Lassen Sie mich Ihnen grundsätzlich noch Folgendes sagen: In allen diesen Diskussionen haben Sie immer wieder die PISA-Länder, vor allem Finnland, angeführt. Mich verwundert, warum Sie Finnland nicht auch in diesem Zusammenhang nennen. Wahrscheinlich tun Sie es nicht, weil Sie wissen, dass es dort anders geht. Es ist eben nicht so, dass es in Finnland überall Ganztagsschulen gibt eine Schulform, die Sie immer als ausgesprochen erfolgreich apostrophieren. Bis zur Klasse 9 gibt es dort Schulen, die bis 14 Uhr unterrichten, wobei das Mittagessen eingeschlossen ist. Übrigens steht dort jedem einzelnen Schüler ein kostenloses Mittagessen zu.
In diesem Zusammenhang möchte ich Ihnen sagen, dass ich nicht der Meinung bin, dass Ganztagsschulen das Allheilmittel sind.
Sie sind nicht die Lösung der Probleme, vor denen wir im Bildungssystem stehen. Diese Lösung besteht in erster Linie darin, in Niedersachsen eine vernünftige Lehrerausbildung, so wie wir sie jetzt
starten lassen wollen, zustande zu bekommen. Ich meine, dass wir damit eine ganze Reihe von Problemen aus der Welt schaffen können, die im Moment noch im Raume stehen.
Insofern möchte ich Ihnen an dieser Stelle noch einmal sagen: Die FDP-Fraktion steht zu der Einrichtung der Ganztagsschulen, insbesondere aber auch zu der Freiwilligkeit in diesem Bereich.
Danke schön, Herr Schwarz. - Zu Wort gemeldet hat sich Herr Minister Busemann. Herr Minister, bitte schön!
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir sollten die Diskussion hier nicht mit einer Schieflage enden lassen, dass Sie sagen, Sie seien die großen Meister, die Ganztagsschulen kreieren, und die anderen wollen das eigentlich gar nicht. So ist das nicht. Da ist die Diskussion in den letzten Jahren um einiges weiter gediehen.
Nehmen Sie bitte auch Folgendes zur Kenntnis. Ich habe heute z. B. noch einmal acht Ganztagsschulstandorte ohne Ressource nach Nr. 8.2 unseres Erlasses genehmigt. Damit haben wir, glaube ich, 315 Ganztagsschulstandorte in Niedersachsen. Herr Jüttner, ich habe in meinen 15 Amtsmonaten mehr Ganztagsschulstandorte genehmigt als alle meine Vorgänger im Lande seit 1946. Das nehmen Sie bitte einmal zur Kenntnis!
Mir geht es bei dem Thema, das wir hier diskutieren, um ein paar grundsätzliche Aspekte, so z. B. auch um das Thema „Correctness in der Politik“. Heute Morgen wurde dieser Aspekt ja von der anderen Seite angetippt.
Ich stelle zunächst einmal die grundsätzliche Frage: Wie kommt der Bund eigentlich dazu, die Bildungspolitik der Länder gestalten zu wollen? Das hat ja eine eigene Vorgeschichte. Wenn es in der Republik einmal so käme, dass alle sagen, wir müssen mehr für Bildung tun, und wenn sogar der Bund eigenes Geld dafür zur Verfügung stellen will, dann könnte man ja z. B. sagen: Er möge die
Umsatzsteueranteile der Länder entsprechend erhöhen, wir treffen eine Vereinbarung, dass das auch für Bildung einzusetzen ist, und dann können wir Baumaßnahmen, Personalmaßnahmen, Ganztagsschulen und viele gute Dinge für Bildung in den Ländern miteinander bewerkstelligen.
Wenn man aber andere Wege geht und sich kurz vor einer Bundestagswahl irgendwelche Sonderprogramme einfallen lässt, dann ist schon ein kritisches Hingucken angesagt.
Der Pferdefuß dieses 4-Milliarden-Programms - 400 Millionen entfallen auf Niedersachsen, und zwar nicht pro Jahr, Frau Kollegin, sondern verteilt auf 2003 bis 2007 - ist: Es fördert - wir haben uns da verständigen müssen - ausschließlich Bau- und Investitionsmaßnahmen. Die Kommunen sind auch noch mit 10 % dabei. 2007 läuft es aus, und was dann kommt, weiß niemand.
Das Problem ist nur, dass eine bestehende bzw. eine neu genehmigte Ganztagsschule dann, wenn die Voraussetzungen erfüllt sind, zwar die Mittel bekommen kann, dass aber alle Bundesländer mehr oder wenig völlig klamm sind und deshalb kaum neue Ganztagsschulen genehmigen können. Wir haben die Möglichkeiten für Niedersachsen einmal diskutiert. Das Ergebnis war: Wenn wir einen durchschnittlichen Ganztagsschulstandort gründen wollten - mit den entsprechenden Personalressourcen, den pädagogischen Mitarbeitern und dem Budget obendrauf -, dann müssten wir in jedem Jahr 200 000 bis 250 000 Euro aufs Neue ausgeben. Aber da stoßen wir an unsere Leistungsgrenzen, und das geht anderen Bundesländern genauso. Wir können nicht beliebig viele neue Standorte einrichten. Ich bin unter den 16 Bundesländern, wenn man die Ländergrößen in Relation setzt, beinahe der Weltmeister. Gleichwohl stoßen wir an ganz natürliche Grenzen.
Und dann passiert Folgendes, meine Damen und Herren - was der Grund dafür war, weiß ich nicht; Herr Kollege Klare hat ja darüber spekuliert -: Am 11. Mai verkündet unsere Bundesbildungsministerin - man höre und staune! - ihre Erfolgsmeldung. Sie habe seit Bestehen des Programms, alle Länder zusammengefasst, 3 087 neue Ganztagsschulen bewirkt, sie habe die Zahl der Ganztagsschulstandorte um 64 % gesteigert, und das sei eine Erfolgsstory. - Ich muss sagen, da habe ich geschluckt.
Die Ministerin hat dann auch gleich eine Tabelle mitgeliefert. Auf Niedersachsen entfielen danach 215 Standorte. - Ich wusste ja, dass ich gut bin, aber dass ich so gut bin, habe ich nun auch wieder nicht gedacht; ich war zu dem Zeitpunkt erst bei 84 neuen Standorten angekommen.
Nordrhein-Westfalen stand in der Tabelle mit 750 neuen Ganztagsschulstandorten. Wir haben uns dort erkundigt, und die Nordrhein-Westfalen haben uns mitgeteilt: Wir sind an dem Thema dran, aber bislang haben wir null neue Ganztagsschulen genehmigt. - Das geht durch alle Bundesländer hindurch. Das ist der Kern der Debatte.
Darüber kann auch noch so viel Gerede nicht hinwegtäuschen. Es ist einfach so: Frau Bulmahn hat die Bauanträge zusammengerechnet und in der Bundesrepublik als neue Ganztagsschulen verkauft, und dabei ist sie erwischt worden.
Ich habe ihr einen offenen Brief geschrieben. Von „Betrug“ habe ich nicht gesprochen; ich bin ja auch schon ein paar Jahre länger im Parlament, und so etwas tut man nicht. Das hat vor einer Woche der Focus gemacht. Irgendjemand hat darin von „Rosstäuscherei“, „Zahlenhuberei“ oder so etwas geschrieben. Das wird es dann wohl auch treffen. Doch das ist eine Frage der politischen Korrektheit.
Wenn wir allerorten, ob in Berlin oder in Hannover, für mehr Ganztagsschulangebote kämpfen, dann muss man bei den Zahlen und bei der Rechtslage, die dahinter steht, auch korrekt bleiben. So geht das nicht!
Ich habe Frau Bulmahn einen offenen Brief geschrieben, in dem ich so süffisant, wie man sein kann, gefragt habe, ob es denn sein könne, dass sie neue Standorte mit Bauanträgen verwechselt habe oder umgekehrt. Der offene Brief ist bislang unbeantwortet geblieben.
In 15 anderen Ländern staunt man genauso wie der Niedersächsische Kultusminister. Dann schaut man morgens, wie es so üblich ist, schon einmal in die Hannoversche Allgemeine Zeitung. Da stand in
der letzten Woche: „Bulmahn droht Busemann mit Geldentzug“. Da staunte ich nicht schlecht. Das geht ins Undemokratische. Das ist unfair. Das ist nicht korrekt. Das geht ins Mark.
Ich kann Ihnen sagen: Die Förderrichtlinie ist, wie sie ist, und wir setzen sie um. Jeder Euro für mehr Ganztagsschulen wird korrekt an die Antragsteller weitergegeben. Ob im Jahr 2003 oder 2007, wir werden die 400 Millionen
unter das Volk bringen und an berechtigte Antragsteller weiterleiten. Nennen Sie mir einen Antrag, bei dem das Verfahren bislang nicht korrekt gelaufen ist! In Berlin wird pauschal behauptet: Das läuft in Hannover wohl nicht ganz korrekt - bzw. nicht nach meiner Berliner Mütze -; dann entziehen wir da Mittel. - Das lasse ich nicht auf dem Kultusministerium, auf unseren Beamten und auch nicht auf meiner Person sitzen.
Nennen Sie mir ein Beispiel, bei dem hier nicht korrekt mit Mitteln umgegangen worden ist! - Das können Sie gar nicht, weil nur korrekt damit umgegangen wird. Ich möchte, dass ehrlich miteinander umgegangen wird.
Es ist interessant, dass offene Briefe des Kultusministers an die Bundesbildungsministerin nicht beantwortet werden. Dieser Tage haben aber alle Kultusminister einen Rundbrief erhalten, einen schönen Fragebogen mit dem Tenor: Wie viele Ganztagsschulen waren es denn nun wirklich? Vielleicht kommen wir im Moment auf 1 000 für ganz Deutschland. Ich verlange, dass man korrekt arbeitet. Wenn wir etwas für Ganztagsschulen tun wollen, dann müssen erst einmal die Grundlagen stimmig sein. Man darf nicht Rosstäuscherei und Angeberei betreiben, und die anderen sollen dann die Dummen sein. So kann man das mit uns nicht machen.
Ich sage Ihnen: Wir werden die Berliner Mittel in den nächsten Jahren korrekt umsetzen. Vielleicht bekommen wir ja intelligentere Lösungen. Denn nach 2007 folgt ja auch noch ein Jahr, dann wollen wir vielleicht auch noch neue Ganztagsschulen schaffen. Also denken Sie einmal an den Tipp mit der Umsatzsteuer! - Danke schön.
d) Unterlassene Hilfeleistung! - Landesregierung streicht Schutz und Beratung für von Gewalt betroffene Frauen und Kinder Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Drs. 15/1115
Zu Wort gemeldet hat sich Frau Kollegin Helmhold von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Bitte schön!
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frauen und Kinder werden immer wieder und zunehmend Opfer von Gewalt. Allein in Niedersachsen wird im Schnitt pro Stunde eine Frau zum Opfer häuslicher Gewalt. Das heißt, bis wir heute Abend auseinander gehen, werden es acht Frauen sein, und bis wir am Freitag in das Wochenende gehen, werden es 72 Frauen sein. Ich überlasse es Ihnen, das weiterzuführen und sich auszumalen, welches Leid das für die betroffenen Frauen und ihre Kinder bedeutet.
Die Zahlen steigen an. In dieser Situation plant das Ministerium für Soziales, Frauen, Familie und Gesundheit extreme Kürzungen bei den Beratungs-, Schutz- und Präventionsangeboten für die Frauen in Niedersachsen. Mit geschickten Formulierungen wird in Ihrem Vorschlag darüber hinweggeredet, dass sich das Land komplett aus seiner Verantwortung für diesen Bereich zurückziehen will. Dabei sind die Ausgaben der Einrichtungen schon seit Jahren gedeckelt; sie arbeiten am Rande der Existenz. Auf die steigenden Gewalttendenzen reagieren Sie, indem Sie erst einmal 430 000 Euro für die BISS-Stellen streichen. Der Rest - 3,8 Milli
onen Euro - soll an die Kommunen verteilt werden. Diese erhalten dann auch gleich die Zuständigkeit für den Gewaltschutzbereich. Diese Aufgabenübertragung an die kommunale Ebene muss von ihr aber als ein Danaergeschenk empfunden werden. Denn die kommunale Ebene erhält die Mittel nur in voller Höhe, wenn sie die BISS-Stellen erhält oder neu schafft. Ansonsten wird erst einmal um 25 % gekürzt. Das bedeutet für die bestehenden Einrichtungen erst einmal eine Kürzung von einem Viertel der Mittel, die ihnen zustehen würden. Das ist nicht zu machen, und das wissen Sie auch ganz genau.
Aber eigentlich planen Sie alles noch dicker: In den nächsten Jahren soll noch zweimal um 10 % gekürzt werden. Sie kürzen die Mittel also um fast 50 %. Das verkaufen Sie dann öffentlich als „flächendeckenden Ausbau der Beratungseinrichtungen“. Das muss Ihnen erst einmal jemand nachmachen.