Protocol of the Session on September 15, 2004

Ich teile auch Ihre Einschätzung, dass die Klassengrößen und die Zahl der Pflichtstunden nicht unbedingt das Nonplusultra für Unterrichtsqualität sind. Das zeigt sich auch am Beispiel von Finnland, das relativ wenig Pflichtstunden hat. Das Entscheidendere sind die Unterrichtskultur und die Unterrichtsqualität. Sie packen etwas drauf. Ob wir es an der Stelle schaffen, das bezweifle ich etwas, weil ich den Eindruck habe, dass gegen diese notwendige Radikalisierung des Schulalltags zumindest in den Regierungsfraktionen massive Vorbehalte bestehen. Das scheint mir das Problem zu sein. Sie sind nicht in der Lage loszulassen, aber genau das muss hier passieren.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Wir brauchen ein Ende der Input-Steuerung. Wir brauchen natürlich die Aufrechterhaltung der staatlichen Verantwortung, das ist keine Frage, aber die lässt sich auch anders regeln. Sie lässt sich regeln über Zielvereinbarungen mit den Schulen, über eine Stärkung des Schulmanagements, übrigens auch über eine Ergebnisverantwortung derjenigen, die in den Schulen lehren. Das macht es notwendig, dass der Schulalltag ganz anders aussieht als heute. Ich kann mir vorstellen, dass sich viele Lehrerinnen und Lehrer darauf freuen, dass sich

das so entwickelt. Aber die Struktur und die Systematik des Schullebens und des Schulrechtes geben das heute noch nicht hinreichend vor.

Dazu gehört natürlich auch das Personal- und Budgetrecht. Das, was bei ProReKo im Vorgriff passiert, ist eine Sache, die sicherlich vernünftig ist.

Und dazu gehört eben auch eine umfassende Qualitätssicherung durch äußere und innere Evaluation.

(Vizepräsident Ulrich Biel über- nimmt den Vorsitz)

Meine Damen und Herren, Ihr letzter Zwischenruf legt ja nahe, zu sagen: Das ist ein Konzept, das hat aber mit Leistung usw. nichts zu tun. - Ich sage Ihnen: Das ist grundfalsch. Was wir brauchen, ist Lust auf Lernen, ist eine Kultur der Anstrengung. Die geht aber nicht damit einher, dass man irgendetwas auswendig lernt, sondern damit, dass man lernt, sich auf Lebenssituationen einzustellen. Diesen kleinen Unterschied haben Sie noch nicht begriffen.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN - Ingrid Klopp [CDU]: Sie haben zehn Jahre lang nichts begrif- fen und wollen es uns jetzt erzählen!)

Um zu erreichen, dass Individualisierung des Lernens im Mittelpunkt steht, wird die Lehrerausbildung zu ändern sein. Es ist völlig unverständlich, was die schulformspezifische Ausbildung da zu suchen hat. Wir brauchen einen ganz anderen Stellenwert der pädagogischen Qualifikation und ganz andere Praxisteile. Ich habe den Eindruck, dass das, was von uns gemeinsam andiskutiert worden ist, im Moment wieder stockt. Sie können niemandem in den Kollegien erklären, warum die Lehrerfortbildung zusammengestrichen wird. Wer eine Modernisierung des Schulwesens will, muss dafür sorgen, dass sich ihre Träger kontinuierlich qualifizieren können.

(Zustimmung bei der SPD)

Dazu gehört übrigens auch das Thema Durchlässigkeit. Herr Busemann, Sie halten das so schön hoch. Der Trick mit dem Rechtsanspruch ist wirklich elegant, das räume ich gerne ein. Aber Sie haben sich auf der Einfädelungsspur schon wieder ausgefädelt;

(Beifall bei der SPD - Ingrid Klopp [CDU]: Quatsch!)

denn mit dem gesamten Konstrukt der Curricula gewährleisten Sie, dass die Durchlässigkeit in der Praxis nicht stattfinden kann. Was habe ich von einem Rechtsanspruch, wenn ich ihn nicht einlösen kann? - Das ist die Situation.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Ich sehe mit Interesse, wie Sie gegenwärtig bemüht sind, das Thema Reform der Schulverwaltung/Schulinspektion voranzubringen. Ich glaube, es ist eine gute Sache, wenn es gelingt, diese Schulinspektion - der Name mag kritisch sein - als unabhängigen Teil der Landesverwaltung zu beauftragen, kontinuierlich die Qualität der Schulen festzustellen. Aber, Herr Busemann, wenn es Ihnen nicht gelingt, Unterstützungssysteme aufzubauen, dann helfen Ihnen diese ganzen Feststellungen der Qualitätsstandards in den Schulen nicht.

(Zustimmung von Ina Korter [GRÜ- NE])

Sie wissen wie ich, dass im Haushalt dafür keine Mittel vorhanden sind. Ich weiß genau, welche Ratschläge Ihnen im Zweifel aus der Wirtschaft oder aus anderen Bereichen gegeben werden. Wer das nicht umfassend anfasst und dabei nicht auch Geld in die Hand nimmt, bringt einen Rohrkrepierer zustande. Ich glaube, das wollen wir alle zusammen nicht. Deshalb muss genau geprüft werden, wie man das ganze System der Schulverwaltung so organisiert, dass es in der Lage ist, diesen Radikalisierungsprozess des Bildungssektors angemessen zu begleiten.

Ich sage Ihnen eines: Mit Ihren Freunden in den Verbänden werden Sie diese Geschichten nicht hinbekommen. Die wollen das nämlich nicht. Deshalb müssen Sie gucken, wo die richtigen Kooperationspartner dafür sind. Es gibt schon Widerstände - auch bei Ihnen, Frau Körtner. Ich sehe es Ihrem Gesicht an. Ich weiß das ja auch. Das passt Ihnen alles nicht in den Kram. Aber ich sage Ihnen: Ich glaube, der Weg wird nicht aufzuhalten sein. Das wird wohl auch die CDU-Landtagsfraktion nicht schaffen, so viel Mühe sie sich auch gibt.

In diesen Zusammenhang gehört auch, dass wir in den Regionen die Kooperationen verbessern. Der Modellversuch „Regionen des Lernens“ ist, glaube

ich, ein gutes Signal. Wir müssen sehen, dass er eine Fortsetzung findet. Wir brauchen eine verstärkte Bildungsberatung und werden im Übrigen - das ist für die meisten wahrscheinlich ein Tabuthema - darüber reden müssen, wie sich das Zusammenwirken von Land und Kommunen im Schulsektor perspektivisch gestalten soll. Es gibt ja inzwischen Forderungen nach der Kommunalisierung des Schulwesens. Das mag im Moment zwar ein bisschen utopisch klingen, aber die heutige Arbeitsteilung - die einen sind für die Gebäude da und die anderen für das pädagogische Personal wird nach meiner Einschätzung im Zuge der Umwandlung des gesamten Bildungssystems keine Zukunft haben.

(Zustimmung von Ina Korter [GRÜNE] - Hans-Werner Schwarz [FDP]: Herr Jüttner, das haben Sie schon einmal gesagt!)

- Das ist in Ordnung, wenn Sie meiner Meinung sind.

Herr Busemann hat ja heute die Debatte um die Schulstruktur beendet. Sie findet nicht mehr statt. Vor dem Hintergrund der Berichterstattung in den heutigen Zeitungen wundert mich das sehr. Auch ich habe das in der Süddeutschen Zeitung gelesen und gedacht: Vielleicht lesen sie im Ministerium die Süddeutsche nicht. Aber Sie müssen zugeben: Das war das einzige Zitat, das Sie gefunden haben. Der Rest der Presselandschaft war eindeutig so, dass klar war: Hier werden Tendenzen korrekt beschrieben: bezogen auf die Finanzierung der Bildung und im Übrigen auch bezogen auf die Gliederung des Bildungswesens in Deutschland. Auch das muss man einmal deutlich sagen.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Ich meine, Sie hätten sich auch hier hinstellen können und Frau Professor Allmendinger, die Direktorin des Instituts für Arbeitsmarktund Berufsforschung, zitieren können. Das ist eine sehr angesehene Frau, die auf das Thema “Passt das Bildungssystem zum Arbeitsmarkt von morgen” sagt: nur bedingt. Der Arbeitsmarkt fragt immer stärker Beschäftigte nach, die in der Lage sind, sich als Person weiterzuentwickeln und Innovationsmöglichkeiten für sich zu nutzen. - Ich zitiere weiter: Ein Problem ist die Schule und ihre Gliederung in drei verschiedene Typen. Das gegliederte System sortiert zu viele aus, die von

Talent und Interesse her ohne Weiteres auf den Hochschulen erfolgreich sein könnten.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Das sind keine verbohrten Bildungsideologen, sondern Leute aus dem ökonomischen Bereich, die das von der Nachfrageseite, von der Wirtschaft her diskutieren. Das müsste Ihnen doch zu denken geben.

Meine Damen und Herren, Ihr gegliedertes System ist weder modern noch begabungsgerecht, weder wohnortnah noch standortsicher.

(David McAllister [CDU]: Ach!)

Es ist nicht die Lösung, sondern es ist Teil des Problems.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN - Bernd Althusmann [CDU]: Der Satz war druckreif! - David McAl- lister [CDU]: Zurück in die 70er!)

Herr Busemann hat auf das duale System hingewiesen, das überall in der Welt so gerne nachgeahmt wird. Meine Damen und Herren, das duale System wird weltweit sehr geschätzt, aber über das gegliederte System rümpft die Fachwelt die Nase. Auch das können Sie heute überall nachlesen.

Dabei geht es - es kam ja der Einwurf nach der Einheitsschule - überhaupt nicht um die ideologische Debatte der 70er-Jahre. Deshalb werde ich Ihnen zum Abschluss gerne ein kleines Zitat der Persona non grata Andreas Schleicher vortragen.

Aber nur ganz kurz, Herr Jüttner, Ihre Redezeit ist überschritten.

„Mit der Forderung nach einer Einheitsschule wird man sich in Deutschland nicht viele Freunde machen. Die Deutschen stellen sich unter einer solchen Schule noch immer die deutsche Gesamtschule vor, und die ist wahrlich kein Erfolgsmodell.“

(Ursula Körtner [CDU]: Ach nee! - Da- vid McAllister [CDU]: Aha!)

- Vorsicht!

„Die Abschaffung der verschiedenen Schultypen ist auch nicht der zentrale Punkt, aber unser Bildungssystem ist ganz auf negative Auslese ausgelegt. Die schlechten Schüler werden einfach in die nächstniedrigere Schulform geschickt und die Probleme damit abgewälzt.“

Das ist das Problem, meine Damen und Herren.

(Walter Meinhold [SPD]: So ist es!)

Fazit: Sie haben die niedersächsischen Schulen im letzten Jahr weiß Gott unter Dampf gehalten. Sie haben ihnen viel zugemutet. Sie setzen Dinge fort, die durchaus stimmig sind. Aber, meine Damen und Herren, in den zentralen Fragen sind und bleiben Sie Opfer Ihrer ideologischen Verbohrtheit. Für Ihren Versuch, das PISA-Tal zu verlassen, prognostiziere ich Ihnen massive Orientierungsprobleme.

(Starker, nicht enden wollender Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Für die CDU-Fraktion hat der Abgeordnete Klare das Wort. Ich erteile es ihm.

(Beifall bei der CDU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben die dringend notwendige Neuausrichtung der Schulpolitik in Niedersachsen in nur 18 Monaten vollzogen. Ich möchte zuallererst dem Kultusminister Bernd Busemann ganz herzlich für die eindrucksvolle Regierungserklärung danken.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Herr Minister Busemann, wir wissen, was dahinter steckt. Wir haben in vielen Dingen gemeinsam gearbeitet. Wenn es so umfassend dargestellt wird, wie es der Minister gerade getan hat, dann wird, glaube ich, auch deutlich, welche Mammutaufgabe in dieser relativ kurzen Zeit geleistet worden ist, was da alles in Angriff genommen worden ist. Wenn man so lange in der Schulpolitik ist wie ich und auch - gerade in den letzten Jahren - so viel erlebt hat, dann kann man nur sagen: Dies ist

ein großartiges Ergebnis. Wir freuen uns mit den Schülerinnen und Schülern, mit den Lehrerinnen und Lehrern, dass sie das jetzt weiter bearbeiten können.

(Beifall bei der CDU - Unruhe)