Protocol of the Session on January 27, 2006

(Lachen bei der SPD - Wolfgang Jütt- ner [SPD]: Sehr gut!)

Vielen Dank. - Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen für Zusatzfragen liegen mir nicht vor. Damit ist die Fragestunde beendet.

Die Antworten der Landesregierung zu den Anfragen, die jetzt nicht mehr aufgerufen werden konnten, werden nach § 47 Abs. 6 der Geschäftsordnung zu Protokoll gegeben.

Ich rufe jetzt den nächsten Tagesordnungspunkt auf - -

(Unruhe - Glocke des Präsidenten)

- Könnten Sie Ihre Unterhaltungen einstellen, damit wir weitermachen können? - Ich rufe jetzt auf

noch

Tagesordnungspunkt 2: 31. Übersicht über Beschlussempfehlungen der ständigen Ausschüsse zu Eingaben - Drs. 15/2545 - Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Drs. 15/2562

Wir beraten heute nur noch über die strittigen Eingaben.

Zur Eingabe 2537 hat sich zunächst Frau Polat gemeldet. Bitte schön!

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Schülervertretung der Integrierten Gesamtschule Langenhagen bittet den Petitionsausschuss in ihrem Schreiben darum, von der Abschiebung einer pakistanischen Familie abzusehen und sich für ein Bleiberecht der Familie einzusetzen.

Die Familie lebt seit 16 Jahren in Deutschland. Alle drei Kinder sind in Deutschland geboren. Sie sind zehn, vierzehn und fünfzehn Jahre alt und, alle drei besuchen die Integrierte Gesamtschule in Langenhagen. In Langenhagen haben die Kinder ihre Freunde. Dort sind sie geboren und aufgewachsen.

Meine Damen und Herren, sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen, durch die große öffentliche Anteilnahme der Bürgerinnen und Bürger, der örtlichen Abgeordneten, der Kirchen und der Verbände sind auch viele Abgeordnete hier im Niedersächsischen Landtag bereits vor der Behandlung der Petition auf die Familie aufmerksam gemacht worden.

Im September letzten Jahres gingen hunderte Mitschüler in Hannover-Langenhagen auf die Straße, um gegen die angedrohte Abschiebung der Familie zu demonstrieren. Dort überreichten sie Bürgermeisterin Susanne Schott, einer CDUKollegin, eine Liste mit 1 800 Unterschriften. Die engagierten Schülerinnen und Schüler haben sich in dieser Sache ebenso wie ich mich mit einem Schreiben an den Ministerpräsidenten und mit der uns vorliegenden Petition an den Niedersächsischen Landtag gewandt.

Meine Damen und Herren, vor mehr als 16 Jahren kam das Ehepaar nach Deutschland und bat um Asyl. Die Familie gehört einer muslimischen Glau

bensbewegung an, die in Pakistan zeitweise als nichtislamisch verfolgt wurde und verboten war. Neben der unklaren Lage in Pakistan, die vor allem die Verfolgung betrifft, hat das Ehepaar insbesondere um die jüngste Tochter Angst, die an Diabetes und einer Schilddrüsenfunktionsstörung erkrankt und damit auf lebensnotwendige Medikamente angewiesen ist.

Die Familie wartete all die Jahre vergeblich auf einen positiven Entscheid des Bundesamtes. Im April letzten Jahres kam die endgültige Entscheidung der Ausländerbehörde, nachdem ein Wiederaufgreifungsantrag für die jüngste Tochter abgelehnt wurde. Sie lautete: Abschiebung, sobald die Pässe da sind.

Meine Damen und Herren, so schnell kann es dann gehen: 16 Jahre Kettenduldung, dann aber innerhalb weniger Monate die Angst, der Schock und das Unverständnis von Mitbürgerinnen, Kirchen und Schulen über eine solche Entscheidung. Das ist das neue Aufenthaltsgesetz! Einerseits wurde damit der elenden Praxis der Kettenduldung ein Ende gemacht; andererseits wurde den Ministerien des Innern und den Ausländerbehörden der Spielraum gelassen, für diese langjährig geduldeten Familien eine humanitäre Lösung zu finden. Dass Niedersachsen hier eine restriktive Praxis fährt, wurde an diesem Fall deutlich.

Das von uns im Ausschuss beantragte Härtefallprüfverfahren wurde nach erster Beratung mit Feststellung des Vorsitzenden eingeleitet. Doch noch während der Beratungen wurde die Abschiebung am 12. Dezember 2005 vollzogen, obwohl in derselben Woche im Petitionsausschuss in zweiter Beratung das Beratergremium bei Uneinigkeit eingeschaltet worden wäre.

Mit der Abschiebung hat das Innenministerium eine Einbeziehung des Beratergremiums verhindert, und darüber hinaus wurde unerwartet behauptet, dass eine Beantragung zum Härtefall wegen des Abschiebetermins laut Landtagsentschließung nicht rechtens sei. Nur zu seltsam, dass Ministerpräsident Wulff auf mein Schreiben bezüglich dieser Familie selbst antwortete - ich zitiere -:

„Zudem steht es jedem Mitglied des Petitionsausschusses frei, ein Härtefallprüfverfahren zu beantragen.“

Meine Damen und Herren, das ist widersprüchlich. Ich kann Ihnen nur sagen: Unsere Fraktion unter

stützt weiterhin diese Petition. Das Petitionsrecht ist ein Grundrecht. Auch wenn Sie diese Familie abgeschoben haben, ist sie für uns ein Härtefall. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Lebhafter Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Vielen Dank, für Kollegin. - Zur selben Eingabe hat der Kollege Krumfuß ums Wort gebeten.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Kollegin Polat hat zur Eingabe 2537 gesprochen. Hier bleibt aber noch einiges festzustellen. Sie haben gesagt, dass gesundheitliche Gründe gegen eine Abschiebung sprächen. In diesem Zusammenhang muss aber auch deutlich gemacht werden, dass sowohl das Bundesamt als auch das Verwaltungsgericht festgestellt haben, dass es in Pakistan auch für minderbemittelte Bürger Insulin gibt und dass dort auch glutenfreie Nahrungsmittel zur Verfügung stehen. Das war mit ein Grund dafür, dass das Bundesamt hier recherchiert hat.

Ferner haben Sie die Glaubensgemeinschaft erwähnt. Zweifelsfrei steht fest, dass Angehörige dieser Glaubengemeinschaft in Pakistan keine Nachteile mehr zu befürchten haben.

Darüber hinaus haben Sie von der Abschiebung gesprochen, von der wir überrascht waren. Hierzu muss ich sagen: Am 19. Juli 2005 sollte abgeschoben werden. Diese Familie hat sich dieser Abschiebung aber durch Untertauchen entzogen. Sie hat - so bedauerlich das auch sein mag - erst ca. acht Wochen später, nämlich am 16. September, eine Petition eingereicht. Somit konnte und durfte diese Petition keine aufschiebende Wirkung haben.

Schließlich haben Sie von der Härtefallregelung gesprochen. Sie haben Recht. Jedes Mitglied des Petitionsausschusses hat das Recht, eine Härtefallprüfung zu beantragen und das Prüfverfahren anzuschieben. Im vorliegenden Fall ging das aber nicht. Ich habe eben erwähnt, dass die Petition erst nach dem Abschiebetermin eingereicht worden ist. Das ist ein Ausschließungsgrund. Deshalb konnte die Petition nicht weiter einem Härtefallprüfungsverfahren unterzogen werden.

Wenn Sie sagen, Sie seien von der Abschiebung überrascht worden, muss ich Ihnen Folgendes entgegen halten: Sie haben ja die Einleitung eines Härtefallprüfverfahrens beantragt. Daraufhin sind jedem Ausschussmitglied Durchschriften der Eingabenakte - Sie kennen das Verfahren ja - übermittelt worden. In der Eingabenakte befindet sich zweifelsfrei auch ein Schreiben des Innenministeriums, in dem noch einmal darauf hingewiesen wird, dass es keine aufschiebende Wirkung gibt.

In diesem Sinne muss ich als Berichterstatter auch jetzt - wie ich es schon im Ausschuss getan habe dafür plädieren, die Einsenderin der Eingabe über die Sach- und Rechtslage zu unterrichten. Ich bedaure das. Die rechtlichen Voraussetzungen für ein anderes Verfahren sind aber nicht gegeben.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Vielen Dank, Herr Kollege. - Frau Kollegin Merk möchte zur selben Petition sprechen.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Von Frau Kollegin Polat ist sehr deutlich gemacht worden, dass die Familie 16 Jahre hier gelebt hat. Die Familie hat die Verfahren nicht etwa bewusst verzögert, sondern sie gehört zu den wenigen, die von der Rechtsprechung betroffen war, die etwa zehn Jahre entsprechend gehandhabt wurde, nämlich die Amadia-Sekte als verfolgte Religionsgemeinschaft anzuerkennen. Das Bleiberecht der Familie ist in den Verfahren anerkannt worden. Erst nach dem Wechsel der Rechtsprechung - dieser Wechsel hat sehr, sehr lange gedauert - ist der Familie dieses Recht wieder aberkannt worden. Das nur zur Klarstellung, dass es sich nicht um eine Familie handelt, die bewusst verzögert hat, sondern um eine, die von der wechselnden Rechtsprechung in der Bundesrepublik Deutschland betroffen war.

Ferner möchte ich Folgendes anführen: Professor Dr. Thomas Danne, Professor der Diabetologie im Kinderkrankenhaus auf der Bult, hat mich in der vergangenen Woche darüber informiert, dass ihm am 30. Dezember 2005 per Fax ein Schreiben zugegangen sei. Er hat mir dieses Schreiben auch vorgelegt. In diesem Schreiben vom 30. Dezember 2005 teilt das Kind, um das es geht und das viele Jahre von diesem Arzt behandelt worden ist, in

perfektem Deutsch mit, dass all diese Medikamente nicht zu haben seien.

Meine Damen und Herren, es ist ein riesiges Problem für unseren Petitionsausschuss, immer wieder diese Fragen stellen zu müssen: Gibt es diese Medikamente? Sind sie zugänglich? Sind sie wirtschaftlich für die Betroffenen zugänglich? Oder gibt es diese Medikamente überhaupt nicht? - Wir erfahren dann immer wieder, dass diese Medikamente nicht allgemein zugänglich sind.

Der Landtagspräsident hat in seinem Vortrag zum Kosovo gerade festgestellt, dass die Stellungnahmen, die wir vom Auswärtigen Amt zu verschiedenen Sachverhalten bekommen, äußerst diplomatisch gehalten sind und nicht immer der Wahrheit entsprechen. Hierin liegt ein großes Problem. Deshalb sind wir natürlich genauso betroffen.

Der Arzt im Kinderkrankenhaus hat dieses Kind jahrelang behandelt. Müssen wir nicht die Frage stellen, ob wir nicht viel intensiver erörtern müssen, ob es wirklich einen Zugang zu diesen Medikamenten gibt oder ob im Falle der Abschiebung ein Überleben des Kindes nicht mehr möglich ist? Meine Damen und Herren, das ist eine Frage, die uns sehr wohl berührt. Sie berührt alle Fraktionen. Deshalb hat diese Angelegenheit sehr betroffen gemacht. Wenn diese Frage noch zu stellen war, hätte man dieser Familie die Chance geben sollen - nach diesen 16 Jahren wäre es auf einige wenige Monate überhaupt nicht angekommen -, den Sachverhalt wirklich zu verifizieren, damit wir in die Lage versetzt werden, darüber zu entscheiden, ob ein Härtefall vorliegt oder nicht. Diese Möglichkeit ist uns genommen worden, weil jetzt gesagt wird: Ja, wir haben das doch beschlossen. - Allerdings müssen Sie wissen, dass diese Seite, also die SPD-Fraktion und die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, dies nicht beschlossen hat, sondern dagegen war, dass nach Beginn eines Abschiebeverfahrens die Frage, ob ein Härtefall vorliegt, nicht mehr aufgeworfen werden darf. Was ist das für ein bürokratisches Denken! Wenn die Familie ein Härtefall ist, meine Damen und Herren, ist sie auch dann ein Härtefall, wenn die Abschiebung eingleitet ist. Ich bitte sehr darum, diese Frage zu beantworten. Soviel ich weiß, werden die Fraktionen in nächster Zeit zu einem Gespräch über dieses Thema zusammenkommen.

(David McAllister [CDU]: Da wissen Sie ja mehr als wir!)

Wir können auf Dauer in diesem Parlament keine glaubwürdige Entscheidung zu Härtefällen treffen, wenn wir so vorgehen, wie wir das im letzten halben Jahr praktiziert haben.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, das ist ein schwer wiegender Vorgang! Es ist in der Tat so, dass man manchmal wegen dieser Dinge nicht mehr schlafen kann. Das geht der anderen Seite ganz genauso. Aus diesem Grunde gilt es, diese Frage erneut zu erörtern. Wenn man etwas aus solchen Fällen gelernt hat, gilt es, auch im Zusammenhang mit diesem Lernprozess in diesem Parlament Entscheidungen zu treffen, die wasserdicht sind. Das ist meine Bitte.

Wir können allerdings auch nur sagen, dass wir um „Berücksichtigung“ bitten, weil wir diese Situation jetzt neu belegt bekommen haben.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, ich bin in diesem Beitrag angesprochen worden. Ich will Frau Merk ganz unkonventionell fragen, ob wir uns darauf verständigen können, zu sagen, dass die Berichte des Auswärtigen Amtes nicht immer der Realität entsprechen. Sie haben gesagt, dass sie nicht der Wahrheit entsprächen. Das würde ja die Lüge als Voraussetzung haben.

(Heidrun Merk [SPD]: Das ist aber fast das Gleiche!)

- Das ist schon ein ganz beträchtlicher Unterschied. Ich möchte das keinem Außenminister unterstellen.

(Hans-Werner Schwarz [FDP]: Wenn Sie dabei bleiben will!)

Ich jedenfalls würde also diese Formulierung nicht mittragen. Die Formulierung „nicht der Realität entsprechen“ trage ich mit. Das kann ich aus eigener Anschauung gut beurteilen. Das ist sehr bedauerlich, weil auf diese Art und Weise oftmals auch Irritationen bei der Bearbeitung von Petitionen entstehen. Okay.

Jetzt kommen wir zu der nächsten Petition, die wir besprechen wollen. Das ist die Petition 1893. Dazu hat sich Frau Kollegin Lorberg gemeldet.