denn die hat - ich hoffe, das hat Ihnen in der Zwischenzeit jemand gesagt - einen höheren Rang als Ihre Koalitionsvereinbarung. Wenn sich diesbezüglich etwas widerspricht, sollten Sie sich über den Koalitionsvertrag hinwegsetzen und nicht über die Verfassung.
(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN - David McAllister [CDU]: Kein einziges Wort zu Ihrem Gesetz, Herr Bartling, warum nicht? Lösch- blattbohrer!)
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Bartling, Ihre Ausführungen über Küche und Herd will ich zum Anlass nehmen, auf Ihre Rede zu antworten. Wissen Sie, wer seinen Herd überhaupt nicht anbekommt, weil ihm die Energie fehlt, der kann sich daran auch nicht die Finger verbrennen.
Das, was Sie hier geboten haben, war außerordentlich dürftig. Zu Ihrem Gesetzentwurf, den Sie hier eingebracht haben, haben Sie kein einziges Wort gesagt.
(Beifall bei der CDU und bei der FDP - David McAllister [CDU]: Kein einziges Wort, kein einziges Wort! Sie Lösch- blattbohrer!)
Ich meine, dass das Thema viel zu ernst ist, als dass man es so bearbeiten kann, wie Sie es hier getan haben, indem Sie sozusagen die Zitatensammlung aller niedersächsischen Zeitungen, die auch wir lesen, vorgestellt haben. Sie haben darüber aber Ihre Haltung zu einem der in der Innenpolitik in der Bundesrepublik Deutschland drängendsten Probleme völlig vergessen, nämlich z. B. der Schutz der Bevölkerung vor Terrorismus. Darauf sollten Sie eine Antwort finden, anstatt hier mit Zitaten herumzukaspern. Das ist der Situation allemal nicht angemessen.
Jetzt will ich, wie es sich gehört, etwas zu Ihrem Gesetzentwurf sagen. Sie haben ihn eingebracht. Das ist auch Ihr Recht. Ich kann Ihnen sagen, dass der Gesetzentwurf aus juristischer Sicht mehr als fragwürdig und aus politischer Sicht überflüssig ist.
Ich möchte das gerne begründen. Der Gesetzentwurf zur Änderung des Niedersächsischen Gesetzes über die öffentliche Sicherheit und Ordnung sieht im Wesentlichen eine Neufassung des § 33 a
Abs. 1 Satz 1 vor. In der Begründung weisen Sie, Herr Kollege Bartling, darauf hin, dass das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung vom 27. Juli den § 33 für nicht mit dem Grundgesetz vereinbar halte und - das haben Sie soeben freundlicherweise angesprochen, ohne allerdings weiter darauf einzugehen; das ist aber der entscheidende Punkt diese entsprechenden Abschnitte für nichtig erklärt habe. Wenn Sie richtig zitiert hätten, dann hätten Sie uns erzählen müssen, was juristisch gemeint ist, wenn etwas für nichtig erklärt wird. Die Nichtigkeit einer Norm bedeutet, dass sie von Anfang an unwirksam ist. Durch die Nichtigkeitserklärung des Bundesverfassungsgerichts wird die verfassungswidrige Norm formell beseitigt. Das heißt, dass das für nichtig erklärte Gesetz nicht mehr angewendet werden darf. Wenn es sich mit der Nichtigkeit so verhält, dann frage ich mich natürlich, warum Sie hierzu überhaupt einen Gesetzentwurf einbringen.
- Ich kann doch nichts dafür, dass Sie Ihre Redezeit nicht richtig ausschöpfen bzw. darin nicht die richtigen Schwerpunkte setzen.
Sie haben hier den Eindruck erweckt, als hätte die Koalition mit dem Polizeigesetz ein insgesamt verfassungswidriges Instrument geschaffen. Ich sage hier sehr deutlich, dass das nicht der Fall ist. Die präventive Telefonüberwachung als Instrument und als solches ist vom Bundesverfassungsgericht nicht für verfassungswidrig erklärt worden. Das hat Konsequenzen. Mit Ihrer Haltung bewirken Sie, dass Sie auf das ganze Instrument verzichten. Das Bundesverfassungsgericht hat aber beanstandet, dass in dem Gesetz nicht im Einzelnen Tatbestände benannt werden, bei deren Vorliegen die präventive Telefonüberwachung zulässig ist.
Sie machen es sich wie bei vielem anderen schlicht zu einfach, indem Sie entscheiden, darauf zu verzichten. Wir haben in der Koalition vereinbart, uns die Begründung des Gerichts genau anzuschauen. Wir werden ausloten, ob es wirklich Tatbestände gibt, die nach unserer Auffassung in das Gesetz aufgenommen werden können. Das heißt, dass das Bundesverfassungsgericht nicht das Instrument als solches infrage gestellt hat, wohl aber festgestellt hat, dass Telefonüberwachung nicht vorgenommen werden kann, ohne dass bestimmte Tatbestände genannt werden.
Herr Bartling, Sie haben sich hier so aufgeführt, als wären Sie oder die SPD-Fraktion von Anfang an der Meinung gewesen, dass das alles verfassungswidrig sei. Vor diesem Hintergrund frage ich Sie, warum Sie nicht Klage erhoben haben. Die Klage haben doch nicht Sie erhoben, sondern ein Richter aus Oldenburg. Sie waren es jedenfalls nicht. Herr Kollege Briese, nun weiß ich aus langer Oppositionszeit, dass man sich dann, wenn man sich in der Opposition befindet, hier und da über Erfolge freut, die man im Parlament niemals erzielen kann. Dafür habe ich auch menschlich Verständnis. Wenn man stets keine Mehrheit hat, dann wartet man darauf, dass ein Gericht einem Recht gibt. In diesem Fall haben Sie aber noch nicht einmal geklagt. Insofern schmücken Sie sich hier mit fremden Federn.
Die SPD kann natürlich eine Politik verfolgen, bei der man unabhängig davon, wie sich die Welt im Negativen wie im Positiven weiterentwickelt, nichts unternimmt und alles beim Alten lässt. Auf diese Art und Weise kann man aber unserer Meinung nach Politik nicht mehr angemessen gestalten. Wir sagen: Lieber handeln und mal einen Zentimeter über das Ziel hinausschießen, als nicht zu handeln und immer meilenweit hinterherzuhinken! Das ist mit einem gewissen Risiko verbunden.
Herr Bartling hält uns vor, wir beachteten die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts nicht. Das ist aber nicht richtig. Wir werden das prüfen und überlegen, welche Konsequenzen wir ziehen werden. Dann werden wir gemeinsam mit unserem Koalitionspartner einen Weg finden, das Gesetz so zu formulieren, dass es verfassungskonform ist und den Vorstellungen der Fraktionen entspricht. Insofern brauchen Sie keine Angst zu haben.
dass das, was Sie hier vortragen, nicht kompatibel mit dem ist, was Ihr Bundesinnenminister zum Besten gibt. Ich habe nicht so viele Zitate bei der Hand wie Herr Bartling, aber möchte einmal Herrn Schily vom 13. Juli unter der Überschrift „Islamisten werden jetzt ‚live‘ abgehört“ wörtlich zitieren. Dort heißt es:
„Die deutschen Sicherheitsbehörden haben die Überwachung bekannter Extremisten in den letzten Tagen deutlich verstärkt.“
„Seit dem Wochenende werden alle derzeit laufenden Telefonüberwachungen ‚live‘ von Beamten begleitet und nicht mehr zeitversetzt ausgewertet.“
Der Schily macht ja nach Ihren Worten das, was alles nicht verfassungskonform ist, weil er im Gegensatz zu Ihnen - das muss man einmal lobend erwähnen - durchaus das erkennt, was im Moment uns alle bewegt: Es gibt eine Bedrohung durch Terroristen. Es gibt diese Bedrohung auch für Deutschland. Wir müssen im Interesse der Menschen und ihrer Sicherheit wachsam sein. Deswegen werden wir uns daran orientieren. Wir werden uns auch daran orientieren, dass die Gesetze rechtskonform und den Erfordernissen des Bundesverfassungsgerichts entsprechend formuliert sind. - Vielen Dank.
Herzlichen Dank, Herr Kollege Biallas. - Im Übrigen gilt für alle Parteien dieses Hauses, für alle Ansprechpartner, in diesem Fall für den Herrn Minister Schily, das Wort „Herr“ voranzustellen. Ich bin der Meinung, dass wir insoweit alle gleich behandeln sollten.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Um gleich auf ein Argument von Herrn Biallas zu reagieren: Sie haben beklagt, dass die Opposition - wir als Grüne sind ja auch Opposition - nicht die Gelegenheit gesucht habe, diese polizeigesetzliche Regelung durch den Staatsgerichtshof überprüfen zu lassen. Vielleicht wissen Sie nicht, dass wir als Fraktion der Grünen nicht das nötige Quorum erfüllen, um ein solches Verfahren allein durchführen zu können.
Das ist meine Antwort für die Grünen zu diesem Thema. Natürlich haben wir geprüft, ob wir diesen Weg gehen können.
Meine Damen und Herren, das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 27. Juli ist eine schallende Ohrfeige für diese Landesregierung.
Die Bestimmungen zur verdachtsunabhängigen Telefonüberwachung in § 33 a des Gesetzes sind nicht einfach nur für rechtswidrig bzw. verfassungsrechtswidrig erklärt worden; sie sind vielmehr - Herr Biallas hat das sehr schön auseinander gedröselt - für nichtig erklärt worden. „Nichtig“ ist im Sinne der juristischen Definition eine Steigerung gegenüber „rechtswidrig“. Diese Regelung des § 33 a ist ein derart gravierender Verstoß gegen das Fernmeldegeheimnis des Grundgesetzes, dass sie nicht nur verfassungsrechtswidrig ist, sondern von Anfang an nicht geltendes Recht war, obwohl sie im Gesetz stand.
In einem Kommentar in der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung vom 19. April 2005 hieß es - ich zitiere -:
„Nun, nachdem in der Verhandlung vor dem Bundesverfassungsgericht erhebliche Einwände laut wurden, fallen die Mängel auf. Mutig wäre es, wenn die Regierung ein womöglich vernichtendes Urteil aus Karlsruhe gar nicht erst abwartet, sondern gleich die umstrittenen Vorschriften abändert.“
Da die Landesregierung diesen Mut nicht aufgebracht hat und nicht einmal jetzt schnelle Konsequenzen aus der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ziehen will, ist der Antrag der SPDFraktion genau richtig platziert, obwohl er im Hinblick auf die Frage der Nichtigkeit sozusagen eine Verdoppelung ist, wie Herr Biallas eben so schön ausgeführt hat. Denn er fordert, jetzt unverzüglich Konsequenzen zu ziehen.
Meines Erachtens geht der Antrag der SPDFraktion allerdings nicht weit genug. Denn im Lichte dieses Urteils sowie des Urteils des Bun
desverfassungsgerichts aus dem Jahr 2004 zum so genannten großen Lauschangriff müsste eine ganze Reihe weiterer Bestimmungen des Polizeigesetzes und des Verfassungsschutzgesetzes einer Korrektur unterworfen werden. Der Antrag, den wir bereits im April letzten Jahres eingebracht haben, wird seitdem im Innenausschuss immer mal wieder aufgerufen und dann vertagt. Ich denke, es ist jetzt höchste Zeit, diesen Antrag so zu behandeln, dass man weitere Korrekturen aufgrund der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Kenntnis nehmen kann.
Wer jetzt allerdings, meine Damen und Herren, bei Herrn Minister Schünemann Einsicht erwartet, der irrt. Vor wenigen Wochen hat er auf Nachfrage, welche Konsequenzen er aus der Entscheidung ziehen wolle, erklärt - ich zitiere -: „Wir brauchen die Telefonüberwachung zur Bekämpfung des Terrorismus.“ Damit ignoriert er die Feststellung des Bundesverfassungsgerichts, dass die vorbeugende Telefonüberwachung gegen das Fernmeldegeheimnis im Grundgesetz verstößt. Die verfassungswidrige Telefonüberwachung soll also offensichtlich durch Umformulierung gerettet werden. Hätte der Minister das Urteil zur Kenntnis genommen - konkret Seite 61 -, so hätte er lesen können - Zitat -:
„Die Regelungen des § 33 a... sind mit Art. 10 GG unvereinbar und nichtig. Hinreichende Möglichkeiten einer einengenden Auslegung zur Vermeidung des Verfassungsverstoßes bestehen nicht. Eine Rechtfertigung, die Normen auch nur teilweise weiterhin anzuwenden, ist nicht erkennbar.“
- Ein letzter Satz, wenn Sie gestatten. Weil ich die Uhr nicht im Blick habe, wusste ich nicht, dass ich schon so viel Zeit verbraucht habe.
- Ich darf in dieser Sitzungsperiode zum ersten Mal an diesem Podium stehen; deswegen merke ich das erst jetzt.