Viertens. Das Land Niedersachsen hat sich finanziell in erheblichem Maße am Forschungsprojekt zur Vergabe von Diamorphin an Schwerstopiatabhängige beteiligt, und zwar mit einer Gesamtsumme von inzwischen 2,9 Millionen Euro.
Meine Damen und Herren, diese finanzielle Beteiligung des Landes kann sich sehr wohl sehen lassen. Dies zeigt, wie ernst die Landesregierung die Verantwortung für diesen betroffenen Personenkreis, für schwerstabhängige Menschen nimmt.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, auch dieses Modellprojekt ist abgelaufen. Aber wir haben uns als Land Niedersachsen zur Verantwortung für die 33 im Projekt verbliebenen Schwerstopiatabhängigen bekannt und nach Auslaufen des Heroinmodellprojektes mit der Landeshauptstadt Hannover umgehend eine Finanzierungsvereinbarung geschlossen. Wir werden für den Zeitraum vom 1. Januar 2007 bis 30. Juni 2008 550 000 Euro zur Verfügung stellen, um genau diesen schwerstkranken Menschen zu helfen. So stellen wir die weitere Betreuung dieser Menschen sicher.
Folgerichtig, liebe Frau Janssen-Kucz, hat die Landesregierung beschlossen, der Gesetzesinitiative von Hamburg und Hessen im Bundesrat beizutreten.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, wenn ein Bundesland wie Hamburg oder Hessen ankündigt, eine Bundesratsinitiative mit einem bestimmten Ziel zu starten, dann gilt manchmal auch das Prinzip der Arbeitsteilung. Wir haben Hamburg früh signalisiert, dass wir uns seiner Meinung anschließen werden, und haben folgerichtig, als die Bundesratsinitiative vorlag und die Prüfung abgeschlossen war, am 3. Juli per Kabinettsbeschluss beschlossen, der Gesetzesinitiative beizutreten. Ich glaube, das ist ein guter und richtiger Weg, den wir hier in Niedersachsen verfolgen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, all dies macht eines deutlich: Wir sind uns unserer Verantwortung bewusst. Wir handeln im Sinne der Betroffenen zielgerichtet und vor allen Dingen konsequent.
Wir kommen zur Ausschussüberweisung. Wer dem Vorschlag zustimmt, diesen Antrag an den Ausschuss für Soziales, Frauen, Familie und Gesundheit zu überweisen, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenstimmen? - Stimmenthaltungen? Dies ist nicht der Fall.
Tagesordnungspunkt 48: Erste Beratung: Kinderland Niedersachsen? Fehlanzeige für psychisch kranke Kinder und Jugendliche! - Antrag der Fraktion der SPD Drs. 15/3916
Dieser Antrag wird von der Abgeordneten ElsnerSolar eingebracht. Frau Elsner-Solar, Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Wir haben uns im ersten Halbjahr schon öfter mit dem Thema „Kindergesundheit“ auseinandergesetzt. Bevor wir Parlamentarier uns in die Sommerpause verabschieden, möchte ich der Landesregierung und den sie tragenden Fraktionen den Hinweis auf das Thema „Psychisch kranke Kinder in Niedersachsen“ nicht ersparen und ans Herz legen, damit hier nachgearbeitet wird.
Der Sozialwissenschaftler Hurrelmann geht in seinem jüngsten Artikel in der Frankfurter Rundschau von einem gestiegenen Druck aus der Arbeitswoche in Schule und Ausbildung für junge Menschen aus. Diesen Druck hält er dafür verantwortlich, dass es zunehmend zu exzessivem Missbrauch von Nikotin, Alkohol und anderen Drogen kommt. Wir wissen, dass Kinder aus armutsbelasteten Familien in besonderer Weise gefährdet sind und einen erheblichen Teil der Klientel stellen. Was wir aus anderen Studien wissen, ist: Sie landen auch mit einer psychisch behandlungsbedürftigen Diagnose in den Einrichtungen der Jugendhilfe, der andere, kleinere Teil in den Einrichtungen der Gesundheitspflege, so diese überhaupt in erreichbarer Nähe von ihren Eltern aufzufinden sind. Kinderland Niedersachsen - Fehlanzeige!
Aus WHO-Studien wissen wir, dass es bei psychosomatischen Krankheitsbildern unter Umständen sieben Jahre dauern kann, bis ein Patient die seinem Krankheitsbild angemessene Behandlung erfährt. Internationale andere Studien aus dem Jahre 2005 machen deutlich, dass die Wahrscheinlichkeit für Kinder bis zu zwölf Jahren, innerhalb eines Jahres z. B. nach Auftreten einer depressiven Störung eine Behandlung zu erhalten, um den Faktor 15 geringer ist als bei Erwachsenen. Die Vernachlässigung derartiger Krankheitsanzeichen führt zu sogenannten Patientenkarrieren, die für den Einzelnen nicht nur individuelles und familiäres Leid bedeuten, sondern durch wiederholte und unangemessene Diagnostik und Therapie auch einen erheblichen Kostenfaktor darstellen. Diese Feststellung gilt in Niedersachsen gleichermaßen, insbesondere aber für die behandlungsbedürftigen Kinder und Jugendlichen.
Schon lange fordern Fachleute in Verbänden und Einrichtungen die Erstellung eines Gesamtkonzepts zur Versorgung psychisch kranker Kinder und Jugendlicher im Rahmen eines Psychiatrieplans Niedersachsen. Das unverbundene Neben
einander von Planung und Entwicklung für stationäre Krankenhausversorgung in den Bereichen Psychosomatik und Psychotherapie sowie Kinderund Jugendpsychiatrie und Kinder- und Jugendpsychotherapie nach dem Krankenhausplan neben der Vergabe von Kassensitzen durch die KVN führte in der Vergangenheit zur Entwicklung einer kinder- und jugendpsychiatrischen Lückenversorgung, meine Herren und Damen. Kinderland Niedersachsen - Fehlanzeige!
In den kinder- und jugendpsychiatrischen Daten der Landesregierung für 2005 aus dem letzten Jahr ist eine überdurchschnittliche Bereithaltung von stationären Plätzen dokumentiert - im Bundesvergleich: 3,6 % zu 3,2 % - und eine unterdurchschnittliche Anzahl von teilstationären Betten, nämlich 577 zu 94 Betten oder - im Bundesvergleich - 0,5 zu 1,1.
Diese Angebote, meine Herren und Damen, sind dann auch noch regional ungünstig verteilt. Die Landkreise Gifhorn, Wolfenbüttel, Braunschweig, Salzgitter, Wolfsburg, Peine, Celle, Uelzen, Dannenberg, Soltau-Fallingbostel, Winsen an der Luhe weisen gar keine teilstationären Betten auf. Im Landkreis Helmstedt beträgt das Verhältnis 40 zu 5 und im Landkreis Lüneburg 40 zu 12. 26 Landkreise in Niedersachsen sind ohne Kinder- und Jugendpsychiater und ohne entsprechende teilstationäre Einrichtungen, die unter Umständen eine Ambulanz anbieten könnten. Das sind die Landkreise Verden, Uelzen, Stade, Soltau-Fallingbostel, Nienburg, Diepholz, Holzminden, Peine, Gifhorn, Salzgitter, Osterode/Harz, Cloppenburg, Aurich, Leer, Friesland und Cuxhaven. - Ich hoffe, Sie alle haben sich wiedergefunden, meine Herren und Damen.
Es ist zu erwarten, dass die Entwicklung im Krankenhausbereich nicht koordinierter abläuft, wenn jetzt noch zusätzlich neue, private Erwerber in der ehemals öffentlich-rechtlichen bzw. landeseigenen Krankenhauslandschaft mitmischen. Kinderland Niedersachsen - Fehlanzeige!
Verehrte Herren und Damen, das ist jedoch noch nicht alles. Um die Verwirrung ein bisschen zu komplettieren, sei noch kurz die Situation im Bereich der niedergelassenen Ärzte und Psychotherapeuten beleuchtet. Neben den psychologischen Psychotherapeuten sind in Niedersachsen 211 Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten zugelassen. Sie sollten sich über die Kassensitze der Kassenärztlichen Vereinigung Niedersachsen an
der Versorgung mit Leistungen für psychisch kranke Kinder und Jugendliche beteiligen. Wenn Sie nun aber meinen, damit hätte sich das leidige Problem von Wartelisten, Fehl- und Unterversorgung erledigt - Fehlanzeige!
Unter dem Stichwort „Mangelwirtschaft“ finden wir im niedersächsischen ärzteblatt vom April dieses Jahres den Hinweis: „Die Versorgung im Bereich Kinder- und Jugendlichen-Psychotherapie ist flächendeckend unzureichend.“ Dazu gibt es interessante Ausführungen. Ausgehend von einer Prävalenz von 22 % Kindern mit behandlungsbedürftigen psychischen Problemen bei Kindern und Jugendlichen bis 18 Jahre mit einem Risiko für 5 %, tatsächlich zu erkranken, ergebe sich - ich zitiere „eine ‚katastrophale‘ Situation: Von den 44 Planungsbereichen in Niedersachsen sind lediglich zehn Planungsbereiche mit Psychologischen Psychotherapeuten und Kinder- und JugendlichenPsychotherapeuten so versorgt, dass auf einen Therapeuten weniger als 45 zurzeit erkrankte behandlungsbedürftige Kinder kommen.“
Es wird weiter ausgeführt, dass sämtliche Planungsbereiche in Niedersachsen wegen Überversorgung gesperrt sind; denn es werden in dieser Bedarfsgruppe zwei unterschiedliche Therapeutengruppen zusammengefasst. 12 % der niedergelassenen Kinder- und Jugendlichen-Psychotherapeuten sind zugelassen. Dagegen haben Kinder und Jugendliche einen Anteil von 20 % an der Gesamtbevölkerung. Erschwerend kommt hinzu, dass sich in Niedersachsen nur ein Drittel der Kinder- und Jugendlichen-Psychotherapeuten an der konkreten Versorgung von Kindern und Jugendlichen beteiligt. Die Leute mit der Doppelapprobation gehen lieber in die Erwachsenenklientel. Das ist einfacher und bringt schneller Geld. Kinderland Niedersachsen - Fehlanzeige für psychisch behandlungsbedürftige Kinder!
34 Planungsbereiche seien auch bei vorsichtiger Schätzung massiv unterversorgt. Ich kann Ihnen das noch seitenlang weiter so vortragen, empfehle Ihnen aber, den Artikel selbst zu lesen. Ich möchte nur noch darauf hinweisen, dass es auch hier wieder zu einer regionalen Verzerrung kommt. 124 von den zugelassenen Kinder- und JugendlichenPsychotherapeuten arbeiten nämlich in den großen Städten, und der Rest des Landes schaut wieder einmal in die Röhre. Kinderland Niedersachsen - Fehlanzeige!
Meine Herren und Damen, die kinder- und jugendpsychiatrische Versorgung hat sich in den letzten Jahren neu orientiert. Endlich wird im Diagnoseverfahren ein der kindlichen Entwicklung angemessener Krankheits- und Störungsbegriff zugrunde gelegt. Entsprechend hat der Bundesgesetzgeber vor drei Jahren die Möglichkeit geschaffen, zu den bestehenden Angeboten mit sozialpsychiatrischen Vereinbarungen oder sozialpädiatrischen Vereinbarungen zu einer sogenannten integrierten Versorgung zu kommen. Es bestand unsererseits dann wenigstens die Hoffnung, die oben beschriebene ungleichgewichtige regionale Ausstattung mit psychotherapeutischen und psychiatrischen Hilfen für betroffene Kinder und ihre Familien in Niedersachsen endlich durch zusätzliche Vertragsabschlüsse mit Facharztpraxen auszugleichen. In einem Fachgespräch im letzten Jahr jedoch konstatierte die AOK: Vor dem Hintergrund des gegenwärtigen Versorgungsstandes ist festzustellen, dass beide Vereinbarungspraktiken nicht zu einer flächendeckenden landesweiten optimalen Versorgung psychisch kranker Kinder und Jugendlicher geführt haben.
Verehrte Herren und Damen auch von der Landesregierung, wir von der SPD meinen, dass bei einer derart unübersichtlichen Gemengelage bei einer verantwortungsvollen Landesregierung die Alarmglocken klingeln sollten und dass schon längst ein Handlungskonzept hätte erarbeitet werden sollen, das stationäre und teilstationäre Krankenhausplanung in der Kinder- und Jugendpsychiatrie ebenso umfasst wie die ambulante Versorgungslandschaft. Doch die Vermutung liegt nahe, dass der CDUgeführten Landesregierung bei so viel Planwirtschaft der Koalitionspartner abhanden kommen könnte; denn bekanntlich gibt es hier ideologische Vorbehalte, weil alles, was das Wort „Plan“ auch nur streift, den Koalitionspartner verängstigen könnte.
Da überlässt man auch die existenzielle Versorgung mit medizinisch-therapeutischen Angeboten lieber dem freien Spiel der Marktkräfte und nimmt nicht nur in Kauf, dass lange Wartezeiten, lange Anreisewege betroffene Familien und Kinder belasten, sondern auch, dass das Gebot „Ambulant vor stationär“ unterlaufen wird und eine grandiose Kostenverschiebung zulasten der Versichertengemeinschaft stattfindet, vermutlich in Abwandlung des alten Spruchs „Trifft ja keine Armen“: Macht nichts, trifft ja nur die Armen.
Verehrte Herren und Damen, wir brauchen ein Gesamtkonzept, das eine ausreichende Versorgungskapazität nicht einer Verwaltungsanweisung überlässt, um sicherzustellen, dass schutzbedürftige Kinder nicht auf Erwachsenen-Psychotherapiestationen versorgt werden müssen. Wir brauchen ein Handlungskonzept, das auch die Lernbedürfnisse der in stationärer psychotherapeutischen Behandlung befindlichen Kinder und Jugendlichen berücksichtigt. Auch hier beklagt der Fachausschuss im dritten Jahr in Folge eine unzureichende schulische Versorgung. Zwar hat der Kultusminister durch einen Besuch in der Ammerland-Klinik seinerzeit für diese Einrichtung etwas dazugelernt. Aber bei allen anderen ist die Umsetzung des entsprechenden schulischen Erlasses nicht angekommen. Auf die schriftliche Intervention des Facharbeitskreises - darauf wird seit 2004 aufmerksam gemacht - ist bis zum Juni dieses Jahres nicht einmal eine Antwort eingegangen.
Meine Herren und Damen, dem ist nur noch hinzuzufügen: Wenn Sie das nicht können, überlassen Sie es uns. Wir werden es machen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Eine Gesellschaft, die zukunftsfähig sein will, ist auf die gesunde Entwicklung ihrer Kinder dringend angewiesen. Für das Wohl des Kindes sind dabei zuallererst die Eltern verantwortlich. In den allermeisten Fällen wissen Eltern am besten, was ihr Kind braucht.
Sie erkennen, wenn es ihm nicht gut geht und fachliche Unterstützung erforderlich ist. Eltern sind die ersten Experten für ihr Kind. Ihre Wahrnehmung, ihre Lebenssituation und Verantwortung gestalten die Bildungsprozesse und die Gesundheit ihres Kindes.
Häufig sind aber privater und öffentlicher Raum der Kinder stark voneinander getrennt. Aufgrund der heutigen vielfältigen familiären Lebensformen gibt es nicht mehr die Familie oder die Eltern im klassischen Sinne. Vielmehr treffen ganz verschiedene
Kinder wachsen in einer problematischen Umwelt, in einem problematischen Umfeld auf. Oft fehlt es an Zeit und Geld, oder die Eltern sind schlichtweg überfordert. Eltern kommen an ihre Grenzen, weil sie oft selbst psychologische Hilfe brauchen. Sie sind auf Institutionen angewiesen, die ihre psychisch kranken Kinder versorgen.
In Niedersachsen, Frau Elsner-Solar, halten wir doch ein recht breites Angebot an Tageskliniken, Psychologen, Psychiatern und Psychotherapeuten vor.
Meine Damen und Herren von der SPD, in Ihrem Antrag nennen Sie Zahlen, die nicht auf Niedersachsen heruntergerechnet wurden. Frau ElsnerSolar, Sie haben auch Zahlen aus dem niedersächsischen ärzteblatt zitiert. Auch diese Zahlen beziehen sich auf die Bundesebene und sind nicht auf Niedersachsen heruntergebrochen.