Die Wahrheit ist ganz anders. Die Wahrheit ist, dass Sie an dieser Stelle - ob bewusst oder unbewusst, weiß ich nicht, aber nach den vielen Argumenten muss ich unterstellen, Sie tun das bewusst - den blinden Menschen das Selbstbestimmungsrecht nehmen, und - noch viel schlimmer Sie nehmen ihnen auch das Selbstwertgefühl.
Sie haben bewusst ein Exempel statuiert. Herr Rösler hat dies ja auch bestätigt. Er hat gesagt, es sei wichtig, dass man beim Blindengeld den Systemwechsel geschafft habe. - Ich finde, das ist gerade für einen Augenarzt eine ungeheuerliche Aussage.
Alle Mitglieder der CDU-Fraktion, die sich wirklich bemüht haben, das Unheil abzuwenden, hatten keine Chance gegen den neuen Shootingstar der Union, der - das will ich zugeben - kalt lächelnd und zielorientiert den Systemwechsel betrieben hat.
In der Kolummne der Bild-Zeitung vom 6. November 2004 beschäftigte sich Frau von der Leyen unter Namensnennung ihrer Zwillinge Victoria und Johanna - Sie haben die dort genannt - mit dem Umgang gehandicapter Menschen. Ich zitiere:
Chance, von dem Lebensmut, der Lebensfreude und dem Lebenswillen der behinderten Menschen zu lernen. Diese Botschaft versuche ich auch meinen Kindern weiterzugeben.“
Sehr geehrte Frau Ministerin, es wäre gut, wenn Sie diese Lebensweisheit nicht nur Ihren Kindern weitergeben würden, sondern wenn Sie sie selbst beherzigt hätten. Dann nämlich wäre den Blinden in diesem Land viel erspart geblieben.
Wir fordern Sie auf: Kehren Sie um! Machen Sie Schluss mit dieser Politik des sozialen Kahlschlags auf Kosten der Ärmsten und der Schwächsten in unserem Land! Hören Sie auf, die soziale Infrastruktur in Niedersachsen zu zerstören! - Meine Damen und Herren, das sagte Christian Wulff in seiner Haushaltsrede am 8. Dezember 1994. Ich finde, dem ist aktuell nichts mehr hinzuzufügen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich beginne mit Zitaten, und zwar von Herrn Gabriel. Leider ist er nicht da.
Zitat 1 - von gestern -: Ziel der Landesregierung ist nicht konsequente Sozialpolitik, sondern konsequenter Umbau des Sozialstaates. - Das ist richtig, das ist aber auch notwendig. Auch Sie von der SPD wissen sicherlich, dass die soziale Sicherung, wie wir sie heute haben, einfach nicht mehr bezahlbar ist und dass wir deshalb einen Umbau des Sozialstaates brauchen. Deswegen kann man es fast als ein Kompliment verstehen, wenn Herr Gabriel uns genau dieses vorwirft.
Zitat 2. Herr Gabriel hat gesagt: Sie werden hier im Lande nicht fürs Lächeln bezahlt, sondern fürs Regieren.
Dazu muss ich sagen, das Lächeln kann einem bei dem Haushalt auch ziemlich vergehen, erst recht bei der Sozialpolitik.
Dass wir fürs Regieren bezahlt werden, das wissen wir. Wir nehmen das Regieren auch ernst. Gerade darum betreiben wir ja diesen Umbau, der notwendig ist, damit der Sozialstaat wieder bezahlbar wird.
Mein drittes Zitat kommt nun nicht von Herrn Gabriel, sondern von Dietrich Bonhoeffer. Dietrich Bonhoeffer hat gesagt: „Die letzte entscheidende Frage ist, wie man das Leben der kommenden Generationen sichern kann.“
Recht hat der Mann. Gerade deshalb müssen wir jetzt - leider - Einschnitte vornehmen. Um die Sozialpolitik für die Zukunft zu sichern, brauchen wir Einsparungen. Die Frage ist nur, wo eingespart wird.
Ich bin im Sommer beim Vorstand der Landesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtsverbände gewesen. Dort hat man mir gesagt, wo überall nicht gespart werden darf: bei den Toto/LottoMitteln für die Wohlfahrtsverbände, beim Blindengeld und bei der Nichtsesshaftenhilfte. Am Besten, hieß es, sparen Sie gar nicht im Sozialhaushalt. Ich habe darauf gesagt: Ich kann zwar nachvollziehen, dass Sie das so sehen, aber wir müssen überlegen, wo wir Einsparungen hinbekommen, um in Zukunft überhaupt noch einen Sozialhaushalt zu haben. Das Unsozialste sind nämlich weitere Schulden. Darüber haben wir oft gesprochen, und das versuchen wir zu beherzigen.
Jetzt kommt das dritte Zitat von Herrn Gabriel. Er hat gesagt, es wäre erbarmungslos, eine Gruppe Behinderter gegen eine andere auszuspielen.
Das ist in der Tat schwierig. Wir müssen im Moment zwar nicht eine Gruppe gegen die andere ausspielen, aber eben ganz genau hinsehen, wer
was bekommt, und versuchen, das möglichst gerecht zu verteilen. Das macht keinen Spaß, ist aber erforderlich, weil der Haushalt so ist, wie er ist, und weil wir auch in Zukunft noch eine Sozialpolitik für unsere Kinder, Enkelkinder usw. finanzieren wollen.
In einigen Bereichen konnten wir Kürzungen abwenden bzw. haben wir gar keine Kürzungen vorgesehen, z. B. - was mich sehr freut - im Bereich Aids, im Bereich Sucht, beim Täter/Opfer-Ausgleich, also bei der sozialpädagogischen Betreuung jugendlicher Straftäter, beim Ehrenamt und bei den Selbsthilfegruppen.
In anderen Bereichen mussten wir allerdings anders verfahren. Der erste Bereich ist - das ist schon vielfach thematisiert worden - das Landesblindengeld. Dazu möchte ich Folgendes sagen: Das war für alle eine enorm schwierige Entscheidung, auch für mich persönlich.
Das Landesblindengeld wurde bis jetzt vermögensunabhängig gezahlt. Wir sind das erste Bundesland, das aus dieser vermögensunabhängigen Zahlung eines Nachteilsausgleichs aussteigt. Der Verantwortung, die wir damit tragen, sind wir uns sehr wohl bewusst gewesen; das können Sie mir glauben. Der Punkt ist nur: Dass das bis jetzt noch niemand gemacht hat, heißt nicht, dass alle anderen es richtiger oder sozial gerechter machen.
Alle Landesregierungen, die jetzt neu an die Regierung gekommen sind, haben darüber diskutiert, ob man hier einen Systemwechsel, wie es so schön heißt, nämlich den Ausstieg aus der vermögensunabhängigen Nachteilsausgleichszahlung, verantworten kann und ob man ihn vollziehen soll. Darüber hatte auch die frühere SPD-Regierung diskutiert, und darüber hat auch ganz aktuell die neue SPD/PDS-Regierung in Berlin diskutiert. Gemacht hat es letztlich niemand. Aber es erfordert ja auch Mut, so etwas zu machen, von dem viele denken, dass es eigentlich richtig wäre, weil wir nicht mehr alles bezahlen können, was wir bezahlen wollen.
Nun bin ich nicht gerade besonders stolz darauf, dass wir die Ersten sind, die sich trauen. Mir ist das auch enorm schwer gefallen. Ich halte es aber den anderen gegenüber für gerecht und für richtig.
desblindengeld streichen, keine Mittel mehr für Blinde gibt. Das ist aber gerade nicht der Fall. Wenn das so gewesen wäre, hätten wir das Landesblindengeld auf keinen Fall gestrichen. Es gibt auf jeden Fall weiterhin die Mittel über das SGB XII, früher das BSHG. Diese Mittel muss man beantragen. Herr Schwarz hat gesagt, dass die Bemessungsgrundlage besonders hoch ist. Das weiß ich auch. Der Punkt ist aber: Das SGB XII ist von der rot-grünen Bundesregierung so verabschiedet worden und sieht nun einmal eine geringe Schlechterstellung der blinden Menschen vor. Das haben nicht wir zu verantworten. Das ist Bundesrecht.
Im Zusammenhang mit dem Landesblindengeld ist auch immer wieder auf Artikel 3 Abs. 3 des Grundgesetzes verwiesen worden: „Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.“ Das ist uns bewusst. Ich sage nur: Alle Menschen mit Behinderungen, und zwar egal welcher - dabei ist Blindheit sicherlich die schwerste Behinderung -, bekommen entsprechende Zahlungen über die sozialhilferechtlichen Möglichkeiten, die wir in Deutschland haben. Das ist von allen Parteien so geregelt worden. Dem haben alle zugestimmt, auch die rot-grüne Bundesregierung.
Im Zusammenhang mit dem Systemwechsel haben Sie Herrn Rösler zitiert. Das, was er gesagt hat, ist mit Sicherheit ungünstig herübergekommen. Ich weiß sehr wohl, dass das auch ihm nicht leicht gefallen ist.
Wir haben jetzt ein neues System für die Zahlungen an Blinde. Das Landesblindengeld gibt es nur noch für die 0- bis 27-Jährigen. Herr Wulff hat es schon gesagt: Für die 0- bis 18-Jährigen gibt es jetzt sogar noch mehr als vorher, nämlich 300 Euro.
Meine Damen und Herren, ich bitte, die Zweierund Dreiergespräche draußen zu führen. Ich habe den Eindruck, es hört kaum noch jemand zu.
Das ist leider so. Es ist schade, dass gerade bei Sozialpolitik so ein Raunen durch den Saal geht und niemand mehr richtig zuhört.
Wir haben jetzt noch 27 Millionen Euro für blinde Menschen in Niedersachsen zur Verfügung. Damit haben wir 2 Millionen Euro auf das draufgelegt, was vom Bund zur Weitergabe an die Kommunen erwartet wird. 3 Millionen Euro sind für die 0- bis 27-Jährigen. Die 0- bis 18-Jährigen werden besser gestellt. Sie bekommen statt 204,5 Euro jetzt 300 Euro im Monat. Wir haben den Mobilitätsfonds mit 3 Millionen Euro und 21 Millionen Euro, die über die Kommunen auf Antrag verteilt werden können.
Mir persönlich wäre es lieber gewesen, wir hätten die Altersgrenze noch anders festsetzen können. Ich habe in vielen Gesprächen nämlich erfahren, dass es für blinde Menschen dann besonders schwierig ist, wenn sie im Rahmen ihrer Berufstätigkeit erblinden. Gerade dann brauchen sie den entsprechenden Nachteilsausgleich. Auch da greifen zwar die verschiedensten Gesetze, aber gleichwohl hätte ich mir gut vorstellen können, dass man das anders berücksichtigt.
Der Systemwechsel als solcher ist aber absolut richtig. Ich habe auch für ihn gestimmt; das möchte ich ausdrücklich sagen. Wer ein Leben lang gearbeitet und etwas angespart hat, kann sich auch in vertretbarem Umfang bei Erhalt staatlicher Leistung beteiligen.
Jetzt zum nächsten Punkt - Herr Schwarz hat ihn schon angesprochen -, dem Gleichstellungsgesetz für Menschen mit Behinderung. Sie haben angemahnt, dass es dieses Gesetz noch nicht gibt. Das ist richtig. Aber auch die vorherige Landesregierung hat keinen Gesetzentwurf dazu vorgelegt, obwohl das keine Entschuldigung sein soll.
Es ist im Moment schwierig, dieses Gleichstellungsgesetz auf den Weg zu bringen, und zwar aus folgenden Gründen: Wir haben in der Regierungserklärung Konnexität versprochen. Wir haben den Kommunen gesagt, wir wollen sie nicht mit Kosten befrachten, die wir oben beschließen. Sie wissen ganz genau, dass dort über Behindertenräte und Behindertenbeauftragte gesprochen wird, die wir so bislang nicht haben. Dort müssen wir sehr genau prüfen, ob man das durchsetzen kann und wie man das durchsetzen kann. Darum gibt es auch noch kein Gesetz.