Herr Wulff, ich habe mich gemeldet, weil ich Ihnen zwar zustimme, der nächste Schritt aber offen geblieben ist. Was ist denn bei diesem Hildesheimer Fall eigentlich passiert? - Ich knüpfe an die Bemerkung von Frau Harms an. Da sind Schüler in einer Klasse zusammen, die gerade hinreichend
ausgegrenzt worden sind und denen man mehrfach das Halteschild gezeigt hat. Verstehen Sie? Wo ist die Antwort, die wir als Gesellschaft geben? - Ich habe einmal überlegt, was das heißt, wenn wir sie ausgrenzen. Wie gehen wir mit ihnen um? Ich habe überlegt, welchen Platz wir ihnen zuweisen. Das ist doch die offene Frage, bei der wir im Moment nicht mehr weiter wissen. Wir sehen genau, dass es in einigen Klassen eine Zusammenballung sozialer Existenzen gibt - Herr Wulff, da stimme ich Ihnen zu -, die sich auch selber fordern und auffordern müssten; das ist überhaupt keine Frage. Nur wir müssen auch erkennen, dass wir sie fallen gelassen haben und ihnen keine Perspektive mit auf den Weg geben. Damit produziert unsere Gesellschaft sozialen Sprengstoff. Darauf hat Frau Harms hingewiesen. Wir haben hierfür noch keine angemessenen Wege gefunden.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich meine, dass meine Bewertung der gesellschaftlichen Entwicklung nicht ideologisch, sondern realistisch ist. Wir lassen in der Bundesrepublik und nicht nur in Niedersachsen Kinder in Familien großziehen, die dieser Aufgabe nicht mehr gewachsen sind. Hier ist zu lange weggeguckt worden.
Jetzt wird gesagt, dass man die Schulen stärken wolle, um diese Defizite wettzumachen. Vieles lässt sich aber nicht durch die Schule allein wettmachen. Ich meine, dass die Aufgabe, die diese Kinder, die unter sozialer Ausgrenzung leiden, für uns darstellen, sehr groß ist. Herr Wulff, meines Erachtens geht es hierbei um ein ganz großes Projekt - meinetwegen auch Reformprojekt -, das in Angriff genommen werden muss und das für die Gesellschaft mindestens eine solche Bedeutung hat wie die in der Bundesrepublik geführte Diskussion um die Elitebildung.
gen, dass wir darüber Jugendliche und Kinder in einem anderen Bereich nicht aus den Augen verlieren. Ich sage das gar nicht als Vorwurf an die Eltern dieser Kinder. Ich möchte insoweit nicht missverstanden werden. Nur ich meine, dass die Entwicklung der Arbeitslosigkeit und die damit verbundene Perspektivlosigkeit für einen bestimmten Teil unserer Gesellschaft ignoriert worden ist und dass wir dafür zum Teil durch die Ausraster dieser Kinder in den Schulen die Quittung bekommen.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich meine, dass es zwischen dem, was Frau Harms gesagt hat, was Herr Jüttner gesagt hat und was Herr Klare und Herr Busemann vorgetragen haben, etwa 90 % Übereinstimmung gibt. Die Frage ist nur, ob man diese Erwartungen so stark an den Staat richtet, ob man erwartet, dass der Staat das große Reformprojekt durchführt, oder ob wir an dieser Stelle ein Stück weit erkennen, dass wir Partnerinnen und Partner brauchen, dass wir Lehrer, Erwachsene, Eltern und Großeltern brauchen, die diesen kulturellen Wechsel vom Weggucken zum Hingucken vollziehen, die, wie Sie es gesagt haben, Herr Voigtländer, eine Anerkennungskultur bewirken, die sich dadurch auszeichnet, dass ermutigt wird; aber nicht nur von staatlicher Stelle aus durch Programme, durch Förderung und durch Reduzierung der Klassengröße, wie es Herr Busemann in Bezug auf Hauptschulen gesagt hat, durch Sprachtests bei den Kindergartenkindern im Hinblick auf die Einschulung. Das ist ein ganzes Maßnahmenbündel.
Wir diskutieren hier über Themen wie Steuerreform, Rentenreform, Bürokratieabbau und Reformprojekte. Wir können hier aber nur begrenzt diskutieren über Zeit, Zuwendung, Zuneigung und Zivilcourage, also über Begrifflichkeiten, die sozusagen in dem zwischenmenschlichen Bereich liegen, über die in diesem Land eine intensive Debatte geführt werden muss. So etwas aber findet in einigen Elternhäusern, an bestimmten Stellen, überhaupt nicht statt. Diese Form von Kultur des Umgangs untereinander findet übrigens auch im Parlament
Hier schauen ja immer Schülerinnen und Schüler zu, die sich hinterher über diese Debatten äußern. Wenn diese Schülerinnen und Schüler sagen, wir hätten so über sie diskutiert, dass sie dem einigermaßen hätten folgen können, und erkennen, dass wir im Wesentlichen begriffen hätten, was an den Schulen auch an Ängsten vor der Zukunft, einen Ausbildungsplatz zu finden usw., los sei, dann haben wir eine ganze Menge dafür getan, in den Klassen einen Anstoß zu geben, über diese Themen zu diskutieren. Die Klassengemeinschaft kann dann eben mehr bewältigen, als jede Partei der Welt, jede Politik, jede Regierung der Welt bewegen könnte. Darauf bezog sich mein Hinweis, die Gesellschaft nicht zu sehr verantwortlich zu machen und nicht zu viele Forderungen an die Politik zu erheben, sondern zu bedenken, dass daran jeder für seinen Teil mitwirken muss.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In der Tat juckt es mich inzwischen sehr in den Fingern, hierzu auch etwas zu sagen, denn es wird immer gesprochen von: die Familie, die Gesellschaft. Schlicht und einfach aus der praktischen Erfahrung meines Lebens: Wir alle sollten ziemlich eindeutig sagen, dass wir - quer durch alle Parteien - in den vergangenen 20 bis 30 Jahren ziemlich rücksichtslos die Familie strukturell immer schlechter gestellt haben.
Was im Endeffekt bis heute mit der Familie passiert ist, muss man einmal benennen: Familie ist ein Armutsrisiko in den Sozialsystemen und in den Steuersystemen. Familie und Arbeit schließen einander quasi aus. Dazu trägt nicht nur bei, dass Vereinbarkeit von Beruf und Familie fast nicht möglich ist, sondern - auch darüber sollten wir
einmal aufrichtig diskutieren - dass wir die Erziehungsleistung, die zu Hause erbracht wird, systematisch diffamiert haben, indem wir sie nicht honoriert haben, sondern in Relation zu dem, was Berufstätigkeit ist, permanent in die Ecke gestellt haben.
Schließlich und endlich ist meines Erachtens der strukturierte Tagesablauf von Kindern, der primär in der Subsidiarität von der Familie geleistet werden sollte, ein entscheidender Punkt. Wir sollten daran arbeiten, dass es die Familie schafft, den strukturierten Tagesablauf zu liefern. Dies sollte aber dann in der zweiten Instanz vom Staat geleistet werden. Dazu gehört selbstverständlich das Prinzip der Offenen Ganztagsschule. Ich halte das vehement für das Richtige, weil genau dort die Strukturen geschaffen werden, in denen Kinder aufgefangen werden und in denen Kinder in Abläufe eingebunden sind, die verhindern, dass sie sechs Stunden am Tag vor den Maschinen hängen und seelisch vollkommen verwahrlosen.
Wir beklagen immer wieder, wenn Familien „versagt“ haben und rufen dann nach dem Staat. Dies sollte einmal umgekehrt werden, nämlich dass wir auch benennen, wo Familien systematisch zu anderen Bevölkerungsgruppen wieder gleichberechtigt gestellt werden können. Im Augenblick haben wir eine massive strukturelle Benachteiligung der Familien in diesem Land.
Jetzt erteile ich Frau Harms noch einmal eine zusätzliche Redezeit von bis zu zwei Minuten. Bitte sehr!
Nach dem Beitrag von Frau von der Leyen muss ich noch einmal betonen: Ich möchte hier keine generelle Diskussion über die Familie in der Bundesrepublik anfangen. Ich mache mir aber Sorgen über die Kinder in der Bundesrepublik, die aus Familien stammen, die aus ganz unterschiedlichen Gründen nicht mehr funktionieren, sei es Arbeitslosigkeit, sei es Alkoholismus - das ist übrigens in diesem Milieu ein ganz großes Problem -, sei es der ausländische Hintergrund und die völlig fehlende Integration in die Gesellschaft der Bundesrepublik. Frau von der Leyen, ich meine, das sind
Tagesordnungspunkt 2: 10. Übersicht über Beschlussempfehlungen der ständigen Ausschüsse zu Eingaben - Drs. 15/800 - Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen – Drs. 15/890 - Änderungsantrag der Fraktion der SPD – Drs. 15/821
Ich bitte darum, dass auf der Regierungsbank Ruhe einkehrt, damit wir in das Abstimmungsverfahren eintreten können.
Im Ältestenrat haben die Fraktionen vereinbart, die Eingaben, zu denen Änderungsanträge vorliegen, erst am Freitag, dem 20. Februar, zu beraten. Ich halte das Haus damit einverstanden, dass wir heute nur über die Eingaben beraten, zu denen keine Änderungsanträge vorliegen.
Ich rufe zunächst die Eingaben aus der 10. Eingabenübersicht in der Drucksache 800 auf, zu denen keine Änderungsanträge vorliegen. Wer so beschließen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenstimmen! - Stimmenthaltungen? - Das ist so beschlossen.
Tagesordnungspunkt 3: Einzige (abschließende) Beratung: Entwurf eines Gesetzes zu dem Staatsvertrag zwischen der Freien Hansestadt Bremen und dem Land Niedersachsen über die Zugehörigkeit der Psychologischen Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten sowie der Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutinnen und Kinderund Jugendlichenpsychotherapeuten in der Freien Hansestadt Bremen zum Versorgungswerk der Psychotherapeutenkammer im Land Niedersachsen - Gesetzentwurf der Landesregierung - Drs. 15/750 Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr - Drs. 15/783
Im Ältestenrat waren sich die Fraktionen einig, dass dieses Gesetz ohne allgemeine Aussprache verabschiedet werden soll. - Ich höre keinen Widerspruch.
Wir kommen zur Schlussabstimmung. Wer dem Gesetz seine Zustimmung geben möchte, den bitte ich, sich zu erheben. - Gegenstimmen! - Stimmenthaltungen? - Das ist so beschlossen.
Tagesordnungspunkt 4: Zweite Beratung: a) Entwurf eines Niedersächsischen Gesetzes zur Durchführung des Baugesetzbuchs (NBauGBDG) - Gesetzentwurf der Fraktion der SPD Drs. 15/706 b) Umnutzung landwirtschaftlich genutzter Gebäude - Strukturwandel in der Landwirtschaft durch Änderung des Baurechts begleiten - Antrag der Fraktionen der CDU und der FDP - Drs. 15/58 - Beschlussempfehlung des Ausschusses für Soziales, Frauen, Familie und Gesundheit - Drs. 15/784
Die Beschlussempfehlung sieht zu a) vor, den Gesetzentwurf anzunehmen, und zu b), den Antrag für erledigt zu erklären.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Ausschuss für Soziales, Frauen, Familie und Gesundheit empfiehlt Ihnen in der Drucksache 784, den Gesetzentwurf der SPD-Fraktion unverändert anzunehmen und den Antrag für erledigt zu erklären. Über die Zielsetzung und den Inhalt des Gesetzentwurfes bestanden keine Meinungsunterschiede.