Protocol of the Session on October 18, 2007

(Hans-Dieter Haase [SPD]: Reden Sie doch einmal über Herrn Wulff und seine Wendepolitik, diesen Wende- hals! - Zuruf: Wir sind hier aber im Landtag!)

Die Übergangsregelungen zur Frühverrentung mit staatlicher Förderung können nicht weitergeführt werden. Wir müssen aussteigen - so sagt er - aus den Systemen, die zu Frühverrentungen führen. Diese sind nicht durchzuhalten, wenn die Menschen immer älter werden und die Anzahl der Arbeitenden sinkt. - Was jetzt kommt, ist recht interessant: Die Linie dessen, was Franz Müntefering vorgelegt hat, so Kurt Beck, ist unabdingbar. - Meine Damen und Herren, insbesondere meine sozialdemokratischen Kolleginnen und Kollegen,

(Hans-Dieter Haase [SPD]: „Freunde“ hätte ich mir jetzt auch verbeten!)

wie Sie die Kursdarstellung des Herrn Beck innerparteilich abarbeiten, ist Ihre Angelegenheit. Aber wenn ich Ihnen raten darf, dann kann ich Ihnen nur sagen: In dieser Angelegenheit hat Herr Beck dem Grunde nach recht, und daran sollten Sie sich orientieren.

(Beifall bei der CDU)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Arbeit der von uns eingerichteten EnqueteKommission zum demografischen Wandel hat es noch einmal hervorgehoben: Wir werden in Zukunft weniger arbeitsfähige Menschen haben, die gleichzeitig deutlich mehr Menschen im Ruhestand zu versorgen haben, als es noch heute der Fall ist. Um dieser Entwicklung Herr zu werden, ist es notwendig, an mehreren Stellen im System des Arbeitsmarktes und des Rentenmarktes die Stellschrauben entsprechend zu verändern.

(Vizepräsident Ulrich Biel über- nimmt den Vorsitz)

Erstens. Die Erhöhung des Eintrittsalters in der gesetzlichen Rentenversicherung auf 67 ist die einzige Möglichkeit, die Belastung der nachkommenden Generation deutlich und spürbar abzumildern. Die Rentenbezugsdauer hat sich in den letzten 40 Jahren um ca. sieben Jahre auf mittlerweile ca. 17 Jahre im Gesamtdurchschnitt erhöht. Die wachsende Lebenserwartung verlängert die Rentenbezugszeit und damit den Wert der gesamten Rentenleistung. Diese Entwicklung wird sich in Zukunft Gott sei Dank noch verstärken, da davon auszugehen ist, dass die Lebenserwartung bis zum Jahre 2030 bei 65-jährigen Männern und Frauen statistisch um weitere 2,8 Jahre anwachsen wird.

Zweitens möchte ich darauf hinweisen, dass wir die Ressourcen und Fähigkeiten der älteren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer deutlicher in den bestehenden Arbeitsmarkt integrieren müssen. Die fachliche Qualifikation der älteren Generation ist heute ein unverzichtbarer Bestandteil des Wirtschaftsstandortes Deutschland und insbesondere Niedersachsens. In diesem Punkt stimme ich mit Ihrem heutigen Antrag überein, meine Damen und Herren. Sie übersehen dabei aber, dass wir seitens der CDU und der FDP schon längst tätig geworden sind und Sie in dieser Angelegenheit wieder einmal zu spät kommen. Als Beispiel möchte ich nur die Arbeitsmarktinitiative „Berufschance 50plus“ nennen. Mit unserem Entschließungsantrag, den wir im Juni dieses Jahres verabschiedet haben, sind die Weichen in Niedersachsen für die Integration kompetenter älterer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in den niedersächsischen Arbeitsmarkt gestellt. Ein weiterer Baustein ist der Niedersachsen-Kombi insbesondere für ältere Langzeitarbeitslose.

Wenn Sie nun, meine Damen und Herren von der SPD, mit einem eigenen Antrag kommen, kann ich mich nur meinem Kollegen Hoppenbrock anschließen, der Sie schon im April darauf hingewiesen hat: Sie können es nicht ertragen, dass wir ein Thema längst besetzt haben, welches Sie für sich reklamieren. - Aber ich meine, spätestens bei den vorbildlichen Aktivitäten der Bundesfamilienministerin von der Leyen in der Familienpolitik sollten Sie sich doch an diesen Zustand gewöhnt haben.

(Beifall bei der CDU)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, neben den bereits genannten Punkten der Rente mit 67 und der Nutzung fachlicher Kompetenz der älteren Generation gibt es natürlich noch einen dritten bedeutenden Baustein: die grundsätzliche Entscheidung, die Regelungen über die staatlich geförderte Altersteilzeit ab 2009 auslaufen zu lassen. Ich finde, meine Kolleginnen und Kollegen von der SPD-Fraktion, Sie befinden sich auf einem Holzweg, wenn Sie die Möglichkeit der staatlich geförderten Altersteilzeit uneingeschränkt - ich betone hier ausdrücklich: uneingeschränkt - fortführen wollen und nach wie vor den NiedersachsenKombi für ältere Arbeitnehmer ablehnen. Ich weiß, das passt Ihnen nicht, aber die SPD hat den Koalitionsvertrag in Berlin genauso unterschrieben und damit mitgetragen, wie es die CDU getan hat. Darin heißt es deutlich, dass man die Anreize zur Frühverrentung beseitigen und die staatlich geförderte Altersteilzeit bis 2009 auslaufen lassen sollte. Daher bitte ich Sie abschließend: Tragen Sie Ihre ideologischen Bedenken in Berlin oder von mir aus auf dem Bundesparteitag in Hamburg vor, aber nicht hier in Hannover! - Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Als nächster Redner hat sich der Abgeordnete Hagenah von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zu Wort gemeldet.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Böhlke, als hätte der Ministerpräsident nichts gesagt. Ich wundere mich über Ihre Ausführungen. Offensichtlich war es doch nur ein gelindes Entgegenkommen gegenüber dem Wahl

volk und nicht ein ernst gemeinter Vorstoß des ersten Mannes in Niedersachsen aus Ihrer Partei.

(Norbert Böhlke [CDU]: Uneinge- schränkt, Herr Kollege!)

- Dann müssen Sie aber dem staunenden Wahlvolk einmal erklären, welche Einschränkung Sie meinen. Mit derartig unspezifischen Aussagen können Sie das Rednerpult nicht verlassen. Ich würde schon gerne noch etwas Konkreteres von CDU-Seite hören. Ich wüsste gern, wie das zu verstehen ist.

(Dr. Gabriele Andretta [SPD]: Die CDU weiß das noch nicht! Es könnte ja morgen wieder anders sein!)

Dieser Antrag der SPD ist konstruktiver als vorangegangene Initiativen, allerdings enthält er immer noch einige problematische Ansätze und Schlussfolgerungen. Mit der alten Frühverrentungspraxis haben sich Unternehmen staatlich subventioniert ihrer älteren Arbeitnehmer entledigt und sie den Sozialversicherungskassen überantwortet, Herr Will. So wurde noch im Februar 2006 rund 50 000 über 55-Jährigen gekündigt, also drei Monate vor der Kürzung der Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes. Auch dieses Thema wird ja von Herrn Beck durch die Gazetten getrieben. Diese Torschlussaktion belegt den direkten Zusammenhang sehr deutlich.

Angesichts der allen hier bekannten demografischen Entwicklung und des bereits eingetretenen Fachkräftemangels ist ein Fortbestand der geförderten Altersteilzeit, den nun auch Ministerpräsident Wulff wieder in Erwägung zieht - wenn auch nicht uneingeschränkt, wie wir seit dem letzten Wochenende wissen -, grundfalsch. Damit würden wir die nötige Weiterentwicklung beim Generationenvertrag zulasten der Jüngeren zurückdrehen, und das wäre verkehrt.

(Zustimmung bei den GRÜNEN)

Wir dürfen nicht in alte Strukturen zurückfallen, die die Sozialkassen einseitig belasten. Stattdessen muss der Irrweg der geförderten Frühverrentung beendet werden, so wie es auch festgeschrieben ist.

(Zustimmung bei den GRÜNEN und bei der CDU)

Mit den rot-grünen Arbeitsmarktreformen sind wir trotz der erfolgten Einschränkung durch den Bun

desrat in der Bundesrepublik auf einem guten Weg. Die Beschäftigungsquote der über 55-Jährigen stieg von knapp 40 % im Jahr 2003 auf inzwischen über 50 %. Die Arbeitslosenquote bei den 55- bis 64-Jährigen, Kollege Will, sank in den vergangenen zwölf Monaten um 3,7 %, die der restlichen Erwerbstätigen aber nur um 2,1 %. Das zeigt aus meiner Sicht sehr klar: Die Instrumente wirken, und zwar genau in die richtige Richtung.

Wegen der Verkürzung der Bezugsdauer gibt die Bundesagentur für Arbeit jährlich rund 3,5 Milliarden Euro weniger aus. Dieses Geld darf jetzt nicht nach dem Motto „Ba(e)ck to the Roots“ des SPD-Bundesvorsitzenden wieder in das überholte Frühverrentungssystem zurückfließen und für eine längere Bezugsdauer von ALG I verwendet werden.

Herr Abgeordneter Hagenah, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Will?

Ja, gern. Die Uhr wird ja angehalten. Das gibt mir Gelegenheit zu reagieren.

So ist es.

(Dr. Philipp Rösler [FDP]: Oh, eine spontane Frage!)

Herr Abgeordneter Hagenah, Sie haben bisher nur fiskalisch argumentiert.

(Bernd Althusmann [CDU]: Und jetzt kommen Sie emotional, oder wie?)

Welchen Ratschlag haben Sie denn für Arbeitnehmer, die es wegen der Arbeitsbelastung und aus gesundheitlichen Gründen nicht schaffen, bis zum Alter von 67 zu arbeiten? Welche konkreten Lösungen schlagen Sie denn dafür vor?

Herr Kollege Will, darauf wäre ich noch gekommen, aber ich ziehe es gerne vor. Wir unterstützen natürlich einen flexiblen Rentenzugang. Dafür brauchen wir allerdings keinen „Roll Ba(e)ck“ bei

den Instrumenten wie die Wiedereinführung der abgeschafften Berufsunfähigkeitsrente, die einzelne Berufsgruppen privilegiert. Wir verfügen bereits über ein wirksames Instrument, das aber noch besser auf einzelne Lebensentwürfe abgestimmt werden kann. Insoweit gebe ich Ihnen durchaus recht. Wenn beispielsweise ein Arbeitnehmer vor Vollendung seines 65. Lebensjahres in Rente gehen will und sein Arbeitgeber seinen Rentenbeitrag weiter einbezahlt, dann kann dieser Arbeitnehmer vorzeitig und ohne Verlust Rente in Anspruch nehmen. Das ist auch für uns ein akzeptabler Weg.

(Ursula Helmhold [GRÜNE]: Und das geht nicht zulasten der Sozialkassen!)

- Das ginge nicht zulasten der Sozialkassen, sondern würde mitbezahlt vom Arbeitgeber, der ja bisher davon völlig freigestellt ist.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, unser gemeinsames Ziel sollte es sein, ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer dem Arbeitsmarkt zu erhalten - volkswirtschaftlich, weil wir aus demografischen Gründen und wegen des zunehmenden Fachkräftemangels nicht auf sie verzichten können, und individuell, Herr Kollege Will, weil wir Älteren die gesellschaftliche Teilhabe über Arbeit erhalten möchten. Das gelingt über die Vorschläge, die die SPD zur Qualifizierung und Weiterbildung in ihrem Antrag macht. Dabei sind wir an Ihrer Seite. Das misslingt aber, wenn überholte Rezepte wieder hervorgekramt werden, um populistisch angeheizten Stimmungen in einzelnen Wählergruppen zu entsprechen. - Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Für die FDP-Fraktion hat nun die Abgeordnete König das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich freue mich, dass Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, in Ihrem Antrag nochmals auf die wichtige Maßnahme eingehen, die wir schon mit der Initiative „50 Plus“ beschlossen haben. Angesichts des Facharbeitermangels ist unbedingt darauf hinzuweisen, wie außerordentlich wichtig diese Altersgruppe ist. Diese Tatsache wird auch von den Betrieben allmählich anerkannt und gewürdigt.

Allerdings müssen wir schon für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ab 50 Jahren in Umschulung und Weiterbildung investieren und nicht erst ab 55 Jahren, wie Ihr Antrag es fordert. Wenn man die Leute früh genug umschult, sehe ich auch nicht mehr die Diskrepanz, dass sie sich erst kaputt arbeiten müssen.

Leider versuchen Sie bereits im zweiten Spiegelstrich wieder, uns die Frühverrentung als Allheilmittel unterzuschieben. Die Menschen können und wollen länger arbeiten und fühlen sich mit 50 aufs Abstellgleis geschoben, obwohl sie noch fit sind und gebraucht würden. Wir brauchen diese Menschen sowohl im Arbeitsprozess als auch für die Ausbildung, gerade für Letzteres.

(Zustimmung von Gesine Meißner [FDP])

Für die Ausbildung brauchen wir Menschen mit Erfahrung, die den Nachwuchs anleiten, und diese Erfahrungen haben die Menschen auf unterschiedlichsten Gebieten. Fachkräfte fehlen doch teilweise heute schon. Die Erfahrungen dieser Menschen dürfen nicht zu früh verloren gehen. Vor diesem Hintergrund wären ein flexibler Rentenbezug oder eine Teilverrentung sogar kontraproduktiv und würden nur die Rentenkassen weiter belasten.

(Zustimmung bei der FDP und bei der CDU)

Das Geld ist besser in Weiterbildung oder Umschulung investiert. Auf Herrn Beck gehe ich nicht ein; das haben meine Vorredner schon getan.

Menschen mit Frühverrentung und kürzeren Lebensarbeitszeiten vom Arbeitsmarkt fernhalten und gleichzeitig junge Leute möglichst lange in den Schulen und Universitäten parken - das sind genau die Fehler, die uns die großen Probleme des Arbeitsmarktes und den Fachkräftemangel gebracht haben. Sie müssen doch gelernt haben, dass die Milliardenbeträge, mit denen ältere Arbeitnehmer aus dem Arbeitsmarkt heraussubventioniert wurden, nur geschadet haben. Und nun wollen Sie neue Subventionen, um die Schäden Ihrer alten Subventionen zu beheben, Nutznießer einer solchen Frühverrentung oder Teilverrentung können doch nur die Großkonzerne sein. Oder können Sie sich vorstellen, dass kleine und mittelständische Betriebe das überhaupt leisten können? Das geht gar nicht. Der Mittelstand kann das nicht.

(Zustimmung bei der FDP)

Wir brauchen heute angesichts der Herausforderungen durch Globalisierung und demografischen Wandel mehr Teilnahme am Arbeitsmarkt, nicht weniger. Das beginnt mit dem Berufseintrittsalter, besonders nach dem Studium, und endet in einer längeren Lebensarbeitszeit. Mehr Geld für Aus- und Weiterbildung, besonders für Ältere - ja! Aber kein Cent für teure und nutzlose Altersteilzeit und Frühverrentung! Dies ist ein Irrweg und führt nicht in die Zukunft, die wir uns wünschen, weil die jüngere Gesellschaft dafür noch lange bezahlen müsste.