, Herr Rösler, um 1,7 %. Gerade in den unteren Einkommensgruppen des öffentlichen Dienstes besteht deshalb und aufgrund der aktuellen Inflationsrate kein Spielraum für weitere Realeinkommensverzichte. Ihr Versuch, zwischen Arbeitnehmern und Arbeitslosen eine Neiddebatte anzuzetteln, ist deshalb nichts weiter als hohle Polemik und wird ihr Ziel nicht erreichen. Ebenso wenig verfängt die Stimmungsmache gegen die Streikenden, in Notfällen würde keine medizinische Behandlung mehr stattfinden oder der liegen gebliebene Müll würde sogar die Seuchengefahr erhöhen.

Im Zusammenhang damit ein Blick auf den angeblichen MHH-Skandal hier in Hannover. Die bisherige Notdienstvereinbarung, die bis gestern galt, war auch vom Präsidium der MHH abgenickt und unterschrieben worden, Herr Rösler. Dennoch wandten sich Mitglieder eben dieses Präsidiums gegenüber der Presse mit Vorwürfen an die Öffentlichkeit - auf wessen Anregung auch immer. Jedenfalls war von der MHH bis dahin keiner der in den Medien genannten Fälle der Streikleitung als Notfall angemeldet worden. Damit wird schlichtweg versucht, einseitig Stimmung zu machen. Das ist falsch und gefährlich.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ein faires Ergebnis kann nur in offen geführten Tarifverhandlungen ohne Vorbedingungen erarbeitet werden. Wir fordern die Tarifparteien auf, die Verhandlungen mit diesem Ziel schnellstmöglich konstruktiv und ernsthaft fortzusetzen, wie es ver.di heute ebenfalls fordert. Dann werden die Streiks möglichst schnell aufhören. Vielen Dank.

(Lebhafter Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Jetzt erteile ich Frau Rübke von der SPD-Fraktion das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Herren, meine Damen! Dass die FDP alles privatisieren will, ist hinlänglich bekannt. Aber die FDP-Fraktion im Niedersächsischen Landtag setzt noch eines drauf: Sie fordert in ihrer Presseerklärung vom 17. Februar dieses Jahres mehr Privatisierung bei Müllentsorgung, Krankenhäusern, Straßendiensten und Kindertagesstätten, weil auf diese Weise Streiks verhindert würden. Werter Herr Rösler, werte Mitglieder der FDP-Fraktion, dazu einige Informationen: Den ersten Streik gab es 1891 in der Privatwirtschaft, die folgenden fanden ebenfalls dort statt. Streiks gibt es seit dem 19. Jahrhundert, gerade weil in der Privatwirtschaft der Ausbeutung von Menschen Grenzen gesetzt werden sollten.

(Hans-Werner Schwarz [FDP]: Leben wir im Zeitalter der Ausbeutung? Das kann ja wohl nicht wahr sein!)

Dies ist für Arbeiter, die nur im Besitz einer einzigen marktfähigen Ware sind - diese sollte Ihnen doch etwas wert sein -, ihrer Arbeitskraft, von Bedeutung. Daran hat sich bis heute nichts geändert.

(Zuruf von der CDU: Wer will denn daran etwas ändern?)

Dieses Grundrecht der allgemeinen Koalitionsfreiheit ist in der Bundesrepublik Deutschland in Artikel 9 Abs. 3 des Grundgesetzes verankert. Also: Privatisierungen schützen nicht vor Streiks. Im Gegenteil: Dann wird öfter gestreikt, und zwar nicht so bescheiden, wie es im öffentlichen Dienst 1974 und 1992 der Fall war und wie es jetzt wieder ist.

(Beifall bei der SPD)

Was heißt, dass zu Streiks aufgerufen wurde? Über 90 % der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen im öffentlichen Dienst haben in Urabstimmungen Ja zur Wahrnehmung ihres verbrieften Menschenrechts gesagt, ihre Interessen durchzusetzen.

Aber mit ihrem Antrag für diese Aktuelle Stunde stellt die FDP nicht nur die Tarifautonomie infrage, sondern sie versucht auch, diesen Plenarsaal zu einem Ort öffentlicher Tarifverhandlungen zu machen.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN - Zuruf von der CDU: Das hat Hagenah gerade gemacht!)

So etwas hat es im Niedersächsischen Landtag noch nie gegeben! Dies kann nicht nur daran liegen, dass diese selbst ernannte Freiheitspartei hier jahrelang keine Anwesenheitserlaubnis hatte. Wenn Sie, meine Damen und Herren von der FDP, diesen Saal aber schon umfunktionieren, warum haben Sie dies nicht bereits im Zusammenhang mit dem Streik der Ärzte getan, die Ihnen zweifelsfrei näher als Müllwerker stehen?

(Beifall bei der SPD)

Bei den Ärzten, die eine Forderung von 30 % mehr Lohn auf ihren Fahnen stehen hatten, hat es keine Notdienstverordnungen gegeben - sicherlich sind deshalb die Patientenschlangen, um in Ihrer Sprache zu bleiben, bei der MHH bis zur Kirchröder Straße gewesen.

Eines will ich hier klarstellen: Es wird nicht gestreikt, weil es nach 14 Jahren wieder einmal auf der Tagesordnung der Gewerkschaft steht. Vielmehr wird gestreikt, weil der Verhandlungsführer der TdL, Finanzminister Möllring, seit 2003 systematisch darauf hingearbeitet hat

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

bzw. nicht gearbeitet, sondern die Verhandlungen für ein neues Tarifwerk des öffentlichen Dienstes boykottiert hat. Er will den Tarifvertrag, der seit Oktober 2005 in Kraft ist, nicht auf die Länder übertragen.