Tagesordnungspunkt 33: Erste Beratung: Grundrechte und Selbstbestimmung bei der Reform des Betreuungsrechts stärken! - Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Drs. 15/958
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In dem Ziel der Angelegenheit, um die es hier geht, sind wir alle uns sicherlich einig. Wir alle wollen im Sinne der Regelungen des Betreuungsrechtes von 1992 die Rechte psychisch kranker, behinderter oder altersgebrechlicher Menschen erhalten und gegebenenfalls weiter stärken. Allerdings haben die demografische und die gesellschaftliche Entwicklung dazu geführt, dass die Anzahl der Betreuungen in einem Maße gestiegen ist, dass sie mit den vorhandenen Ressourcen kaum noch zu bewältigen sind. Da damit zu rechnen ist, dass diese Entwicklung anhält, sind Lösungen gefragt, die zu einer besseren Ausnutzung vorhandener Ressourcen führen und unnötigen Kostenund Arbeitsaufwand vermeiden. Dabei müssen jedoch die durch das Betreuungsrecht geschaffenen Standards und das Leitbild der persönlichen Betreuung unbedingt erhalten bleiben.
Von den Bundesländern wurde nach dem von den Landesjustizministern in Auftrag gegebenen Expertenbericht ein eigener Gesetzentwurf zur Änderung des Betreuungsrechts in den Bundesrat eingebracht. Die von diesem Gesetzentwurf intendierte Stärkung des freien Willens der Betroffenen, der vermehrten Einrichtung von Vorsorgevollmachten, die größere Betonung des Subsidiaritätsgedankens, die Konkretisierung des Rehabilitationsprinzips, die Vereinfachung des Verfahrensrechts, die Stärkung der ehrenamtlichen Betreuung und die Reduzierung des erheblichen Verwal
Allerdings enthält der Gesetzentwurf auch einige juristisch hoch umstrittene Vorschläge, die weder praktikabel noch dazu geeignet sind, die Rechte der möglicherweise Betroffenen zu stärken und deren Selbstbestimmung zu fördern. Dazu gehört beispielsweise die Einführung der gesetzlichen Vertretungsvollmacht für Ehegatten und Lebenspartner, z. B. im Bereich der Vermögenssorge. Sicherlich ist es in der sozialen Wirklichkeit recht problematisch, generell eine Vollmacht für Ehepartner einzuführen, um dann festzustellen, dass in Wirklichkeit nur 13 % der Betreuten verheiratet sind. Warum - frage ich Sie - sollte im Betreuungswesen generell eine Vollmacht für Ehepartner eintreten, wenn sich genau dieselben Ehepartner während ihrer Ehe z. B. noch nicht einmal eine gegenseitige Kontovollmacht gegeben haben? Das ist hoch problematisch.
Es besteht überhaupt kein Schutz vor missbräuchlicher Anwendung dieser gesetzlichen Vertretungsmacht. In dem Entwurf der Bundesländer ist zu keinem Zeitpunkt eine gerichtliche Kontrolle des Vorliegens der Voraussetzungen für die gesetzliche Vertretungsmacht vorgesehen.
Der Vormundschaftsgerichtstag fasst in seiner Stellungnahme zusammen - ich zitiere -: Der Vormundschaftsgerichtstag lehnt deshalb die Einführung der Vertretung für Angehörige in der vorgeschlagenen Form ab, weil sie unpraktikabel ist und der völlig unkontrollierten Fremdbestimmung der Betroffenen Tür und Tor öffnet. - Deutlicher kann man das wohl nicht ins Stammbuch schreiben.
Eine gesetzliche Vertretungsbefugnis, die automatisch zwischen Eltern und Kindern eingerichtet werden soll, ist in vielen Fällen höchst problematisch, beispielsweise dann, wenn bei psychischen Erkrankungen die Ursachen der Erkrankung in den Beziehungen zwischen den Eltern und ihren Kindern begründet sind. Dann ist eine automatische Vollmacht für die Eltern kontraproduktiv. Daneben besteht bei einer Vertretung von Kindern durch ihre Eltern die Gefahr, dass elterliche Sichtweisen und Wertvorstellungen die Lebensgestaltung auch bei erwachsenen Kindern dauerhaft dominieren. Dies steht im Widerspruch zum Grundsatz der Selbstbestimmung der Betroffenen auch bei Hilfe
Ein weiterer Punkt betrifft die ziemlich im letzten Moment von Bayern geforderte ambulante Zwangsbehandlung in einem § 1906 a BGB. Sie widerspricht dem grundgesetzlich als vorrangig anzusehenden Selbstbestimmungsrecht der Betroffenen und konterkariert den sozialpsychiatrischen Ansatz einer die Anwendung von Zwang möglichst minimierenden Umgehensweise mit dem oder der Erkrankten. Einer möglicherweise bestehenden Fremd- oder Eigengefährdung kann mit den vorhanden rechtlichen Regelungen zur Unterbringung ausreichend begegnet werden.
Untersuchungen der Universitätskliniken Göttingen belegen allerdings, dass Betreute durch Betreuerinnen und Betreuer öfter zur Behandlung in die stationäre Psychiatrie eingewiesen werden, als es nach dem Niedersächsischen PsychKG geschieht. Daraus muss man folgern, dass die Schwellen zur Einweisung daher im Betreuungsrecht eher nach dem Vorbild des Niedersächsischen PsychKG angehoben werden; denn dieses bietet eine ausreichende gesetzliche Grundlage für Zwangsmaßnahmen. Der Vormundschaftsgerichtstag lehnt im Übrigen auch diese geplante Änderung - und zwar mit Hinweis darauf, dass sie verfassungswidrig sei - ab.
Meine Damen und Herren, ich komme jetzt zu einem weiteren Punkt, den man sehr genau ansehen muss, nämlich die Einführung der Pauschalierung bei der Vergütung von Berufsbetreuerinnen und -betreuern. Das kann zur Verwaltungsvereinfachung führen und Bürokratie abbauen; das ist gut. Die Pauschalierung kann aber auch zu ausgesprochen ungewollten Effekten führen. So müssen beispielsweise Betreuerinnen und Betreuer im Sinne einer Mischkalkulation ihres Einkommens einen Mix aus einfachen und komplizierten Betreuungen führen. Das wird dazu führen, dass die Zuweisung einfacherer Betreuungsfälle an Betreuungsvereine bzw. an ehrenamtliche Betreuerinnen abnehmen wird, und damit wird die Betreuung insgesamt teurer werden. Außerdem werden vermehrt schwierig ambulant zu betreuende Fälle in Heime eingewiesen werden, weil sich eine Betreuung dort sehr viel leichter bewerkstelligen lässt. Das ist aus Sicht der Betroffenen nicht hinnehmbar, führt außerdem an anderer Stelle zu erhöhten Kosten und ist somit auch kontraproduktiv.
Die so genannten Fallpauschalen sollten daher nach unseren Vorstellungen generell nach dem Schwierigkeitsgrad der Betreuungsleistungen typisiert und eingestuft werden. Es kann nicht angehen, dass es nur danach geht, wie lange jemand schon in Betreuung ist, wie das heute vorgesehen ist. Denn nur weil jemand lange in Betreuung ist, wird der Betreuungsaufwand unter Umständen nicht einfacher.
Angesichts vielfältig festgestellter Qualitätsmängel im Berufsbetreuungswesen ist u. a. durch die Einführung eines einheitlichen Berufsbildes und anerkannter Qualitätsstandards die Qualität der Betreuung zu sichern und zu steigern.
Die geplante Übertragung von Aufgaben im Betreuungsbereich auf die Rechtspflege begegnet ebenfalls erheblichen verfassungsrechtlichen Bedenken. Wo Grundrechte der Betroffenen berührt sind, ist der Richtervorbehalt unbedingt beizubehalten und kann nicht auf die Rechtspflege übertragen werden.
Aus Zeitgründen möchte ich zum Schluss nur noch auf einen wichtigen landespolitischen Punkt eingehen. Die Aufwendungen des Landes für die Arbeit der Berufsbetreuerinnen und Berufsbetreuer stehen nach wie vor in einem erheblichen Missverhältnis zu den Aufwendungen für die Querschnittsarbeit der Betreuungsvereine. Während für die Leistungen der Berufsbetreuerinnen und -betreuer im Justizhaushalt inzwischen ein Betrag von annähernd 50 Millionen Euro aufgebracht werden muss, stehen gleichzeitig für die Betreuungsvereine, die vor allem die ehrenamtlichen Betreuungen stärken, nur rund 800 000 Euro im Haushalt des Sozialministeriums bereit. Dem Grundgedanken der Förderung des Subsidiaritätsprinzips wird das keinesfalls gerecht.
Es wird auch nicht der Forderung des Gesetzentwurfs der Länder gerecht, die Beratungstätigkeit der Betreuungsstellen und Betreuungsvereine, z. B. bei der Einrichtung von Vorsorgevollmachten, zu intensivieren. Die Förderung der Vereine wurde zudem von der alten Landesregierung bereits derart eingeschränkt, dass die Vereine Eigenmittel durch eigene Berufsbetreuung einwerben müssen.
Die Landesregierung ist daher dringend aufgefordert, Zeichen im Sinne der von den Ländern beschlossene Gesetzesreform zur Stärkung des ehrenamtlichen Betreuungswesens zu setzen. Dabei soll auf die guten Erfahrungen der kommunalen Gebietskörperschaften mit höherer Quote an Ehrenamtlichkeit zurückgegriffen werden. Denn es gibt in Niedersachsen Regionen, in denen die Quote ehrenamtlicher Betreuungen bei über 90 % liegt. Es gibt Gebiete, in denen ehrenamtliche Betreuerinnen und Betreuer nicht mehr angeworben werden, weil es gar nicht genügend zu Betreuende gibt. Es kann doch nicht sein, dass ihnen diese Erfahrungen wie Sauerbier angeboten werden und irgendwo auf den Fluren zwischen Sozial- und Justizministerium verschwinden. Die zuständigen Ministerinnen müssen diese Erfahrungen jetzt unbedingt aufgreifen und Strategien entwickeln, sie im Lande zu multiplizieren.
Das wäre im Sinne des Betreuungsrechts eine sehr gute Maßnahme. - Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Frage der Regelung im Bereich des Betreuungsrechts, die von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit dem Antrag angesprochen wird, ist zuvorderst, weil es um ein Gesetz geht, eine juristische Frage. Der Hintergrund ist allerdings ein hoch emotionaler Bereich, weil es um die Verantwortung für die Menschen geht, die leider nicht in der Lage sind, ihr Leben allein zu gestalten. Es geht darum, Sorge für sie zu tragen, sie nicht allein zu lassen, ihnen zu helfen.
Betreuungen gehören - das wissen wir aus der alltäglichen Erfahrung - zu den Dingen im Leben, die - wie manch anderer Bereich - auch dem Verdrängungsprozess unterliegen. Für einen Großteil der Menschen gewinnt es eben erst dann an Bedeutung, wenn sie persönlich betroffen sind, sei es aufgrund des eigenen Schicksals oder sei es bei Angehörigen, Freunden oder Bekannten.
Zu Recht wird deshalb betont, wie wichtig beispielsweise die Vorsorgevollmacht ist. Wir begrüßen daher ausdrücklich, Frau Ministerin, dass Sie sich insbesondere dieses Bereichs sehr stark angenommen haben und hier Akzente setzen. Wir sehen hierin einen ganz entscheidenden Bereich, um voranzukommen.
Meine Damen und Herren, ich möchte den Beratungen im Fachausschuss nicht allzu sehr vorgreifen, weil es sich um eine komplizierte Thematik handelt, die sich wenig für einen verbalen Schlagabtausch eignet. Ich möchte nur einige wenige Punkte kurz herausgreifen:
Erstens. Wir begrüßen ausdrücklich die Beteiligung Niedersachsens an der Bundesratsinitiative, weil diese Initiative von der vielfältigen Erfahrung in der Praxis vor Ort mit der derzeitigen Regelung geprägt ist, wobei unbestritten ein gewisser Handlungsbedarf vorhanden ist. Es sind an der einen oder anderen Stelle Fehlentwicklungen eingetreten, denen man jetzt entsprechend entgegentreten muss.
Zweitens. Auch das müssen wir zur Kenntnis nehmen: Der explosionsartige Anstieg der Kosten in diesem Bereich muss gestoppt werden. Wenn wir an Stellen des Landeshaushalts 45 Millionen Euro für gewisse Teile der Betreuung ausgeben, ist das bei der katastrophalen Haushaltslage ein wesentlicher Bereich. Wir geben im Vergleich zum Jahr 1992 jetzt das über 90fache aus. Diese Kostensteigerung muss uns alarmieren. Wir können sie nicht hinnehmen, wir können uns eine solche Kostensteigerung auf Dauer auch nicht mehr leisten.
Der dritte Punkt ist, dass dieses Thema nicht nur unter finanziellen Gesichtspunkten gesehen werden kann und gesehen werden darf. Deshalb geht es auch uns darum, bei der anstehenden Reform die Kernpunkte des Betreuungsrechts zu erhalten und zu stärken. Aus unserer Sicht tut man gut daran, die ursprünglichen wesentlichen Grundsätze der Erforderlichkeit und der Nachrangigkeit wieder ein Stück weit mehr in das Blickfeld zu rücken.
Damit komme ich zum Punkt 4. Ich möchte davor warnen, zu denken, mit ein paar kosmetischen Änderungen würde man das Betreuungsrecht zu
kunftsorientiert aufstellen können. Das wird nicht funktionieren. Diesem Eindruck kommt ein bisschen auch der Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen entgegen, in dem auf der einen Seite der Reformbedarf anerkannt wird, wozu auf der anderen Seite aber, wenn es dann konkret wird, wie wir es eben von der Kollegin Helmhold gehört haben, vielfältige Bedenken vorgetragen werden.
Mich stört in diesem Antrag sehr die Diktion, mit der Sie beispielsweise eine automatische gesetzliche Vertretungsvollmacht zwischen Ehepartnern bzw. zwischen Kindern und Eltern kategorisch ablehnen.
Wir werden über diese Frage im Ausschuss noch sachlich diskutieren. Es gilt auch da, Argumente unterschiedlicher Seiten abzuwägen. Aber klar ist doch: Wir reden hier nicht über Personen, die in keinem Verhältnis zueinander stehen. Wir sprechen über den allerengsten Familienkreis. Das sind Menschen, die auch ansonsten über Rechte und Pflichten vielfältig miteinander verbunden sind, die sich umeinander sorgen und füreinander Verantwortung tragen. In diesen Bereich einen Hauch grundsätzlichen Misstrauens hineinzubringen, ist aus meiner Sicht unangemessen.
Die Ablehnung aus Prinzip, wie sie durch Ihren Antrag hindurchscheint, ist daher nicht sachgerecht. Im Übrigen enthält die Bundesratsinitiative an der einen oder anderen Stelle durchaus auch Regelungen, mit denen aufgezeigt wird, wie man möglicherweise einen wirkungsvollen Kompromiss finden kann.
Ich will aus Zeitgründen darauf verzichten, noch zu weiteren Punkten des Antrages etwas zu sagen. Das werden wir in Ruhe in den Beratungen tun können. Stattdessen stelle ich abschließend fest: Für uns ist klar, dass wir die Kernelemente des Betreuungsrechts erhalten bzw. wiederherstellen und gleichzeitig eine Eindämmung der Kosten erreichen müssen. Insoweit begrüßen wir die Initiative der Landesregierung. Sie hat ihre Hausaufgaben gemacht. Im Bundestag ist man jetzt an der Reihe, etwas zu bewegen. Wir werden sehen, was dabei herauskommt, und uns im Weiteren mit der
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das 1992 eingeführte Betreuungsrecht hat die bis dahin gängigen Pflegschaften und Vormundschaften abgelöst. Die Betroffenen wurden dadurch rechtlich deutlich besser gestellt. Die Entscheidungskompetenz blieb ihnen weitestgehend erhalten. Die Regelungen des Betreuungsrechts haben sich im letzten Jahrzehnt insgesamt aber doch bewährt. Es sind jedoch auch einige Schwachpunkte festzustellen und sichtbar geworden. Häufig beschweren sich Angehörige darüber, dass nicht sie, sondern eine familienfremde Person zum Betreuer bestellt worden ist. Zwischen Betreuten und Betreuern kam es insbesondere dann zu Differenzen, wenn bei den Betreuten der Eindruck entstanden ist, ihnen sei ein Betreuer ohne oder gar gegen ihren Willen zugeteilt worden. Ferner ist die Zahl der Betreuungen in einem nicht erwarteten Umfang gestiegen und damit einhergehend die Kosten, wie das eben deutlich angesprochen worden ist.
Aus all diesen Gründen hat sich in den letzten Jahren eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe mit der Situation im Betreuungsrecht befasst. Als Ergebnis liegt nach sorgfältigen Anhörungen von Sachverständigen ein Gesetzentwurf der Länder vor, der inzwischen im Bundestag in erster Lesung beraten worden ist.
Die Weiterentwicklung des Betreuungsrechts orientiert sich dabei an drei zentralen Punkten: Oberste Priorität hat die Vermeidung von Betreuung, z. B. durch Vorsorgevollmachten. Daneben wird verstärkt auf ehrenamtliche Betreuung gesetzt. Schließlich ist der Verwaltungsaufwand durch pauschale Vergütungsregelungen zu reduzieren. Dadurch werden einerseits bei den Rechtspflegern Ressourcen für eine verbesserte Qualitätskontrolle frei, also bei der inhaltlichen Betreuungsarbeit, andererseits aber auch für die Beratung der Betreuten und Betreuer. Uns freut natürlich besonders, dass damit unsere Forderungen