Protocol of the Session on April 2, 2003

mehr verbindet, als uns trennt. Von Antiamerikanismus kann nicht die Rede sein.

Worüber aber streiten wir? - Die Mehrheit der Weltgemeinschaft war und ist der Auffassung, dass eine Entmachtung von Saddam Hussein auch ohne einen Krieg gegen den Irak zu erreichen gewesen wäre. Eine Minderheit der Weltgemeinschaft - an der Spitze die USA - glaubt das nicht. Die überwältigende Mehrheit der Weltgemeinschaft will daran festhalten, dass militärische Mittel ausdrücklich einer klaren rechtlichen Grundlage durch Beschluss der Vereinten Nationen bedürfen. Dieser Konsens wurde über Jahrzehnte von westlichen Demokratien gegen diktatorische Regime errungen. Das ist das Ziel. Herr McAllister, weil Ihr Vater diese Erfahrung gemacht hat, haben sich die westlichen Demokratien darauf verständigt „Wir wollen den Konsens der UN nutzen“, auch wenn er beim Kosovo nicht funktioniert hat. In vielen anderen Fällen funktioniert er Gott sei Dank. Wir wollen ihn nutzen gegen die territorialen Machtansprüche von Diktatoren, gegen Krieg und gegen Aggression. Wir wollten helfen, mit diesem Instrument den Krieg, ein militärisches Mittel, ein barbarisches Instrument der Mächtigen gegen die Ohnmächtigen, zu einer Ultima Ratio zu machen, um die Ohnmächtigen zu schützen. Eine Minderheit an der Spitze der USA aber zerstört diesen Erfolg westlicher Demokratien und schafft damit gleichzeitig die zukünftige Legitimationsgrundlage, kriegerische Auseinandersetzungen auch ohne UN-Beschluss zu führen. Das ist neben der menschlichen Katastrophe im Irak die politische Katastrophe. Sie nutzt die NATO als Baustelle oder als Steinbruch immer dann, wenn sie sie braucht. Sie ist nicht mehr das, wofür sie einmal geschaffen worden ist. Das sind die politischen Probleme, mit denen wir es zu tun haben.

Eine Mehrheit der Weltgemeinschaft weiß um die Stimmung in der arabischen Welt, kennt die kulturelle Identität der Völker des Nahen Ostens und sieht die wachsende Solidarisierung der Menschen nicht mit dem irakischen Diktator, sondern gegen die Machtansprüche der USA, gegen die Gewalt, den Tod und die Zerstörung unter den arabischen Kindern, Frauen und Männern.

Eine Minderheit an der Spitze der USA ignoriert die weltweite Gefahr, dass aus dem Argument der Bekämpfung des Terrors das Gegenteil wird, nämlich eine Welle des Zustroms zum Fundamentalismus und Terrorismus weltweit, wieder gegen die westlichen Demokratien. Das ist die Auseinander

setzung, um die es geht. Da müssen Sie sich positionieren. Was Sie von der Union bisher getan haben, ist, dass Sie denjenigen permanent Vorwürfe gemacht haben, die von Anfang an eine klare Antikriegspolitik betrieben haben. Sie haben vor der Bundestagswahl dem Bundeskanzler vorgeworfen, es gebe gar keinen Grund, darüber zu reden, obwohl wir heute wissen und auch schon damals gewusst haben, dass das Sicherheitskabinett der Vereinigten Staaten schon im Sommer des letzten Jahres den festen Beschluss gefasst hat, im Irak einzumarschieren. Herr Rösler, das ist der Grund dafür, dass wir von Anfang an Nein sagen konnten. Andere haben nämlich von Anfang an ohne jede Prüfung Ja zum Krieg gesagt. Das ist der Grund, um den es geht.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Sie haben dann im letzten Jahr permanent versucht, der Bundesregierung Isolation vorzuwerfen. Die Wahrheit aber ist, dass Sie isoliert gewesen sind. Herr Rösler, dass Sie es fertig gebracht haben, trotz der Position der Franzosen eine Linie Paris-BerlinMoskau-Peking zu ziehen und nicht in der Sache zu argumentieren, sondern zu versuchen, das mit dem antikommunistischen Vorwurf zu diskreditieren, dies spricht nicht für Ihre intellektuelle Schärfe, sondern dagegen.

(Beifall bei der SPD)

Hätten wir heute die Resolution verabschieden können, wäre klar gewesen, wie die Positionen hier im Parlament sind. Jetzt aber scheint es so zu sein, dass man mit Fug und Recht sagen kann, dass wir unter Führung von CDU und FDP spätestens jetzt Beteiligte am Krieg im Nahen Osten wären.

Das wollen wir nicht, und wir wollen nicht spalten. Aber wir wollen festhalten, für welche Form von Politik Sie hier eintreten. Sehr jung war das nicht, meine Damen und Herren.

(Lebhafter Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Ich erteile der Vorsitzenden der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, Frau Harms, das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Spätestens dann, wenn Sie heute Mittag an der Diskussion über die Probleme der Meyer-Werft teilgenommen hätten, Herr Kollege Rösler, wäre Ihnen klar geworden, dass das, was auf der Welt passiert, durchaus direkte negative Einflüsse auf das Land Niedersachsen hat.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Aber lassen wir das, es wird sich wahrscheinlich bei Ihnen noch einiges setzen müssen.

Ich will noch einmal sagen, warum ich glaube, dass jedes Parlament die Pflicht hat, sich mit diesem Thema zu beschäftigen.

(David McAllister [CDU]: Das tun wir doch!)

Es geht hierbei um das große Problem, dass das Vertrauen der Menschen in die UNO, das unglaublich schwer erarbeitete Vertrauen zu kippen droht. Wir müssen dagegen doch gemeinsam anarbeiten. Ein sehr guter Weg, der weltweit dagegen beschritten wird, der beschritten wird, um dieses Vertrauen zu kitten und um etwas zu retten, ist der Weg der Proteste. Ich würde mir wünschen, auf dem Opernplatz in Hannover auch mal Kollegen aus den anderen Fraktionen und nicht nur immer die Grünen und die SPD zu treffen. Dann könnten wir nämlich über die Gründe dieses Protestes vielleicht auf Augenhöhe reden, Herr Kollege McAllister.

(David McAllister [CDU]: Immer die- se moralische Überhöhung!)

Ich glaube im Übrigen - um das noch einmal darzustellen -, dass diese Proteste in der Breite nichts, aber auch gar nichts mit Antiamerikanismus zu tun haben.

(Widerspruch bei der CDU)

- Kommen Sie, hören Sie zu, dann werden Sie das überprüfen können. - Diese Proteste zeugen von einer wahnsinnigen Angst um Zukunft. Dazu, diese Angst der Menschen ernst zu nehmen, ist jeder Politiker, erst recht jeder gewählte Politiker verpflichtet.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Selbst wenn es jetzt nur die Macht des Wortes ist, die uns gegeben ist, um etwas gegen diesen Krieg zu unternehmen und für eine schnellstmögliche Beendigung dieses Krieges zu kämpfen, sollten wir diese Macht des Wortes gemeinsam nutzen. Ich bin wirklich bestürzt darüber, dass es so wenig gemeinsamen Boden gegeben hat, um dieser Debatte einen anderen Verlauf zu geben.

An dieser Stelle eines ganz ernsthaft: Herr Kollege McAllister, in meiner Fraktion, auch unter den Kollegen hier - ich nehme an, auch auf dieser Seite des Hauses -, kenne ich niemanden, der nicht jedes Opfer dieses Krieges bedauern würde. Ich fordere Sie ausdrücklich auf, sich entweder vor uns und der Presse zu entschuldigen oder darzustellen, wen Sie mit dieser unglaublich zynischen Beschuldigung eigentlich gemeint haben.

(Lebhafter Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Meine Damen und Herren, das Wort hat nun der Ministerpräsident, Herr Wulff.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wohl jedem von uns ist klar, dass es eine ernste Lage ist und dass viele alte Gewissheiten nicht mehr gelten, die es zur Zeit der Teilung gegeben hat, zur Zeit der Blöcke auf dieser Welt, der vermeintlichen gegenseitigen Frontstellung, die vielleicht auch das Sich-einig-sein - entgegen der heutigen Situation - erleichtert hat. Ein solch schlechtes Verhältnis wie jetzt zwischen Deutschland und England, zwischen Frankreich und Spanien, zwischen Europa und Amerika hat es über Jahrzehnte nicht gegeben. Das bedeutet, dass wir aufgerufen sind, etwas dafür zu tun, dass wieder anders miteinander gesprochen wird. Denn nur dann wird Europa überhaupt Einfluss auf Amerika haben, wenn es ihn denn ausüben will. So, wie sich das im Moment darstellt, werden wir diesen Einfluss nicht haben.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Wenn bestimmte Organisationen der Völkergemeinschaft und der Staaten nicht mehr funktionieren - die NATO, die Vereinten Nationen, die Europäische Union -, dann macht das nicht nur junge Leute, Schüler bei Schülerdemonstrationen, son

dern dann macht das alle, gerade Ältere, die Kriege erlebt haben, zu Recht außerordentlich besorgt. Ob manches, was hier gesagt worden ist, wirklich dem Ziel dient, Gesprächskultur wiederherzustellen, wieder vernünftig und vertrauensvoll miteinander umzugehen, daran habe ich jetzt nach der Diskussion eher mehr Zweifel als vor der Diskussion. Das bedauere ich außerordentlich.

(Zustimmung bei der CDU)

Die Dinge sind ein bisschen komplizierter. Die rotgrüne Bundesregierung hat den Völkermord auf dem Balkan im Kosovo beendet - ohne UNMandat. Es war aber erforderlich, dort mit den Amerikanern gemeinsam Frieden wiederherzustellen. - Es ist ein brüchiger Frieden, den wir dort haben. - Wir waren als Europäer allein nicht dazu in der Lage.

Es hätte Ihnen gut angestanden, Frau Harms, wenn Sie einfach zur Beruhigung der Diskussion eben auch festgestellt hätten, dass es sich bei Saddam Hussein um jemanden handelt, der den Weltfrieden gefährdet,

(Rebecca Harms [GRÜNE]: Das steht in der Resolution, Herr Wulff!)

der gegen seine Bevölkerung mit Giftgas vorgegangen ist und der dort soeben die Prämie für Selbstmordattentäter erhöht hat,

(Rebecca Harms [GRÜNE]: Sie wollten den Text ja nicht beschlie- ßen!)

der für jeden Selbstmordattentäter in Israel 25 000 US-Dollar an dessen Familie auszahlt, wenn er ein Selbstmordattentat begangen hat.

(Rebecca Harms [GRÜNE]: Das stand auch in der Resolution!)

Ich sage Ihnen offen: Das ist außerordentlich beunruhigend, dass wir im Moment möglicherweise eine Weltmacht haben, Nationen, die ihre Zukunft vielleicht hinter sich haben, Nationen, die sie vor sich sehen, und weltweit operierenden Terrorismus, der uns auch hier in Niedersachsen Probleme macht. Denn seit dem 11. September 2001 ist kein großes Kreuzfahrtschiff mehr bestellt worden, weil der Terroranschlag weltweit Auswirkungen hatte. Aber im Zusammenhang mit der Frage, wer dafür verantwortlich ist, bitte ich doch zu verstehen, dass ich der Überzeugung bin, dass die Terroristen des 11. September und dass die Leute, die Giftgas ein

setzen, dafür verantwortlich sind und nicht diejenigen, die versuchen, sich dagegen zu wehren. Darauf lege ich schon Wert.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Lieber Herr Kollege Gabriel, guten Willen sprechen wir alle uns untereinander nicht ab. Aber gut gemeint ist eben nicht immer gut gemacht. Wenn Sie gerade dankenswerterweise festgestellt haben „Wir wollen Saddam Hussein entmachten“, dann muss ich Ihnen argumentativ entgegenhalten: Wenn alle auf der Welt in der letzten Zeit über Monate Ihre Position gehabt hätten, dann wäre kein einziger Inspektor dorthin gekommen und hätte nicht eine einzige Waffe offen legen können,

(Zuruf von der SPD: Es gab doch Be- schlüsse der UNO dazu!)

weil Sie sich bereits gegen den Druck zur Einsetzung der Inspektoren ausgesprochen hatten. Es gehört auch zur Wahrheit, dass man so oft nicht weiterkommt.

(Beifall bei der CDU)

Ich möchte eines sagen, weil ich das heute Vormittag in der Aktuellen Stunde bzw. in der Debatte um die Geschäftsordnung beobachtet habe: Sie sollten noch einmal ernsthaft darüber nachdenken, ob man eine Verbindung zieht zwischen einem Angriffskrieg, der Vorbereitung eines Angriffskrieges und dem Amtseid von Politikerinnen und Politikern in Deutschland, weil der Einsatz deutscher Soldaten in den Awacs-Flugzeugen an der Nordgrenze des Irak, in den Fuchs-Spürpanzern an der Südgrenze des Irak, das Gewähren von Überflugrechten Ihrer, unserer Bundesregierung in Deutschland und auch der Schutz amerikanischer Einrichtungen unter diesem Gesichtspunkt weiß Gott falsch bezeichnet wäre und wir jedenfalls weder die deutschen Soldaten hängen lassen sollten noch mit überzogenen Formulierungen die vielen britischen Soldaten aus Niedersachsen, die in diesen Tagen in diesem Einsatz sind, den niemand gewollt hat, bei dem aber alle wissen, dass wir nur gemeinsam hoffen und dafür arbeiten können, dass er möglichst schnell zu Ende geht und die Menschen im Irak möglichst schnell wieder friedfertige, friedliche Verhältnisse haben und keine Friedhofsruhe.

Wenn es eine der großartigen Demonstrationen, die wir in Niedersachsen, in Deutschland erlebt

haben, im Irak hätte geben können, gäbe es den Krieg nicht. Demokratien führen keine Kriege gegeneinander. Aber wenn einer im Irak versuchen würde, gegen Saddam Hussein zu demonstrieren, dann würde er umgebracht, dann würde er getötet, ohne dass jemand groß eine Debatte darüber führen würde. Das ist die Wirklichkeit dieses Landes, und das sollte uns in allererster Linie bedrücken.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Es liegt mir eine weitere Wortmeldung des SPDFraktionsvorsitzenden, Herrn Gabriel, vor. Herr Gabriel, ich möchte Sie darauf aufmerksam machen, dass die SPD insgesamt eine Restredezeit von zwei Minuten 55 Sekunden hat.