Protocol of the Session on January 27, 2006

Jetzt kommen wir zu der nächsten Petition, die wir besprechen wollen. Das ist die Petition 1893. Dazu hat sich Frau Kollegin Lorberg gemeldet.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Fall der Familie Sriranjan hat uns sehr intensiv beschäftigt. Es handelt sich um eine Familie, die seit ca. neun Jahren in Steyerberg bei Nienburg lebt und deren drei Kinder in Deutschland geboren sind. Der Familienvater arbeitet seit langer Zeit. Die Familie gilt als integriert.

Das klingt sehr positiv und lässt die Frage zu: Aus welchem Grund kann diese Familie nicht in Deutschland bleiben?

Die Eheleute Sriranjan kamen illegal nach Deutschland und beantragten Asyl. Die Anträge wurden rechtskräftig abgelehnt. Die Eheleute waren zur Ausreise verpflichtet. Dieser Verpflichtung kamen sie nicht nach. Die Geburten von zwei Kindern folgten. Ein Asylantrag für die Kinder wurde ebenfalls abgelehnt. Wieder reiste die Familie aber nicht freiwillig aus. Ein weiteres Kind wurde geboren. Ein weiterer Asylantrag folgte. Dieser wurde im letzten Quartal des Jahres 2005 abgelehnt. Nun stand die Abschiebung bevor.

Es fanden sich Unterstützer, Petitionen wurden eingereicht, und der Fall der Familie Sriranjan bekam unterschiedliche Facetten. So forderten einige Unterstützer ein generelles Bleiberecht für die Familie. Andere Unterstützer warfen neue Aspekte auf, u. a. die Weiterwanderung der Familie nach Kanada.

Mit Hochdruck wurde an dieser Weiterwanderung gearbeitet. In der öffentlichen Berichterstattung entstand der Eindruck, dass die Weiterwanderung nach Kanada in ca. sechs Monaten erfolgen könne und dass es kaum Zweifel daran gebe, dass diese Weiterwanderung auch erfolgen würde.

Es war sehr wichtig, diese Auskünfte zu prüfen und die Weiterwanderungsabsichten genauestens zu untersuchen. Nach Auskunft der kanadischen Botschaft ist eine Weiterwanderung dieser Familie allerdings erst in frühestens anderthalb Jahren möglich. Die Familie kann nur über die Flüchtlingsquote aus Deutschland nach Kanada einreisen. Dabei liegt die Ablehnungsquote bei 97 %. Meine Damen und Herren, 3 % Wahrscheinlichkeit, das ist sehr wenig, das ist keinesfalls als sicher anzusehen. Sollte der Antrag auf Weiterwanderung in

ein bis zwei Jahren dennoch Erfolg haben, könnte die Familie allerdings noch einmal einige Jahre ins Land gehen lassen; denn die Bestimmungen zur Weiterwanderung geben die Möglichkeit, dass ein mehrjähriger Zeitraum verstreichen kann, bevor die Ausreise tatsächlich erfolgt. 3 % Wahrscheinlichkeit - sehr unsicher!

Ist es nicht eine unzumutbare Situation, den Verwurzelungsprozess der Kinder in Steyerberg weitere Jahre voranschreiten zu lassen und dann eine Abschiebung vorzunehmen? - Ich will nicht auf die zögerliche Mitarbeit der Familie bei der Passbeschaffung eingehen. Ich will auch nicht die unrichtigen Aussagen der Familie bei der Passbeschaffung anprangern. Es muss aber deutlich werden, dass die Eheleute Sriranjan ihre Lebensplanung nicht den realen Bedingungen in Deutschland angepasst haben. Die Zeitspanne bis zur Entscheidung der kanadischen Behörden über die Weiterwanderung der Familie lässt es nicht zu, eine weitere Duldung oder gar ein Bleiberecht auszusprechen. Zahlreiche andere Personen, die zur Ausreise verpflichtet sind, würden ansonsten erwirken können, dass sie sich weitere Jahre in Deutschland aufhalten können, wenn sie, wie die Familie Sriranjan, einen Antrag auf Weiterwanderung stellen würden. Dem können wir uns nicht beugen.

Der Großteil der Familie Sriranjan lebt in Kanada. Die Angehörigen haben die Ausreise nach Kanada von Sri Lanka aus betrieben. In den meisten Fällen bekamen die Angehörigen sogar schon nach acht Monaten die Möglichkeit, von Sri Lanka nach Kanada zu gehen. Die Familie Sriranjan kann eine Weiterwanderung demnach auch von Sri Lanka aus betreiben - so, wie es ihre Verwandten getan haben.

(Glocke des Präsidenten)

Meine Damen und Herren, ein Schreiben, welches mir am Mittwoch vorgelegt wurde, lässt allerdings großen Zweifel an den Weiterwanderungsabsichten der Familie erkennen. In dem Schreiben wird dazu aufgefordert, dem Vater Sriranjan die Möglichkeit einzuräumen, als Mitglied eines bundesdeutschen Entwicklungsteams tätig zu werden. So könne er in Sri Lanka Entwicklungshilfe leisten und könnte seine Familie ein Bleiberecht in Deutschland bekommen.

Frau Kollegin, Sie müssen zum Schluss kommen.

In diesem Schreiben wird davon gesprochen, dass der Vater die Landessprache spricht. Das wird in der Petition allerdings verneint.

Meine Damen und Herren, es gibt widersprüchliche Aussagen zu diesem Fall. Ich bin froh, dass wir mit Blick auf das Wohl der Kinder eine Organisation gefunden haben, die sich nach einer eventuell freiwilligen Ausreise der Familie in Colombo darum kümmern wird, dass die Familie erst einmal eine Wohnung findet. Das finde ich hervorragend.

Frau Kollegin, ich war schon sehr großzügig. Sie müssen jetzt bitte zum Schluss kommen.

Es gibt in dieser Situation keine andere Entscheidung als „Sach- und Rechtslage“. - Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor.

Ich schließe die Beratung über die Eingaben und komme zu den notwendigen Abstimmungen.

Ich rufe zunächst einmal die Eingabe 1320 auf. Sie betrifft aufenthaltsbeendende Maßnahmen gegenüber kurdischen Flüchtlingen aus dem Libanon.

Zu dieser Eingabe liegt ein Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor. Sie möchte, dass wir „zur Berücksichtigung“ entscheiden. Wer das möchte, den bitte ich um ein Handzeichen. Gegenstimmen? - Stimmenthaltungen? - Der Antrag ist abgelehnt.

Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschusses, „Sach- und Rechtslage“ zu entscheiden. Wer dies möchte, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenstimmen? - Stimmenthaltungen? Das ist so beschlossen.

Wir kommen zur Eingabe 2537. Sie betrifft die Aufenthaltsgenehmigung für eine Familie aus Pakistan.

Zu dieser Eingabe liegt der Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor, „zur Berück

sichtigung“ zu entscheiden. Wer das möchte, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenstimmen? Stimmenthaltungen? - Der Antrag ist abgelehnt.

Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschusses, „Sach- und Rechtslage“ zu entscheiden. Wer dies möchte, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenstimmen? - Stimmenthaltungen? Das ist mit großer Mehrheit so beschlossen.

Wir kommen dann zur Eingabe 1839 01 - 04. Sie betrifft das Aufenthaltsrecht für eine Familie aus Sri Lanka.

Auch zu dieser Eingabe liegt ein Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Gründen vor, „zur Berücksichtigung“ zu entscheiden. Wer dies möchte, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenstimmen? - Stimmenthaltungen? - Das ist mit großer Mehrheit abgelehnt.

Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschusses, „Sach- und Rechtslage“ zu beschließen. Wer das möchte, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenstimmen? - Stimmenthaltungen? Das ist mit großer Mehrheit so beschlossen.

Meine Damen und Herren, damit haben wir den Tagesordnungspunkt 2 erledigt.

Wir kommen zu

Tagesordnungspunkt 34: Erste Beratung: Förderung von Schülerinnen und Schülern mit diagnostiziertem Autismus - Antrag der Fraktion der SPD - Drs. 15/2539

Der Kollege Wulf hat das Wort. Bitte sehr!

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zu unserem Antrag „Förderung von Schülerinnen und Schülern mit diagnostiziertem Autismus“ wollte ursprünglich Frau Seeler sprechen. Sie kann aber heute leider nicht hier sein, weil sie die traurige Pflicht hat, an der Beisetzung ihres in diesen Tagen verstorbenen Vaters teilzunehmen. Darum halte ich die Rede für sie.

(Vizepräsident Ulrich Biel über- nimmt den Vorsitz)

Meine Kolleginnen und Kollegen, autistische Kinder fallen durch die unterschiedlichsten Verhaltensweisen auf. Oft stammeln sie nur, reagieren aggressiv oder gar nicht, wackeln mit dem Kopf oder machen sonstige Verrenkungen, bleiben keine fünf Minuten auf dem Stuhl sitzen. Eine Kommunikation im herkömmlichen Sinn ist mit ihnen nicht möglich, also kommen sie, wenn sie schulpflichtig werden, in eine Schule mit dem Schwerpunkt Geistige Entwicklung - wohin auch sonst?

Alle Jahre wieder wird diese Entscheidung so getroffen; und bis zum Einsatz von Computern in Familien und Schule haben autistische Kinder dort ihre Schulzeit absolviert und sind dann in eine Werkstatt für Behinderte gewechselt.

(Unruhe)

Einen Augenblick bitte, Herr Wulf! - So, jetzt ist es ruhiger.

Danke. - So auch in der Heimatstadt von Frau Seeler, in Buchholz, bis mehr oder weniger durch Zufall eine Lehrerin von der Methode der so genannten Gestützten Kommunikation erfuhr und diese an der Schule An Boerns Soll bei Schülern mit diagnostiziertem Autismus ausprobierte. Die Ergebnisse waren frappierend und grenzten fast an ein Wunder. Bei etlichen Schülerinnen und Schülern funktioniert diese Methode. Kinder, die von der Kommunikation mit ihrer Umwelt quasi abgeschottet waren, können sich so mitteilen und zeigen, was sie gelernt haben. Für die betroffenen Kinder und ihre Familien tun sich plötzlich neue Welten auf. Es ist fast so, als ob ein Stummer auf einmal reden könnte.

Diese Methode der Gestützten Kommunikation - oder auf Englisch: Facilitated Communication, FC - wurde Ende der 70er-Jahre von der Australierin Rosemary Crossley entwickelt: Ein Helfer, der so genannte Stützer, berührt Zeigefinger, Hand, Arm, Schulter oder Rücken des Betroffenen und hilft so, dessen Motorik zu stimulieren. Auf diese Weise kann der Gestützte auf Buchstaben, Fotos, Bilder oder Symbole zeigen oder sogar mit einem Stift bzw. auf einer Tastatur schreiben. Wichtig ist, dass der Stützer die Hand oder den Arm nicht führt; alle Impulse müssen vom Gestützten kommen. Diese Methode funktioniert zwar längst nicht

bei allen Kindern mit Autismus, aber bei vielen. Durch die Gestützte Kommunikation können autistische Schülerinnen und Schüler zeigen, was in ihnen steckt.

Frau Seeler hat die Entwicklung von autistischen Kindern der Schule An Boerns Soll verfolgen können. Inzwischen besuchen autistische Schülerinnen und Schüler sogar das Gymnasium in Tostedt, die Realschule in Hollenstedt und die Hauptschule in Buchholz. Möglich war diese Entwicklung aber nur, weil die Laurens Spethmann-Stiftung die Ausbildung der Stützer, die Laptops und den Einsatz der Stützer und Stützerinnen finanziert hat.

Damit komme ich zum eigentlichen Grund unseres Antrags. Die aktuelle rechtliche Situation ist nämlich etwas schizophren. Konnte ein autistisches Kind durch den Einsatz der Gestützten Kommunikation und/oder durch andere Methoden beweisen, dass es sehr wohl lernen kann, möglicherweise sogar hoch begabt ist, und deshalb an eine Hauptschule, an eine Realschule oder an ein Gymnasium wechselte, dann wurde der dortige Einsatz der Stützer über die Eingliederungshilfe finanziert. An der Förderschule mit dem Schwerpunkt Geistige Entwicklung, meine Damen und Herren, geschieht dies jedoch nicht. Das Problem dabei ist, dass man die Methode der Gestützten Kommunikation erst einmal über einen längeren Zeitraum an der Förderschule ausprobieren muss, um festzustellen, ob eine Schülerin oder ein Schüler an eine herkömmliche Schule wechseln kann.

Für das Ausprobieren stehen aber leider keine Mittel zur Verfügung. Im Klartext: Wer keine reichen Eltern oder wie im Landkreis Harburg nicht das Glück hat, einen großzügigen Unternehmer mit einem Herz für Kinder zu haben, dem werden solche Erfahrungen verwehrt, dem werden Entwicklungen versperrt, der oder die wird schlicht vergessen. Die Förderschulen haben für Stützer kein Budget. Stützer müssen übrigens gar keine Lehrkräfte sein, sondern können durchaus angelernt werden. Das können Hausfrauen, Rentnerinnen und Rentner oder Studentinnen und Stundenten sein.

Wir sind der Überzeugung, dass wir uns eigentlich fraktionsübergreifend einig sein müssten, dass dieses Unrecht abgeschafft werden muss und wir für die Kinder und ihre Eltern eine Lösung finden sollten.

(Zustimmung von Ina Korter [GRÜ- NE])

Hier geht es nicht um parteipolitische Positionen, meine Damen und Herren, sondern um Menschlichkeit und Gerechtigkeit. Daher wären wir sehr froh, Frau Körtner, wenn wir auch bei Ihnen auf Zustimmung stoßen würden.

Wir hoffen, dass wir im Laufe der Beratungen Lösungen finden, die den Schülerinnen und Schülern unabhängig von der Finanzlage der Eltern, aber auch unabhängig von Sponsoren eine Förderung zukommen lassen können, sodass neue Wege beschritten werden können. Niemand von uns im Plenum kann es verantworten, dass autistische Schülerinnen und Schüler in ihrer Isolation belassen werden, obwohl es offensichtlich Wege gibt, sie aus diesem Dilemma herauszuführen. Meine Damen und Herren, in Potsdam studieren inzwischen die autistischen Zwillinge Konstantin und Kornelius mithilfe der Gestützten Kommunikation Philosophie und Geschichte. In der Berliner Zeitung gab es dazu ein Zitat. „Erdenke ich Sachen neu, werde ich ruhig“, schreiben Konstantin und Kornelius. Weiter heißt es:

„Der weitere Verlauf des Studiums ist eher ein Spiel mit den Möglichkeiten einer Institution als unser Vermögen oder Unvermögen. Wir sehen es optimistisch und hoffen, beinhart in ein akademisches Leben zu gelangen. Der Weg ist das Ziel. Wir werden Bücher schreiben und den Austausch betreten mit den Denkenden unserer Zeit.“