Protocol of the Session on November 14, 2007

- Ich nenne es nur beispielhaft, Herr Biallas, damit Sie das noch einmal zur Kenntnis nehmen. - Für eine verfassungskonforme Regelung hätte man nur die dortigen Absätze 4 und 5 abschreiben müssen. Auch das hätte ein Jurastudent hinbekommen. An dieser Vorschrift zeigt sich ein hervorragend austarierter Grundrechtsschutz, der wie folgt realisiert ist - ich zitiere § 100 c Absatz 4 StPO:

„Die Maßnahme darf nur angeordnet werden, soweit aufgrund tatsächlicher Anhaltspunkte, insbesondere zu der Art der zu überwachenden Räumlichkeiten und zum Verhältnis der zu überwachenden Personen zueinander, anzunehmen ist, dass durch die

Überwachung Vorgänge, die dem

Kernbereich privater Lebensgestal

tung zuzurechnen sind, nicht erfasst werden. Gespräche in Betriebs- oder Geschäftsräumen sind in der Regel nicht dem Kernbereich privater Lebensgestaltung zuzurechnen. Das

Gleiche gilt für Gespräche über begangene Straftaten und Äußerungen, mittels deren Straftaten begangen

werden. “

Wenn man diese Formulierungen mit dem heute zu verabschiedenden niedersächsischen Gesetz

vergleicht, nach dem es ausreicht, wenn nicht ausschließlich der Kernbereich privater Lebensführung ausgeforscht wird, wird klar, welch hohes verfassungsrechtliches Risiko die Mehrheit bei der Verabschiedung des Gesetzes eingeht. Wir hätten uns gewünscht, dass sich CDU und FDP im Landtag wenigstens am Ende dieser Legislaturperiode

noch zu einem verfassungsrechtlich unbedenklichen Polizeigesetz durchringen. Es ist festzuhalten, dass der Innenminister ganz am Anfang seiner Amtszeit ein verfassungswidriges Polizeigesetz

vorgelegt hat und dass er sich mit einem erneut verfassungswidrigen Polizeigesetz aus dem Amt verabschieden wird. Eine positive Bilanz sieht mit Sicherheit anders aus. - Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Starker Beifall bei der SPD und Zu- stimmung bei den GRÜNEN)

Für die FDP-Fraktion hat der Abgeordnete Bode das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit der Novelle zum niedersächsischen Polizeigesetz, die wir heute beschließen werden, reagieren wir auf eine Vielzahl von Änderungen der Bundesgesetzgebung in der Strafprozessordnung und auf Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichtes, die sich allesamt auf die Frage beziehen, wie man das Spannungsverhältnis, das zwischen dem Grundrecht auf Sicherheit und dem Grundrecht auf Freiheit besteht, auflösen kann. Wir haben eine umfassende Novellierung des Polizeigesetzes vorgenommen und nicht, wie es Herr Bartling eben so nett sagte, eben einmal einen Satz gestrichen und einen zweiten Satz irgendwo abgeschrieben. Der Auftrag, den das höchste deutsche Gericht vorgegeben hat, war, den Kernbereichsschutz durchgängig bei allen Maßnahmen, die im polizeilichen oder auch im repressiven Bereich bestehen, einzuführen. Diese Vorgabe war nicht einfach umzusetzen. Mit diesem Problem waren wir in der Diskussion immer wieder konfrontiert, Herr Bartling. Es kommt ja nicht von ungefähr, dass der Gesetzgebungs- und Beratungsdienst gesagt hat, dass eventuell sogar zweifelhaft sei, ob man überhaupt ein Gesetz beschließen kann, von dem man mit 100-prozentiger Sicherheit sagen kann, dass es verfassungskonform ist.

Das hat folgenden Grund. Das Bundesverfassungsgericht hat zwar bereits viele Urteile zu der Frage des Kernbereichsschutzes und des Schutzes von Bürgerrechten und Grundrechten gesprochen, es hat aber in keinem einzigen Urteil den Kernbereich genau definiert und festgelegt. Das heißt, der Interpretationsspielraum, den das Verfassungsgericht gelassen hat, muss immer weiter ausgeschöpft und geschlossen werden. Wir können erwarten, dass bei dem nächsten Urteil des Verfassungsgerichtes, das zur Frage der Onlinedurchsuchung ergehen wird und wohl ein

Grundsatzurteil in dieser Frage sein wird, abschließende Klarheit erreicht wird, sodass man sich in allen Ländergesetzen und auch in der Strafprozessordnung die Regelung daraufhin noch einmal anschauen muss.

Was haben wir nun getan? Wir haben zunächst einmal eine Änderung des alten SPD-Gesetzes, das aus der Zeit von Herrn Bartling und Herrn Glogowski stammt, vorgenommen. Wir haben nämlich den Bereich der sogenannten Verbrechensvorsorge, also den Bereich der Vorfeldermittlungen, die vom Verfassungsgericht ebenfalls kritisiert worden sind, vollumfänglich gestrichen. Die Maßnahmen der Vorfeldermittlungen erfolgen künftig aus

schließlich auf der Basis der Strafprozessordnung. Wir haben uns über einen abgestuften Kernbereichsschutz bei allen polizeilichen Maßnahmen Gedanken gemacht und ihn eingeführt, angefangen beim Großen Lauschangriff, also beim Abhören im privaten Wohnraum, über den Kleinen Lauschangriff, also das Abhören im Freien, bis hin zu verdeckten Ermittlern, zu V-Leuten und sogar bis hin zur langfristigen Observation. In all diesen Bereichen haben wir abgestufte Maßnahmen umgesetzt.

Wir haben auch Änderungen gegenüber dem ursprünglich eingebrachten Regierungsentwurf vorgenommen, weil es in der Zwischenzeit eine

Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes zu Maßnahmen nach der StPO gibt, die Klarheit darüber brachte, dass die dort getroffenen Regelungen, die wir damals noch nicht kannten, verfassungsfest sind, was der GBD auch bestätigt hat, sodass wir diese entsprechend übernommen haben. Dieser abgestufte Kernbereichsschutz ist

nach unserer Meinung nach all dem, was man den Urteilen des Verfassungsgerichtes entnehmen

kann, der richtige Weg, um zu einer verfassungskonformen Lösung zu kommen. Wir müssen allerdings alle miteinander so offen sein, dann, wenn

das Urteil zur Onlinedurchsuchung gesprochen ist, aufgrund der dann erfolgten Definition des Kernbereiches alle Regelungen - auch diejenigen, die die Observation, den Lauschangriff und die V-Leute betreffen - noch einmal zu überprüfen.

Wir haben im Bereich der Videoaufzeichnung

ebenfalls Änderungen vorgenommen. Es ist nämlich in der Tat so, dass man sich immer anschauen muss, welche Maßnahmen vertretbare Grund

rechtseingriffe sind, um die Sicherheit der Bürger zu schützen. Wir haben für den Bereich der Terrorismusbekämpfung eine neue Möglichkeit geschaffen, ortsunabhängige Videoaufzeichnungen zu

speichern. Es gab beim GBD zunächst Zweifel, ob man die zugegebenermaßen sehr unbestimmte Formulierung, wie sie eingebracht worden ist, so ändern kann, dass sich eine verfassungsfeste Regelung mit einem höheren Grad von Bestimmtheit ergibt. Herr Bartling hat in diesem Zusammenhang sogar den SPD-Entwurf, der eingebracht worden ist, mit den Worten zurückgezogen: Nach den Ausführungen des GBD scheint die SPD-Version noch verfassungswidriger zu sein als das, was die Landesregierung vorgelegt hat. Es war richtig, Herr Bartling, dass Sie das getan haben. Sie sind dann aber nicht weiter an eine Lösung des Problems herangegangen, sondern haben uns das überlassen.

(Unruhe - Glocke des Präsidenten)

Könnten Sie die Debatte über den Kreistag Winsen/Luhe draußen fortführen? - Okay.

Bitte schön, Herr Bode!

Wir haben für die Polizei eine praktikable Möglichkeit geschaffen. Ich will hier auch in aller Deutlichkeit sagen, dass die Videoüberwachung und Videoaufzeichnung nicht das Allheilmittel sind. Videoüberwachung und Videoaufzeichnung können schon gar nicht Heilmittel für die Terrorismusabwehr und für die Verhinderung von terroristischen Anschlägen sein.

(Zustimmung von Dr. Philipp Rösler [FDP])

Das erkennt man auch eindeutig, wenn man sich einmal anschaut, wie die Situation in Israel, etwa in Tel Aviv, ist. Dort ist die Gefahr von Selbstmordan

schlägen um ein Vielfaches höher als in Deutschland. Dort hat man aber keine flächendeckende Videoüberwachung, sondern man setzt vielmehr auf verdeckte Ermittler, auf V-Leute, also auf die Vorfeldaufklärung in den entsprechenden Organisationen.

Auch in Bezug auf diesen Bereich haben wir Änderungen vorgenommen. Wir haben die Möglichkeit geschaffen, dass V-Leute zwar über Straftaten, die verfolgt werden, berichten können, dass die VLeute aber, solange die Maßnahme noch läuft und weitere Ergebnisse zu erwarten sind, nicht aufgedeckt werden müssen.

(Zustimmung von Dr. Philipp Rösler [FDP])

Das ist auch für die Polizei ein sehr wichtiger Praxisgesichtspunkt, der umgesetzt worden ist.

Nun zur Polizeistruktur und zur Gebietsreform. Herr Bartling, es ist nicht richtig, dass ein Antrag der SPD sozusagen wortgleich übernommen worden ist. Zunächst haben wir in den Meeresbereichen eine Konkretisierung der Zuschnitte vorgenommen. Wir haben bei der Diskussion den fachlichen Gesichtspunkten Rechnung getragen und uns nicht nur - wie Sie - von opportunistischen Aspekten leiten lassen. Sowohl im Bereich Cloppenburg/Vechta als auch im Bereich Wittmund haben wir Diskussionen über die Einrichtung von gemeinsamen, kooperativen Leitstellen von Polizei, Rettungsdiensten und Feuerwehren, in denen die Kommunen gemeinsam mit dem Land Investitionen tätigen und neue Techniken anwenden wollen. Nachdem wir die Verhandlungen so weit gebracht haben, dass diese Projekte sozusagen als Leuchtturmprojekte in den nächsten Jahren realisiert werden, ist es nur richtig, dass wir keine unterschiedlichen Gebietsbereiche in den Leitstellen haben, dass also die Polizei in einem Bereich quasi über Kreuz von einer anderen Leitstelle mit eingesetzt wird und auch die Rettungsdienste im Bereich einer anderen Leitstelle eingesetzt werden. Dies haben wir auf den Weg gebracht. Übrigens war es auch eine Forderung, die viele Kollegen von der FDP, als sie die Leitstellendiskussion vor Ort angestoßen haben, immer wieder erhoben haben, dass man entsprechende Änderungen

vornehmen muss.

Die Diskussion, die dann im Haushaltsausschuss geführt wurde, war eine andere, Herr Bartling. Sie haben eine Umstrukturierung im Bereich Cuxha

ven/Wesermarsch gefordert, für die es derzeit keinerlei fachliche Begründung und auch keine Evaluation gibt. Sie wollten diese Umstrukturierung sozusagen über Nacht durchführen. Wir sind dafür, die fachlichen Aspekte in den Vordergrund zu stellen, nicht aber populistisch irgendwelche Anträge zu formulieren. Deshalb haben wir es so gemacht, wie es sein muss. Wir werden das Gesetz heute beschließen. - Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Lebhafter Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Für die Landesregierung hat Herr Minister Schünemann das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir stehen vor großen Herausforderungen im Bereich der inneren Sicherheit. Gerade im Bereich der organisierten Kriminalität werden die Herausforderungen und die Bedingungen immer komplexer, immer internationaler. Wir wissen, dass wir vor einer konkreten Bedrohung durch den islamistischen Terrorismus stehen.

Ich bin sehr froh, dass wir ausgezeichnet ausgebildete Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Bereich der Polizei haben, die in diesen Bereichen hervorragende Arbeit leisten. Dafür bin ich wirklich sehr dankbar.

Wir als Politiker und gerade auch als Gesetzgeber sind gefordert, alles daranzusetzen, der Polizei eine rechtliche Grundlage zu geben, um die Bürgerinnen und Bürger vor Verbrechen, insbesondere vor solchen schrecklichen Anschlägen, zu schützen. Das ist die Aufgabe dieses Landes. Ich freue mich, dass wir mit diesem Gesetzentwurf, der heute beschlossen wird, den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Polizei eine noch bessere Grundlage geben können. Das ist wichtig für ihre Arbeit. Deshalb freue ich mich, dass wir heute diesen Gesetzentwurf beschließen.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Die Landesregierung hat hier einen Gesetzentwurf eingebracht, der die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts nicht nur sehr ernst nimmt, sondern sie auch ohne Abstriche zur Geltung

bringt, dabei aber nicht die Handlungsfähigkeit der Polizei aus dem Auge verliert.

Herr Kollege Biallas hat mit Recht darauf hingewiesen, dass wir Herrn Professor Starck gebeten haben, ein Gutachten anzufertigen, um hier auch noch rechtliche Beratung zu bekommen, um den Anforderungen des Verfassungsgerichts wirklich Genüge zu tun. Ich kann Ihnen sagen, dass wir diese Anforderungen in allen Punkten umsetzen.

Herr Kollege Bartling, ich bin schon sehr überrascht, dass Sie gerade noch einmal anführen, dass wir beim Kernbereichsschutz doch die Anforderungen aus der Strafprozessordnung übernehmen sollten. Ich kann Ihnen sagen, der § 100 c Abs. 4 der Strafprozessordnung ist nahezu identisch mit dem, was wir hier jetzt gerade beschließen wollen. Das Zollfahndungsdienstgesetz des Bundes enthält genau diese Regelungen in § 23 a Abs. 4 a; dies hat Gesetzeskraft. Also befinden wir uns hier auf rechtlich absolut sauberem Terrain. Das ist wichtig. Insofern sollten wir uns nicht beirren lassen.