Protocol of the Session on December 10, 2003

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Und damit das nicht abstrakt bleibt, will ich Ihnen das einmal an Beispielen erläutern, die wir und der Verband der Angestelltenkrankenkassen berechnet haben.

Wem hilft dieser Systemwechsel? - Erstes Beispiel: eine zweiköpfige Familie, beide erwerbstätig, 60 000 Euro und 40 000 Euro brutto Jahreseinkommen. Die haben bisher - Arbeitgeber- und Arbeitnehmeranteile - 8 645,57 Euro für die Sicherung ihrer Gesundheit bezahlt. In Zukunft bezahlen sie zusammen 4 800 Euro. Sie sparen ganz konkret 3 845,57 Euro. Das ist großartig für die beiden. Die sind wahrscheinlich begeistert davon.

Der ledige Beschäftigte mit 40 000 Euro Jahreseinkommen kommt in Zukunft mit knapp 2 000 Euro Kosten für die Sicherung seiner Gesundheit davon. Auch der wird sich freuen, wenn das mal Realität wird.

Probleme haben andere in dieser Gesellschaft, beispielsweise die vierköpfige Familie, ein Ehepartner erwerbstätig, 30 000 Euro brutto Jahreseinkommen. Meine Damen und Herren, diese deutsche Normalfamilie wird in Zukunft auf der Ba

sis dieses CDU-Papiers, dieser Beschlüsse der deutschen Konservativen, jährlich ungefähr 1 000 Euro zusätzlich bezahlen müssen. - Das ist Ihre Antwort auf die Krise der Sozialkassen: Es wird richtig umverteilt.

Das vierte Beispiel. Wir haben einmal gerechnet, wie sich das für einen Auszubildenden darstellt. Es zeigt sich, dass ein durchschnittlicher Auszubildender eine Steigerung der Krankenversicherungsbeiträge um mehr als 20 % hinnehmen muss.

Meine Damen und Herren, das Motto, das dahinter steht - und das Ihnen wehtun muss, vor allem den sozialpolitisch Geprägten in der CDU -, ist: Wer hat, dem wird gegeben, wer kaum hat, dem wird genommen. - Im Übrigen, damit das klar ist: Da sind alle steuerfinanzierte Ausgleichsmaßnahmen schon hineingerechnet.

Frau von der Leyen wird gleich sagen, Sie hätte erreicht, dass sich in den ersten vier Jahren niemand schlechter stellt. Das mag ja sein, meine Damen und Herren. Ich nehme also zur Kenntnis: Vier Jahre soll es noch so weitergehen, und dann ist auch nach Meinung von Frau von der Leyen die Sozialstaatlichkeit in Deutschland am Ende.

(Beifall bei der SPD)

Ich kann mir keine größere gesellschaftliche Ungerechtigkeit vorstellen als das, was Sie da auf den Weg bringen wollen. Ich glaube, ein Teil der Delegierten hat nicht begriffen, welche Konsequenzen das hat. Aber der Beschluss ist detailscharf, Frau Kollegin, und das lässt sich relativ leicht nachrechnen.

Die Krönung des Ganzen ist, dass Sie auf dem gleichen Parteitag Herrn Merz bejubelt haben, der ein Steuerkonzept auf den Tisch gelegt hat, das wahrscheinlich - das weiß niemand genau - 5 bis 10 Milliarden Euro Mindereinnahmen für die öffentlichen Haushalte mit sich bringt. Das Kopfprämienkonzept von Herrn Herzog - auch das weiß niemand genau - generiert wahrscheinlich zwischen 40 und 60 Milliarden Euro jährlichen Zusatzbedarf aus den öffentlichen Haushalten.

Meine Damen und Herren, das Fazit ist für uns ganz leicht zu ziehen: Dieses Modell der Kopfprämie ist unsozial, ist unseriös, ist unfinanzierbar und ist dramatisch familienfeindlich. - Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Für die FDP-Fraktion hat Herr Dr. Rösler das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich finde es in diesem Zusammenhang wichtig, erst einmal grundsätzlich über die Definition von Solidarität zu diskutieren.

(Oh! bei der SPD)

- Wunderbar, ich sehe schon, die Kollegen von der SPD freuen sich.

Ich glaube, wir haben eine Definition, der auch Sie beitreten können. Ich glaube, Solidarität heißt, dass der Starke den Schwachen schützt.

(Wolfgang Jüttner [SPD]: Ach ja!)

In Bezug auf die Gesundheitsversicherung bedeutet das unserer Meinung nach, dass der Gesunde den Kranken schützt

(Sigmar Gabriel [SPD]: Solch ein Quatsch! Der Gesunde kann morgen krank sein!)

und dass eine Gesellschaft den Einzelnen mit dem Risiko von Krankheit nicht alleine lässt. - Nicht mehr und nicht weniger, meine sehr verehrten Damen und Herren.

Jetzt ist es aber so - Herr Gabriel, Sie können sich ja gleich noch zu Wort melden -, dass das Gesundheitssystem in einem viel weiteren Maße ein Umverteilungssystem ist, nämlich nicht nur zwischen gesund und krank, sondern mindestens auch zwischen alt und jung und womöglich auch zwischen arm und reich.

Dieses System - das zeigen die Zahlen, das zeigen die Erfahrungen der betroffenen Menschen ist längst nicht mehr in der Lage, all die Anforderungen zu erfüllen, die die Menschen an es stellen. Deswegen müssen wir es wieder auf das reduzieren, was eine Krankenversicherung eigentlich leisten muss, nämlich dass die Gesunden die Kranken im Zweifelsfall schützen und unterstützen.

(Beifall bei der FDP)

Unserer Meinung nach geht das nur durch eine radikale Umstellung im Bereich des Gesundheitssystems: weg von dem bisherigen Umlageverfahren, hin zu einem Prämienmodell.

(Sigmar Gabriel [SPD]: Weg von der Kassenärztlichen Vereinigung!)

Das bedeutet u. a. das Festschreiben des bisherigen Arbeitgeberanteils, die einmalige Auszahlung mit dem Bruttogehalt und damit auch eine Entkoppelung der Gesundheitskosten auf der einen Seite von den Arbeitskosten auf der anderen Seite.

Das bedeutet auch: Steigende Gesundheitskosten aufgrund der demografischen Entwicklung, womöglich auch aufgrund des zunehmenden technisch-medizinischen Fortschritts, haben nicht mehr automatisch steigende Lohnnebenkosten zur Folge, sondern jeder wird individuell nach den tatsächlich entstehenden Kosten zur Verantwortung gezogen.

Und trotzdem, meine sehr verehrten Damen und Herren, bleibt die Solidarität nicht auf der Strecke. Ich sagte schon: Wenn jeder eine Prämie nach einem Durchschnittswert zu bezahlen hat, dann bedeutet das eben auch, dass die Gesunden - da sie nur einzahlen, aber nichts an Leistungen entnehmen - auch für diejenigen finanziell einstehen, die krank sind und damit Leistungen aus dem System entziehen.

Darüber hinaus gibt es sogar noch eine Umlage im Bereich von jung und alt, da die Jungen aufgrund der Morbidität im jüngeren Alter eben auch eher Netto-Einzahler als Netto-Entnehmer sind. Sie zahlen also für die Alten mit.

Die Frage arm und reich muss man in der Tat neu diskutieren. Wir sagen aber: Diese Frage gehört nicht in ein Gesundheitssystem. Wenn man sie diskutieren will, dann muss man an dieser Stelle über ein anderes Transfersystem, nämlich über das Steuersystem, nachdenken. Das Gesundheitssystem wäre bei dieser Frage eindeutig überlastet.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Nun kommen Sie ja immer mit dem Beispiel, dass dann der Pförtner in seinem Pförtnerhäuschen genau die gleichen Prämien wie der Chef in seiner Chefetage zahlt. - Das ist richtig. Aber er verursacht, wenn er krank ist, ja auch die gleichen Kosten. Und wenn hier das Verursacherprinzip gelten muss - nackt sehen alle Menschen gleich aus, und wenn sie krank sind, verursachen sie die gleichen Kosten -, dann müssen sie eben auch die gleichen Prämien zahlen.

Das ist die unangenehme Botschaft dieses Systems. Aber da das System anders nicht mehr lebensfähig ist, finde ich, muss man auch den Mut haben, genau diese unangenehme Botschaft hier sehr klar und sehr deutlich auszusprechen.

Die andere Frage ist die der Familienversicherung: Selbstverständlich gibt es im Prämienmodell auch eine Familienmitversicherung. Für Kinder und Jugendliche bis zum 21. Lebensjahr gilt nach wie vor die Beitragsfreiheit. Aber sie gilt eben nicht mehr für Eheleute, denn unser Ziel ist es - um das an dieser Stelle auch einmal zu sagen -, möglichst viele Kinder in der Gesellschaft zu haben, nicht möglichst viele Ehepaare. Für uns gilt: Familie ist überall da, wo Kinder sind. Kinder zu haben wird, was die Frage der Prämienzahlung anbelangt, bevorteilt, aber eben nicht die Ehe an sich. Ich finde, das gehört auch zu einem Prämienmodell dazu.

Ihre Alternative ist die Zwangsversicherung für alle, die Sie so schön „Bürgerversicherung“ nennen. Abgesehen davon, dass sie verfassungsrechtlich durchaus fragwürdig ist - schließlich sind 10 % der Menschen, die Sie nun in Ihre Bürgerversicherung als Zwangsversicherung hineinzwingen wollen, bereits privat krankenversichert und haben einen Kapitalstock angespart -, bleibt die Frage, was eigentlich mit diesem bisher angestauten Kapitalstock passiert. - Diese Frage haben Sie noch nicht beantwortet.

Aber Ihre Bürgerversicherung ist letztlich auch eine Milchmädchenrechnung. Natürlich erweitern Sie die Bemessungsgrundlage. Sie ziehen auch Selbständige und Beamte mit hinein. Aber Ihnen muss doch klar sein, dass diese Menschen auch krank werden, dass sie zwar mehr einzahlen, aber natürlich genauso Leistungen in Anspruch nehmen wie andere auch. Insofern wird es nicht preiswerter, sondern das Gegenteil ist der Fall: Sie haben zusätzlich Leute, die Leistungen in Anspruch nehmen. Damit ist es in der Tat eine Milchmädchenrechnung: Das, was auf der einen Seite hineinkommt, geht auf der anderen Seite ganz genau wieder heraus.

Deswegen sage ich Ihnen auch: Die Umstellung des bisherigen Umlageverfahrens auf ein Prämienmodell ist nicht ganz leicht. Man muss gemeinsam Wege finden, wie man dahin kommt. Ich glaube, Herzog hat auch noch nicht abschließend geklärt, wie man diese Umstellung - wir sagen übrigens, es sind 23 Milliarden Euro - tatsächlich finanzieren kann. Aber es macht keinen Sinn, das

Prämienmodell zu verdammen, sondern man muss gemeinsam darüber diskutieren, wie man von dem bisherigen Umlageverfahren wegkommt, hin zur kapitalgedeckten Versicherungsform im Rahmen eines Prämienmodells.

Hierzu fordere ich Sie auf. Anstatt das eine Modell zu verdammen, sollten Sie mit uns diskutieren, wie wir zu einem richtigen, zu einem vernünftigen Modell kommen. Dazu lade ich Sie ein. Die Kapitaldeckung ist das System, das Sie vernünftig an die demografische Entwicklung anpassen können. Deswegen ist es das richtige System im Bereich Gesundheit und im Übrigen auch im Bereich Rente. - Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat die Abgeordnete Janssen-Kucz das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir sind uns wohl alle einig: Das deutsche Gesundheitssystem steht am Scheideweg. Wir diskutieren über zwei grundverschiedene Modelle, die Kopfprämie und die Bürgerversicherung. Ihnen allen ist wohl klar: Wir wollen die Bürgerversicherung. Wir wollen die solidarische Finanzierung retten und keinen Ausstieg. Mit der Bürgerversicherung ist es machbar, einen Systemwechsel auf den Weg zu bringen und gleichzeitig das Solidarprinzip im Gesundheitswesen zu erhalten.

Wir wollen die Lohnkosten entkoppeln. Wettbewerb und Solidarität schließen sich nicht aus, Herr Rösler. Sie tun immer so, als ob sich das eine durch das andere ausschließt. Das ist nicht der Fall. Beim Gesundheitsmodernisierungsgesetz hat die CDU den Wettbewerb verhindert. Sie ist ja gleich aus den Verhandlungen ausgestiegen.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Wir wollen eine Erweiterung des Versichertenkreises, eine Beitragspflicht für alle Bezieher von Einkommen. Dazu gehört auch Vermögen; denn auch das ist Einkommen. Wir wollen einen ganz klaren Systemwechsel. Auch wir fordern Sie auf, sich mit unserem Konzept der Bürgerversicherung etwas konstruktiver auseinander zu setzen, weil es gewisse Schnittstellen gibt.

Aber die CDU geht einen ganz anderen Weg. Sie haben jetzt das Wort „Kopfprämie“ schon in „Gesundheitsprämie“ geändert, um ein etwas schöneres Wort zu finden. Das lässt sich vielleicht besser verkaufen. Aber jeder, der unter diese Decke guckt, wird ganz schnell sehen, dass es doch nicht so schön ist, was Sie als Gesundheitsprämie verkaufen.

Sie wollen den Abschied von der Solidargemeinschaft. Sie wollen das Solidarprinzip abschaffen und letztendlich mit der Zeit weitere Leistungsbereiche auslagern. Beim Zahnersatz ist das in den Konsensverhandlungen schon gelungen. Stück für Stück wollen Sie in Richtung Grundsicherung im englischen Stil privatisieren. Gucken Sie doch einmal über den Kanal, was da in dem Bereich los ist.

Jetzt noch einmal zu Ihrem Blockadeverhalten bei den Konsensverhandlungen zum GMG. 20 Milliarden Euro betrug das Sparpaket. Ihnen ist es gelungen, um Ihre Leistungsanbieter einen Schutzwall aufzuziehen. Die zahlen nämlich nur 3 Milliarden Euro, und die Normalversicherten zahlen 17 Milliarden Euro. Sie waren es, die mit der Sperrminorität die paritätische Finanzierung unseres Gesundheitssystems auch mit diesem Konsens weiter ausgehöhlt haben. Das sollten Sie sich einmal ganz deutlich vor Augen halten. Reißen Sie doch endlich diese Schutzzäune ein!