Wir erwarten bis zum Ende dieses Jahres einen Zwischenbericht des Sozialministeriums. Umso erstaunter nehmen wir zur Kenntnis, dass dieses Thema jetzt vom Innenministerium bearbeitet wird. Herr Schünemann, hören Sie ruhig zu! Sprachtests und ein Mindestalter von 21 Jahren für nachziehende Verwandte sind plötzlich als Mittel gegen Zwangsheirat im Gespräch. Herr Schünemann, übernehmen Sie jetzt die Frauenpolitik? - Das wäre ja nicht das erste Mal; denn auch die Abschaffung der Frauenbeauftragten außerhalb der Landkreise war schon Ihr Anliegen.
Alle Achtung, Herr Schünemann, Sie haben sich damit wieder in die Schlagzeilen gebracht. Was sagt denn die Frauenministerin dazu? - Viel Beifall
haben Sie für Ihren Vorstoß nicht bekommen weder in der eigenen Fraktion noch beim Koalitionspartner. Aber, mit Verlaub, das ist nicht unser Problem.
- Das habe ich, aber nicht nur ich, dem rundblick entnehmen können. - Sie missachten die Beratungen des Parlaments.
Dass alle Menschen, die hier leben, auch die Landessprache sprechen sollten, ist unstrittig. Aber was sagen eigentlich Liberale zu einem Zweiklassenheiratsalter? Ausländer dürfen erst mit 21 Jahren heiraten. Gilt das dann auch für den eingebürgerten Ehepartner? - Bislang wird man bei uns noch immer mit 18 Jahren volljährig.
Ich glaube nicht, dass solche Regelungen auf dem Boden unserer Verfassung stehen. Aber wenn Ihnen diese Frauen so sehr am Herzen liegen, dann sollten Sie, Herr Schünemann, ernsthaft überlegen, ob die Streichung der Mittel für die Ausländerberatung der hier lebenden Migrantinnen nicht dazu führt, dass die betroffenen Frauen immer weniger Ansprechpartner haben.
Meine Damen und Herren, Zwangsheiraten verstoßen gegen die Menschenrechte, sie müssen öffentlich gemacht werden, sind strafrechtlich zu verfolgen und dürfen nicht mehr unter dem Deckmantel der Familie verschwinden. Wir erwarten von der Landesregierung und den Mehrheitsfraktionen, dass sie ihre internen Probleme klären und die parlamentarischen Beratungen ernst nehmen. Vielen Dank.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zwangsheirat und Mord im Namen der Ehre stehen derzeit im Fokus der Öffentlichkeit. Nicht vorhandene statistische Fakten und hohe Dunkelzif
fern lassen ahnen, wie schwer die Situation der betroffenen jungen Frauen ist. Viel zu lange sind Gewalt gegen Frauen, Zwangsheirat und Ehrenmorde verharmlost oder gar verschwiegen worden. Zwangsheirat ist ein Thema, das bis vor kurzem mit einem Tabu belegt war. Durch dieses Tabu waren viele junge Mädchen und Frauen mit ihrem Schicksal allein gelassen. Das wiegt schwer. Zwangsheirat stellt eine Menschenrechtsverletzung dar, und Zwangsheiraten verstoßen gegen geltende Gesetze.
Doch dieses Vergehen wurde strafrechtlich kaum verfolgt, weil es zum einen um das Wissen um Zwangsheiraten gemangelt und zum anderen am Bewusstsein gefehlt hat - sowohl in der Öffentlichkeit als auch bei den Opfern, vor allem aber in deren Umfeld. Aber oft, leider allzu oft, war eine falsch verstandene Toleranz unter dem Deckmantel besonderer Kulturoffenheit Ursache für das Wegsehen.
Mit dieser Tabuisierung ist jetzt Schluss. Unser Dank gilt insbesondere den mutigen jungen Frauen, die sich ihrem Schicksal nicht ergeben haben, die sich trotz aller Risiken und Gefahren widersetzt haben und die damit nicht nur für sich eine Entscheidung getroffen haben, sondern für uns alle.
Viele sind an die Öffentlichkeit gegangen. Sie haben über ihr Schicksal geredet, es aufgeschrieben, andere informiert und gezeigt, dass es erforderlich ist, sich zu wehren. Die traurige Tatsache, dass einige Frauen hierfür ihr Leben lassen mussten, verpflichtet uns alle ganz besonders. Jetzt ist es unsere Pflicht, gegen Zwangsheirat und Zwangsehe vorzugehen.
Meine Damen und Herren, der vorgeschlagene Handlungskatalog ist umfangreich, aber die Landesregierung und alle Fraktionen sind sich einig. Wir können zwar Emanzipation nicht verordnen, aber wir können aufklären, Transparenz schaffen, Hilfsangebote organisieren und rechtliche Rahmenbedingungen verbessern.
Wir wollen, dass betroffene Frauen und Männer so selbstbewusst und frei sind, dass sie einerseits eine eigene freie Entscheidung treffen können und
dass andererseits andere lernen, mit dieser freien Entscheidung zu leben und verantwortungsbewusst damit umzugehen.
Frau Langhans, lassen Sie mich hier einen Einschub machen, weil Sie den Innenminister angesprochen haben. Deutschkurse für alle und Sprachkenntnisse sind Forderungen, die nicht neu sind, sondern die seit vielen Jahren von den Betroffenen mit erhoben werden. Auch die Fragen des Alters und ab wann jemand zuziehen sollte, werden gerade von denen, die betroffen waren, gestellt. Die türkische Sozialwissenschaftlerin Necla Kelek selbst hat öffentlich gesagt, dass sie einen Passus im Ausländerrecht möchte, dass Frauen und Männer unter 22 Jahren nicht als Ehepartner nach Deutschland geholt werden dürfen. In Dänemark ist das so üblich; dort ist das Brauch. Für mich steht damit fest, dass die Diskussion begonnen hat, wir aber noch lange nicht am Ende sind.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, eine freie Partnerwahl in einem selbstbestimmten Leben ist ein Wert, der vor keiner Gesellschaft, keiner Nation, keiner Religion und keinem Geschlecht Halt machen darf. Hinsehen und Handeln - dazu hat es eine gute Diskussion im Ausschuss gegeben, und deshalb auch die einvernehmliche Beschlussempfehlung. Soviel, Herr Schwarz, zu der von Ihnen eingeforderten Arbeitskultur im Ausschuss. Sie sehen, es klappt besser, als Sie öffentlich glauben machen wollen. - Ich danke Ihnen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Schon bei der ersten Besprechung des Themas Zwangsheirat hier im Plenum habe ich gesagt, ich sei sicher, dass wir eine einvernehmliche Lösung hinbekommen und den Antrag mit allen Fraktionen beschließen werden. Die erste Initiative hatte im Jahr 2003 eine liberale Ministerin in BadenWürttemberg gestartet. Jetzt hat eine Bundesratsinitiative des Landes Baden-Württemberg, also von CDU und FDP, Anlass gegeben, auch in Niedersachsen über das Thema zu diskutieren. Im Bun
destag wurde vor kurzem von den Bundestagsfraktionen beschlossen, in § 240 StGB Zwangsheirat als schweren Fall der Nötigung einzustufen. Alle Fraktionen hatten sich mit diesem Thema beschäftigt und waren der Meinung, es müsse unter Strafe gestellt werden, und zwar zu Recht mit einem erheblichen Strafmaß von drei Monaten bis zu fünf Jahren. Das ist richtig, und es ist auch in unser aller Interesse.
Frau Mundlos sagte, das Thema Zwangsheirat sei bis jetzt zu wenig im öffentlichen Bewusstsein gewesen. Das ist absolut richtig. Ehrenmorde haben schon immer die Presse, die Gesellschaft und auch unsere Nation bewegt, ebenso Fälle wie vor kurzem der des türkischen Mädchens, das vergewaltigt wurde, seinen Peiniger heiraten musste und dem letztlich, weil es auf der Straße war, als es dort nicht sein sollte, die Nase abgeschnitten wurde. Das Mädchen ist zwar noch nicht tot, aber es ist verstümmelt. Solche Taten bewegen uns. Es war bisher aber noch nicht genug im Bewusstsein der Öffentlichkeit, dass Zwangsheirat zu derartig schweren Fällen von Misshandlung und Tod führen kann. Darum ist es gut, dass wir jetzt etwas dagegen unternehmen.
Wir haben uns einvernehmlich darauf verständigt - das geht noch weiter als Ihr ursprünglicher Antrag -, § 6 StGB, das Weltrechtsprinzip, hier mit aufzunehmen, wie es auch in der Bundesratsinitiative Baden-Württembergs vorgeschlagen wurde. Ich halte das für sehr wichtig; denn sonst wäre es möglich, nach einer Zwangsheirat in Deutschland das Opfer ins Ausland zu verschleppen, und es gäbe keine Möglichkeit, dem Fall nachzugehen und das Vorgehen strafrechtlich zu sanktionieren, was nach der von uns gewollten Regelung sehr wohl möglich wäre.
Da es ja nun doch dazu gekommen ist, dass wir alle uns zu dem Thema äußern, möchte ich noch auf das eingehen, was Herr Innenminister Schünemann gegenüber der Presse gesagt hat. Wir hatten vor kurzem schon einmal darüber gesprochen, dass nach unserer Meinung die Forderung, das Nachzugsalter auf 21 Jahre und älter zu begrenzen, nicht wirklich dazu führen wird, dass Zwangsheiraten ausgeschlossen werden. Natürlich sind viele, die zwangsverheiratet werden, deutlich unter 21. Weil sich eine solche Altersbegrenzung aber gleichzeitig auf sämtliche anderen ausländischen Ehen beziehen würde, halten wir sie nicht für den richtigen Schritt. Wir meinen, die strafrechtliche Sanktionierung und die Berücksichtigung
auch im Bürgerlichen Gesetzbuch, also für Opfer von Zwangsheirat die Möglichkeit der schnellen Scheidung, ohne das Trennungsjahr abwarten zu müssen, sind richtiger und wichtiger.
Deutschkurse sind natürlich nicht verkehrt; auch das ist eine Anregung, die aber wieder alle ausländischen Ehen betreffen würde. Das, was im Antrag steht, worauf wir uns geeinigt und was wir gemeinsam beschlossen haben, ist der richtige Weg. Darum bitte ich Sie alle, der Ausschussempfehlung zuzustimmen und weiter in der Öffentlichkeit über das Thema zu reden, damit diese Fälle eingeschränkt werden und in Zukunft nicht mehr vorkommen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zum Thema Zwangsheirat haben meine Vorrednerinnen soeben und wir alle in der März-Sitzung des Landtages bereits eindeutig Position bezogen. Wir sind uns darin einig, dass Zwangsverheiratungen und Zwangsehen strikt abzulehnen sind. Alles sollte getan werden, um diesem Problem zu begegnen.
Folgerichtig und erfreulicherweise ist es gelungen, eine fraktionsübergreifende Entschließung zu formulieren, die ich voll und ganz teilen kann. Im Zuge der Ausschussberatungen hat der Entschließungstext ein paar Modifizierungen erfahren. So hat es eine Erweiterung hinsichtlich des Themas Zwangsehen gegeben, die ich sehr begrüße. Nicht nur die Verhinderung zukünftiger Zwangsverheiratungen steht im Fokus, sondern gleichermaßen der Schutz und die Hilfestellung für diejenigen, die bereits gezwungen wurden, eine Ehe gegen ihren Willen einzugehen, oder gezwungen werden, daran festzuhalten. Zwangsverheiratung und Zwangsehe sind krasseste Formen menschlicher Unterdrückung. Deshalb sehen wir es als unsere Aufgabe an, insbesondere junge, oft sehr junge Frauen vor dem Schicksal der Zwangsehe zu bewahren. Neben den Möglichkeiten der Aufklä
Wie hoch der Anteil der Zwangsehen in unserer Gesellschaft ist, lässt sich kaum ermitteln. Nach einer Studie des Bundesfamilienministeriums gibt immerhin jede zweite jetzt in Deutschland lebende Türkin an, dass ihre Eltern den Ehepartner für sie ausgesucht haben, und jede vierte erklärt sogar, ihren Ehemann vor der Hochzeit nicht kennen gelernt zu haben. Die Tendenz zu arrangierten Ehen und Zwangsehen scheint leider steigend zu sein.
Immer mehr hier lebende türkische Männer wollen - das zeigen auch Umfragen - „unberührte“ junge Frauen aus ihrer Heimat heiraten. Diese oft minderjährigen Frauen haben in der Regel wenig Möglichkeiten, sich gegebenenfalls gegen ihren Ehemann oder dessen Familie durchzusetzen; Frau Meißner hat gerade ein Beispiel erwähnt. Ein Hauptgrund sind mangelnde Sprachkenntnisse und daraus folgend die weitgehende Isolierung und Abgeschiedenheit dieser Frauen von der übrigen deutschsprachigen Gesellschaft.
Umso wichtiger ist es, dass wir uns fraktionsübergreifend dieses Themas annehmen. Frau Weddige-Degenhard, ich fand den Anfang Ihrer Rede, insbesondere das, was Sie über die Liebe gesagt haben, sehr hübsch, obwohl es bei den Herren einiges Gemurmel ausgelöst hat. Das wäre gar nicht nötig gewesen. Ich fand dann allerdings die Sticheleien überflüssig; denn sie sind das Gegenteil von konstruktiven Beiträgen zur Bearbeitung des Themas.
Ich bin der Meinung, es gibt bei diesem so sensiblen Thema keine Schwarz-Weiß-Malerei. Es gibt keine vermeintlich richtige linke Position, und es gibt auch keine vermeintlich richtige rechte Position. Niemand hat den Stein der Weisen. Das Thema ist für uns alle neu, und deshalb müssen wir gemeinsam versuchen, diesen Weg zu gehen. Genau das ist der Grund für die jetzige gemeinsame Entschließung. Es ist im Übrigen auch ein entscheidender Grund für die Bildung eines interministeriellen Arbeitskreises zum Thema Zwangsheirat bzw. Zwangsehe, damit wir zu einem ressortübergreifenden und abgestimmten Handeln in diesem schwierigen und vielschichtigen Themenbereich kommen, weil das niemand allein schaffen kann. Es handelt sich um ein gesamtgesellschaftliches Thema, bei dem wir viele verschiedene Akteure einbinden müssen.
Meine Damen und Herren, neben rechtlichen Regelungen ist vor allem aber ein Umdenken in den so genannten Parallelgesellschaften erforderlich. Das haben alle Vorredner angesprochen. Die Akzeptanz des uneingeschränkten Selbstbestimmungsrechts eines jeden jungen Menschen, gleichgültig, aus welchem Kulturkreis er oder sie stammt, muss insbesondere die Menschen erreichen, die Zwangsehen derzeit noch tolerieren oder gar gutheißen oder aber wegschauen. Gerade diese Menschen zu erreichen und zum Umdenken zu bewegen, ist ein schwieriges Stück Arbeit. Hier werden dicke Bretter zu bohren sein. Wir werden sicherlich noch kontrovers darüber diskutieren, aber wir werden das Unsere beim Bohren dieser dicken Bretter tun, und wir werden zur Unterstützung der betroffenen Frauen und ihrer Familien beitragen. Die Landesregierung wird ein Handlungskonzept zum Thema Zwangsheirat und Zwangsehe entwickeln. - Vielen Dank.
Danke schön. - Zum selben Tagesordnungspunkt abschließend Herr Innenminister Schünemann, bitte schön!
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das Thema Zwangsehe ist so bedeutend, dass man wirklich ein Bündel von Maßnahmen diskutieren und auch beschließen muss. Die rechtliche Frage ist hier bereits angesprochen worden, und auch zur Prävention steht einiges im Antrag. Wir müssen darüber hinaus auch praktische Hilfe im Herkunftsland geben können, dort, wo die Ehe angebahnt bzw. geschlossen wird.
Wie ist die Situation betroffenen Frauen? - Sie sprechen kein Wort deutsch, kommen zum Teil im Alter von 16 oder 17 Jahren nach Deutschland, leben hier wieder im Eheverband, in der Isolation, und haben keine Möglichkeit, an Integrationskursen teilzunehmen, weil sie daran zum großen Teil gehindert werden. Ich frage mich wirklich, ob es nicht sehr viel sinnvoller ist, schon im Herkunftsland Maßnahmen anzubieten, damit sie wenigstens Grundkenntnisse oder einfache Kenntnisse der deutschen Sprache erwerben, sodass sie sich an die dortige Auslandsvertretung wenden können. Dort müssen die Sprachtests gemacht werden,
damit schon dort eine Beratung auch in diesem Bereich möglich wird. Mir geht es darum, schon im Herkunftsland praktische Beispiele zu geben und Deutschunterricht zu organisieren. Darüber sollte man nicht nur diskutieren, sondern das sollte man meiner Ansicht nach vorschreiben.