Protocol of the Session on April 28, 2004

Herr Lenz, Ihre fünf Minuten sind vorbei. Sie müssen jetzt zum Schluss kommen.

Ja, werde ich gleich. - Die jüngsten Vorstöße lassen sogar noch Schlimmeres befürchten. Herr Hirche will ausgerechnet eines der wenigen niedersächsischen Unternehmen, das in der Region beispielhaft arbeitsmarktpolitische Verantwortung übernimmt und Wolfsburg zu einer Boomtown macht, mal eben verhökern. Oder: Was unternimmt das Ministerium, um all die struktur- und beschäftigungspolitischen Instrumente und Ansätze, die die Vorgängerregierung hinterlassen hat, zu pflegen und weiterzuentwickeln? - Fehlanzeige.

Herr Lenz, Sie müssen jetzt zum Schluss kommen.

Bei so wenig Dynamik, Herr Hirche, wäre es fast schon empfehlenswert, bei dem einen oder anderen Bäcker einmal nachzufragen, ob er bereit wäre, eine der Stehhilfen wieder herauszurücken, damit Sie als Wirtschaftminister wieder ein bisschen mehr Haltung bewahren können.

(Beifall bei der SPD)

Herr Lenz, ich habe Ihnen jetzt das Mikrofon abgestellt. Ihre Redezeit ist zu Ende. Herr Lenz, bitte setzen Sie sich jetzt hin! - Herr Lenz!

(Unruhe)

Schönen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Lebhafter Beifall bei der SPD)

Ich möchte noch einmal darauf hinweisen, dass die Redezeit für jeden Redebeitrag maximal fünf Minuten beträgt. - Jetzt hat das Wort Herr McAllister von der CDU-Fraktion.

Verehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der 1. Mai ist und bleibt ein wichtiger Feiertag in der deutschen Gesellschaft. Aber leider wird der 1. Mai für viele Menschen in diesem Lande nicht ein Tag der Arbeit sein, sondern ein Tag der Arbeitslosigkeit, nämlich für die mehr als 6 Millionen Arbeitslosen in unserem Land, für die 4,5 Millionen Arbeitslosen nach Ihrer neuen beschönigenden Statistik, für die 1,4 Millionen Menschen, die sich in Maßnahmen der aktiven Arbeitsmarktpolitik befinden, und für die knapp 400 000 älteren Arbeitslosen, die Lohnersatzleistungen nach dem SGB III bekommen. Und das im sechsten Amtsjahr eines Bundeskanzlers, der 1998 angetreten ist mit dem Ziel, die Zahl der Arbeitslosen in Deutschland zu halbieren!

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Ich will gar nichts beschönigen. Wir hatten auch 1998 schon eine schwierige Situation. Tatsache aber ist: 1998 hatten wir 3,89 Millionen Arbeitslose in diesem Land. Jetzt sind es trotz Ihrer beschönigenden Statistik 4,54 Millionen Arbeitslose. Wir hatten 1998 in Deutschland ein Wirtschaftswachstum von 2 %. Jetzt haben wir das dritte Jahr hintereinander aber ein Nullwachstum. Wir hatten 1998 27 800 Firmenpleiten. Im Jahr 2004 werden es aber 40 000 Unternehmenspleiten sein. Das zeigt: Diese Bundesregierung in Berlin kann es definitiv nicht.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Nun wird viel geschrieben über die Lage in Deutschland. Manchmal hilft der Blick in die ausländische Fachpresse. Ich habe Ihnen als Lektüre - Herr Gabriel, vielleicht haben Sie ja einmal Zeit den Global Competitiveness Report des World Economic Forum aus Genf mitgebracht. Dieses unabhängige internationale Gremium hat 102 Volkswirtschaften auf ihre Wettbewerbsfähigkeit hin untersucht. Deutschland schneidet zum Teil gut ab, etwa bei den Umweltschutzstandards, bei der staatlichen Infrastruktur, vor allem aber auch bei der Verkehrsinfrastruktur. Diese Studie unterstreicht aber auch den dringenden Handlungsbedarf, den wir in diesem Lande etwa bei der Flexibilität auf dem Arbeitsmarkt und bei der Effizienz des Steuersystems haben.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Im Vergleich der 102 Staaten erreicht Deutschland bei der Flexibilität auf dem Arbeitsmarkt den 102. Platz. Staaten, die am 1. Mai, am Tag der Arbeit, Mitglied der Europäischen Union werden, auf die wir uns freuen, erreichen wesentlich bessere Plätze. Estland liegt auf Platz 2, Litauen auf Platz 10 und die Slowakei auf Platz 26. Bei der Flexibilität hinsichtlich des Einstellungs- und Kündigungsschutzrechtes liegt Deutschland auf Platz 101. Hinter uns liegt zum Trost nur noch Venezuela. Vorne liegen überraschenderweise auch skandinavische Staaten, die Sie immer so gern zitieren; möglicherweise auch am 1. Mai. Dänemark liegt auf Platz 5, Island auf Platz 8 und selbst Schweden auf Platz 86.

Am beeindruckendsten aber ist die Statistik zur Effizienz und zur Verständlichkeit des Steuersystems. Da kommt Deutschland wiederum nur auf Platz 102 von 102 Staaten. Botswana liegt auf Platz 3, Zimbabwe auf Platz 33 und Uganda auf Platz 64. Diese beeindruckenden Zahlen zeigen, worum es geht. Wir brauchen endlich Flexibilität im Arbeitsrecht und im Steuerrecht, damit wir wieder Wirtschaftswachstum schaffen. Es geht um Arbeitsplätze für die Menschen in diesem Land.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Die Maßnahmen von Union und FDP und auch dieser Landesregierung liegen auf dem Tisch. Wir brauchen weniger Bürokratie für die Betriebe, wir brauchen mehr betriebliche Bündnisse für Arbeit, wir brauchen einen modernen Kündigungsschutz, und wir brauchen darüber hinaus viele andere Maßnahmen. Ich sage Ihnen auch: Wir brauchen

eine offene und ehrliche Diskussion über längere Arbeitszeiten in Deutschland. Ich als jüngerer Politiker sage Ihnen ganz bewusst: Lieber 40 oder 42 Stunden arbeiten, als einen Anspruch auf 35Stunden-Woche zu haben und dabei arbeitslos zu sein.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Herr Lenz, Sie beschimpfen die Landesregierung. Ich will festhalten, dass der 2. Februar 2003 auch ein Tag für Arbeit war; denn seitdem wir eine neue bürgerliche Landesregierung in diesem Land haben, ist Niedersachsen Spitze beim Wirtschaftswachstum der westdeutschen Bundesländer und hat den Platz 2 beim Rückgang der Arbeitslosigkeit unter allen deutschen Bundesländern inne.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich schließe mit einem Hinweis auf einen Artikel von Timothy Garton Ash im Guardian. Er hat dort die Situation in Europa mit China verglichen und hat u. a. sinngemäß geschrieben: In den 60er-Jahren war Europa die Wirtschaftswachstumsregion Nummer eins auf der Welt. In Europa boomte es. In China war nichts los, und die politische Führung verteilte kleine rote Büchlein mit den Sprüchen von Mao Tse-tung. 40 Jahre später ist China die Wirtschaftswachstumsregion Nummer eins auf der Welt. Dort passiert etwas, - -

Herr McAllister, auch Ihre Redezeit ist jetzt abgelaufen.

- - - und in Europa und vor allem in Deutschland ist wenig los. Und was verteilt die politische Führung in Deutschland? Kleine rote Büchlein mit den Sprüchen von Gerhard Schröder. Bei uns heißt das „Agenda 2010“. - Dem ist nichts hinzuzufügen.

(Starker, lang anhaltender Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Nächster Redner ist Herr Wirtschaftsminister Hirche.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist immer gut, wenn sich der Landtag über das Hauptthema „Arbeit schaffen“ unterhält; denn die Bilanz der Landesregierung, die immer abgefordert werden kann, ist nach einem Jahr Regierungstätigkeit in Deutschland gut vorzeigbar. David McAllister hat das eben schon gesagt. Wir haben in diesem einen Jahr das höchste Wachstum aller Bundesländer erreicht,

(Thomas Oppermann [SPD]: Und die höchste Zahl der Insolvenzen!)

wir haben den zweithöchsten Rückgang der Arbeitslosigkeit unter allen Bundesländern, und, meine Damen und Herren, wir haben, was den Saldo bei den Insolvenzen betrifft, zusammen mit drei anderen Bundesländern das beste Ergebnis, weil nämlich die Zahl der Neueintragungen in Niedersachsen doppelt so hoch ist wie die der Insolvenzen. Das ist das Entscheidende: Ist Bewegung im Lande, oder ist keine Bewegung im Lande?

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Meine Damen und Herren, zum Stichwort „Arbeit“: Das beruht auf einer guten und vorzeigbaren Tradition. In den letzten vier Jahren der Regierung von CDU und FDP Ende der 80er-Jahre ist die Arbeitslosigkeit um 20 % zurückgegangen, nämlich um über 70 000 Personen. In den 13 Jahren SPDRegierung dazwischen ist die Zahl der Arbeitslosen um 86 000 Personen gestiegen, d. h. um 31 %. Da wollen Sie uns sagen, wer in diesem Lande Arbeitsplätze schafft, wer etwas gegen Arbeitslosigkeit tut?

(Walter Meinhold [SPD]: Haben Sie die Zuwanderung vergessen?)

Meine Damen und Herren, wir können sagen: Jeder Tag im Jahr, jeder Kalendertag ist ein Tag für Arbeit für diese Regierung. Wir schaffen Arbeitsplätze.

(Lebhafter Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Es wäre wichtig, dass Sie einmal darüber nachdenken würden, warum alle Ihre Argumente in der Praxis nicht greifen.

Weil hier das Land Sachsen-Anhalt angeführt wurde: Die dortige Regierung hat die rote Laterne der

Arbeitslosigkeit inzwischen an Mecklenburg-Vorpommern abgegeben, was unter der SPD-Regierung dort nicht geschafft worden ist. Ich sage auch ganz unbescheiden: Solange wir mit Verantwortung hatten, etwa in Brandenburg, hatte dieses Bundesland unter meiner Federführung die geringste Arbeitslosigkeit unter allen ostdeutschen Bundesländern.

(Walter Meinhold [SPD]: Jetzt ist die CDU dabei!)

Ich lasse mir gern vorwerfen, dass dies das Ergebnis neoliberaler Politik ist, meine Damen und Herren; denn unter Ludwig Ehrhard - „Wohlstand für alle“ - ist dies ein Markenzeichen deutscher Politik gewesen.

(Dr. Gabriele Andretta [SPD]: Er hatte aber nichts mit Neoliberalismus zu tun!)

Den Markt mit sozialen Regeln zu ordnen und damit Arbeit zu schaffen, das meint der Begriff „neoliberal“ und nichts anderes.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Meine Damen und Herren, weil der 1. Mai und große Kundgebungen bevorstehen, war es schon interessant, der heutigen Presse zu entnehmen, dass die Gewerkschaften den Bundeskanzler nicht eingeladen haben und nicht einladen wollten. Das ist schon ein bemerkenswerter Vorgang.

(Sigmar Gabriel [SPD]: Eine Frage: Sind Sie eigentlich eingeladen?)

Aber, meine Damen und Herren, wir müssen auch in Deutschland einmal darüber nachdenken, warum sich die Schweizer, unsere Nachbarn, mit einer höheren Wochenarbeitszeit und höheren Löhnen ein besseres Leben erarbeiten, als das in Deutschland der Fall ist, und zwar bei einer Arbeitslosigkeit, die weniger als halb so hoch ist wie in Deutschland.

Meine Damen und Herren, wenn man Probleme hat, reicht es nicht aus, zu glauben, dass man sich dann eine Stunde länger auf das Sofa setzen kann, sondern man muss - im Gegenteil - anpacken, damit Arbeit produktiver wird und damit über Absatz neue Arbeitsplätze entstehen. Auf diese Weise kann man den Arbeitslosen in Deutschland am besten helfen. Das ist die Streitfrage, die wir mit den Gewerkschaften auszutragen haben - in aller Offenheit, in aller Fairness -, weil es keine

Pauschalantwort gibt. In jedem Bereich ist es anders. Wir brauchen mehr Flexibilität, wir brauchen Entbürokratisierung.