Protocol of the Session on April 28, 2004

(Beifall bei der CDU)

Bitte schön, Herr Minister!

Auch wenn das Bundesverfassungsgericht unmittelbar über die Bestimmungen zur akustischen Wohnraumüberwachung nach der Strafprozessordnung entschieden hat, nehmen alle Länder - also auch die rot-grün regierten Länder - diese Entscheidung vor dem Hintergrund der in die Polizeigesetze aufgenommenen Regelungen zur präventiven akustischen Wohnraumüberwachung sehr ernst - keine Frage. So ist bereits Ende März bei Gremienberatungen der Konferenz der Innenminister und -senatoren der Länder der Beschluss gefasst worden, eine länderoffene Arbeitsgruppe zu dem Thema Auswirkungen der Entscheidung

des Bundesverfassungsgerichtes auf die rechtlichen Regelungen zur Gefahrenabwehr durch die Polizei unter der Leitung des - und das müsste von Ihnen eigentlich auch begrüßt werden - Landes Nordrhein-Westfalen einzusetzen, die sich mit den präventivpolizeilichen Auswirkungen des Urteils auf die Polizeiarbeit befasst und hierzu dem Arbeitskreis Innere Sicherheit der IMK einen Bericht vorlegen wird. Unmittelbar mit der Beschlussfassung über die Einrichtung der Arbeitsgruppe ist vom Vertreter meines Hauses die Teilnahme Niedersachsens erklärt worden. Herr Lennartz, also auch in Nordrhein-Westfalen sind noch keine Änderungen beantragt worden. Auch dort wird zunächst einmal vernünftig beraten, damit vernünftige Beschlüsse umgesetzt werden können. Das ist auch richtig so.

Das Gleiche gilt ebenfalls für eine mögliche Änderung des Verfassungsschutzgesetzes. Auch das für den Verfassungsschutz zuständige Gremium der IMK wird sich auf seiner Sitzung im Mai mit dieser Thematik befassen; denn auch in anderen Ländern und im Bund gelten nahezu ähnliche Regelungen. Die Befassung mit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts wird jedoch - ohne an dieser Stelle Ergebnisse vorwegnehmen zu können - die Wohnraumüberwachung kaum auf Bereiche außerhalb des Schutzbereiches des Artikels 13 des Grundgesetzes beschränken, wie es in der Begründung zum Gesetzentwurf ausgeführt wird.

Meine Damen und Herren, mir scheint, Sie haben die Entscheidung des Gerichts völlig missverstanden. Das Bundesverfassungsgericht hat - wie Ihre Begründung es nahe legt - die Wohnraumüberwachung keineswegs ausgeschlossen oder nur zur Abwehr einer gegenwärtigen Gefahr für Leib und Leben für zulässig erachtet, sondern vielmehr bestimmte Maßstäbe für deren Durchführung festgelegt.

(David McAllister [CDU]: Richtig!)

Ob und in welcher Weise diese vom Gericht - ich betone nochmals - zur Strafprozessordnung festgelegten Rahmenbedingungen auf die niedersächsischen Regelungen, das Gesetz zur öffentlichen Sicherheit und Ordnung oder das Verfassungsschutzgesetz, zu übertragen sind, wird umfassend und unaufgeregt überprüft.

(David McAllister [CDU]: Richtig!)

Meine Damen und Herren, wir werden nicht so tun, als hätte es den 11. September 2001 nicht gegeben. Wir werden auch nicht so tun, als würde uns der 11. März 2004 unberührt lassen. Wir werden alle verfassungsrechtlich zulässigen Maßnahmen ergreifen, um zu versuchen, unsere Bürgerinnen und Bürger vor ähnlichen menschenverachtenden Terrormaßnahmen bzw. Angriffen wie in New York und Madrid zu schützen.

Meine Damen und Herren, wir brauchen in Niedersachsen den denkbar größten Schutz für unsere Bürgerinnen und Bürger durch Eingriffsbefugnisse, die sich an den aktuellen sicherheitsrelevanten Entwicklungen orientieren. Ihnen allen ist doch in den Gesetzesberatungen im letzten Jahr vielfach die Problematik verdeutlicht worden, innerhalb einer abgeschotteten extremistischen Vereinigung Informationen zu beschaffen. Dies gilt für die klassische Gefahrenabwehr ebenso wie für den aktuellen Auftrag des Verfassungsschutzes, der beispielsweise im Bereich des islamistischen Extremismus und Terrorismus seine Aufgabe allein mit den herkömmlichen nachrichtendienstlichen Mitteln ohne die Möglichkeit der Wohnraumüberwachung nicht erfüllen kann.

Dies gilt letztlich gerade auch für die Befugnis der von uns eingeführten präventiven Telekommunikationsüberwachung, die Sie, meine Damen und Herren von den Grünen, aufgrund der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes zur akustischen Wohnraumüberwachung einschränken wollen. Vielleicht sollten Sie sich einfach auch einmal die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom selben Tage zu den Befugnissen des Zollkriminalamtes ansehen. Unabhängig von der durch das Gericht festgelegten fehlenden verfassungsrechtlich gebotenen Bestimmtheit der Regelung des Außenwirtschaftsgesetzes zur Telekommunikationsüberwachung hat das Gericht ganz eindeutig diese Eingriffsbefugnis auch für den Bereich der Gefahrenabwehr allgemein für zulässig erachtet. Die Telekommunikationsüberwachung ist danach grundsätzlich nicht nur zur Abwehr einer gegenwärtigen Gefahr für Leib oder Leben einer Person, sondern auch zur Verhütung von Straftaten und zur Vorsorge für die Verfolgung zukünftig eventuell begangener Straftaten zulässig.

Meine Damen und Herren, die Bürgerinnen und Bürger haben es verdient, dass wir hiernach handeln und ihre Sicherheit tatsächlich gewährleisten. Deshalb müssen wir gerade auch mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts sehr sorgsam

umgehen. Das, meine Damen und Herren, werden wir in Abstimmung mit dem Bund und den anderen Ländern auch tun.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Vielen Dank, Herr Minister. - Das Wort hat jetzt der Kollege Bode. Bitte sehr!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Ausführungen des Kollegen Bartling haben mich sehr an Parteitage erinnert. Wenn man inhaltlich nicht weiterkommt, dann kritisiert man eben das Verfahren. Das bringt uns hier aber nicht voran. Deshalb, meine Damen und Herren, komme ich zunächst zum Gesetzentwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, der eine Besonderheit darstellt. Er ist deshalb so beachtlich, weil der innenpolitische Sprecher der Grünen, Herr Dr. Lennartz, hier im letzten Jahr, als wir das Polizeigesetz beraten und beschlossen haben, den Untergang des Abendlandes und des Rechtsstaats befürchtet hat, wenn wir eine Telefonüberwachung einführen. Heute aber beantragen die Grünen, den neu eingeführten § 33 a in Teilbereichen zu streichen. Sie sind aber nicht konsequent. Wenn Sie gegen die Telefonüberwachung im Polizeigesetz sind, dann hätten Sie ihn ganz streichen müssen. Von daher stelle ich fest, dass auch Sie jetzt einer Telefonüberwachung im Polizeigesetz zustimmen.

(Christian Dürr [FDP]: Die lernen da- zu!)

Aber: Genauso schnell und undifferenziert, wie die Grünen die Telefonüberwachung einst verdammt haben, ist jetzt auch die Reaktion auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes. Wie ist das Urteil des Verfassungsgerichtes zu bewerten? - Zunächst ist festzustellen: Das Gericht hat über den so genannten großen Lauschangriff, also die akustische Wohnraumüberwachung, nicht aber über die Telefonüberwachung geurteilt. Es hat diesen Eingriff für grundrechtskonform gehalten und als verfassungsgemäß eingestuft. Allerdings sollten die Regelungen zur Ausführung des Lauschangriffes im Bundesrecht neu definiert werden. Das betrifft den Straftatenkatalog, der eine derartige Maßnahme ermöglicht. Es betrifft aber auch die Frage: Wann muss eine Maßnahme beendet werden? Natürlich - das werden wir als Liberale auch

einfordern - sind die Regelungen zur Durchführung des Lauschangriffs an die Bedingungen des Verfassungsgerichturteils anzupassen. Das gilt für das Polizeigesetz genauso wie für das Verfassungsschutzgesetz. Das sollten wir jetzt aber nicht hektisch und auch nicht fehlerhaft tun, sondern wir sollten eine gemeinsame bundeseinheitliche Regelung abwarten und aufnehmen. Hierfür hat das Verfassungsgericht den Beteiligten genügend Zeit eingeräumt.

Die Telefonüberwachung, lieber Dr. Lennartz, wird vom Verfassungsgerichtsurteil hingegen nicht berührt. Auch hier haben wir in Niedersachsen hohe Hürden eingezogen. Als FDP sind wir besonders stolz darauf, dass es für diese Regelungen im Polizeigesetz eine Befristung gibt. Dieses Instrument der Telefonüberwachung muss sich in den nächsten fünf Jahren also erst beweisen. Andernfalls wird es automatisch wieder verschwinden.

Meine Damen und Herren, Lauschangriff und auch Telefonüberwachung sind ein scharfes, aber sehr wohl auch rechtsstaatliches Schwert, um die Strukturen der Schwerstkriminalität zu zerschlagen. Dies hat das Verfassungsgericht ausdrücklich bestätigt. Leider - das muss man immer wieder sagen - wird unsere freiheitliche Grundordnung heute durch Terrorismus, globalisierte Verbrechenssyndikate oder die Organisierte Kriminalität bedroht, die eine Bedrohung der Freiheit jedes einzelnen Bürgers darstellen. Auch dieser Bedrohung muss sich unser Staat stellen.

Deshalb ist es unbedingt erforderlich, nicht nur über die beiden Maßnahmen zu diskutieren und zu streiten, sondern die gesamte Organisation der Polizei hierfür fit zu machen. Aus diesem Grunde haben die Fraktionen von CDU und FDP heute einen Gesetzentwurf zur Umsetzung der Polizeistrukturreform eingebracht. Dieser wird Niedersachsen sicherer machen. Kriminalität - das ist bekannt - macht an den Grenzen unserer Landkreise nun einmal nicht halt. Verbrecher halten sich nicht an unsere kommunalen Grenzen.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Von daher ist es absolut erforderlich, dass wir die Organisation der Polizei auch an die Wege und die Abläufe der Kriminalität anpassen und dass sich die Polizeiarbeit daran orientiert. Nur so können wir Polizeiarbeit effektiv gestalten.

(Christian Dürr [FDP]: Richtig!)

Dies wird durch die Schaffung von sechs Polizeidirektionen und die neuen Polizeiinspektionen vorbildlich gewährleistet. Damit sind z. B. die zu betreuende Fläche, der Personalkörper der Direktionen und die Einwohnerzahl der jeweiligen Direktion ausgewogen gestaltet. Das ist eine vorbildliche Leistung, wenn man darüber hinaus bedenkt, dass die Kriminalitätswanderung zwischen den Direktionen minimiert worden ist. Nicht einmal die Kollegen in Hessen waren diesbezüglich so erfolgreich wie wir in Niedersachsen.

(Christian Dürr [FDP]: Wir sind ja auch besser!)

Besonders erwähnenswert im Zusammenhang mit der gesamten Polizeistrukturreform ist für uns die aufgestockte Zahl der Vermögensermittler, die das durch die Organisierte Kriminalität aus Straftaten angehäufte Vermögen verstärkt einziehen werden. Verbrechen darf sich nicht lohnen, auch nicht international und schon gar nicht finanziell.

Aufgrund der Strukturänderungen bei der Polizei werden wir in der Lage sein, ca. 200 Polizisten aus Verwaltungsarbeiten und aus der Stabsarbeit zu entlassen und dem eigentlichen Polizeidienst zuzuführen. Hinzu kommen dann noch die 1 000 Polizisten, die von CDU und FDP neu eingestellt werden. So erhöhen wir die Polizeipräsenz vor Ort massiv, und das ist auch gut so.

Der große Erfolg der Polizeireform wird darin bestehen, dass wir Polizei in der Fläche haben, dass sie erkennbar ist. Meine Damen und Herren, Verbrecher werden bekanntlich durch Polizisten bekämpft und nicht durch Gesetzesänderungen. Die Regierung ist auf einem guten Weg. - Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP)

Vielen Dank. - Das Wort hat der Kollege Briese. Bitte sehr! Sie haben noch zwei Minuten und 32 Sekunden Redezeit.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir waren sehr gespannt darauf, wie die Regierungskoalition auf das höchstrichterliche Urteil in Bezug auf den großen Lauschangriff reagieren werde. Nachdem der Kollege Ahlers - ich habe mir den Namen gemerkt - hier gesprochen hat, schienen sich unsere Befürchtungen erst einmal zu

bewahrheiten. Denn soweit ich mich an die Rede erinnere, war der Tenor ungefähr: Hier ist die StPO betroffen, und der Bereich der Gefahrenabwehr kann ignoriert werden. Das hat der Innenminister ein Stück weit relativiert, und er hat eine umfängliche Prüfung angekündigt. Insofern hat sich das eben jetzt ein wenig anders dargestellt.

Aber, meine sehr geehrten Damen und Herren - ich denke, Sie sollten es zugeben -, Sie sind mit den Sicherheitsgesetzen in Niedersachsen ein Stück weit über das rechtsstaatliche Ziel hinausgeschossen.

(Minister Uwe Schünemann [CDU]: Den Lauschangriff haben wir gar nicht gemacht, das war der Kollege Bart- ling!)

Die Politik der windelweichen Formulierungen, Eingriffsschwellen für schwere Grundrechtseingriffe zu ermöglichen, ist eben doch höchstrichterlich abgestraft worden.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich meine schon, dass es eine Sphäre geben muss, in der sich Menschen absolut geschützt fühlen. Für eine Demokratie ist ein Rest an Privatsphäre lebensnotwendig. Die Vorstellung, dass es keinen Ort mehr in einer Gesellschaft ohne staatliche Zugriffsrechte gibt, ist für mich jedenfalls, ehrlich gesagt, ein Stück weit unheimlich und auch verstörend.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, nachdem wir bereits umfänglich gerastert, vermessen und auch videotechnisch erfasst werden, war dieses höchstrichterliche Urteil Balsam auf die geschundene Seele der Bürgerrechtler.

(David McAllister [CDU]: Was reden Sie denn da?)

Die niedersächsischen Sicherheitsgesetze müssen jetzt einer umfänglichen Überprüfung unterzogen werden. Es geht dabei nicht allein um die Änderung der StPO, Kollege Ahlers. Es geht auch ganz konkret um das NSOG, es geht um Datenspeicherung, es geht um Datenweitergabe, es geht um eine verstärkte Kennzeichnungspflicht,

(David McAllister [CDU]: Es geht um die Sicherheit der Menschen!)

es geht um Beweisverwertungsverbote, es geht um die Pflicht zur Benachrichtigung. Eine ganze

Palette von Paragrafen muss neu untersucht werden; es kommt also eine ganze Menge Arbeit auf das Parlament zu.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich erinnere mich an den Beitrag des Fraktionsvorsitzenden McAllister, der gesagt hat: Wir stellen alle Gesetze auf eine verfassungsrechtlich solide Grundlage.

(David McAllister [CDU]: Genau das hat der Innenminister gesagt!)

Da möchte ich Sie, meine Damen und Herren, doch noch einmal daran erinnern, dass es bisher innerhalb dieser kurzen Zeit, in der die neue bürgerliche Regierung an der Macht ist, eine ganze Menge Kritik an verfassungsrechtlichen Vorgaben gegeben hat. Die nachträgliche Sicherungsverwahrung ist höchstrichterlich gleich wieder einkassiert worden. Es bleiben erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken beim neuen Schulgesetz. Es gibt einen ständigen Verfassungsbruch

(Christian Dürr [FDP]: Na, Entschuldi- gung!)

bei der Haushaltsführung, und man fragt sich, meine Damen und Herren, was die Verfassungen noch wert sind, wenn sie ständig missachtet werden.