Protocol of the Session on April 2, 2003

Es liegt mir eine weitere Wortmeldung des SPDFraktionsvorsitzenden, Herrn Gabriel, vor. Herr Gabriel, ich möchte Sie darauf aufmerksam machen, dass die SPD insgesamt eine Restredezeit von zwei Minuten 55 Sekunden hat.

Frau Präsidentin, es geht schnell. - Herr Kollege Wulff, ich wollte Ihnen nur eine Sache nicht ersparen: Wenn es Sozialdemokraten und Grüne nicht gegeben hätte und wenn der Bundeskanzler nicht von Anfang an eingeschritten wäre, hätte es nie mehr Inspektionen gegeben, sondern der Krieg wäre bereits längst vorher ausgebrochen.

(Beifall bei der SPD)

Weitere Wortmeldungen liegen mir zu diesem Punkt nicht mehr vor. Damit eröffne ich die Beratung zu

c) Jugendarbeitslosigkeit - Antrag der Fraktion der FDP - Drs. 15/79

Der Fairness halber möchte ich allen Fraktionen die Restredezeiten mitteilen. Die CDU-Fraktion hat eine Restredezeit von 5 Minuten und 7 Sekunden, die SPD-Fraktion von 2 Minuten und 40 Sekunden, die FDP-Fraktion von 8 Minuten und eine Sekunde, die Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen von 3 Minuten und 46 Sekunden, die Landesregierung von 5 Minuten und 20 Sekunden.

Zu Wort gemeldet hat sich der Fraktionsvorsitzende der FDP, Dr. Rösler.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Gabriel, vielleicht nur einmal folgender Hinweis: Wer Einblick in die intellektuellen Fähigkeiten hier im Hause gewinnen möchte, dem empfehle ich eindringlich, einmal den Blick auf die linke Seite des Hauses zu werfen, wenn wir hier Redebeiträge liefern. Ich finde, das Verhalten Ihrer Fraktion unterstreicht in eindrucksvoller Weise auch ihre individuellen intellektuellen Fähigkeiten

(Beifall bei der FDP und bei der CDU – Sigmar Gabriel [SPD] verlässt den Saal – Zurufe von der CDU: Jetzt geht er! Er ist beleidigt! - Bernd Althus- mann [CDU]: Wer so austeilt, muss auch einstecken können!)

Meine Damen und Herren! Die Zahl der arbeitslosen Jugendlichen ist im Vergleich zum Vorjahresmonat Februar um fast 3 % gestiegen. Es ist zu vermuten, dass das erst der Anfang ist. Wahrscheinlich wird es noch wesentlich schlimmer werden. Die Gründe hierfür liegen auf der Hand.

Die alte Landesregierung hat sich eigentlich darin erschöpft, Bundesprogramme in Anspruch zu nehmen, einfallslose Förderprogramme auf Landesebene aufzulegen oder ideologische, aber sinnlose Dinge wie Ausbildungsplatzabgabe zu diskutieren, anstatt das Übel an der Wurzel zu packen.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Es wäre, weil Arbeitsplätze, zumindest dauerhafte, nicht in Förderprogrammen entstehen, sinnvoller gewesen, sich darum zu bemühen, echte Arbeitsplätze zu schaffen, z. B. im Bereich des Mittelstandes und insbesondere der kleinen mittelständischen Betriebe, die Sie nicht nur nicht entlastet, sondern sogar belastet haben. Das spüren nicht nur die betroffenen Betriebe, sondern das spürt gerade auch die junge Generation; denn Förderprogramme können Jugendarbeitslosigkeit eine gewisse Zeit lang maskieren, aber beheben können sie sie nicht. Jetzt trifft das die junge Generation in Niedersachsen mit aller Gewalt.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Deshalb fordern wir, dass die neue Landesregierung – wir sind zuversichtlich, dass das auch gelingt – Maßnahmen entwickelt, um das, was Sie

bisher nicht geschafft haben, endlich vernünftig in die Wege zu leiten und zu regeln.

Wir fordern, alle bisherigen Förderprogramme, die sich durch eine Vielzahl von Ansprechpartnern und Fördermöglichkeiten auszeichnen, auf den Prüfstand zu stellen und die wenigen Mittel, die das Land zur Verfügung hat, auf die wenigen wirklich bedürftigen, schwer zu vermittelnden arbeitslosen Jugendlichen zu konzentrieren, um diesen tatsächlich die Möglichkeit zu geben, auf den ersten Arbeitsmarkt zurückzukommen oder überhaupt erst den Weg in den ersten Arbeitsmarkt zu finden. Wir erwarten dabei eine enge Verknüpfung mit der Kommunalpolitik hier in Niedersachsen und insbesondere mit den Projekten von „Hilfe zur Arbeit“ und mit den Jugendbüros, die durchaus in der Lage sind, junge Menschen ein Stück weit in der Frage zu begleiten: Wo finde ich meinen ersten Beruf?

(Zurufe von der SPD)

Natürlich werden auch wir unseren Teil dazu beitragen – das sage ich, bevor Sie da vorne ganz ausflippen –, dass die Bildungspolitik wieder besser wird, sodass es jungen Menschen viel leichter fallen wird, einen Arbeits- und Ausbildungsplatz zu bekommen – leichter, als das bisher der Fall gewesen ist.

Wir fordern deshalb diese Landesregierung, die Sozialministerin, den Kultusminister und natürlich den Minister für Wirtschaft und – neuerdings – auch für Arbeit auf, sich in den nächsten Wochen und Monaten gemeinsam mit den niedersächsischen Kommunen daran zu setzen, nicht nur tolle Förderprogramme aufzulegen, sondern die Jugendarbeitslosigkeit ehrlich und nachhaltig und vor allem auch dauerhaft zu bekämpfen. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Meine Damen und Herren, das Wort hat jetzt Ministerin Dr. von der Leyen.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich habe die große Freude, meine allererste Rede hier während der Aktuellen Stunde halten zu dürfen. Nun sagten mir vorhin die parlamentserfahrenen

Kollegen, die mich einrahmen, dabei dürfe man unter keinen Umständen ablesen, die Rede müsse man vielmehr frei halten. Jetzt liegt also mein wohlformuliertes Redemanuskript auf der Regierungsbank.

(Oh! bei der SPD)

Ich habe hier einen Spickzettel, wie ich ihn üblicherweise aus dem Ranzen meiner Kinder ziehe. Aber, meine Damen und Herren, ich habe in meiner außerparlamentarischen Berufserfahrung Strukturen kennen gelernt, die helfen, schwierige Fälle direkt anzugehen. Das heißt erstens differenzierte Diagnose und zweitens Therapievorschlag. Das folgt jetzt.

Wir hatten Ende Februar 50 000 junge Menschen in Niedersachsen ohne Arbeit. 58 %, also mehr als die Hälfte, dieser jungen Menschen hatten eine abgeschlossene Berufsausbildung. Sie konnten aber keine Arbeit finden. Die Arbeitslosenquote in Niedersachsen ist in den letzten drei Monaten auf 10,5 % gestiegen. Dies ist die Situation, die wir vorgefunden haben. Ich möchte jetzt keine Schuldzuweisungen machen. Wir müssen aber kurz den Kontext umreißen. Dabei geht es nicht nur um Arbeit im engsten Sinne, sondern es geht auch um Weichenstellungen bei jungen Menschen. Arbeit beeinflusst die Persönlichkeitsentwicklung. Arbeit sichert die materielle Grundlage. Arbeit bedeutet Teilhabe am gesellschaftlichen Leben. Das heißt also – ich bitte Sie, gemeinsam darüber nachzudenken -, dass wir gezielt unterstützen müssen.

(Beifall bei der CDU)

Ein Punkt kommt erschwerend hinzu. Ich kann nicht umhin, ihn zu erwähnen. Die Bundesanstalt für Arbeit ändert ihre Geschäftspolitik. Nur noch Arbeitslosengeldempfänger mit hohem Leistungsanspruch werden gefördert. Das heißt übersetzt: Die Mittel für die aktive Arbeitsförderung der Jugendlichen werden gekürzt.

Wir konnten gestern vom Bundeskanzler hören, dass – seine Form der Interpretation - nun der Bund in erforderlichem Umfang einspringen müsse. Ein Zitat war das. Die erfahrenen politischen Kommentatoren haben das heute gleich übersetzt: Es wird weniger geben als zuvor, aber mehr als nichts.

Für Niedersachsen bedeutet das, dass die Arbeitsämter rund 20 % weniger Fördermittel für junge Menschen haben werden. Das trifft die, die ohne

hin Schwierigkeiten bei der Eingliederung in den Arbeitsmarkt haben, nämlich die, die Schwierigkeiten bei der beruflichen Qualifikation haben. Mit anderen Worten: In Niedersachsen sind rund 10 000 junge Menschen davon bedroht, keine Mittel mehr zur Berufsvorbereitung und –qualifikation zu erhalten. Dies, meine Damen und Herren, ist keine Bekämpfung von Arbeitslosigkeit, sondern Bekämpfung der arbeitslosen jungen Menschen.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Was können wir tun? - Die Vorgaben des Bundes und der Bundesanstalt für Arbeit können wir nicht verändern. Dazu fehlen uns schlichtweg die Mittel. Wir müssen reagieren, und zwar jetzt und verantwortlich. Wir haben Programme: RAN, das junge Menschen im wahrsten Sinne des Wortes ran an Arbeit bringt, RABaZ, das insbesondere Langzeitarbeitslosigkeit junger Menschen behandelt, wir haben Jugendbüros, die Alternative Arbeit vor Sozialhilfe, unterstützt durch Arbeit und Qualifizierung sofort, und Jugendwerkstätten, die einen hohen sozialpädagogischen Anspruch haben. Ich sage dies bewusst auch zu Ihnen. Wir wollen bestehende Strukturen nicht zerstören, sondern wir wollen weiterarbeiten und weiterentwickeln. Dies ist der Ansatz.

Diese Programme wollen wir auf lokaler Ebene bündeln, und zwar in Pro-Aktiv-Zentren. Das heißt, sie sollen ihre spezifischen Aufgaben behalten. Aber wir müssen auch neu denken. Wir haben ein ausgeprägtes Spartendenken vorgefunden. Wir müssen vor Ort Raum schaffen, um möglichst individuell reagieren zu können. Wir müssen die Netzwerkfunktionen, die man dort bilden kann, ausnutzen. Eine Stelle vor Ort soll wissen: Ist dort ein Schuldenproblem, ein Drogenproblem, ein Qualifikationsproblem, ein psychosoziales Problem, oder fehlt einfach nur das richtige Angebot? Unabhängig vom Alter, eine Stelle vor Ort, möglichst aus einer Hand steuern – dafür stehen 30 Millionen Euro zur Verfügung. Auch die Mitarbeiter der Pro-Aktiv-Zentren werden neu denken müssen, z. B. dass jetzt eine ausgeprägte Akquisearbeit in der Wirtschaft, in den Betrieben, bei der Arbeitsverwaltung notwendig ist. Die Schlüsselstelle wird die Schnittstellenfunktion zwischen Schule und Beruf sein. Wir müssen gewissermaßen die jungen Leute vor der Tür an der Schule abholen, wir dürfen sie nicht erst in das Loch fallen lassen.

Meine Damen und Herren, das Land wird nicht alles ausbügeln können, was auf Bundesebene und durch die wirtschaftliche Entwicklung bewirkt wird, aber wir werden alles das tun, was möglich ist, um gegenzusteuern. Im Interesse und aus Verantwortung für die Jugendlichen werden wir unsere Kräfte offensiv gemeinsam einsetzen. Ich betone das Gemeinsame. Ich bin sicher, dass wir tatsächlich große Gemeinsamkeiten finden werden. - Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der CDU)

Ich erteile nun das Wort Frau Dr. Trauernicht.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Abgeordneter Rösler, Recht haben Sie. Ausbildungs- und Arbeitsplätze schaffen die Unternehmen, die Betriebe. Dies haben sie zugesagt. Fordern Sie sie auf, dass sie diese Ausbildungsplätze auch tatsächlich für alle jungen Menschen zur Verfügung stellen. Wir wären froh, wenn wir zusätzliche Arbeitsmarktprogramme nicht mehr benötigten.

(Beifall bei der SPD)

Aber leider haben auch Sie, Frau von der Leyen, Recht. Wir brauchen eine aktive Arbeitsmarktpolitik, und deshalb freue ich mich, dass sowohl die FDP-Fraktion als auch die CDU-Fraktion ganz offensichtlich in der Wirklichkeit angekommen sind. Beide fordern Programme ein. Aber Sie betreiben Geschichtsklitterung,

(Angelika Jahns [CDU]: Das muss die Bundesanstalt machen!)

denn es waren sozialdemokratische Landes- und Bundesregierungen, die diese speziellen Arbeitsmarktprogramme für junge Menschen auf den Weg gebracht haben.

(Beifall bei der SPD)

Die Lösung liegt auf der Hand. Sie führen das fort, was wir auf den Weg gebracht haben. Das haben Sie gerade dargestellt, und das ist auch gut so. Sie konzentrieren die arbeitsmarktpolitischen Mittel auf junge Menschen. Aber, Frau von der Leyen, schon jetzt gibt die Landesregierung mehr als 30 Millionen Euro für die jugendpolitischen Pro

gramme aus. Ich fordere Sie auf: Machen Sie Nägel mit Köpfen. Steigern Sie diese Summe noch. Geben Sie noch mehr Geld für die jungen Menschen aus, und sichern Sie vor allen Dingen die Jugendwerkstätten.

(Beifall bei der SPD - Zuruf von der CDU: Das hätten Sie machen sollen!)

Nun zum Thema Bundesanstalt für Arbeit. Es ist nicht richtig, dass die Bundesanstalt für Arbeit vorgegeben hat, die Mittel für junge Menschen zu kürzen. Es ist nicht richtig, dass der Bundeskanzler und der Bundesarbeitsminister diese Politik verfolgen. Lesen Sie in der Hartz-Fibel nach. Hören Sie sich den Bundesminister und den Bundeskanzler an. Die Ansage ist ganz klar: Jeder junge Mensch kriegt ein Angebot, und es ist eine Aufgabe der Arbeitsverwaltung, dies zu tun.

(Zurufe von der CDU: Ansage!)

Freuen Sie sich, dass die Programme auf den ersten Arbeitsmarkt ausgerichtet werden. Dort, wo es sich um Angebote der Jugendsozialarbeit handelt, ist dies eine Aufgabe nach dem Kinder- und Jugendhilfegesetz. Diese Aufgabe kommt dem Land und den Kommunen zu. Hier hat der Bund mit Mitteln der Arbeitsverwaltung und mit Mitteln der Versicherten bislang auch seinen Teil dazu beigetragen.

Setzen Sie sich an einen Tisch und sichern Sie die Arbeit der 100 wertvollen Jugendwerkstätten hier in Niedersachsen. Geben Sie dem Ganzen nicht nur einen neuen Namen, auch wenn der Name „pro aktiv“ schön klingt. Machen Sie weiter, indem Sie mehr Mittel bereitstellen. - Vielen Dank.