Protocol of the Session on May 14, 2003

Meine Damen und Herren, das ist „Dalli-Dalli“ auf Kosten der Bildungschancen unserer Kinder.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Wir sollen im Juni ein Gesetz beschließen, das mit heißer Nadel gestrickt worden ist und das fachlich und pädagogisch einen Rückschritt in die 50erJahre darstellt. Das ist keine moderne Schulpolitik,

sondern Flickwerk aus der schwarz-gelben Ideologiekiste. Ein modernes Schulsystem, das die Ergebnisse neuerer Bildungsforschung auswertet und umsetzt, muss sich am Leitmotiv der Finnen orientieren: Jedes Kind ist wichtig. Wir können auf niemanden verzichten. Wir brauchen alle. - Meine Damen und Herren, es müssen nicht die Kinder in drei Schubladen den Schulformen angepasst werden, sondern wir müssen die richtige Schule mit gut ausgebildeten Pädagoginnen und Pädagogen für alle Kinder entwickeln. Das ist der Kernpunkt. Davon aber ist die Schulpolitik von CDU und FDP noch meilenweit entfernt.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Ich komme zum Schluss.

(Zuruf von der CDU: Das ist gut so!)

Meine Damen und Herren, es wäre wohl zu viel, von der schwarz-gelben Koalition zu erwarten, dass sie ihre falsche Grundsatzentscheidung für ein verschärft gegliedertes Schulsystem noch einmal überdenkt. Wenn Sie aber schon bei dieser falschen Grundsatzentscheidung bleiben, sollten Sie wenigstens die gröbsten Fehler korrigieren.

(Karl-Heinz Klare [CDU]: Machen wir!)

Sie sollten den Kindern auf den weiterführenden Schulen wenigstens zwei Jahre Zeit geben und sie in dieser Zeit individuell fördern, statt schon nach der 5. Klasse mit Abschulung zu drohen. Sie sollten wenigstens Kooperationen zwischen allen verschiedenen Schulformen - auch mit den Gymnasien - zulassen, damit überhaupt ein vollständiges Bildungsangebot geschaffen werden kann.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Sie sollten zumindest dort, wo dies von den Eltern ausdrücklich gewünscht wird, auch in Zukunft die Einrichtung von Gesamtschulen zulassen. Sie selbst sagen doch auch sonst immer, dass der Markt entscheiden soll. Dann aber bitte auch an diesem Punkt.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Sie sollten die Durchlässigkeit zwischen den Schulformen erhöhen, statt sie durch eine verschärfte Profilierung noch weiter zu verringern.

Meine Damen und Herren von der CDU und von der FDP, Herr Minister Busemann, reden Sie nicht

nur von Qualität, von Schulstandortsicherung und von Durchlässigkeit, sondern schaffen Sie dies tatsächlich! Tun Sie in Wirklichkeit nicht genau das Gegenteil!

(Beifall bei den GRÜNEN)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, bevor ich Herrn Schwarz von der FDP-Fraktion das Wort erteile, möchte ich Sie alle noch einmal darauf aufmerksam machen, dass der Plenarsaal ein handyfreier Raum ist. Ich habe heute Morgen mehrfach Klingelzeichen gehört. Wir sollten uns daran halten, dass Handys in diesem Saal auszuschalten sind.

(Beifall)

Herr Schwarz!

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich freue mich, dass Herr Jüttner gerade wieder zurückgekommen ist. So habe ich Gelegenheit, noch einmal kurz auf ihn einzugehen. Herr Jüttner, wenn Sie die Bildungslandschaft der 90erJahre so beschreiben, wie Sie es eben getan haben, und auch wirklich ganz fest daran glauben, was ich persönlich aber bezweifle, dann stellt das nur unter Beweis, dass Sie sich von der Basis inzwischen ganz, ganz weit entfernt haben.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Die Bildungslandschaft sieht komplett anders aus. Sie haben hier die Anhörung angesprochen, an der wir gemeinsam teilgenommen haben. Ich gehe davon aus, dass wir bei der gleichen Veranstaltung gewesen sind.

(Zuruf von Monika Wörmer-Zimmer- mann [SPD])

- Sie haben eine ganz krächzende Stimme. Ich verstehe Sie leider nicht.

(Karl-Heinz Klare [CDU]: Die hat sie von Natur aus! Dafür kann sie nichts!)

- Das geht jetzt schon wieder los: Mir wird hier wie beim letzten Mal die Zeit geklaut. Das mache ich so nicht mit. Sie können mir auch schriftlich mitteilen, was Sie mir sagen wollen.

Herr Jüttner, ich gestehe Ihnen zu, dass man die Beiträge, die im Rahmen der Anhörung geleistet wurden, unterschiedlich interpretieren kann. Ich bin der Meinung, dass von den Verbänden überwiegend Zustimmung zu dem vorliegenden Konzept geäußert worden ist. Es gab natürlich auch Kritik. Wir wussten auch, dass sich die Kritik schon im Vorfeld aufgebaut hatte. Das ist gar keine Frage. Man kann über alle Dinge trefflich streiten. Das finde ich in Ordnung. Ich bin aber nicht der Ansicht, dass die Bewertung richtig ist, die Anhörung habe zu dem Ergebnis geführt, dass überwiegend negative Stellungnahmen abgegeben wurden. Dem möchte ich ganz deutlich widersprechen.

Sie haben hier den Landeselternrat angesprochen. Dieser hat auf meine Nachfrage hin sagen müssen, dass er sich mit den Untergliederungen insgesamt nicht habe rückkoppeln können. Das war deutlich. Wir führen zurzeit ja auch Veranstaltungen vor Ort durch. Wir hören von den Stadtelternräten und von den Kreiselternräten in der Tat andere Ausführungen, als sie z. B. der Landeselternrat in dem angesprochenen Zusammenhang gemacht hat.

(Beifall bei der FDP)

Ihre Bildungspolitik in den vergangenen Jahren hat jedenfalls dazu geführt, dass die Unterrichtsversorgung katastrophal gewesen ist. Das war Hauptgegenstand der Regierungserklärung des Ministers heute. Ich möchte einfach einmal darauf hinweisen, dass - ich beziehe mich hierbei auf mein Kollegium - der Altersdurchschnitt bei den Klassenlehrern im vergangenen Jahr 2002 54 Jahre betragen hat. Das ist eigentlich ein miserables Ergebnis. Angesichts dessen hätte man die Lehrerversorgung eigentlich kontinuierlich nachbessern müssen. Das ist nicht geschehen. Deswegen haben wir überalterte Kollegien. Wir müssen dafür Sorge tragen, dass das Ganze jetzt besser wird.

Eine letzte Bemerkung in diesem Zusammenhang. Ich habe schon 1998 für den Landtag kandidiert. Wir sind damals gescheitert. Ich kann mich aber noch sehr genau daran erinnern, dass der Vorvorgänger des Ministerpräsidenten den Forschungsetat damals um 80 Millionen zurückgefahren hat. Das weiß ich noch. Heute sprechen Sie davon, dass wir diesen Bereich vernachlässigten. Das kann man also auch sehr unterschiedlich bewerten.

Auf die Ausführungen von Frau Korter komme ich im Laufe meines Beitrags noch zu sprechen. Ich bin z. B. nicht der Meinung, dass wir die PISA

Ergebnisse insgesamt ignorierten. Wir sind der Auffassung, dass man die PISA-Ergebnisse nicht überall auf die Bedingungen, die hier bei uns in Niedersachsen herrschen, übertragen kann. Über diesen Punkt werden wir noch diskutieren.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, vor der Landtagswahl hat die FDP in Niedersachsen mit dem Schwerpunkt „mehr Bildung“ geworben, und zwar aus gutem Grund, weil, wie ich gerade beschrieben habe, die Bildungspolitik der SPDgeführten Regierung gescheitert ist, und zwar insbesondere deshalb, weil sie den Wert von Leistung und Anstrengung vernachlässigt hat.

(Beifall bei der FDP)

Im letzten Jahrzehnt sind alle Betroffenen in Niedersachsen sehenden Auges in ein bildungspolitisches Desaster hineingelaufen. Die FDP hat über Wochen und Monate Öffentlichkeitsarbeit betrieben und ihr Konzept vorgestellt. Wir haben uns für einen konsequenten Kurswechsel ausgesprochen. Genau für dieses Konzept haben wir das Vertrauen der Wähler erhalten. Wir werden diese Wähler nicht enttäuschen.

(Beifall bei der FDP)

Mit der vorliegenden Schulgesetznovelle haben wir den richtigen Weg eingeschlagen, um Schulen effizienter und Schüler auf dem deutschen und europäischen Arbeitsmarkt wettbewerbsfähiger zu machen. Voraussetzung für eine erfolgreiche Umsetzung im Bildungssystem ist allerdings, dass wir diese Aufgabe im Sinne der Entwicklung eines Prozesses begreifen. Wer meint, mit der Verabschiedung dieses Gesetzes im Juni sei alles Notwendige getan, irrt sich. Wir befinden uns in der Tat erst am Anfang. Zu Beginn dieses Prozesses wird ein ganz entscheidender Schritt in die richtige Richtung gemacht. In einem unglaublichen Kraftakt sind mehr als 4 000 Lehrerstellen ausgeschrieben worden. Das zeigt eindeutig, wo diese Koalition ihre Schwerpunkte setzt. Sie setzt auf Investition in Bildung. Das bedeutet Investition in die Zukunft. Das haben die Menschen in Niedersachsen in den vergangenen Jahren schmerzlich vermisst.

(Beifall bei der FDP – Zustimmung bei der CDU)

Ich bringe hier meinen Respekt gegenüber denjenigen zum Ausdruck, die zugunsten der Bildung in ihren Ressorts Abstriche gemacht haben. Nun hat man damit allerdings längst nicht alle Probleme

gelöst. Herr Minister Busemann, ich bin Ihnen sehr dankbar dafür, dass Sie heute unmissverständlich zum Ausdruck gebracht haben, dass es Ihnen nicht allein darauf ankommt, die Zielzahl von 2 500 zusätzlichen Lehrerstellen zu erreichen. Wir sind uns einig, dass wir in erster Linie dafür Sorge tragen müssen, dass unsere Schulen mit Lehrkräften versorgt werden, die nicht nur in der Lage sind, Wissen zu vermitteln, sondern auch mit dem Herzen dabei sind, wenn es um die Zukunft unserer Kinder geht.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Wir Liberale wollen die bestmögliche Förderung jedes einzelnen jungen Menschen, damit er sich seinen individuellen Begabungen und Neigungen entsprechend optimal entfalten kann. Ich hatte, wie gesagt, tolle Kolleginnen und Kollegen, die aber alle in etwa in meinem Alter waren; sie waren alle in etwa 55 Jahre alt. Jetzt soll das anders werden. Die Jungen und Mädchen erwarten auch etwas anderes von uns in den Schulen. Sie wollen junge Lehrkräfte haben, die naturgemäß eine größere Nähe zu den jugendrelevanten Alltagsthemen haben, mit denen sie sich auch einmal in ihrer Sprache unterhalten können. Sie wollen verstanden werden, wenn sie sagen: Da kommt der Grufti mit seinem Diesel-Ferrari.

(Zuruf von Heidrun Merk [SPD])

- Sie sind ja auch jung geblieben. Das ist doch prima. - Ich wünsche uns allen, dass die Einstellungsrunde, die zurzeit läuft, die erhofften Ergebnisse bringt. Von mir aus kann man auch ein paar Monate länger warten. Die Devise muss sein, mit Verstand zu handeln. Der Anspruch der Eltern und Schüler auf eine 100-prozentige Unterrichtsversorgung muss erfüllt werden.

(Beifall bei der FDP)

Das ist die erforderliche Grundlage für eine erfolgreiche Schullaufbahn. Wenn ich von Eltern bei Veranstaltungen höre, es sei besser, mittelmäßige Lehrer einzustellen, als gar keine einzustellen, ist dies für mich ein ganz deutlicher Hinweis darauf, wie verzweifelt die Situation vor Ort eigentlich ist.

CDU und FDP haben gemeinsam in hervorragender Zusammenarbeit einen Entwurf vorgelegt, von dem wir meinen, dass die berechtigten Interessen junger Menschen entsprechend ihrer Fähigkeiten berücksichtigt werden können. Der Gesetzentwurf

der Union vom Oktober 2002 war das Gerüst. Die Gesetzesnovelle von heute hat in wesentlichen Teilen ein anderes Gesicht. Ich möchte mich an dieser Stelle bei unserem Koalitionspartner dafür bedanken, dass es bei der intensiven Abwägung aller Argumente auch gelungen ist, die Handschrift beider Seiten jeweils erkennbar zu machen.

(Beifall bei der FDP)