Protocol of the Session on November 19, 2004

Mit den folgenden Worten möchte ich den Grünen am Ende meiner Rede versöhnlich die Zukunftsangst ein wenig nehmen: Markt und Ökologie schließen einander nicht aus!

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Für die SPD-Fraktion hat der Abgeordnete Haase das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Dürr, die schöne heile liberale Welt: Ich vermag sie nicht zu akzeptieren, auch wenn Sie sie mit noch so leuchtenden Augen immer wieder verkünden. Aber lassen Sie uns zum Thema kommen. Das Thema „Abfallwirtschaft“ ist meines Erachtens zu Recht heute unser Thema, denn für die zuständigen Entscheidungsträger auf der kommunalen Ebene ist die aktuelle Situation im Abfallbereich nach wie vor durch eine Reihe von Unwägbarkeiten geprägt. Der Zeitpunkt einer Novellierung des Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetzes ist offen, und die Diskussion um die Aufteilung der Entsorgungsverantwortung zwischen Kommunen und privaten Entsorgern bei Hausmüll und Gewerbeabfällen hält an. Weitergehende Modelle, von Aufgabenprivatisierung bis hin zur vollständigen Liberalisierung der Abfallwirtschaft, werden debattiert und erlangen gerade angesichts der europäischen Entwicklungen immer wieder aktuelle Relevanz auch für uns. Meine Damen und Herren, aus diesem Grunde ist es sehr wichtig und richtig, dass wir uns heute mit der Zukunft der kommunalen Abfallwirtschaft befassen.

Ich sage auch zu Ihnen, Frau Klopp, schon von hier aus einen Satz: Ich finde es sehr gut, dass Sie sehr deutlich gemacht haben, dass die Union, offensichtlich geprägt von kommunalen Interessen, nicht alles dem freien Spiel der Kräfte überlassen will.

(Unruhe - Glocke des Präsidenten)

Anlass der heutigen Debatte ist - sollte ich sagen: leider? -, Herr Minister, wieder einmal eine Aussa

ge, die Sie auf einer Tagung der IHK zum Thema „Abfallwirtschaft“ getroffen haben. Wie auch dem Antrag der Fraktion der Grünen - Frau Steiner hat ihn begründet - zu entnehmen ist, sind dies einmal mehr Aussagen, die meines Erachtens nicht unkommentiert im Raum stehen bleiben können. Sie bringen nämlich tatsächlich Unruhe in die Kommunen, und zwar nicht produktive.

Meine Damen und Herren, Experten sind sich einig: Mehr Marktwirtschaft darf nicht als abfallpolitisches Allheilmittel betrachtet werden. Die Frage, ob öffentliche oder private Strukturen zu einer effizienteren Abfallwirtschaft führen, wird naturgemäß von Vertretern der Wissenschaft, der mittelständischen privaten und der kommunalen Entsorgungswirtschaft sehr unterschiedlich beantwortet. Dennoch gibt es in allen diesen Diskussionen einen gemeinsamen Standpunkt, nämlich dass einer völligen Liberalisierung der Abfallwirtschaft auch aufgrund der Umweltstandards, die unser Umweltminister offensichtlich favorisiert oder zumindest schon wieder andenkt, nicht zugestimmt wird. Erfahrungen mit der Liberalisierung - ich führe jetzt nicht das Beispiel des Strommarkts an - in anderen Bereichen der Daseinsvorsorge haben doch deutlich gezeigt, dass die Kommunen und ihre Bürger bei einer totalen materiellen Privatisierung der kommunalen Aufgabe „Abfallwirtschaft“ und einer Umsetzung der Liberalisierung der kommunalen Entsorgungsmonopole wenig zu gewinnen, jedoch viel zu verlieren hätten.

Herr Ministerpräsident Wulff hat vorgestern in der Aktuellen Stunde die Bedeutung der Kommunen ganz besonders hervorgehoben. Sie seien ortsnah und dicht an den Bedürfnissen der Menschen. Ich glaube, dass wir uns darin alle einig sind. Viele von uns sind ja auch der Kommunalpolitik entwachsen.

(David McAllister [CDU]: Das sagen Sie einmal Ihrem Fraktionsvorsitzen- den!)

- Für mich gehört aber dazu im Rahmen der Sicherung der Daseinsvorsorge, Herr Mc Allister, auch eine sichere, umweltgerechte und kostengünstige Abfallentsorgung, die bei den Kommunen am besten aufgehoben ist.

Ich verweise darauf, dass sich, wie es der Zufall will, gerade dieser Tage in Emden über 100 Vertreter kommunaler Abfallgesellschaften aus allen norddeutschen Bundesländern zu einer Jahrestagung treffen. Die Position, die dort formuliert wor

den ist, ist eindeutig: Wir können es gut, wir können es bei gleichen Bedingungen am Markt auch zu ansprechenden normalen Preisen, die nicht höher sind als die der Privaten. - Sie begründen auch sehr genau, weshalb Private zum Teil billiger sein können. Da diese Gründe sicherlich noch Gegenstand unserer Debatten sein werden, will ich sie hier nicht ausbreiten; sonst würde ich Ihnen gern noch ein paar Zitate insbesondere von dieser Tagung vortragen.

Wie erklärt sich denn aber - um auf Sie, Herr Sander, zurückzukommen -, dass der Umweltminister sich in seiner Rede vor der IHK am 29. September, die Gegenstand des Antrags ist, mit dem wir uns hier befassen, ganz anders äußert? Ich zitiere:

„Die Kommunen müssen dazu beitragen, die Bürger zu entlasten. Das bedeutet z. B., dass sie sich stärker auf ihre Kernaufgaben konzentrieren sollten.“

(Beifall bei der CDU und bei der FDP - Christian Dürr [FDP]: Richtig!)

- Herr Dürr, machen Sie ruhig weiter!

„Privatisierung und ein Mehr an Wettbewerb können in einer kommunalen Abfallwirtschaft zur Kostensenkung führen.“

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Meine Damen und Herren, das bedeutet nichts anderes, als dass man den gesamten Bereich „Abfallwirtschaft“ nur unter dem einen Gesichtspunkt der Kosten sieht. Hier geht es um Standards, hier geht es um Nachhaltigkeit, hier geht es um eine Zukunft, die in der Tat zukunftsorientiert ist und nicht dazu dienen soll, möglicherweise kurzfristige Kostenermäßigungen zu erzielbaren.

(Wolfgang Ontijd [CDU]: Er hat es noch nicht begriffen!)

Herr Minister, ich meine, dass Sie sehr genau darüber nachdenken müssen, ob Sie oder die Kommunen die Situation richtig sehen. Erfahrungen zeigen nämlich deutlich, dass es für kommunale Entsorger eine Fülle von Chancen, aber auch Risiken im Wettbewerb gibt. Die kommunalen Unternehmen fordern daher nach meinem Dafürhalten zu Recht einen fairen Wettbewerb, der ihnen Chancengleichheit ermöglicht und nicht andere, private Anbieter begünstigt. Deregulierung und Li

beralisierung bedeuten noch lange keinen Wettbewerb. Die Marktüberlegenheit privater Unternehmen ist häufig eine Illusion.

(Unruhe)

Herr Abgeordneter Haase, wir warten noch einmal einen Augenblick. Wir wollen die anderen nicht stören.

(Wolfgang Ontijd [CDU]: Wir können auch Schluss machen!)

Das ist schön, Herr Präsident, aber ich schaffe es auch mit dem Mikro.

Okay, fahren Sie fort.

Der Minister will aber offensichtlich auf dem Rücken der Kommunen eine neue Spielwiese für seine Lieblingsthemen „Privatisierung“ und „Liberalisierung“ erschließen.

Meine Damen und Herren, nennen wir an dieser Stelle auch eine weitere zentrale Aufgabe des Landes

(Unruhe)

- nun hören Sie gut zu, verehrte Kollegen aus der CDU-Fraktion! -:

(David McAllister [CDU]: Die ganze Zeit schon!)

die Stärkung des ländlichen Raumes. Ich bin zutiefst davon überzeugt - die Diskussion z. B. um die Liberalisierung der Wasserversorgung hat dies meines Erachtens bereits belegt -, dass eine flächendeckende Entsorgung zu sozialverträglichen Preisen mit vernünftigen Umweltstandards nur durch öffentlich-rechtliche Entsorgungsträger dauerhaft gesichert ist.

(Ingrid Klopp [CDU]: Was habe ich denn gesagt?)

Wenn Sie der Privatisierung der Abfallentsorgung Tür und Tor öffnen, dann werden Großunternehmer wie Rethmann - dieses Beispiel ist im Antrag

der Grünen genannt - sich die Rosinen herauspicken. Das sind in der Regel die Ballungsräume oder aber die Räume direkt um die Ballungsräume herum. Das ist aber nicht die große weite Fläche des ländlichen Raumes in Niedersachsen.

(Zuruf von der CDU: Aber selbstver- ständlich!)

Wollen Sie in der Tat, dass der ländliche Raum quasi auf der Strecke bleibt oder aber die dortige Entsorgung mit erheblich höheren Kosten verbunden ist? So sieht bei Ihnen die Stärkung des ländlichen Raumes aus. Frau Klopp, ich glaube, das wollen wir beide nicht.

(Ingrid Klopp [CDU]: Ich habe etwas anderes gesagt!)

Deswegen sind wir in dieser Frage möglicherweise sehr viel dichter beieinander, als Sie glauben. Ein Gespräch mit Ihren kommunalen Brüdern und Schwestern wird ganz schnell deutlich machen, dass die Sache dort ähnlich gesehen wird.

Ich kann nur noch einmal sagen: Liberalisierung und Wettbewerb sind kein Allheilmittel. Herr Minister, schauen Sie sich, bevor wir weiter diskutieren und uns den Inhalten zuwenden, bei Gelegenheit doch einfach einmal die Ergebnisse der 4. Regierungskommission an, die, auch wenn sie zuzeiten der SPD-Landesregierung erarbeitet worden sind, immer noch aktuell sind. Die Beteiligten sind exakt die, mit denen Sie sich demnächst wieder auseinander zu setzen haben. Ich hoffe, Sie werden dann in Zukunft mit Ihren Äußerungen bezüglich Liberalisierung und Privatisierung etwas vorsichtiger sein. Am besten wäre, Sie würden heute noch das Signal geben, dass das ein Denkmodell war, Sie aber eigentlich schon davon überzeugt sind, dass das alles nichts bringt. Wenn das nicht der Fall sein sollte, dann freue ich mich schon jetzt auf die Diskussion im Fachausschuss. Ich beantrage bereits jetzt eine große, umfassende Anhörung.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Für die Landesregierung hat nun Herr Minister Sander das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Kollege Haase, die 4. Regierungskommission hat sehr gute Arbeit geleistet. Aufgrund dieser Ergebnisse setzen wir unsere Arbeit fort. Nur, die Rezepte von gestern, Ihre Rezepte, werden wir nicht mehr 1 : 1 umsetzen; vielmehr werden wir neue, bessere Modelle erarbeiten, die auch in der Abfallwirtschaft unbedingt notwendig sind.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Herr Kollege Haase, manchmal habe ich den Eindruck, dass Sie sich nur in Emden aufhalten. Sie sollten öfter einmal aus Emden heraus und in andere Landesteile fahren, in denen die Kommunalpolitiker sehr viel weiter sind. Fahren Sie doch einmal in die Wesermarsch. Fahren Sie doch einmal in den Landkreis Osterholz, komischerweise zu Ihren kommunalen Brüdern und Schwestern, und nicht zu der anderen Seite. Die haben es schon längst begriffen, während Sie das leider noch nicht getan haben.

(Ulf Thiele [CDU]: Emden ist auch schön!)

- Emden ist eine sehr schöne Stadt. Allerdings ist es seit der letzten Kommunalwahl noch schöner geworden, seitdem nämlich CDU und FDP dort die Mehrheit haben. Insofern ist das richtig.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)