Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen. Bis zu diesem Quiz war eigentlich alles klar. Die Rechtschreibreform wurde 1995 einstimmig von allen 16 Bundesländern beschlossen. Alle Kultusminister, auch Herr Busemann, hatten im Juni 2004, in diesem Jahr, in der Kultusministerkonferenz der verbindlichen Umsetzung ab August 2005 zugestimmt. Eine vor Jahren gestartete Volksinitiative gegen die Reform war längst gescheitert. Aber im Sommer 2004 beschwört Ministerpräsident Wulff plötzlich den Untergang der deutschen Sprache, wenn die Rechtschreibreform wie geplant und beschlossen in Kraft treten soll. Alle inzwischen beruhigten Gemüter werden wieder auf den Plan gerufen. Statt an einer Weiterentwicklung der Rechtschreibung, die aufwändig mit den anderen Deutsch sprechenden Staaten Schweiz, Liechtenstein und Österreich abgestimmt worden ist, konstruktiv zu arbeiten und für Verlässlichkeit zu sorgen, schürt der Ministerpräsident die Auseinandersetzung und heizt die Debatte an.
denn die schreiben seit 1998 erfolgreich nach diesen Regeln. Sie - das sind 12,5 Millionen Schulkinder in Deutschland - schreiben nach vereinfachten, logischeren Rechtschreibregeln. Sie haben sich darauf eingestellt und sollen nun alles neu lernen, nur weil ein paar ältere Herren aus der CDU,
einige Schriftsteller oder Chefredakteure keine Lust haben, umzulernen und sich an etwas Neues zu gewöhnen? Das Gezerre um die Rechtschreibreform wird weiter auf Kosten der Eltern ausgetragen. Gerade haben die Eltern die Schulbücher für ihre Kinder kaufen oder mieten müssen - teuer -, weil die CDU/FDP-Landesregierung die Lernmittelfreiheit in Niedersachsen gerade abgeschafft hat. Offenbar ist es dem Ministerpräsidenten und Herrn Schwarz von der FDP egal, dass in den nächsten Jahren die gekauften Bücher schon wieder ersetzt werden müssten, wenn die alte Rechtschreibung wieder eingeführt würde. Gleichgültig ist es ihnen offenbar auch, dass viele Schulen gerade eine Menge neue Schulbücher für ihren Mietbestand angeschafft haben, die, ginge es nach Ihnen, Herr Wulff, demnächst wieder wertlos sind. Auch die Schulbuchverlage, die auf ihren Büchern, die nach den neuen Rechtschreibregeln gedruckt sind, sitzen bleiben, scheinen Sie überhaupt nicht zu kümmern. Herr Ministerpräsident Wulff, Herr Busemann, was Sie hier treiben, ist nicht nur verantwortungslos gegenüber den Schulkindern in Niedersachsen, das ist angesichts der gerade erfolgten Abschaffung der Lernmittelfreiheit eine Dreistigkeit gegenüber den Eltern, die überhaupt nicht mehr zu überbieten ist.
Ich muss aber zugestehen, dass das logisch in Ihr Konzept einer konservativen Regierung hineinpasst. In der schulpolitischen Weichenstellung geht es zurück mit Rezepten in die 50er-Jahre des letzten Jahrhunderts. Ich kann mir vorstellen, dass es da ganz gut passt, wenn man sich in der Rechtschreibreform wieder auf den Stand von 1901 einschießt.
Aber, meine Damen und Herren, wissen diejenigen, die sich derart nach den alten Rechtschreibregeln zurücksehnen, eigentlich, was sie damit tatsächlich wollen, welche Mengen von Regeln, welche Mengen von Ausnahmen und welche unlogischen Regeln sie zurückhaben wollen?
- Für Beispiele könnte ich meine gesamte Redezeit verbrauchen. Ich gebe sie Ihnen gerne. Nach der Debatte können Sie Beispiele ohne Ende bekommen.
Meine Damen und Herren, natürlich kann die Rechtschreibreform von 1995 nicht das letzte Wort sein. Sprache entwickelt sich weiter, Herr McAllister. Neue Reformen werden diesem Tatbestand Rechnung tragen müssen. Der erste Schritt aber muss die konsequente Umsetzung der beschlossenen Reform zum August 2005 sein. Nur so, Herr Ministerpräsident, können Sie Chaos und Verunsicherung an den Schulen, die seit fünf Jahren nach diesen Regeln arbeiten, vermeiden.
In einem zweiten Schritt muss es langfristig um eine ständige Vereinfachung der deutschen Rechtschreibung gehen. So könnten die Regeln zur Getrenntund Zusammenschreibung flexibler gehandhabt werden. Was die Groß- und Kleinschreibung betrifft, so ist die Rechtschreibreform noch halbherzig und mutlos. Die Abschaffung der Großschreibung ist in den letzten Jahrzehnten schon von vielen Sprachwissenschaftlern, Kommissionen und vielen Schriftstellern immer wieder gefordert worden. Nachdem Dänemark im Jahre 1948 die Großschreibung abgeschafft hat, ist Deutsch die einzige Sprache mit Groß- und Kleinschreibung.
Ich meine, dass Deutschland diesen Reformrückstand langsam aufholen muss und sich europäischen Standards zumindest anpassen könnte.
(Beifall bei den GRÜNEN - David McAllister [CDU]: Die deutsche Spra- che kennt drei Artikel und die engli- sche nur einen! Ist das schlimm?)
Dass einige Großverlage im Alleingang entscheiden, alles nach den alten Regeln zu schreiben, ist für mich eine Missachtung der Interessen von Schülerinnen und Schülern.
Wie sollen Schülerinnen und Schüler, wie sollen Schulkinder in Niedersachsen richtig schreiben sie bekommen Rechtschreibnoten, die für ihre Schullaufbahnempfehlung entscheidend sind -, wenn große Zeitungen es nicht nötig haben, sich dem gültigen KMK-Beschluss anzupassen?
Dass sich die CDU-Landtagsfraktion und die CDUgeführte Stadtverwaltung von Braunschweig dieser merkwürdigen Koalition von Bild und Spiegel anschließen, ist da schon eher peinlich. Peinlich ist es aber auch, wenn man sieht, wie die CDU-Fraktion in diesem Landtag ihren eigenen Beschluss, in der alten Rechtschreibung zu schreiben, umsetzt. Ich habe einmal vier Plenarinitiativen für dieses Plenum - nur in Bezug auf das Doppel-S und das scharfe S - angesehen. Im Gesetzentwurf zur Konnexität schreiben Sie keinmal „dass“ und fünfmal „daß“. Im Gesetzentwurf zu den Spielbanken schreiben Sie 44-mal „dass“ und keinmal „daß“.
Im Entschließungsantrag zur Zuwanderung schreiben Sie keinmal „dass“, sechsmal „daß“, Ausschuss einmal mit Doppel-S, sechsmal mit scharfem S,
(Wolfgang Jüttner [SPD]: Das ist to- tales Chaos! - Gegenruf von Bernd Althusmann [CDU]: Das können Sie einmal sehen, welche Verwirrung Sie angerichtet haben!)
im Entschließungsantrag zur Chemikalienpolitik - ich kann gut zählen, ich sage nur PISA - viermal „dass“ und fünfmal „daß“. Nach der neuen Rechtschreibung hätten Sie 22 Fehler gemacht, nach der alten Rechtschreibung - die Sie ja für sich ins Auge gefasst und beschlossen haben - 49 Fehler.
(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD - Wolfgang Jüttner [SPD]: Was gibt das für eine Zensur? Ist das noch 4- oder schon 5? - Stefan Wenzel [GRÜNE]: Ich wäre für einmal Sit- zenbleiben!)
- Ich gebe ja keine Zensuren. Dafür müssen wir, glaube ich, ein besonderes Förderkonzept ausarbeiten. - Herr Ministerpräsident, Herr Busemann, meine Damen und Herren von CDU und FDP: Denken Sie endlich an die Interessen der Schülerinnen und Schüler, und übernehmen Sie Verantwortung. Es kann doch wohl nicht sein, dass Sie Ihre persönlichen Befindlichkeiten und Ihre mangelnde Lernbereitschaft zur Grundlage von so weit reichenden politischen Entscheidung machen, die aus meiner Sicht zuerst schulpolitische Entscheidungen sind und im Interesse der Kinder zu treffen sind. - Danke schön.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die CDU-Fraktion wird uns noch dankbar sein, wenn wir das Sitzenbleiben abschaffen, sonst trifft es nämlich sie.
(Bernd Althusmann [CDU]: Wir blei- ben wenigstens sitzen, Sie stehen immer auf! - Weitere Zurufe von der CDU: Och!)
- Es ist schön, dass Sie lebhaft sind, dass macht mir immer Freude. - Ich möchte zwei kurze Zitate zur Wertigkeit dieser Debatte bringen. Das Erste: „Der Streit um die Neuregelung der Rechtschreibung ist maßlos überhitzt, ein typisches Sommerthema.“, Professor Rolf Wernstedt, 13. Wahlperiode, 17. September 1997, hier am Podest.
Das zweite Zitat: „Vielleicht ist die aufgeregte Debatte aber auch nur ein Sommerloch-Thema und in wenigen Wochen vorbei.“, Kultusminister Bernd Busemann, Focus, 16. August 2004. Meine Damen und Herren, ich stelle mit Genugtuung fest, im zuständigen Fachministerium gibt es bei diesem Thema Kontinuität. Das ist auch gut so. Denn es geht darum, dass Deutschland seine Reformfähigkeit nachweist. Gerade in diesem Herbst haben wir Probleme damit, u. a. deshalb, weil Medien mitun
ter aufheizen, weil sich Politiker, die selber die Verantwortung dafür hatten und zugestimmt haben, anschließend distanzieren und eine emotionalisierte Debatte organisieren.
Wir brauchen Reformen, wir brauchen Politikerinnen und Politiker, die dazu stehen, die eine gerade Kante fahren, die Beteiligung organisieren und die auch Information darüber organisieren. Das hätte ich mir auch bei diesem Thema von allen Beteiligten gewünscht. Denn das Thema hat es verdient. Es ist dieser Reform gelungen - ich zitiere das Niedersächsische Kultusministerium, Sommer 2004 -, „die Schreibweisen in einem Maße zu vereinheitlichen, wie es zuvor noch nie erreicht wurde.“ Das stimmt. Diese Rechtschreibreform ist vor einigen Jahren vollzogen worden. Konrad Duden, der das leider nicht mehr erleben kann, wäre glücklich gewesen zu sehen, wie das Schreiben inzwischen leichter geworden ist. Denn er hat gesagt: Schrift ist für das Volk da und nicht für die Gelehrten.
Dass Schrift genau wie Sprache dynamisch ist, muss ich Ihnen doch nicht sagen. Deshalb ist es unstrittig, dass es Probleme gibt - auch bei der letzten Rechtschreibreform -, beispielsweise die stark vermehrte Getrenntschreibung. Aber fairerweise muss gesagt werden, dass der Korrekturvorschlag erarbeitet und von der Kultusministerkonferenz auch schon akzeptiert worden ist. Das Thema ist also vom Tisch. Das Thema müsste es auch in diesem Hause heute überhaupt nicht mehr geben, wenn sich nicht in diesem Sommer eine ganz neue Konstellation aufgetan hätte. Wir erleben ein Medienbündnis; und es überrascht in der Tat, wenn Spiegel und Springer zusammenfinden.
- Die Süddeutsche war schnell wieder auf Abstand. - Wir erleben, dass ein „lonesome Cowboy“ in der Reihe der Ministerpräsidenten glaubt, diesen
Sommer für sich einmal ordentlich füllen zu können. Wir erleben auch die Assistenz von gewichtigen Persönlichkeiten der Zeitgeschichte, die ansonsten als gute Literaten hervortreten, meine Damen und Herren. Diese Koalition bemängelt die immer breiter werdende Kluft zwischen gelerntem und gelesenem Deutsch, spricht von kultusbürokratischer Überregulierung und fordert „Beendigung der staatlich verordneten Legasthenie“.
Meine Damen und Herren, das ist starker Tobak. Sie sagt auch, die Sprache gehört nicht der Politik und den Politikern, sondern dem Volk. Genau, die Sprache gehört dem Volk. Aber um Sprache geht es bei dieser Sache gar nicht. Es geht ja nicht einmal um Orthografie. Es geht darum, dass, wie in den letzten Jahrzehnten immer wieder geschehen, einige Wörter neu entstehen und andere neu geschrieben werden. Das ist ein regelmäßiger Prozess in diesem dynamischen Verlauf von Sprache und Schrift. Bei der letzten Reform sind ungefähr 2 % unserer Wörter verändert worden. Im Übrigen: Bei 95 % dieser 2 % ging es um das Thema „ß“ oder „ss“. Wenn Sie einen Text in der alten oder in der neuen Variante lesen, dann können Sie das kaum auseinanderhalten. Es geht um Schulorthografie und um Behördenschreiben. Wer sonst ist denn für diese beiden Angelegenheiten zuständig als die Politik? Wer soll das sonst festlegen? Vielleicht die Stimmungsdemokratie im Lande? - Dafür gibt es schöne Beispiele. Mich hat sehr beeindruckt, was die Bild-Zeitung gemacht hat: eine große Zwei-Weg-Kommunikationskampagne mit dem Thema „die Schlechtschreibreform“. Bild schreibt, man schreibt zurück. Nun muss man natürlich zugestehen, dass die Bild-Zeitung aufgrund ihres anspruchsvollen Satzbaus und des nuancenreichen Stils durchaus Messlatte für unsere Sprach- und Schreibkultur sein kann. Es hätte nur noch gefehlt, dass die Bild-Zeitung die Kommasetzung kritisiert. Ich glaube, da kommt überhaupt kein Komma vor, so lange Sätze sind da gar nicht angesagt.
Meine Damen und Herren, worum geht es hier also? Geht es den Verlagen um Auflage? - Wenn es ihnen um Auflage ginge, dann wäre das legitim. Dann müssten wir aber einmal mit ihnen darüber diskutieren, ob sie das journalistische Ethos, das sie sich eigentlich zu Eigen machen, bei dieser Position auch eingehalten haben. Dazu fallen mir schon ein paar kritische Bemerkungen ein. Oder
geht es vielleicht um Ausübung von Medienmacht? Ist die Rechtschreibreform der Probelauf für anderes? - Das kann man sich ja einmal fragen. Geht es darum, beim nächsten Projekt die Themen Mitbestimmung, Tarifautonomie oder soziale Sicherungssysteme zur Disposition zu stellen?