Protocol of the Session on December 15, 2004

Die Förderung von Trägern der Jugendarbeit nach dem Jugendförderungsgesetz ist innerhalb von zwei Jahren um 75 % - ich wiederhole: um 75 % von 2,6 Millionen Euro auf 0,5 Millionen Euro gekürzt worden.

Die Mittel für den Kinder- und Jugendplan haben Sie von ebenfalls 2,6 Millionen Euro auf Null gesetzt. Die Landesstelle für den Jugendschutz stellte dazu am 23. Juli dieses Jahres fest:

„Außer dem Thema Jugendarbeitslosigkeit haben jugendpolitische Themen bei dieser Sozialministerin keinen Stellenwert. Eine Fortschreibung eines landesweiten Kinder- und Jugendplanes ist derzeit nicht mehr in Sicht.“

In der Tat, Frau Ministerin, sind Sie jugendpolitisch bisher nur damit aufgefallen, dass Sie eine Bundesratsinitiative angekündigt haben, um - zur Sanierung Ihres Haushalts - die Kinder- und Jugendhilfe einkommensabhängig auszugestalten. Diese Bundesratsinitiative ist anscheinend aber nicht auf den Weg gebracht worden. Ersatzweise haben Sie sich erst einmal die Blinden vorgenommen.

Und wer in der Frauenpolitik glaubte, dass eine Ministerin, die auch Frauenministerin ist, Gleichberechtigung einfordern und Maßnahmen zur Durchsetzung der Gleichberechtigung fördern würde, wurde schnell eines Besseren belehrt. Die Frauenministerin hat gerade alle Frauenprojekte ersatzlos gestrichen. Frauenpolitik ist unter dieser Ministerin nicht mehr Förderung der Gleichberechtigung, sondern nur noch Förderung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf.

(Beifall von Christina Bührmann [SPD])

Solange die Gleichberechtigung nicht erreicht ist, brauchen wir aber auch spezielle Frauenprojekte sowie Frauen- und Gleichstellungsbeauftragte, die sich vor allem für die Chancengleichheit von Frauen einsetzen.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Mit dem jetzt vorgelegten Gesetzentwurf zur Änderung der Gemeindeordnung werden die Frauenbeauftragten weitgehend abgeschafft und der örtlichen Kassenlage geopfert.

(Reinhold Hilbers [CDU]: Das ist doch falsch! Den Kommunen wurde das anheim gestellt! Sie wissen doch ganz genau, dass das keine Abschaffung bedeutet!)

- Es ist ja schön, dass Sie so viel von Frauenpolitik verstehen!

Diese Frauenpolitik ist ein bewusster Rückfall in die 60er-Jahre. Die zwei Alibifrauen im Kabinett können darüber auch nicht hinwegtäuschen.

(Beifall bei der SPD)

In der Geschichte Niedersachsens hat es bis heute zweimal einen Krisengipfel der Wohlfahrtsverbände gegeben: am 4. November 2003 und am 25. November 2004, also beide in der kurzen Amtszeit von Frau Ministerin von der Leyen.

(Vizepräsidentin Ulrike Kuhlo über- nimmt den Vorsitz)

Ich finde, das ist keine Leistung, auf die man stolz sein muss. Ich finde, das ist eher eine Leistung, die beschämend ist.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

In einer gemeinsamen Erklärung stellte der Paritätische Niedersachsen fest:

„Blinde Menschen, behinderte Menschen, drogen- und suchtkranke Menschen, Mädchen und Frauen, Migranten und Aidskranke, Gesundheitsförderung - diese Reihe ließe sich beliebig fortsetzen, sie alle sind von zum Teil existenzbedrohenden sog. Sparmaßnahmen der Niedersächsischen Landesregierung betroffen. Langjährig und notwendig aufgebaute Strukturen sozialer Hilfe werden zerstört... Darüber hinaus hat sich die Landesregierung erneut der den Verbänden der Freien Wohlfahrtspflege zustehenden Lottomittel bemächtigt. Innerhalb von zwei Jahren werden ca. 25 % abkassiert.“

Das, meine Damen und Herren, ist keine Wortschöpfung der Opposition, sondern das schreiben Ihnen die Wohlfahrtsverbände unverblümt ins Stammbuch. Das Schlimme daran ist, sie haben an jeder Stelle Recht, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Sie sollten endlich kapieren, dass Wohlfahrtsverbände nicht zu ihrem Selbstzweck arbeiten, sondern nach dem Subsidiaritätsprinzip staatliche Aufgaben wahrnehmen.

(Reinhold Hilbers [CDU]: Deshalb för- dern wir sie ja auch!)

- Deshalb fördern Sie sie im nächsten Jahr mit knapp 3 Millionen Euro weniger. Darüber kann dieses 1 %, das Sie wieder drauflegen, nicht hinwegtäuschen. Sie haben ihnen innerhalb von zwei Jahren 25 % der Mittel weggenommen. Das ist die Realität.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN - Reinhold Hilbers [CDU]: Und Sie haben Geld ausgegeben, das Sie gar nicht hatten!)

- Wenn Sie ihnen etwas wegnehmen, dann müssen sie das vorher bekommen gehabt haben, nämlich von der SPD-Regierung. Seien Sie doch einmal logisch, Herr Kollege!

Ich weiß im Übrigen wirklich nicht, was Sie treibt; denn entgegen Ihren Sonntagsreden zerstören Sie an dieser Stelle nicht nur die Arbeitsgrundlage für die Wohlfahrtsverbände, sondern zerstören Sie zusätzlich das viel gerühmte ehrenamtliche Engagement. Das ist genau das Gegenteil dessen, was immer verkündet wird.

Die Wohlfahrtsverbände haben uns mitgeteilt, dass am 22. November dieses Jahres ein Gespräch mit der Ministerin geplant war, um wenigstens die atmosphärischen Störungen zu beseitigen. Allerdings - ich zitiere - habe die Ministerin wieder kurzfristig abgesagt und ihren Staatssekretär geschickt.

Meine Damen und Herren, diese Verhaltensweise der Ministerin wird uns zunehmend auch von anderen Verbänden und Einrichtungen zugetragen. Die Ministerin geht zu Smiling-Terminen, zieht ihre EinPersonen-Show ab, steckt beim Hinausgehen noch die Hütte an und überlässt das Löschen ihrem Staatssekretär.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN - Zurufe von der CDU)

- Sie können ruhig den Kopf schütteln. Sie sollten einmal mit Verbänden reden, wie viele hier gegen

die Wand laufen, wenn sie einen Termin haben möchten und wie kurzfristig Termine wieder abgesagt werden. Auch das ist einmalig im Umgang einer Regierung mit Verbänden, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

In einem Spiegel-Interview sagte die Ministerin vor wenigen Tagen: „Ich traue mir noch vieles zu.“

(Wolfgang Jüttner [SPD]: Wir ihr auch!)

Sehr geehrte Frau von der Leyen, angesichts Ihres Umganges mit den Wohlfahrtsverbänden, mit Behinderten und Blinden sage ich Ihnen: Wir trauen Ihnen zwischenzeitlich alles zu.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Beim Städtebau hat die Landesregierung mit ihrer wirtschafts- und sozialpolitischen Kompetenz eine Einsparung von knapp 100 000 Euro vorgenommen. Dies wird dazu führen, dass in den nächsten fünf Jahren Investitionen in Höhe von 450 Millionen Euro in Niedersachsen unterbleiben. Damit verzichtet die Landesregierung im Städtebau auf insgesamt 23 Millionen Euro Bundes- und Europamittel. Sie haben vor Ihrem Amtsantritt Investitionen in Milliardenhöhe gerade zur Förderung der Bauwirtschaft gefordert. Sie tun heute auch an dieser Stelle genau das Gegenteil dessen, was Sie von uns immer eingefordert und was Sie versprochen haben.

Zu Ihrem Hinweis - der ist gerade wieder gekommen -, dass im Jahre 2006 die Städtebauförderung weitergeführt wird, sage ich Ihnen: Warten wir vorsichtshalber erst einmal ab. Die Erfahrungen mit Ihren Zusagen gegenüber Blinden und Behinderten haben eindrucksvoll bewiesen, dass Vertrauen und Verlässlichkeit jedenfalls keine Stärken dieser Sozialministerin sind.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, ganz nebenbei gesagt: Im Maßregelvollzug kappen Sie 6 Millionen Euro und verringern die Anzahl der Fachkräfte. Ich sage Ihnen: Diese Position halten Sie genau so lange durch, bis es dort die erste ernsthafte Entweichung gegeben hat.

Zur Begründung der Streichung des Blindengeldes hat Frau von der Leyen den Generationenvertrag und die Generationengerechtigkeit vorgebracht. Das ist in der Tat eine neue Argumentation. Ich glaube nämlich nicht, dass es etwas mit Generationengerechtigkeit zu tun hat, wenn Sie alte, blinde Menschen zu ihren Kindern schicken, damit sie dort betteln müssen, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Ich glaube, dass es in der Endphase Ihrer Haushaltsdebatte überhaupt nicht mehr um Haushaltspolitik ging. Es gab jedenfalls keine haushaltspolitischen Gründe mehr, die Sie hier in den Vordergrund stellen. Es hat genug Kompromisslinien gegeben - Kompromisslinien vom Blindenverband, aber auch aus der CDU-Fraktion heraus, die ernsthaft eingebracht worden sind. All diese sind unberücksichtigt gelassen worden. Sie hätten es regeln können, aber es ging an dieser Stelle nur noch um eine kalte Machtdemonstration der CDU/FDP-Regierung.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN - Reinhold Hilbers [CDU]: Das ist doch eine Parteitagsrede!)

Ich finde es problematisch, dass Sie die jahrzehntelang bestehende konstruktive Zusammenarbeit mit dem Blindenverband zerstört und das Entgegenkommen des Verbandes schamlos ausgenutzt haben.

Der Scheinkompromiss, den Sie heute schließen werden, wird dazu führen, dass ein Großteil der 12 000 Zivilblinden in diesem Land mittelfristig in die Heime abgeschoben und in die Isolation getrieben wird. Das Schlimme ist: Sie wissen das auch ganz genau, weil nämlich ein Teil Ihrer Sozialpolitiker Sie vor dieser Entwicklung gewarnt hat, meine Damen und Herren.

Sie protzen zurzeit in Pressemitteilungen mit tollen Einkommen, die Blinde angeblich zukünftig haben, wenn sie vom Sozialamt Leistungen erhalten. Sie verschweigen bewusst, dass blinde Menschen überhaupt erst dann einen Anspruch auf Blindenhilfe bekommen, wenn ihr Vermögen 2 600 Euro nicht überschreitet.

(Reinhold Hilbers [CDU]: Das hat auch niemand bestritten!)

- Ich möchte Ihnen nur einmal sagen, falls Sie es vergessen haben sollten, Herr Kollege: Das ist die Hälfte einer Monatsdiät eines Abgeordneten. Mit 2 600 Euro bekommen Sie in Deutschland noch nicht einmal eine vernünftige Beerdigung geregelt. Aber genau mit diesem Betrag speisen Sie Blinde ab, bevor sie überhaupt einen Anspruch haben. Sie sorgen dafür, dass Blinde erstens keine Rücklagen mehr bilden können, zweitens nichts mehr ansparen können und drittens wirklich ihren letzten Notgroschen aufopfern müssen, bevor sie überhaupt Leistungen vom Sozialamt bekommen. Und das hat nach Ihrer Ausrichtung etwas mit sozialer Gerechtigkeit zu tun? Sie können mir nur Leid tun, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN - Norbert Böhlke [CDU]: Völlig lebensfremd!)