Protocol of the Session on April 21, 2005

- Nein, ich bin kein Mediziner. Ich finde es auch nicht gut, wenn Sie das witzig finden.

Ich will deutlich sagen: Dass die CDU-Führung ausgerechnet die beiden Kollegen aus dem Ausschuss gemobbt hat, die für Kontinuität standen, wirft ein bezeichnendes Bild auf die Neuausrichtung der niedersächsischen Sozialpolitik, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Schon der Parteitagsbeschluss 2003 zu den Kopfprämien war öffentlich nicht zu vermitteln. Horst Seehofer hat diesen Beschluss schlicht als „Schwachsinn“ bezeichnet. Beim CDU-Parteitag im November 2004 kam es auf Inhalte und Einzelheiten gar nicht mehr an, sondern nur noch auf die Ruhe mit der CSU. Die über Steuermittel zu schließende Finanzlücke beträgt nach Aussagen von Frau von der Leyen zwischenzeitlich 28 bis 29 Milliarden Euro. Gleichzeitig haben Sie Steuersenkungen versprochen und lehnen im Bundesrat jeden Abbau von Steuersubventionen ab, meine Damen und Herren.

Die Welt stellte dazu schlicht fest:

„Das Gesundheitsmodell beschädigt die Glaubwürdigkeit der Union als eine Reformkraft.“

Kein Wunder, dass Ihnen bei diesem finanzpolitischen Amoklauf auch noch Friedrich Merz abhanden gekommen ist.

Ihre eigene Herzog-Kommission hatte eine Kopfpauschale von 264 Euro ermittelt. Der Leipziger CDU-Parteitag hatte nach öffentlichen Protesten diese Einheitspauschale auf 169 Euro gesenkt. Nun haben Sie noch 109 Euro beschlossen. Ich finde, das ist eine bewusste Irreführung der Menschen und in hohem Maße haushaltspolitisch unseriös, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD)

Die jetzige Kopfpauschale von 109 Euro ist völlig willkürlich festgesetzt. Sie haben dabei weder die demografische noch die Kostenentwicklung im Gesundheitswesen berücksichtigt. Die Pauschale entspricht vielmehr ausschließlich den Vorgaben der CSU.

Die öffentlichen Reaktionen waren auch an Deutlichkeit nicht zu überbieten. So stellte der Vorsitzende des Hartmannbundes, Hans-Jürgen Thomas, fest, es sei unverantwortlich, dem Bürger zu vermitteln, dass mit dieser Kopfprämie der jetzige

medizinische Standard zu halten sei. Arbeitgeberpräsident Hundt sprach von einem fondssteuerergänzungsfinanzierten Teilpauschalprämiensystem.

Meine Damen und Herren, dieses System ist „unsolidarisch, unterfinanziert und bürokratisch“, so Horst Seehofer; danach musste er gehen. In der Tat: Bei 39,9 Millionen Menschen, davon allein 7,3 Millionen Kinder unter 18 Jahre, würden die Einkünfte nicht ausreichen, um unter Ihrer 7prozentigen Belastungsgrenze zu bleiben. Im heutigen System und auch in der Bürgerversicherung muss jedenfalls niemand Anträge auf Unterstützung zur Finanzierung seiner Kassenbeiträge stellen, meine Damen und Herren. Sie machen in Ihrem Modell halb Deutschland zu Fürsorgeempfängern, davon allein zwei Drittel aller Rentnerinnen und Rentner, und das, wenn es nach Ihnen geht, möglichst nach dem Bedürftigkeitsprinzip Ihrer Sozialministerin hier in Niedersachsen. Das ist eigentlich nur noch unglaublich, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD - Zuruf von Ulf Thiele [CDU])

- Wenn es nach Ihnen ginge, Herr Kollege, hätte niemand mehr eine Krankenversicherung. Sie sollten sich einmal Ihr eigenes Modell anschauen. Sie werden übrigens aus guten Grund lange brauchen, um es im Internetangebot der CDU zu finden. Schauen Sie es sich einmal an, dann wissen Sie, worüber Sie reden.

(Ulf Thiele [CDU]: Ja, lenken Sie nur ab!)

Die Arbeitgeberbeiträge werden bei 6,5 % eingefroren. Die gesetzlich Versicherten tragen sämtliche Kostensteigerungen im Gesundheitswesen allein. In Ihrem Parteitagsbeschluss nennen Sie das „Wettbewerb zugunsten von Versicherten und Patienten“. Ich nenne das blanken Zynismus, meine Damen und Herren.

Die Konsequenzen sind nämlich ein Gesundheitssystem nach Kassenlage des Finanzministers, Absenkungen der Leistungen auf das Niveau der Minimalversorgung für Gering- und Normalverdiener und steigende Selbstbeteiligungen. Alle anderen, gut Situierten: ab in die Privatversicherung! - Mit unserem bewährten Solidaritätssystem hat dieses nichts mehr zu tun. Aber Solidarität spielt bekanntlich auch bei Ihnen in der Sozialpolitik auf Landesebene keine Rolle mehr.

Die FDP will die gesetzliche Krankenversicherung ohnehin abschaffen, zumal das ja in den USA „hervorragend“ klappt. Dort sind damit zwischenzeitlich immerhin 25 Millionen Menschen völlig ohne Krankenversicherungsschutz. Trotzdem haben die USA das teuerste Gesundheitswesen der Welt. Einen solchen Systemwechsel gegen die Menschen werden wir mit allen Mitteln bekämpfen.

(Beifall bei der SPD)

Merke: je höher der Verdienst, umso geringer die Belastung mit der CDU-Einheitspauschale. Familien werden gegenüber allein Stehenden erst beim doppeltem Einkommen in gleicher Weise entlastet. Wenn das die von Frau von der Leyen in Talkshows dargestellte neue Familienpolitik ist, dann kann ich nur sagen: gute Nacht, Familien!

Die Süddeutsche Zeitung stellte dazu schlicht fest:

„Wenn der Gesundheitskompromiss das Gesellenstück zum Nachweis der Regierungsfähigkeit sein sollte, kann man nur hoffen, dass diese Gesellen in dieser Verfassung nicht so schnell als Meister die Werkstatt Deutschland übernehmen.“

Ich finde, dem ist nichts Treffenderes hinzuzufügen. Ihre neue Kopfpauschale ist ein absoluter Rohrkrepierer.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Danke schön. - Für die CDU-Fraktion spricht Frau Kollegin Ross-Luttmann, bitte!

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir werden morgen im Plenum über die Einrichtung einer Enquete-Kommission „Demographischer Wandel - Herausforderung an ein zukunftsfähiges Niedersachsen“ abstimmen, ein für unser Land eminent wichtiges Thema. Im Jahr 2050 werden die Hälfte der bei uns lebenden Menschen über 48 Jahre, ein Drittel über 60 Jahre alt sein, und dies trotz eines erwarteten Bevölkerungsrückgangs, trotz Zuwanderung. Noch leben in Deutschland 82 Millionen Menschen, aber schon heute sind nur noch rund 27 Millionen Menschen sozialversicherungspflichtig beschäftigt. Allein von

Februar 2001 bis April 2004 ist die Zahl der Beschäftigten in Deutschland um 1,3 Millionen zurückgegangen. Und das, Herr Schwarz, ist ein Skandal!

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Da die Finanzierung unseres Gesundheitssystems nach wie vor an den Faktor Arbeit gekoppelt ist, kommt bereits heute weniger als die Hälfte der in Deutschland lebenden Menschen solidarisch für die soziale Sicherung aller auf. Das ist zutiefst ungerecht und unsozial, und das will die CDU ändern.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Diese dramatische Entwicklung wird sich bei den Krankenversicherungsbeiträgen auch aufgrund des zunehmenden Durchschnittsalters und der niedrigen Geburtenrate in den nächsten Jahren noch verstärken. Wenn wir am heutigen Finanzierungssystem festhalten, sind entweder höhere Beiträge oder Leistungseinschränkungen die zwangsläufige Folge. Zu Recht wollen wir nicht die uferlose Erhöhung der Beitragssätze und damit steigende Lohnzusatzkosten. Zu Recht wollen wir nicht eine Kürzung von medizinischen Leistungen und damit unseren Anspruch auf Medizin für jedermann minimieren. Deshalb führt an dem dringend notwendigen Umbau unseres Gesundheitswesens kein Weg mehr vorbei.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Wir brauchen den Paradigmenwechsel. Hierzu ist die CDU bereit. Gesundheit ist unser höchstes Gut. Deshalb müssen wir alle Anstrengungen unternehmen, um auch in Zukunft eine umfassende medizinische Versorgung für alle Menschen sicherzustellen.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP Uwe Schwarz [SPD]: Bei Ihnen kann man die nicht mehr bezahlen! Das ist der Unterschied!)

Meine Damen und Herren, wie sollte eine optimale, zukunftsorientierte Krankenversicherung aussehen? - Optimale medizinische Versorgung für alle, Gerechtigkeit in der Finanzierung und weitgehende Entkoppelung von den Lohnkosten. Zur Reform des Beitragswesens gibt es zwei Vorschläge: die so genannte Bürgerversicherung von der SPD und das Gesundheitsprämienmodell der CDU/CSUBundestagsfraktion.

Meine Damen und Herren, kurz zur Bürgerversicherung. Sie von der SPD hoffen, mit einer Bürgerzwangsversicherung die Probleme lösen zu können, indem Sie auf der einen Seite den Versichertenkreis und auf der anderen Seite den Bemessungssatz durch Einbeziehung sämtlicher Einkunftsarten erweitern. Beamte und Selbständige sollen in die GKV zwangseinbezogen werden. Allein hierdurch soll die erforderliche Entlastung der GKV eintreten. Jedoch dürfte sich die Entlastung, selbst wenn alle Menschen in die GKV einbezogen würden, auf höchstens 0,2 % belaufen. Das allein reicht nicht aus.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Ihre Überlegungen zur Bürgerversicherung, meine Damen und Herren von der SPD, werden den zukünftigen Herausforderungen nicht im Mindesten gerecht. Der Faktor Arbeit bleibt bei Ihnen nach wie vor belastet. Der Teufelskreis aus steigenden Beiträgen und wachsender Arbeitslosigkeit wird bei Ihnen nicht durchbrochen. Solange die Finanzierung des Gesundheitssystems mit dem Faktor Arbeit verbunden ist, wirkt sie lähmend auf den Arbeitsmarkt.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Ihr Modell kostet Arbeitsplätze. Die fünf Wirtschaftsweisen befürchten bei der Umsetzung Ihrer Vorschläge einen Verlust von 1,25 Millionen Jobs. Das nehmen Sie einfach so in Kauf. Deshalb verwundert es mich auch überhaupt nicht, dass die Bundesregierung eine weitere Konkretisierung dieser Eckpunkte augenscheinlich nicht vorantreibt. Sie hat wohl selbst begriffen, dass ihre Ideen nicht ausgereift sind und mehr schaden als nutzen.

Anders unser Gesundheitsprämienmodell. Wir stellen die Gesundheitsfinanzierung auf eine neue, sichere Basis. Das ist der Schritt in die richtige Richtung. Alle Versicherten erhalten eine optimale medizinische Versorgung. Sie zahlen dafür künftig unabhängig von ihrem Einkommen, Gesundheitszustand und Alter einheitliche Beträge - insofern haben Sie Recht, Herr Schwarz -, aber begrenzt auf maximal 7 % des Einkommens. Das ist transparent. Der Ausgleich zwischen den einkommensschwächeren und einkommensstärkeren Personengruppen ist steuerfinanziert ausgestaltet. Besser Verdienende werden somit über ihre Einkommensteuer wesentlich stärker zur Gesundheitsprämie herangezogen.

Ich möchte also festhalten: kleine Einkommen = kleine Belastungen, mittlere Einkommen = mittlere Belastungen, hohe Einkommen = hohe Belastungen. Das, meine Damen und Herren, ist gerecht.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Die Gesundheitsfinanzierung wird unter den Krankenkassen im Übrigen zu mehr Wettbewerb um die Versicherten und damit zu mehr Qualität in der Versorgung und zu einem breiteren Leistungsspektrum führen. Dies kommt dann allen versicherten Menschen zugute. Hier freue ich mich und bin auch sehr stolz, dass unsere Sozialministerin, Frau Dr. Ursula von der Leyen, an dem zukunftsgerichteten Modell der Gesundheitspauschale entscheidend mitgewirkt hat.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Sie tritt für eine solidarische Gesundheitsversorgung ein, die allen Menschen, unabhängig von ihrem sozialen und wirtschaftlichen Umfeld, zugute kommt. Sie hat mit dafür gesorgt, dass die Kinder der gesetzlich Krankenversicherten beitragsfrei mitversichert bleiben. Diese Beitragsfreiheit soll von der Allgemeinheit getragen und aus Steuermitteln finanziert werden. Das ist sozial und wird auch der überragenden Bedeutung von Kindern für die Zukunft unserer Gesellschaft gerecht.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Der Sachverständigenrat für die gesamtwirtschaftliche Entwicklung hat nachgewiesen, dass die Gesundheitsprämie zu Beschäftigungswachstum führt. Meine Damen und Herren, sozial ist, was Arbeitsplätze schafft.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)