Protocol of the Session on November 10, 2005

Gül habe im Sommer die Position der Union zur Türkei scharf angegriffen. Ich zitiere aus dem Artikel:

„CDU und CSU sind gegen eine Aufnahme der Türkei in die EU. Sie wollen Ankara als Alternative eine privilegierte Partnerschaft anbieten.“

Wir, die SPD-Landtagsfraktion, hegen die Hoffnung, dass es der Türkei gelingen wird, das Land so weit zu reformieren, dass eine Mitgliedschaft und nicht nur eine privilegierte Partnerschaft oder, wie es neuerdings heißt, ein privilegiertes Verhältnis möglich wird.

Meine Damen und Herren, nach Meinung der SPD leistet die EU-Erweiterungspolitik einen erheblichen Beitrag zur Friedenspolitik. Wir wollen keine rückwärts gewandte konservative Leitkulturdebatte.

(Beifall bei der SPD - David McAllister [CDU]: Wer hat Ihnen das denn auf- geschrieben?)

Mit dem nachfolgenden Abschnitt Ihres Antrages zur EU-Rechtsetzung setzen Sie Ihre - ich sage es flapsig - Mäkelei fort.

(Jens Nacke [CDU]: Das fing so gut an!)

Inhaltlich können Sie uns auch hier an Ihrer Seite finden. Allerdings formuliere ich es so: Ich begrüße und wir unterstützen, dass ein Schwerpunkt der britischen Ratspräsidentschaft sein wird, sich mit dem Abbau bürokratischer Hemmnisse zu befassen, sich damit zu befassen, wie Behördenstrukturen verbessert und die EU-Gesetzgebung verein

facht werden können. Ziel soll eine bessere Gesetzesfolgenabschätzung sein. - Das ist aber bereits expliziter Bestandteil des Legislativ- und Arbeitsprogramms der Kommission für 2006, wie den uns unter dem Datum 3. November übermittelten Papieren der Landtagsverwaltung zu entnehmen ist: dem Vermerk der Staatskanzlei vom 31. Oktober und der im Wortlaut angefügten Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen unter dem Titel „Das ganze Potenzial Europas freisetzen“. In diesen Papieren steht alles zu und aus Ihrem Antrag und noch mehr. Ich erspare Ihnen und mir ein Zitieren daraus. Ich empfehle Ihnen nachzulesen, was dort festgeschrieben ist zur Verbesserung der Rechtsetzung, zur Folgenabschätzung, zur Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit, zu Kosteneffizienz, Transparenz und Verantwortlichkeit.

Im letzten Abschnitt Ihres Antrages - „Conclusio“ genannt - werden Sie im Ton etwas positiver. Sie erkennen an, dass die EU in der Vergangenheit herausragender Friedensgarant und Wirtschaftsmotor war. Auf diesem Weg muss es weitergehen. - Liebe Kolleginnen und Kollegen, dazu beizutragen, sind wir alle gefordert. Aber bitte konstruktiv und zukunftsorientiert.

(Beifall bei der SPD)

Eigentlich hätte ich mir gewünscht, dass Sie Ihren Antrag in der vorliegenden Form zurückziehen oder zumindest verändern.

(Reinhold Coenen [CDU]: Warum?)

Ich fasse zusammen: Er ist im Ton verkehrt, ferner überholt und damit überflüssig.

(Reinhold Coenen [CDU]: Das meinen Sie!)

Ihrem Antrag in der vorliegenden Form kann meine Fraktion jedenfalls nicht zustimmen.

(David McAllister [CDU]: Ach, wie schade!)

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD)

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat die Abgeordnete Langhans das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Schon von meinen Vorrednern ist gesagt worden, dass das Thema Europa den Menschen auch hier in Niedersachsen jeden Tag begegnet. Dennoch fühlen sich viele über die Europäische Union nicht ausreichend informiert. Die Kluft, die nicht nur in Deutschland zwischen den politischen Eliten sowie den Bürgerinnen und Bürgern entstanden ist, hat zu einem erheblichen Vertrauensverlust auch gegenüber der europäischen Politik geführt. Die gescheiterten Referenden in Frankreich und in den Niederlanden sind ein Beleg dafür. Jetzt steht die Europäische Union vor einer der schwersten Bewährungsproben ihrer bisherigen Erfolgsgeschichte. Ein „Weiter so wie bisher“ kann es nicht geben. Auch ein bloßes Warnen vor einem endgültigen Scheitern des Verfassungsprozesses, wie Sie es in Ihrem Antrag tun, reicht nicht aus. Welche politischen Konsequenzen die Regierungsfraktionen dieses Hauses aus den gescheiterten Referenden ziehen wollen, bleibt im Dunkeln.

Wie soll es jetzt weitergehen? Welchen Beitrag kann Niedersachsen, kann das Parlament, kann die Landesregierung dazu leisten, um das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in die EU zu gewinnen? Wie begegnet die EU den Sorgen und Ängsten der Menschen um die eigene soziale und wirtschaftliche Situation? - Auf diese Fragen müssen wir auch in Niedersachsen eingehen. Davon lese ich in Ihrem Antrag aber nichts.

Sie wollen eine offene und ehrliche Debatte über die Erweiterungskapazitäten in der EU. Es reicht aber nicht, diese Debatte nur zu fordern; Sie müssen auch klar Stellung beziehen. Davor aber scheuen Sie zurück. Mit Ihrer Forderung, die Regierungen in Europa sollten dem Eindruck entgegentreten, weitere Beitritte seien praktisch beschlossene Sache - Herr Dinkla, Sie haben das hier noch einmal zum Ausdruck gebracht -, liegen Sie schlicht und einfach falsch. Denn alle Balkanländer haben langfristig eine Beitrittsperspektive, sobald sie die Kopenhagener Kriterien erfüllen.

Ihr Antrag enthält Forderungen nach einer auf Menschenrechten basierenden EU-Wertegemeinschaft. Gleichzeitig erwecken Sie aber den Eindruck, diese Wertegemeinschaft sei durch die Er

weiterungen gefährdet. Meine Damen und Herren, das sehe ich völlig anders. Gerade die konsequente Beitrittsperspektive in Verbindung mit den klaren Aufnahmestandards der Kopenhagener Kriterien hat in den Beitrittsländern insbesondere diejenigen Kräfte gestärkt, die für Demokratie sowie Menschen- und Minderheitsrechte eintreten. Das trifft im Übrigen auch auf die Türkei zu. Erweiterungspolitik ist eine höchst erfolgreiche Menschenrechtspolitik. Daher begrüßen wir die kürzlich mit der Türkei aufgenommenen Beitrittsverhandlungen.

Meine Damen und Herren, in Ihrem Antrag bekennen Sie sich zu Kürzungen im EU-Haushalt. Sie drücken sich allerdings auch hier um eine klare Aussage darüber, wo Sie kürzen wollen, wenn weniger Geld auf immer mehr Staaten verteilt werden soll. Im Grunde genommen bleibt nur eine Kürzung im Agrarhaushalt. Das aber sagen Sie hier nicht.

Diese Entschließung wird dem Anspruch ihres Titels „Für ein starkes Niedersachsen in Europa“ in keiner Weise gerecht, meine Damen und Herren. Hier werden Worthülsen aneinander gereiht, klare Aussagen und Positionen vermieden. Sie schüren weiter eine unterschwellige Europafeindlichkeit, indem Sie das Bild verstärken, die Europäische Union sei ein netter bürokratischer Serviceladen in Brüssel, der Fördermittel verteile und sich ansonsten nicht um das kümmern solle, was die Mitgliedstaaten nicht selbst machen wollen.

Niedersachsen wird nur dann stark in Europa, wenn wir die Menschen in Niedersachsen für Europa, für die politische Union sowie für das weitere Wachsen und Zusammenwachsen gewinnen. Die Europäische Union ist und bleibt der Garant für wirtschaftliche, politische und soziale Stabilität auch in Niedersachsen. Das, meine Damen und Herren, müssen wir als Politiker vermitteln.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Für die FDP-Fraktion hat nun Frau Kuhlo das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! „Für ein starkes Niedersachsen in Europa“ - es könnte auch heißen: Ein starkes Europa ist gut für Niedersachsen. - Obwohl Nettozahler, hat bisher kein Land so von Europa profitiert wie

Deutschland. Auch Niedersachsen ist eine der Regionen, die aufgrund ihrer geografischen Lage und ihrer exportorientierten Wirtschaftsstruktur zu den Gewinnern innerhalb der EU und zu den Gewinnern der EU-Osterweiterung gehören. Dennoch gibt es Hemmnisse und berechtigte Kritik von Bürgern und Unternehmen an den zurzeit herrschenden Verhältnissen in der EU. Diese Kritik hat eine bremsende Wirkung auf die Akzeptanz und den weiteren Ausbau des Binnenmarktes. Hier liegt eine ernste Gefahr für Europa und damit auch für Niedersachsen.

Damit das niedersächsische Potenzial innerhalb Europas gesichert und weiter ausgeschöpft werden kann, müssen wir alle in Europa jetzt unsere Hausaufgaben machen. Dazu ist es dringend notwendig, dass sich Europa weiterentwickelt, indem es sich eine Verfassung gibt, dass klar wird, wo die zukünftigen Grenzen Europas liegen, dass Brüssel die EU-Bürger nicht mit Bürokratie erstickt, dass der Subsidiaritätsgedanke wieder über Kompetenzverteilung entscheidet, dass der Finanzrahmen schnell und straff gesteckt wird und dass mit jeder Rechtssetzung eine Gesetzesfolgenabschätzung vorgenommen wird, die sich primär an den Zielen Wachstum und Beschäftigung im Sinne der überarbeiteten Lissabon-Strategie orientiert.

(Beifall bei der FDP)

Die im Verfassungsprozess vereinbarte Denkpause muss als Pause zum Nachdenken genutzt und darf aber nicht als Pause beim Denken missverstanden werden. Ziel sollte es sein, die Verfassung zu entrümpeln, sie auf das Notwendige zu beschränken und sie für alle Menschen verständlich und nachvollziehbar zu machen.

(Beifall bei der FDP)

Der Erweiterungsprozess über die künftig mit Rumänien und Bulgarien 27 Mitgliedstaaten hinaus muss sehr defensiv und unter strenger Beachtung der Kopenhagener Kriterien geführt werden. Viele befürchten schon heute, dass Erweiterungs- und Vertiefungsprozess aus dem Gleichgewicht geraten. Das gilt sowohl für die Verhandlungen mit Kroatien und mit der Türkei, die inzwischen begonnen haben und die wir als FDP ergebnisoffen führen wollen,

(Zustimmung bei der FDP)

als auch für die weiteren Antragsteller Mazedonien und Albanien. Auch einige Staaten des westlichen

Balkan machen sich ja schon Hoffnungen, die zurzeit aber wohl kaum realistisch erscheinen.

Bürokratieabbau und konsequentes Handeln nach dem Prinzip der Subsidiarität müssen und können die Sympathiewerte der EU bei den Menschen in Deutschland und in Niedersachsen wieder anheben. Leider hat die britische Präsidentschaft so gut wie keine Fortschritte auf den genannten Handlungsfeldern gebracht, sodass sich die Hoffnungen nun auf Österreich konzentrieren. Insbesondere hinsichtlich der finanziellen Vorausschau muss Anfang 2006 ein Verhandlungsergebnis her, damit die EU auf diesem Feld handlungsfähig bleibt. Selbst bei Einhaltung des 1-%-Szenarios würde sich der deutsche Beitrag nach Berechnungen der Bundesregierung um 10 Milliarden Euro erhöhen.

Meine Damen und Herren, daran, dass Europa weit mehr ist als eine Freihandelszone mit einer weitgehend einheitlichen Währung, zweifeln die Menschen nach 60 Jahren Frieden in Europa nicht mehr. Aber gerade wir in den Landesparlamenten und in den Landesregierungen müssen weiter daran arbeiten, dass sich Europa auch als Wertegemeinschaft einen festen Platz nicht nur in den Köpfen, sondern auch in den Herzen der Menschen sichert. - Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Für die Landesregierung hat nun Frau Ministerin Heister-Neumann das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Europäische Union befindet sich in einer Krise. Wer daran noch gezweifelt hat, wurde spätestens beim Europäischem Rat im Juni eines Besseren belehrt. Nationale Egoismen ausgerechnet der wohlhabendsten Mitgliedstaaten der Europäischen Union haben seinerzeit zum Scheitern des Gipfels geführt. Verfassungs- und Haushaltskrise haben das Ansehen der EU in Deutschland stark negativ beeinflusst. In gleichem Maße ist aber auch die Zustimmung zum EU-Verfassungsvertrag zurückgegangen. In Deutschland sank sie seit Herbst 2004 binnen Jahresfrist von 78 auf 59 %. Die EU steckt in einer Sackgasse. Nicht zuletzt vor diesem Hintergrund ist auch der vorliegende Entschließungsantrag der Fraktionen von

CDU und FDP für ein starkes Niedersachsen in Europa zu sehen.

Meine Damen und Herren, es liegt auf der Hand, woran Europa derzeit krankt. Die Europäische Union hat im Laufe der Jahre die Bodenhaftung, den Kontakt zu ihren Bürgerinnen und Bürgern und damit auch deren Vertrauen und Zustimmung verloren. Der negative Ausgang der Verfassungsreferenden in Frankreich und den Niederlanden hat eines ganz deutlich gemacht: Vieles wurde zu schnell oder auf einmal gewollt. Die Menschen wurden nicht mehr mitgenommen. - Hier gilt es anzusetzen und neues Vertrauen aufzubauen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, eines der drängendsten Probleme in Europa und in Deutschland ist die weitgehend ungeklärte Integrationsfrage. Das Zusammenleben zwischen Deutschen und Ausländern ist in vielen Teilen problemlos; es ist selbstverständlich geworden. Was wir aber nicht zulassen können und dürfen, ist die Entstehung von Parallelgesellschaften. Die aktuellen Ereignisse in Frankreich zeigen, wohin derartige gesellschaftspolitische Fehlentwicklungen führen können. Das kulturelle Miteinander und die gegenseitige Bereicherung durch kulturelle Erfahrungen aus anderen Ländern stoßen dort an ihre Grenzen, wo der Minimalkonsens zur Freiheit, der Menschenwürde und der Gleichberechtigung nicht mehr eingehalten wird.

(Zustimmung bei der FDP)

Für das Zusammenleben mit Ausländern ergeben sich daraus Konsequenzen. Menschen unterschiedlicher Herkunft können in einem freiheitlichen Land nur auf der Grundlage allgemein akzeptierter Werte gemeinsam ihre Zukunft gestalten. Eine erfolgreiche Einwanderungs- und Integrationspolitik muss darüber hinaus in Deutschland darauf bestehen, dass die deutsche Sprache auch gesprochen wird. Dies ist nicht nationaler Sprachchauvinismus, sondern schlicht Grundvoraussetzung eines friedlichen Miteinanders in unserem Land. Einwanderung und Integration von Ausländern, die wir wollen und die wir fördern müssen, braucht Orientierung an allgemeinen Wertmaßstäben und eine auch rein sprachliche Verständigungsebene.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, wichtig für die Zukunft und die Leistungsfähigkeit der EU ist auch die Frage, unter welchen Voraussetzungen sie sich weiter vergrößert. Die EU muss in der