Als unwürdig ist es einzustufen, wenn die zuständige Fachministerin so mit ihren Landesbediensteten umgeht, und zwar zu einem Zeitpunkt, zu dem den Richterinnen und Richtern das Wasser bis zum Hals steht.
Die Bürgerinnen und Bürger zeigen für diese neu geschaffene Monsterbearbeitung und Bürokratievermehrung überhaupt kein Verständnis. Wenn ein Bürger z. B. gegen einen Bescheid in Höhe von 53 Euro vorgehen will, dann hat er jetzt das Gericht anzurufen. Ein freundlicher Verwaltungsrichter weist ihn zunächst vielleicht darauf hin, dass für die Klageerhebung in Höhe von 53 Euro erst einmal 75 Euro Kostenvorschuss erforderlich sind.
„Und dann?“, so fragt der Bürger: „Können Sie diesen Bescheid in einem Urteil abändern?“ - „Ganz so einfach ist das nicht“, antwortet der Verwaltungsrichter. - Was die Bürger früher hatten, nämlich eine schnelle und flexible Kompromisslösung, hat sich genau in das Gegenteil verkehrt. Die ehemalige Widerspruchsbehörde konnte den Ausgangsbescheid ändern, aufheben oder auch ersetzen. Dies darf ein Gericht nicht. Hier wird lediglich
„Wie lange dauert so eine Überprüfung der Rechtmäßigkeit?“, fragt der Bürger. - Wegen der zunehmenden Belastung der Gerichte bei gleichzeitigem Personalabbau liegt die durchschnittliche Bearbeitungszeit bei 13,3 Monaten.
„Wenn ich wegen meiner 53 Euro keine Kosten und keine Mühe gescheut habe und zusätzlich das Prozessrisiko auf mich genommen habe“, fragt der Bürger, „habe ich dann die Chance einer Veränderung des Bescheides?“ - Dann antwortet der Richter: „So geht das eigentlich nicht. Natürlich bekommen Sie eine Entscheidung des Gerichts. Aber Sie haben lediglich einen Anspruch auf eine erneute Entscheidung einer Behörde.“ - Das Ganze geht also wieder zurück. „Das“, sagt der Bürger, „ist ja Ohnmacht gegenüber dem Staat frei nach Schilda.“ - „Nein“, antwortet die SPD-Fraktion im Niedersächsischen Landtag, „das ist die neue Reform der Landesregierung mit der Zielsetzung Bürokratieabbau für den Bürger und die Bürgerin.“ „Nein“, antwortet der Bürger, „diese dramatische Auswirkung der Verwaltungsreform konterkariert mein bisheriges Verständnis von Gerechtigkeit. Was wir brauchen, ist eine Reform dieser unsäglichen Reform.“
Da wir schon einmal beim Thema Bürger/Bürgerinnen sind: Von der CDU-Fraktion wurde in der 63. Plenarsitzung behauptet, dass dem Landtag Petitionen von Bürgerinnen und Bürgern vorliegen, die die Abschaffung des Widerspruchsverfahrens gefordert hätten. Solche Petitionen sind aber weder im Rechtsausschuss noch im Innenausschuss, noch im Petitionsausschuss aufgetaucht, sind also schlichtweg unbekannt. Damit stellt sich natürlich die Frage nach Ihrer Glaubwürdigkeit.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, Sie geraten hiermit in eine realitätsfremde Schieflage. Bekannt ist allerdings, dass der Vorsitzende von Haus + Grund Braunschweig, Herr Müller - seines Zeichens CDU-Mitglied -, eine Petition eingereicht hat, allerdings mit der Zielsetzung, die Widerspruchsverfahren beizubehalten.
Wir sagen: Genau so ist es. Wir haben der Aussage dieses CDU-Mitglieds nichts mehr hinzuzufügen. - Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ein englisches Sprichwort besagt „If you miss changes, sooner or later you will be missed“, übersetzt: Wer die Veränderung vermissen lässt, wird früher oder später selbst vermisst werden.
Der vorliegende Antrag der SPD gibt Anlass, über dieses Sprichwort einmal etwas intensiver nachzudenken. Dieser Antrag, über den wir heute in zweiter Beratung sprechen, ist geprägt von Einfallslosigkeit und von einer völligen Verweigerung gegenüber jedweder Veränderung.
Einfallslos ist dieser Antrag deshalb, weil er gegenüber einem sehr ähnlichen Antrag aus dem September 2004 nur minimal verändert wurde.
Bei der Veränderung dieses Antrags aus dem September 2004 haben Sie aber noch nicht einmal fachlich einwandfrei gearbeitet. Sie erwecken den Eindruck, als wären alle Ihre Behauptungen, die sie in den Raum gestellt haben, auch tatsächlich eingetreten. Das aber ist gerade nicht der Fall.
Deswegen will ich jetzt noch einmal etwas in der Sache selbst sagen, obwohl wir schon bei der ersten Beratung und auch im Zusammenhang mit der Verwaltungsreform über dieses Thema gesprochen haben.
Die Neuregelung des Widerspruchsverfahrens, die teilweise Abschaffung des Vorverfahrens, ist noch nicht einmal ein halbes Jahr lang in Kraft. Es ist zutiefst unseriös - das bestätigen alle Kenner der Materie; da helfen auch Einzelbeispiele von verschiedenen Gerichten nicht weiter -, wenn Sie die Fallzahlen schon nach noch nicht einmal einem halben Jahr bewerten wollen. Das geht nicht.
Zum heutigen Zeitpunkt kann niemand in diesem Hause verlässliche Zahlen darüber anführen, wie sich die Änderung des Widerspruchsverfahren tatsächlich auswirken wird. In den Gerichten liegen noch sehr viele Altfälle. Dort finden sich Klagen, die ein Widerspruchsverfahren, ein Vorverfahren schon überstanden haben. Dieses so hoch gehaltene Instrument ist manchmal nicht innerhalb von Wochen beendet worden, sondern hat Monate, manchmal sogar Jahre gebraucht, bis es zu den Verwaltungsgerichten ging.
Es ist eine Natürlichkeit in sich, dass ich - wenn ich auf der einen Seite klagen und sofort vor Gericht gehen kann, damit ich eine schnelle Entscheidung bekomme, auf der anderen Seite aber die Altfälle in das Jahr 2005 mit hineintrage - in den ersten Monaten zwangsläufig eine erhöhte Fallzahl habe. Daraus kann ich seriös aber nichts ableiten, was den Erfolg oder den Misserfolg dieser Reform angeht.
Erstens. Die von der Landesregierung und den sie tragenden Fraktionen vorangebrachte Verwaltungsreform ist und bleibt bürgernah, weil die Menschen in Niedersachsen schneller an eine gerichtliche Entscheidung kommen. Frau Bockmann, ich biete Ihnen an, über die Eingabe, die es Ihrer Meinung nach nicht gibt, mit uns noch einmal gemeinsam zu sprechen. Die Eingabe kam aus dem Raum Celle; ich weiß das deshalb, weil ich sie selbst auf dem Tisch hatte.
Zweitens. Diese Verwaltungsreform ist ausgewogen, weil das Vorverfahren, das Widerspruchsverfahren, nicht überall abgeschafft wird, sondern
Drittens. Die Verwaltungsreform, die Abschaffung des Vorverfahrens, ist zeitgemäß, weil die Kommunen dadurch dazu ermuntert werden, das bei ihnen vorhandene, zum Teil schon sehr moderne Beschwerdemanagement noch weiter auszubauen. Überall dort, wo Bescheide erlassen und Verwaltungsakte getroffen werden, findet jetzt eine noch bessere Kommunikation mit dem Bürger statt. Insofern ist es ein schön konstruiertes Beispiel, aber es trifft aus unserer Sicht nicht die Realität, vor der die Kommunen in Niedersachsen stehen.
Wir haben immer gesagt, dass wir uns die Auswirkungen der Reform nach einer ausreichenden Zeit sehr genau angucken werden und sie bewerten müssen. Hinsichtlich der Zeitspanne gibt es unterschiedliche Auffassungen zwischen CDU und FDP auf der einen Seite sowie den Grünen auf der anderen Seite. Ich will aber anerkennen, dass die Grünen trotz manch unterschiedlicher Bewertung einzelner Fakten dennoch die Notwendigkeit sehen, über das Vorverfahren grundsätzlich zu reden. Die letzte Beratung hat ja gezeigt, dass Sie als SPD das hier im Landtag auch schon einmal besprochen haben, ohne jedoch die Kraft gehabt zu haben, das umzusetzen.
Es gibt natürlich auch die grundsätzliche Kritik an der Abschaffung des Widerspruchsverfahrens. Das aber ist nicht verwunderlich. Wenn eine Regelung jahrzehntelang bestanden hat und neue Wege beschritten werden sollen, tritt immer wieder die Frage auf, ob das richtig ist. Veränderung hat auch immer Gegner.
Meine Damen und Herren, es ist unmöglich, Staub wegzublasen, ohne dass jemand anfängt zu husten. Deshalb werden wir es mit dieser Reform auch nicht allen Recht machen können. Der Antrag der SPD aber offenbart ein derart rückwärts gerichtetes Denken, dass inzwischen auch dem letzten Zweifler klar geworden sein müsste, warum Sie hier im Land im Jahr 2003 abgewählt worden sind und warum Sie auf Bundesebene Ihrem Verfallsdatum täglich näher kommen.
Schaut man sich den SPD-Antrag an, wird die Grundhaltung, die dahinter steht, schnell deutlich. Deshalb haben Sie sich auch nicht groß Mühe gegeben, die Formulierungen auszutauschen. Alles,
Wir dagegen sagen: Wer in der Vergangenheit lebt, der kann Zukunft nicht gestalten. Deswegen würde ich Sie darum bitten, den Blick auch einmal nach vorn zu richten und sich den Herausforderungen zu stellen. Wenn Sie dann gelegentlich auch noch die Glorifizierung des Widerspruchverfahrens einstellen und die praktischen Erfahrungen der Kommunalpolitiker und der Kommunen zur Kenntnis nehmen würden, wäre es umso besser.
Meine Damen und Herren, wer die Veränderung vermissen lässt, der wird früher oder später selbst vermisst werden. Die SPD ist auf dem besten Weg dazu, wenn sie weiterhin solche Anträge stellt. Schönen Dank.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn wir in der Diskussion um das Widerspruchsverfahren ehrlich miteinander umgehen, dann müssen wir feststellen, dass es auf allen Seiten Lernprozesse und Erkenntnisgewinne gibt. Das hatte ich jedenfalls gedacht, bis ich die Rede von Herrn Wiese gehört habe. Ich hatte gedacht, er würde das Problem etwas differenzierter darstellen; denn eigentlich sollte die Politik doch nicht von Weltanschauungen oder Parteiprogrammen, sondern von der Praxis bestimmt sein.
Das ist zwar eine Selbstverständlichkeit, aber gerade diesen Ansatz habe ich aus seiner Rede nicht herausgehört.
Es geht jetzt darum, ob diesen neuen Erkenntnissen, die wir in Niedersachsen haben, auch politische Taten folgen. Wenn wir ehrlich sind, stellen wir fest, dass die Abschaffung des Widerspruchsverfahrens in vielen Bereichen wahrscheinlich - ich sage „wahrscheinlich“, weil eine Restunsicherheit bleibt - ein Fehler war. Jedenfalls haben wir die Erkenntnis, dass die Fallzahlen an den Verwaltungsgerichten dramatisch steigen. Das müssen wir ehr
licherweise doch erst einmal konstatieren, das können wir doch nicht einfach negieren. Obwohl die Verwaltungsgerichte heute nicht mehr für die Sozialhilfe zuständig sind, steigen die Fallzahlen dort dramatisch.
Die Mehrheitsfraktionen haben bereits zu Beginn der Verwaltungsreform einen breiten Ausnahmekatalog präsentiert, in welchen Fällen die Widersprüche erhalten bleiben. In diesen Fällen hat sie die massive Kritik von Unternehmen und Verbänden an der völligen Abschaffung gehindert. Also stellen wir fest: Es gibt Bereiche, in denen das Widerspruchsverfahren sinnvoll ist.
In der Anhörung des Rechtsausschusses - Herr Wiese, das will ich Ihnen noch einmal sagen; es wurde auch im Plenum schon mehrfach erwähnt gab es so gut wie keine Unterstützung für die Abschaffung.