Protocol of the Session on June 23, 2005

In der Anhörung des Rechtsausschusses - Herr Wiese, das will ich Ihnen noch einmal sagen; es wurde auch im Plenum schon mehrfach erwähnt gab es so gut wie keine Unterstützung für die Abschaffung.

(André Wiese [CDU]: Das ist falsch!)

Jetzt davon zu reden, es gebe keine Fachleute, die sagen, das Widerspruchsverfahren sei gut und richtig gewesen, es gäbe also in der politischen Debatte gar keine Unterstützung für die Wiedereinführung, ist wirklich völlig daneben.

(Zuruf von der CDU: Das hat er gar nicht gesagt!)

Das stimmt überhaupt nicht. Sie wissen ganz genau, dass die Praktiker und Fachleute Alarm schlagen und die Wiedereinführung fordern.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, in der öffentlichen Debatte habe ich auch schon sehr viel moderatere Stimmen gehört. Der Fraktionsvorsitzende der CDU hat gesagt, wenn es Fehlentwicklungen gibt, wollen wir nachsteuern. Auch Herr Lehmann hat in der ersten Beratung sehr moderat argumentiert und gesagt, wenn es Probleme gibt, dann wollen wir nachsteuern. Er hat nicht gesagt, wir werden das in einem Fünfjahresplan durchziehen. Mich wundert übrigens, dass Sie so große Anhänger von Fünfjahresplänen sind. Das kennt man sonst nur aus ganz anderen Ideologien.

Es gibt nach wie vor Unsicherheiten hinsichtlich der Filterwirkung des Vorverfahrens. Das ist der Streitpunkt. Es wird gern behauptet, der Filter mache überhaupt keinen Sinn und sei überflüssig, weil 90 % der Ausgangsbescheide nicht geändert, sondern bestätigt würden. Darum geht es in der Debatte. Natürlich hat die Kontrolle trotzdem eine

befriedende Wirkung; das ist doch ganz klar. Wenn nach dieser Kontrolle in der zweiten Instanz der Ausgangsbescheid bestätigt wird, ziehen viele Bürger eben nicht mehr vor das Verwaltungsgericht. Das ist die positive Wirkung dieses Filters. Diesen Filter gibt es jetzt nicht mehr, also zieht der Bürger sofort vor Gericht. Das ist der Grund für die momentane Aufgabenüberlastung.

Wir Grünen wollen auf jeden Fall eine sehr viel schnellere Evaluierung. Wir wollen keine Fünfjahrespläne hinsichtlich der Evaluierung. Unser Kompromiss sieht vor, zwar bis zum Ende des Jahres abzuwarten, dann aber eine ernsthafte Debatte darüber zu führen, ob wir das Widerspruchsverfahren wieder einführen oder nicht.

Eine Änderung der Abgabenordnung, wie sie der Innenminister jetzt vorsieht, ist für uns nur die zweitbeste Lösung. Wir wollen belastbares Material, aber bis Ende des Jahres muss eine Evaluierung stattfinden. Deswegen geht der SPD-Antrag zumindest in die richtige Richtung. Wir können das jetzt nicht einfach so weiterführen und sagen, die Verwaltungsreform war eine gute Sache. Es kann nicht sein, dass der Alles-Zermalmer Schünemann alles kaputt macht und den Bauschutt den Gerichten vor die Haustür schmeißt. So geht das nicht, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Der nächste Redner ist Carsten Lehmann von der FDP-Fraktion.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Dieser Antrag ist schon deshalb abzulehnen, weil er auf einer völlig ungesicherten Erkenntnislage basiert.

(Zuruf von Heike Bockmann [SPD])

- Frau Bockmann, ganz ruhig! Erst zuhören, dann meckern.

Der am 10. Mai 2005 gestellte Antrag berücksichtigt lediglich einen Betrachtungszeitraum von drei Monaten. Noch bis Ende Januar sind die Klagen gegen die Widerspruchsbescheide nach der bisherigen Regelung eingereicht worden. Wenn Sie in Ihrem Antrag von einem Zeitraum „innerhalb eines

knappen halben Jahres“ sprechen, dann ist das schlicht falsch. Das halbe Jahr ist bekanntlich erst am 30. Juni zu Ende.

Der Antrag ist aber auch deshalb abzulehnen, weil er inhaltlich nichts enthält, was nicht schon immer gegen die teilweise Abschaffung der Widerspruchsverfahren angeführt wurde. Sie haben im Prinzip nichts Neues gesagt, sondern gegen die Abschaffung der Widerspruchsverfahren das angeführt, was Sie auch vorher schon immer vorgebracht haben. Die Gefechtslage ist also nach wie vor dieselbe. Argumentiert wird lediglich mit Befürchtungen und Vermutungen, gestützt auf Spekulationen.

Es dürfte unstreitig sein, dass für jede seriöse empirische Betrachtung eine gesicherte Datenbasis vorliegen muss. Ich will hier gar nicht bestreiten, dass die Zahl der bei den Verwaltungsgerichten eingegangenen Klagen tatsächlich gestiegen ist, und auch nicht, dass die Zahlen recht hoch sind. Um die Auswirkungen der teilweisen Abschaffung der Widerspruchsverfahren ernsthaft beurteilen zu können, ist es aber viel zu früh. Natürlich ist die Zahl der Klageverfahren angestiegen. Wenn keine andere Möglichkeit des Rechtsschutzes besteht, muss ja geklagt werden. Was sollen die Bürgerinnen und Bürger denn sonst machen? Aber das war ja von vornherein klar.

Die entscheidende Frage ist doch: Verschlechtert sich jetzt der Rechtsschutz der Bürgerinnen und Bürger? - Das aber ist letztlich keine Frage der Klage- und Widerspruchsmöglichkeiten als solcher, sondern es kommt darauf an, ob die überwiegende Zahl der Widerspruchsverfahren erfolgreich war. Würden wir erfolgreiche Rechtsschutzmöglichkeiten verhindern, wäre unsere Entscheidung falsch gewesen. Stellt sich aber heraus, dass die jetzt eingereichten Klagen erfolglos waren, hätte auch ein vorausgehendes Widerspruchsverfahren nichts genützt.

Um diese Erkenntnis zu gewinnen und auch eine Bewertung vornehmen zu können, bedarf es aber eines längeren Zeitraumes als diese drei Monate, die bis zur Einbringung Ihres Antrag betrachtet werden konnten. Über die Klagen muss erst einmal entschieden werden. Außerdem muss eine gewisse Kontinuität eintreten. Wie gesagt: Am Anfang wird erst einmal vermehrt geklagt. Wenn sich die Bürger und Behörden jedoch besser auf die neue Rechtslage eingestellt haben, mag sich dieses Verhalten ändern.

Unser Ziel ist es, den Dialog, die Kommunikation zwischen den Bürgerinnen und Bürgern auf der einen und den Behörden auf der anderen Seite vor dem Erlass der Verwaltungsakte zu verbessern; das klang eben auch schon in den Ausführungen des Kollegen Wiese an. Wollen die Behörden also das Risiko vermindern, eine Klage zu verlieren - dieses Risiko ist ja genauso hoch wie das der Bürgerinnen und Bürger, eine Klage zu verlieren -, dann müssen sie ihre Verwaltungsakte sorgfältig vorbereiten.

Die in dem Antrag ebenfalls angesprochene Mediation bzw. Streitschlichtung wird somit schon vorverlagert. Sie soll zur Streitvermeidung eben vor Erlass eines Verwaltungsaktes stattfinden. In Massenverfahren spricht übrigens nichts gegen einen Verzicht auf die Rechtsbehelfsbelehrung. Es handelt sich hierbei um eine gesetzlich vorgesehene Regelung. Wenn nämlich die Rechtsbehelfsbelehrung fehlt, gilt automatisch die Jahresfrist.

Einen letzten Aspekt will ich noch aufgreifen: Widerspruchsverfahren sind nicht unbedingt geeignet, den Bürgern schnell zu ihrem Recht zu verhelfen. Gerade in diesen Verwaltungsverfahren wurde eine Entscheidung oftmals sehr lange verschleppt, was ich aus eigener anwaltlicher Erfahrung durchaus bestätigen kann. Nachforschungen zogen sich in die Länge, und Untätigkeitsklagen wurde durch begründete Zwischennachrichten der Wind aus den Segeln genommen. Bis dann endlich ein Widerspruchsbescheid erlassen wurde, vergingen oftmals viele Monate. Wenn dann immer noch nicht im Sinne des Adressaten entschieden wurde, musste geklagt werden. Dann war aber schon viel Zeit verloren. Jetzt wird die endgültige Klärung wesentlich schneller herbeigeführt.

Unter dem Strich bleibt es dabei: Zu diesem Zeitpunkt ist es völlig verfrüht, die teilweise Abschaffung der Widerspruchsverfahren zu kritisieren. Weil das für uns von CDU und FDP klar war, haben wir die Evaluation nach einem belastungsfähigen Zeitraum im Gesetz verankert. Das war richtig und vernünftig. Für Schnellschüsse sind wir nicht zu haben. Deshalb werden wir Ihren Antrag ablehnen. - Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Als nächste Rednerin hat die Justizministerin das Wort. Bitte schön, Frau Heister-Neumann!

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Dieser Entschließungsantrag entstammt meines Erachtens einem Staatsverständnis des letzten Jahrhunderts. Damit meine ich nicht das Ende, sondern den Anfang des letzten Jahrhunderts. Der Umgang des Staates mit seinen Bürgerinnen und Bürgern hat sich allerdings seit dieser Zeit entscheidend verändert; ich hoffe, darüber sind wir uns einig. Die Bürgerinnen und Bürger wollen fehlerfreie Entscheidungen, und sie wollen eine zeitnahe Reaktion des Staates. Beides kann die Abschaffung des Widerspruchsverfahrens in geeigneten Fällen fördern. Lassen Sie mich dazu einige grundsätzliche Ausführungen machen.

Seit Anfang des Jahres ist in Niedersachsen das verwaltungsgerichtliche Vorverfahren in den meisten Rechtsbereichen für fünf Jahre ausgesetzt. Die Landesregierung hat damit wichtige Voraussetzungen für eine Beschleunigung der Verfahren innerhalb der Landes- und der Kommunalverwaltung geschaffen.

Mit der Abschaffung der Bezirksregierungen ist eine Behörde aufgelöst wurden, die in hohem Maße mit der Bearbeitung von Vorverfahren im übertragenen Wirkungskreis der Kommunen beschäftigt war. Wir haben aus guten Gründen nicht vorgeschlagen, diese Aufgabe schlicht umzuverteilen. Als Ergebnis der Aufgabenkritik, der auch die Widerspruchsverfahren unterzogen wurden, ist festgestellt worden: Vorverfahren führen in den allermeisten Fällen nicht zu einer Änderung des Ausgangsbescheides. Der Anteil der Bescheide, die im Rahmen eines Vorverfahrens geändert wurden - die so genannte Abhilfequote -, lag im Schnitt der Jahre 2002 und 2003 bei 15 %.

(Heike Bockmann [SPD]: Das stimmt doch nicht!)

Der Anteil der erfolgreichen Klagen gegen Ausgangsbescheide in der Fassung der bestätigenden Widerspruchsbescheide lag auch nur bei etwa 5 %, in vielen Rechtsgebieten bei 0 %.

Diese Zahlen sind im Gesetzgebungsverfahren erörtert worden. Niemand, auch die SPD-Fraktion nicht, Frau Bockmann, hat sie in den Beratungen angezweifelt. Aus dieser Feststellung sind Konsequenzen zu ziehen. Das Vorverfahren ist zwar nicht fristlos und nicht formlos, aber eben häufig fruchtlos.

Die Zahlen besagen doch, dass die Ausgangsbescheide seit Jahren durchaus gut sind und deshalb im Vorverfahren Bestand haben. Manche kommunalen Vertreter haben mir berichtet - im Übrigen weiß ich das auch aus eigener Anschauung -, dass die sorgfältigen Nichtabhilfevermerke der Ausgangsbehörden von den Bezirksregierungen fast wortgleich als Widerspruchsbescheid verwendet werden konnten. Ich bin davon überzeugt, die Kommunalverwaltungen arbeiten hier hervorragend. In den wenigsten Rechtsgebieten bedürfen sie noch einer verwaltungsinternen Kontrolle.

Meine Damen und Herren, die Länder Bayern, Baden-Württemberg, Hessen und Sachsen-Anhalt haben inzwischen viele Vorverfahren abgeschafft, nicht alle, aber viele. Das Land Hessen hat einen Entwurf im parlamentarischen Verfahren, in dem nach dem Vorbild Baden-Württembergs die Vorverfahren gegen die Bescheide der Mittelinstanz abgeschafft werden und kommunale Vorverfahren einstufig ausgestaltet werden. Auch in den Ländern, die sich für die Erhaltung der Mittelinstanz entscheiden wollen, wird der teure Instanzenstaat zurückgedrängt.

Unstrittig ist: Die Bürger möchten nicht sofort klagen, und auch die Behörde möchte nicht sofort verklagt werden. Wir wissen auch - und die Zeit seit dem Jahreswechsel hat das bestätigt -, dass die Behörden und die Bürgerinnen und Bürger nicht so phantasielos sind, wie es die SPDFraktion offenbar glaubt. Die Kommunen haben die Bürgerinnen und Bürger umfassend und offensiv über die neuen Beschwerdemöglichkeiten informiert. Ihnen wurde geraten, anstatt zu klagen sich schriftlich oder telefonisch an die Behörde zu wenden, um dann auch gemeinsam Fehler auszuräumen. Ich muss auch einmal darauf hinweisen: Die Verwaltungsbehörde ist jederzeit berechtigt, selbst einen Abhilfebescheid zu erlassen und ihren eigenen Bescheid zu ändern.

Seit der Abschaffung von Vorverfahren beraten die Behörden noch mehr, sie hören sorgfältiger an, ermitteln mehr und hören im Konfliktfall auch noch mehr zu.

(Ralf Briese [GRÜNE]: Können Sie das belegen?)

Dies ist Teil eines modernen Beschwerdemanagements, das von den Kommunen, aber auch von den Landesbehörden aufgebaut wird und das den veränderten Umgang - darauf kommt es auch an

von Bürgerinnen und Bürgern mit ihrem Staat auszeichnet. Es gibt in dem modernen Beschwerdemanagement eben mehr als nur die förmlichen Rechtsbehelfe Widerspruch und Klage.

Die Landesregierung hat sei Herbst 2004 viele Kommunen, Behörden und Einrichtungen im Umgang mit der neuen Rechtslage eingehend beraten. Viele Verwaltungen unternehmen große Anstrengungen, um zeitraubende Konflikte zu vermeiden. Statt Konflikte auf die Gerichte zu delegieren, verändern sie ihren Umgang mit den Bürgerinnen und Bürgern, verbessern dadurch insgesamt die Qualität und tragen sehr wohl zu mehr Rechtsfrieden bei.

Meine Damen und Herren, manche Verwaltungsgerichte haben Zahlen veröffentlicht, die besagen, dass die Klageverfahren zugenommen haben. Das ist zwar Fakt, die Zahlen sind allerdings sehr wohl noch von Altverfahren geprägt, in denen es noch ein Vorverfahren gab. Zusätzliche Prozesse hat in 2005 auch neues Bundesrecht verursacht. Ich nenne beispielsweise das neue Zuwanderungsgesetz. Aus anderen Ländern wissen wir, dass es nach einer solchen Reform zunächst einen sehr beachtlichen Anstieg der Klageverfahren gegeben hat. Die Zahl der Klageverfahren wird sich aber stetig verringern. In Bayern hat sich die Zahl der Verfahren im vorläufigen Rechtsschutz wieder auf das Niveau aus der Zeit vor der Reform reduziert. Bürgerinnen und Bürger, aber auch die Behörden haben sich dort auf die Rechtslage eingestellt. Das wird auch in Niedersachsen der Fall sein.

Wir wollen Folgendes tun: Wir werden die Entwicklung der Inanspruchnahme von Rechtsschutzmitteln mittelfristig sehr aufmerksam beobachten. Und wir werden diese Beobachtungen und Überprüfungen zusammen mit den betroffenen Stellen auswerten. Deshalb ist die Aussetzung des Vorverfahrens auch befristet.

Meine Damen und Herren, wir werden unseren Weg, die niedersächsische Landesverwaltung zu modernisieren und noch leistungsfähiger zu gestalten, nicht verlassen. Wir werden diesen Weg weiterverfolgen. Wir werden ihn sehr hartnäckig verfolgen, Herr Helberg. Wir werden das tun mit einem klaren Kompass, mit Verlässlichkeit und, meine Damen und Herren, mit großer Zuversicht, was den Erfolg unserer Politik angelangt. - Danke schön.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP - Zurufe von der SPD)

Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor.

Wir kommen damit zur Abstimmung. Wer der Beschlussempfehlung des Ausschusses - sie lautet auf Ablehnung - zustimmen will, den bitte ich um sein Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Das Erste war die Mehrheit.

Ich rufe vereinbarungsgemäß zusammen auf

Tagesordnungspunkt 33: Einzige (abschließende) Beratung: Entwicklung eines Modells für die Erstellung und den Betrieb von Justizvollzugsanstalten durch private Investoren - Antrag der Fraktionen der CDU und der FDP - Drs. 15/131 Beschlussempfehlung des Ausschusses für Rechts- und Verfassungsfragen Drs. 15/2037 - Änderungsantrag der Fraktion der SPD - Drs. 15/2059

Tagesordnungspunkt 34: Einzige (abschließende) Beratung: Erhalt des Grundsatzes der Einzelunterbringung im Strafvollzug - Antrag der Fraktion der SPD - Drs. 15/1343 - Beschlussempfehlung des Ausschusses für Rechts- und Verfassungsfragen - Drs. 15/2038

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