Protocol of the Session on December 10, 2003

Meine Damen und Herren, am Ende meiner Ausführungen darf ich Ihnen meine Bewertung geben. Für die CDU sind Kinder immer unterschiedliche Persönlichkeiten mit unterschiedlichen Begabungen und unterschiedlichen Ansprüchen. Daraus ergibt sich selbstverständlich ein Rechtsanspruch auf Förderung. Deswegen sage ich Ihnen ganz

deutlich: Auf diesem Menschenbild baut unsere gesamte Politik auf - auf differenzierten, unterschiedlichen Persönlichkeiten. Deswegen brauchen wir von Ihnen keinen Nachhilfeunterricht im Fördern.

(Beifall bei der CDU)

Meine Damen und Herren, lassen Sie mich Folgendes auch klar sagen: Wir entwickeln jetzt gerade ein Schulsystem, das auf die dramatischen Veränderungen und Herausforderungen des 21. Jahrhunderts ausgerichtet wird.

(Elke Müller [SPD]: Des 19. Jahrhun- derts!)

Das ist anstrengend genug, das kann ich Ihnen sagen. Aber ich kann es beim besten Willen langsam nicht mehr ertragen, dass hier ständig die gleiche Mär mit den Diskussionen von Gleichheit usw. erzählt wird, dass hier die 60er-JahreDiskussion geführt wird. Meine Damen und Herren, diese Schlachten haben wir vor 20 Jahren geschlagen. Sie wärmen das jedes Mal wieder auf. Selbst Ihre 68er-Freunde haben doch aufgegeben, über Revolution in der Gesellschaft nachzudenken. Machen Sie doch mit bei den Herausforderungen, die sich uns stellen! Es geht doch um Kinder, die wir ausbilden müssen. Wir brauchen selbstbewusste, entwickelte Kinder und Persönlichkeiten, die im Beruf ihren Mann und ihre Frau stehen. Wir brauchen hier nicht die Diskussion der 60er-Jahre ständig zu wiederholen. Das nützt nichts, meine Damen und Herren, das schadet der vernünftigen Zukunftsperspektive.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Für die FDP-Fraktion hat nun der Abgeordnete Schwarz das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Grünen haben das Thema formuliert: „Niedersachsens Schulen auf dem Weg in die alte Zeit.“ Das ist ein Vorwurf, der in der Vergangenheit ständig wiederholt worden ist. Er wird dadurch aber nicht richtiger. Frau Korter, ich möchte Sie einmal an den Beginn der Bildungsdiskussion kurz nach der Landtagswahl erinnern, als Ihre Fraktionsvorsitzende, Frau Harms - -

(Ulrike Kuhlo [FDP]: Ein bisschen lauter!)

- Bin ich dort nicht zu verstehen? - Doch, nicht wahr? - Hoffentlich ist Frau Harms nicht vom Landtag fern gehalten worden. Ich habe sie noch nicht gesehen.

(Präsident Jürgen Gansäuer über- nimmt den Vorsitz)

Frau Harms hatte damals sinngemäß formuliert, dass derjenige, der sich das dreigliedrige Schulsystem als Ziel vornehme, damit eine Dreiklassengesellschaft erreiche.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das zeigt eigentlich zweierlei. Erstens zeigt es, dass man meilenweit von der Praxis entfernt ist, und zweitens zeigt es, dass man nicht die Spur von Bereitschaft aufbringt, sich einmal mit dem Thema auseinanderzusetzen, was Dreigliedrigkeit eigentlich heißt. Sie, verehrte Frau Korter, die Grünen und auch die SPD, haben Ihre Schlüsse aus den vorliegenden Studien gezogen, ohne dabei hinreichend zu berücksichtigen, dass die einzelnen so genannten PISA-Siegerländer komplett andere Bedingungen aufweisen. Ich erinnere daran, dass beispielsweise in Finnland deshalb völlig andere Lernbedingungen herrschen, weil es dort viel kleinere Lerngruppen gibt. Ich erinnere daran, dass sich der gesamte Lebensalltag dort völlig anders darstellt als bei uns, indem die Kinder schon frühzeitig „gezwungen werden“ zu lesen. Alles das muss doch in eine Bewertung einfließen, wenn man sich über das dreigliedrige Schulsystem auslässt!

Ich bin schon der Meinung, dass es nicht nur in Niedersachsen, sondern in Deutschland insgesamt versäumt worden ist, in die Bildung zu investieren. Das haben andere Länder besser gemacht. Seit drei Jahrzehnten ist das in Deutschland ein Defizit, mit dem wir umgehen müssen. Wer erwartet, dass wir von heute auf morgen eine Verbesserung erzielen und plötzlich im Ranking nach oben schnellen, der liegt schlicht und einfach falsch. Ich bin aber der Überzeugung, dass wir mit dem Niedersächsischen Schulgesetz am 25. Juni ein exzellentes Fundament dafür geschaffen haben, dass wir wieder aufsteigen werden.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Wir sind der festen Überzeugung, dass z. B. Qualitätssteigerung nur durch Wettbewerb aller Schu

len zu erreichen ist. Deswegen haben wir nicht ohne Grund vor kurzem, am 13. November, ein Hearing zu dem Thema „eigenverantwortliche Schule“ veranstaltet. Nicht dass wir sagen, wir hätten damit schon alles durchformuliert, nein, wir wollen dieses Thema in der Tat in das Blickfeld rücken, daran arbeiten und versuchen, gemeinsam mit allen Beteiligten nach vorne zu gelangen.

Ein schwieriger Punkt ist u. a. die Fortbildung unserer Lehrkräfte. Das aber können Sie in der Tat nicht uns anlasten. Die Fortbildung ist in der Vergangenheit zu einem riesigen Defizit geworden, mit dem wir heute leben müssen und das wir beheben müssen. Wir müssen dringend die Lehrkräfte im Studium wieder der Praxis zuführen, damit sie frühzeitig merken, ob das der für sie wirklich geeignete Beruf ist. Wenn aber in Zukunft verschiedene eigenständige Profile in den Schulformen ausgestaltet werden, dann wird sich die Lehrerausbildung automatisch verändern.

Sie haben angeführt, dass PISA etwas zu Tage gebracht habe. Ich finde, dass PISA ausgesprochen wichtig gewesen ist. Aber jeder, der in der Schule tätig gewesen ist, hat PISA eigentlich nicht gebraucht, denn wir haben seit anderthalb Jahrzehnten gemerkt, dass die Entwicklung in ein bildungspolitisches Desaster führt. Frau Korter, wenn man sich die Studien in Gänze anschaut, meine ich nicht, dass der Kernpunkt der Kritik die Selektion ist. Ich meine, der Kern ist, dass wir in den einzelnen Schulen in Deutschland und in Niedersachsen nicht über die Autonomie verfügen, die die Schulen benötigen. Deswegen bin ich der Meinung: Wenn wir in einem Schulgesetz festgeschrieben haben, dass z. B. die Stellung der Schulleitung jetzt endlich einmal gestärkt wird, dann haben wir eine exzellente Ausgangsposition dafür, eine moderne Schule zu entwickeln, die eigenverantwortlich handeln kann und die sich im Bereich des Personals und der Finanzierung eigenständig die Positionen heraussuchen und diese belegen kann.

Ich möchte Ihnen nur raten bzw. auch anbieten, dass wir in Zukunft nicht mehr über die alten Kamellen reden, dass Sie nicht immer wieder darauf beharren, wir wären auf dem falschen Weg. Ich rufe Sie auf: Gehen Sie doch diesen Weg mit! Begleiten Sie ihn konstruktiv! Tragen Sie diese Problematik nicht in die Öffentlichkeit, und tragen Sie sie nicht auf dem Rücken der Schüler aus, sondern versuchen Sie, konstruktiv mit uns zu arbeiten! Das wäre gut.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Meine Damen und Herren, bevor ich dem Kollegen Wulf das Wort erteile, möchte ich Ihnen mitteilen, dass die Präsidiumssitzung, die für heute Mittag vorgesehen war, morgen Mittag stattfindet. Sagen Sie das bitte auch den Kolleginnen und Kollegen weiter, die jetzt nicht im Plenarsaal sind. Der Ältestenrat tagt heute um 13 Uhr. Aus diesem Grunde müssen wir die Sitzung des Präsidiums auf morgen verschieben.

Herr Kollege Wulf hat das Wort. Bitte schön!

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Als ich gestern Abend mit meiner Frau über das Thema der Aktuellen Stunde heute gesprochen und ihr dargestellt habe, welche Konsequenzen bzw. Nichtkonsequenzen die CDU-FDPLandesregierung aus den internationalen Bildungsuntersuchungen zu ziehen gedenkt, sagte sie zu Recht: „So nicht! Das ist entschieden zu wenig!“

(Bernd Althusmann [CDU]: Na ja, wenn Ihre Frau das sagt!)

In der Tat ist es so. Sie ziehen nicht nur die völlig falschen Konsequenzen daraus, sondern Sie ziehen überhaupt keine Konsequenzen daraus. Das hat Frau Korter eben ganz deutlich zum Ausdruck gebracht.

(Bernd Althusmann [CDU]: Wenn das Ihre Frau so sagt!)

Die Märchenstunde, die uns gerade Herr Klare gegeben hat, wollen wir mal ein bisschen genauer untersuchen. Davon, was Sie hier mit der angeblichen Förderung durch Ihre Maßnahmen dargestellt haben, finde ich in Ihrem Klassenbildungserlass und in anderen Erlassen überhaupt nichts. Das ist eine reine Märchenstunde.

(Beifall bei der SPD)

Wenn Sie uns vorwerfen - auch Sie, Herr Schwarz -, wir würden immer wieder die gleiche Diskussion aus den 60er-Jahren führen, dann muss ich Ihnen sagen: Der entscheidende Grund dafür, dass wir das tun müssen, ist, dass Sie die Praxis der 50er-Jahre vollziehen.

(Beifall bei der SPD - Widerspruch bei der CDU)

Meine Damen und Herren, der jüngste Bericht der OECD - Frau Korter hat darauf hingewiesen macht ein miserables Bild der bundesdeutschen Schullandschaft deutlich. In dem Bericht machen die Experten klar, dass die Trennung von Hauptschülern, Realschülern und Gymnasiasten in Deutschland weltweit einmalig sei und dass dies ein vergangenes ökonomisches und gesellschaftliches System darstelle. Auch die umfassende PISA-Untersuchung und die OECD-Studie machen deutlich, dass man auch in Niedersachsen gegensteuern muss. Die neueste Maßnahme der KMK, beispielsweise mit Bildungsstandards, ist eine richtige Maßnahme. Das ist aber zu wenig. Notwendig wären mehr Ganztagsschulen. Notwendig wäre mehr individuelle Förderung. Notwendig wären kleinere Klassen. Darauf weist ganz besonders die OECD-Studie hin.

(Karl-Heinz Klare [CDU]: Das ist doch schon mal ein Ansatz!)

Und was tun Sie? - In Deutschland liegen die Klassengrößen sowohl im Primar- als auch im Sekundarbereich europaweit an der Spitze.

(Karl-Heinz Klare [CDU]: Ihr seid erst zehn Monate in der Opposition!)

Dem müsste diese Landesregierung entgegensteuern. Sie machen aber genau das Gegenteil, Herr Klare: Sie erhöhen die Klassenfrequenz noch. An Gymnasien und Realschulen steigt sie auf 32 Schülerinnen und Schüler.

Meine Damen und Herren, aber nicht nur dies: Die OECD-Studie sagt auch, im Bereich der Lehrerinnen- und Lehrerausbildung müssen notwendige Veränderungen vorgenommen werden; dort mangele es an Koordination und wurstelten die verschiedenen Institutionen vor sich her, und dies vor allen Dingen ohne Praxisbezug. Herr Klare, genau deswegen haben wir als SPD-Landtagsfraktion und hat die vorherige SPD-Landesregierung angefangen, dort Veränderungen vorzunehmen, etwa mit der Einführung von Master- und Bachelorstudiengängen im Bereich der Lehrerinnen- und Lehrerausbildung. Es ist gut so, dass Sie das fortführen wollen.

Herr Wulf, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Klare?

Ich antworte Herrn Klare gerade auf die Frage, die er stellen möchte.

(Lachen bei der CDU)

Der entscheidende Punkt ist: Es kommt nicht nur auf die Form an, sondern Sie müssen auch realisieren, was damit inhaltlich verbunden ist. Das heißt, nicht nur Fachorientierung in der Lehrerinnen- und Lehrerausbildung, sondern vor allen Dingen pädagogische Orientierung, von Anfang an Praxisbezug und Hinwendung zu Methodensicherheit, d. h. Zusammenarbeit der verschiedenen schulformbezogenen Lehrämter. Hier erwarte ich die Standfestigkeit des leider nicht anwesenden Wissenschaftsministers, nämlich keinen Kniefall vor ständischen Lehrerverbandsinteressen!

Meine Damen und Herren, die OECD-Studie hat auch nachgewiesen, dass die Schülerinnen und Schüler der 4. Jahrgangsstufe in Deutschland bei ihrer Lesefähigkeit deutlich über dem Mittelwert liegen. Die Grundschule als Gesamtschule für alle hat sich demnach bewährt. Daraus sollten Sie Konsequenzen ziehen und deutlich machen, dass das fortzuführen wäre. Die Fehler liegen ganz klar im Sekundarbereich I; denn dort gehen die Werte herunter. Konsequent wären also ein gemeinsames Lernen aller Schülerinnen und Schüler über die 4. Klasse hinaus und eine individuelle Förderung. Sie aber machen das Gegenteil. Sie verfestigen die Auslese. Sie tragen mit Ihrem Schulgesetz zu dieser Auslese auch noch zusätzlich bei. Mit Ihrer Aussortierung nach der 4. Klasse und dem Einteilen der Kinder in Schubladen ziehen Sie die völlig falschen Konsequenzen aus den internationalen Untersuchungen.

Meine Damen und Herren, in Ihrer stockreaktionären Grundausrichtung sind Sie dabei auch noch widersprüchlich.

(Oh! bei der CDU)

So machen Sie eines richtig, nämlich die Einführung der Verlässlichen Grundschule fortzusetzen, wie wir es gemacht haben. Aber Sie opfern dabei die Vollen Halbtagsschulen,

(Astrid Vockert [CDU]: Bei Ihnen wür- den die ja gar nicht mehr existieren!)

obwohl Sie im Wahlkampf immer wieder gesagt haben, Sie wollen sie erhalten. Wir haben klar gesagt: Volle Halbtagsschulen haben nur einen begrenzten Bestandsschutz. Das war eine klare Aussage von uns. Sie aber haben immer gesagt, Sie führen das bis in alle Ewigkeit fort.

(Astrid Vockert [CDU]: Jawohl! § 189!)

Und was ist nun? - Die entscheidenden Punkte sind, Frau Vockert: In Ihrem Klassenbildungserlass werden die Vertretungsreserven der Vollen Halbtagsschulen zusammengestrichen. Die Förderstunden werden zusammengestrichen. Die Verlässlichen Grundschulen werden demnach wesentlich besser ausgestattet sein als die Vollen Halbtagsschulen. Was Sie mit den Vollen Halbtagsschulen machen, ist nichts anderes als Wahlbetrug.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN - Widerspruch bei der CDU)