Protocol of the Session on May 14, 2003

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zum Abschluss der Debatte noch ein paar grundsätzliche Ausführungen.

(Sigmar Gabriel [SPD]: Sie dürfen noch einmal!)

- Nein, Sie können ja auch wieder draufsatteln, Herr Gabriel. - Ich habe mich auch deshalb noch einmal zu Wort gemeldet, weil ich finde, eine solche Debatte kann nicht mit Geschichtsklitterung beendet werden. Frau Harms, wenn ich es richtig in Erinnerung habe - ich habe es mir bestätigen lassen -, ist 1990 eine rot-grüne Regierung angetreten. Die hat mit dem Erfolgsergebnis, 300 Lehrer einstellen zu wollen, eine Regierungserklärung abgegeben. Das sollten Sie noch einmal nachsehen, bevor Sie die Verhältnisse entsprechend ändern.

Herr Gabriel, zu Ihnen. Das ist immer so eine Sache, wer der dickste Hecht im Karpfenteich ist, Zahlenprotzerei hier und da.

(Sigmar Gabriel [SPD]: Beim Kör- pergewicht gibt es da keine Frage! - Rebecca Harms [GRÜNE]: Damit kann ich nicht konkurrieren! - Heiter- keit - Unruhe - Glocke des Präsiden- ten)

- Ich habe ein gewisses Verständnis für Ihre Ausgangssituation. Ihre Vorgängerregierungen von Herrn Glogowski und auch von Gerhard Schröder haben Ihnen einiges an Lehrerbestand wegrasiert. Das war nicht in Ordnung. Wir hatten schon steigende Schülerzahlen. Das haben Sie zum Teil wieder wettgemacht, und zwar in steigende Schülerzahlen hinein mit dem Zusatzbedarf für die Verlässliche Grundschule usw. Im Saldo und dann verteilt auf drei Jahre, meine ich, waren es etwa 2 300 Lehrer. Sie haben immer die Zahl von 3 100 verkauft. Sei es drum. Aber sind wir uns denn einig, wenn es heute um 4 114 Stellen geht, dass das dann doch eine andere Hausnummer ist? Darüber darf man dann auch einmal reden.

(Beifall bei der CDU)

Natürlich geht es auch darum, das Ganze zu bezahlen. Herr Gabriel, Herr Jüttner, das ist schon ein Kraftakt einer Regierung. Alle Ressorts werden letztlich in Anspruch genommen, dieses miteinander hinzukriegen, es sei denn, man will die Neuverschuldung noch weiter nach oben jubeln, was ja keiner will. Dann trifft es fast alle Ressorts. Ehrlich gesagt, so hart das ist, wenn es die Wissenschaft getroffen hat, ich glaube, das war bei Ihnen Tradition. Oder sehe ich das falsch?

(Sigmar Gabriel [SPD]: Falsch!)

- Das haben wir aber ganz anders gesehen, Herr Oppermann. Auch bei Ihnen wurden Zahlen in zweifacher Millionenhöhe herausgekürzt, ganz gleich, für welche Zwecke dann auch immer.

Ein anderer Hinweis, Herr Gabriel, das habe ich nicht verstanden. Ich meine, unsere Wahlprogramme in Erinnerung zu haben. Das Thema Altersteilzeit und Arbeitszeitkonto werfen Sie völlig durcheinander. Von 40-Stunden-Woche steht darin kein Wort.

(Karl-Heinz Klare [CDU]: Kein Wort!)

Sie müssen sich auch mal erkundigen, wie die Zusammenhänge sind. Ich glaube, da waren Sie falsch gepolt.

Ich will auch das Thema Ganztagsschulen ansprechen. Können wir uns, bevor wir uns da etwas vorwerfen, zumindest darauf verständigen - wenn es denn nun schon so ist, dass der Bund auf einem zugegebenermaßen etwas merkwürdigen Weg von den 4 Milliarden Euro, die er, Stichwort UMTSZinserlöse, für Ganztagsschulen zur Verfügung stellt, 400 Millionen Euro nach Niedersachsen gibt -, dass wir sagen: Das ist nun so, das wird für Ganztagsschulen ausgegeben - für die Weiterentwicklung vorhandener, für die Neubegründung neuer und, und, und -, und deshalb müssen wir gemeinsam mit den Kommunen auch verantwortlich damit umgehen? Das Programm ist bis 2007 ausgelegt, und 2008 stehen wir dann möglicherweise mit dem nackten Hintern da. Das will keiner, und deshalb wollen wir das mit den Kommunen mit dem Ziel besprechen, dass das Geld auch zukunftsträchtig angelegt wird. - Das vielleicht als Grundsatz dazu.

Zum Kollegen Meinhold: Es ist ja toll, dass die Sozialdemokraten die Hauptschule nun wieder neu entdecken. Bei der Förderstufe fand sie schließlich schon gar nicht mehr statt. Aber wir können uns ja einig werden. Ehrlich gesagt, das war der einzige Vorschlag der Oppositionsseite mit politischer Substanz. Deswegen alle Achtung, Herr Kollege.

(Beifall bei der CDU)

Wenn es denn so ist, dass wir alle in der Politik, und zwar über die Fraktionsgrenzen hinweg, sagen, die Hauptschule zu stärken heißt auch, den Faktor Sozialarbeit entsprechend zu gewichten, zu würdigen und über die Jahre vielleicht auch auszubauen - je nachdem, wie sich das alles entwickelt -, dann müssen wir das auch irgendwie miteinander hinbekommen. Da kann man nicht plump sagen: Finanzminister, mach das mal! Der hat das Geld der Bürger zu verwalten, und das macht er sehr verantwortlich. Dem Finanzminister etwas aus den Rippen zu schneiden, geht nicht immer.

Sie haben einen Weg gewiesen. Den unterschreibe ich Ihnen noch nicht. Aber wenn wir es irgendwie miteinander hinbekommen - aus dem insgesamt ja nicht ganz so kleinen Etat des Kultusministers und Sie uns die Rückendeckung dafür geben, dann würde ich das heute gerne positiv aufgreifen.

(Walter Meinhold [SPD]: Wunderbar, Herr Busemann! - Rebecca Harms [GRÜNE]: Gegen die FDP machen wir das!)

- Nein. Deswegen sagte ich ja, ich unterschreibe Ihnen noch nichts. Jedes Ressort muss in den nächsten Monaten mit dem Finanzministerium gucken, wo es überhaupt steht, was geht, wo Einsparauflagen sind usw. Dann versuchen wir mal - die Fraktionen haben sich ja schon entsprechend artikuliert -, gemeinsam etwas Vernünftiges daraus zu machen.

Frau Korter, Sie haben sich mit dem Bedarf an zusätzlichen Lehrern auseinander gesetzt. Sie haben gefragt, ob z. B. das Abi nach zwölf Jahren oder das Umstellen der Klassen 5 und 6 auf weiterführende Schulen einen höheren oder geringeren Lehrerbedarf bedeutet. Aber die Zahlen, die Sie hier genannt haben, sind so dramatisch falsch, dass ich darauf gar nicht eingehen möchte. Ich möchte Ihnen und der gesamten Fraktion der Grünen deshalb anbieten, dass mein Haus Ihnen einmal exakt sagt - das ist nämlich bis auf wenige Stellen kalkulierbar -, welche Mehrbedarfe es gibt und welche politische Entscheidung sich wie auswirkt. Aber es geht in dem Bereich nicht um tausende von Stellen, wie Sie gesagt haben. Darüber sollten wir zumindest Einigkeit hinbekommen.

Ein erwartungsgemäß wichtiger Punkt des heutigen Vormittags war das Schulgesetz. Ich bin in meiner Regierungserklärung bewusst noch nicht darauf eingegangen, weil ich meine, allein der Komplex Lehrereinstellung ist schon so wichtig, dass man ihn und die damit verbundene Zukunftsprojektion auch entsprechend darstellen muss.

Ansonsten kann ich Ihnen zum Schulgesetz sagen - ich war ja vor einem Jahr auch schon dabei -, dass Sie in diesen Tagen und Wochen eine Lehrstunde in Demokratie erleben werden, weil wir es nämlich nicht so machen, wie es vor einem Jahr passiert ist. Ich darf daran erinnern: Ideenskizze, Förderstufe, Schulgesetz - es wurde einfach etwas auf den Markt geworfen. Als dann fast alle Verbände eine negative Stellungnahme abgegeben haben, hieß es: Das ist doch egal, wir sind so viele, wir beschließen das und hören uns die guten Argumente gar nicht erst an.

Die jetzige Anhörung hingegen - ich habe das ja verfolgt - war, wie ich finde, sehr anspruchsvoll. Es gab gute Ratschlägen, gute Hinweise, aber eben überwiegend Zuspruch. Wer das anders sieht, Herr Jüttner, der hat die Wahrnehmungsantennen wohl völlig begraben. Ich kann nur sagen: Im Detail gab es durchaus Kritik, aber im Wesentlichen gab es großen Zuspruch. Das Gesetz trägt.

Die Anhörung ist am Freitag zu Ende gegangen. Jetzt werden sich die Spitzen der Partei und der Fraktion zusammensetzen und herausarbeiten: Was ist der Extrakt? Wo müssen wir uns bewegen? Wo muss etwas gemacht werden? - Die Themen werden sein: Gesamtschulen, Abi nach zwölf Jahren, fünfter und sechster Jahrgang, Durchlässigkeit, Schuleinzugsbezirke, Ausstieg aus der O-Stufe in einem Rutsch oder innerhalb zweier Jahrgänge. Das alles hat ja auch mit Ressourcen zu tun.

Es war doch gerade die Aufgabe der Anhörung, die Komplexe herauszuarbeiten, über die möglicherweise noch einmal nachgedacht werden muss. Ich kann Ihnen ankündigen, dass wir den Spitzen der Fraktionen rechtzeitig, wahrscheinlich schon in den nächsten Tagen, die notwendigen Hinweise geben werden. Dann werden Sie ein Gesetz erleben, dem Sie eigentlich in großer Breite zustimmen können müssten. Herr Gabriel, vielleicht können Sie sich ja einmal einen Ruck geben. Sie wollten doch auch mal das Abi nach zwölf Jahren, Sie wollten doch auch mal die O-Stufe abschaffen, und beides ist doch der Kern des Gesetzes. Also, vielleicht können wir ja in großer Breite ein auf lange Jahre tragfähiges und gutes Gesetz miteinander beschließen.

Nun noch ein kleiner Seitenhieb, Herr Jüttner, zum GBD. Es gab mal Zeiten, da haben die sich um Substanz und nicht um Überschriften gekümmert um Ihnen das auch einmal mit auf den Weg zu geben.

(Dieter Möhrmann [SPD]: Das hat Sie aber getroffen!)

Ich meine, dass die Überschrift des Gesetzes auch die Botschaft ist und es dabei bleiben sollte.

(Wolfgang Jüttner [SPD]: Diese Be- merkung wird den GBD aber freuen!)

- Das sollen die auch hören; deswegen habe ich das gesagt. Sie kennen mich doch.

Frau Korter hat die Verordnungen angesprochen. Ich darf dazu sagen: Es ist ein enormes Stück Arbeit, parallel und in einer gewissen Geschwindigkeit die Verordnungen zu schreiben. Dazu sind auch politische Grundsatzentscheidungen erforderlich, sonst wird vieles für den Papierkorb produziert. Ich darf Ihnen aber - ungeschützt - in Aussicht stellen: Wenn Sie Freitag Ihre Arbeit aufnehmen, haben Sie die Verordnung auf dem Tisch. Ist das ein Angebot? - Das meine ich doch auch.

(Wolfgang Jüttner [SPD]: Diese Wo- che Freitag?)

- Ja. Ich meine, der Freitag ist angesagt, und da soll das auch geliefert werden.

Abschließend, meine Damen und Herren: Dass mit einem Schulgesetz die Schulpolitik nicht zu Ende ist, ist doch wohl völlig klar. Aber irgendwann muss ja auch einmal Schluss mit den Debatten sein, und man muss sagen, so und so sind die schulpolitischen Strukturen in einem Land gesetzt. Aber dass wir dann weiterhin über Qualitätsfragen oder über das wichtige Thema der Bildungsstandards miteinander ringen und streiten müssen, ist doch völlig klar. Wir müssen doch sehen, wie wir unser Schulwesen aus diesem PISA-Tal herausholen.

Sie werden erleben - da werden Sie staunen -, dass die vermeintlich Konservativen eine hochmoderne Bildungspolitik oben draufsetzen. Die ersten Ansätze haben Sie vielleicht schon vernommen, und dafür können Sie uns auch angucken. Das hat mit den Strukturen zu tun,

(Karl-Heinz Klare [CDU]: Aber nicht nur!)

aber eben nicht nur. Das hat auch etwas mit Input zu tun, mit qualitativ gutem Unterricht und damit, wie das alles zusammenwirkt.

In der grundsätzlichen Frage werden wir wohl nicht zusammenkommen, weil Sie eben mehr für die integrativen Systeme sind und wir für das gegliederte System stehen. Aber es muss doch auch einmal gesagt werden, dass dazwischen hervorragende Wege angelegt sind.

Zum Schluss möchte ich noch loswerden, wie ich die Debatte der letzten Wochen und Monate empfunden habe.

Zunächst wurde gesagt: Mehr Lehrer einstellen geht nicht, die sind nicht da, das kann man nicht bezahlen.

(Monika Wörmer-Zimmermann [SPD]: Wenn Sie Oberförster neh- men!)

- Gut, dass Sie auch zuhören, Frau Kollegin. Sie haben in Ihrem Wahlkampf wahrscheinlich auch gesagt, dass das alles nicht geht. - Aber plötzlich haben wir es zusammen mit diesem Finanzminister hinbekommen, einen Nachtrag aufzustellen, der

auch beschlossen werden wird und in dem 2 500 zusätzliche Stellen finanziert sind.

Dann kam das nächste Gemeckere. Es hieß, wir fänden die Lehrer nicht. - Aber nun - diese Botschaft haben Sie in diesen Tagen bekommen - finden wir diese Lehrer doch. Also kommt das nächste Gemeckere. Sie sagen, die kämen nicht pünktlich.

Ich frage mich wirklich, was das eigentlich soll. Sie haben einstellungspolitisch keinen Hering vom Teller gezogen, und wir sollen dann die Heringe am Schwanz ondulieren!

(Beifall bei der CDU und bei der FDP - Sigmar Gabriel [SPD]: Der war gut!)

Aber dies, Herr Gabriel, werden wir am Ende auch noch hinbekommen. - Danke.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, die SPDFraktion hat nach § 71 Abs. 2 unserer Geschäftsordnung zusätzliche Redezeit beantragt. Herr Oppermann, ich erteile Ihnen das Wort. Sie haben eine Redezeit von bis zu drei Minuten.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich fand es durchaus ehrlich, dass Herr Busemann zu Beginn seiner Rede eingeräumt hat, wie die neuen Lehrerstellen finanziert werden: Diejenigen, die nicht über neue Darlehen bezahlt werden, werden aus Einsparungen bei den Hochschulen bezahlt. Herr Busemann hat außerdem gesagt, das sei damit zu rechtfertigen, dass die SPD-Fraktion in ihrer Zeit noch viel größere Kürzungen vorgenommen habe.