Protocol of the Session on June 6, 2007

Zu einer Kurzintervention hat sich Frau ElsnerSolar gemeldet. Bitte schön, Frau Elsner-Solar!

Danke schön, Frau Präsidentin. - Ich habe mich nur gemeldet, weil ich von Frau Meißner auf die Themen „Sozialberichterstattung“ und „in Niedersachsen vorliegende Daten“ direkt angesprochen worden bin. Ich meine, dass ich Ihnen als Sozialwissenschaftlerin nicht erklären muss, was der Unterschied zwischen Sozialberichterstattung und einfacher Datenerfassung ist. Sozialberichterstat

tung erfasst Lebenslagen und ermöglicht Interpretationen und Ableitungen von Interventionen und Handlungsansätzen. Sie ermöglicht überdies eine kontinuierliche Erfassung der Lebenslagen. Das ist das, was die SPD immer wieder kritisiert hat. Ich weiß, wovon ich rede. Auch wir haben seinerzeit mit unserer Landesregierung um die Sozialberichterstattung hart gerungen. Wir haben sie aber durchgesetzt. Ich halte es für notwendig, sie mindestens im Abstand von fünf Jahren durchzuführen; das muss nicht in jedem Jahr sein. Dieser Berichterstattung hat sich diese Landesregierung bisher standhaft verweigert. Wenn wir uns fragen, woran das liegt, dann kann das nicht daran liegen, dass die Daten nicht vorliegen. Die Landesregierung scheut sich davor, sie zusammenzuführen, um dann daraus Erkenntnisse für alle, die diese Sozialberichterstattung in die Hand bekommen, ablesbar zu machen. Wie gesagt: Das steht ein wenig gegen die Prospektwirklichkeit, die hier immer vertreten wird. - Danke.

(Beifall bei der SPD)

Es folgt eine Entgegnung auf die Kurzintervention durch Frau Meißner. Auch Sie haben anderthalb Minuten Redezeit.

Frau Elsner-Solar, mir ist natürlich bewusst, was Sozialberichterstattung umfasst. Es stellt sich nur die Frage, ob wir wirklich sämtliche Daten auf Landesebene brauchen, damit die Kommunen, die zuständig sind, vor Ort zielgerichtet handeln können. Das ist das, was ich Ihnen erklären wollte und was ich schon beim letzten Mal gesagt habe.

(Beifall bei der CDU)

Das müssen wir prüfen. Wenn wir wirklich zu dem Schluss kämen, dass uns Daten fehlen, um Ursachen zielgerichtet bekämpfen zu können, dann wäre das ein Grund, darüber zu reden. Aber wir wollen uns doch nicht, nur um einen weiteren Bericht zu haben, einen weiteren Bericht vorlegen lassen. Das kann es doch nun wirklich nicht sein.

(Zustimmung bei der FDP - Ursula Helmhold [GRÜNE]: Es geht um eine Auswertung! Die Daten gibt es ja schon!)

Für die CDU-Fraktion hat sich noch einmal der Kollege Böhlke gemeldet. Herr Böhlke, Sie haben 1:06 Minuten Redezeit.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich habe zum Thema „Gegen Armut und Ausgrenzung - Für mehr Chancengleichheit und gesellschaftliche Teilhabe“ in meinen Ausführungen sehr deutlich gemacht, welchen sozialpolitischen Beitrag wir hier in Niedersachsen leisten. Diesen Beitrag lasse ich auch nicht bekritteln. Er ist gerechtfertigt. Aber auch im bildungspolitischen Bereich gibt es unter diesem Aspekt entsprechende Angebote, auf die wir stolz sind und die mittlerweile auch Konsequenzen nach sich ziehen, meine Damen und Herren. Das heißt, dass wir in Bezug auf die Ganztagsschule und den Bildungsauftrag in den Kindergärten etwas vorangebracht haben, sodass etwas für den Einstieg getan wird und beim Übergang vom Kindergarten in die Grundschule insbesondere in Problembereichen entsprechende Angebote wahrgenommen werden können. Ich weise darauf hin, dass die sozialpädagogische Betreuung insbesondere auch an Hauptschulen durch diese Landesregierung vorangebracht worden ist, um insbesondere im Bereich der Hauptschule Übergangsmöglichkeiten in den Beruf sicherzustellen. Meine Damen und Herren, wenn wir Teilhabe wollen und wenn wir nicht ausgrenzen wollen, dann sind wir mit unseren Vorstellungen genau auf dem richtigen Weg.

(Beifall bei der CDU)

Für die Landesregierung hat jetzt Herr Minister Busemann das Wort.

(Heiner Bartling [SPD]: Muss das sein? - Wolfgang Jüttner [SPD]: Ge- ben Sie es doch zu Protokoll!)

Nein, Herr Jüttner, diesen Gefallen kann ich Ihnen nicht tun. - Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir haben in der Landesregierung in der Tat überlegt, ob man sich hierzu überhaupt zu Wort melden soll; denn alles das, was Sie hier wieder diskutiert haben wollen, hat exakt in der 56. und 59. Sitzung dieses Hauses mit einem Aus

tausch von Argumenten stattgefunden. Dabei sind auch die Begründungen genannt worden, weshalb wir diese Berichterstattungen nicht für sinnvoll halten. Das Volk braucht Leute, die handeln, und nicht Leute, die Berichte sammeln. Neue Gründe und Argumente sind seitdem eigentlich nicht zu verzeichnen.

Ich bin in einigen Punkten auch als Schulminister angesprochen worden.

(Heiner Bartling [SPD]: Tatsächlich?)

- Ich will sagen, weshalb ich mich hier zu Wort gemeldet habe. - Die Ungeniertheit, mit der Sie von Grün und Rot dieses Thema mit Vorwürfen gegenüber dieser Seite des Hauses angehen, regt mich schon etwas auf. Das möchte ich Ihnen ganz deutlich sagen. Das Thema „Armut und Ausgrenzung“ ist außerordentlich wichtig. Nun wollen wir doch mal nicht so tun, als würde dieses Thema in Deutschland keine Rolle spielen. Wollen wir doch mal nicht so tun, Herr Kollege Meinhold, als wenn in Sachen Chancengerechtigkeit alles optimal wäre. Wollen wir nicht so tun, als wenn dem Thema „gesellschaftliche Teilhabe“ vom Verpflegungsbereich bis hin zum Bildungsbereich usw. idealiter entsprochen wäre. Ich habe den Eindruck: Es gibt Staaten, und es gibt eine Politik, aber den Idealwert „100 %, alles in Ordnung“ gibt es nie. Es gibt immer Annäherungswerte, ob man gut ist oder weniger gut ist.

Ich möchte Ihnen noch etwas sagen, und zwar nicht als Minister und nicht als Politiker, sondern als Bürger: Seit der Regierung von Rot-Grün ab 1998 wurde dieses Thema in Deutschland noch nie so aktuell wie in diesen Tagen diskutiert. Da ist wohl gründlich etwas schief gelaufen. Dann sollten Sie sich einmal mit den Herren Schröder und Fischer zusammensetzen und bilanzieren, was in sieben Jahren - Hartz IV und anderes lässt grüßen - geschehen ist und ob die Evaluation wirklich so gut ausfällt. Meine höchstpersönliche Wahrnehmung ist, dass hier in Deutschland einiges auseinandergelaufen ist. Sie sollten auf Ihrer Seite einmal gründlich darüber nachdenken, bevor Sie hier mit einer dicken Portion Scheinheiligkeit antreten und auf die anderen zeigen, die schuld seien.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP - Zurufe bei der SPD)

Das ist weder fair noch der Sache angemessen. Ich greife nur ein paar Punkte heraus, Frau Kolle

gin Helmhold. Werfen Sie einen Blick in den Einzelplan 05: Soziales. Wenn ich die sozialen Leistungen - Sozialhilfe, Jugendhilfe, Kinder- und Jugendschutz, Jugend, Arbeit, Familie und Frauen ohne Bundesmittel zusammenrechne, dann komme ich auf stattliche 1,8 Milliarden Euro in diesem bescheidenen Landesetat. Wenn Sie diese Summe mit den Zahlen in Ihrem letzten Regierungsjahr, nämlich im Jahr 2002, vergleichen, dann erkennen Sie, dass Sie es im Einzelplan 05 damals lediglich auf 1,6 Milliarden Euro gebracht haben. Insofern sind wir deutlich besser als Sie. Ich bitte Sie zu bedenken, ob Sie sich vor diesem Hintergrund derart einlassen können.

Der Bildungsbereich ist hier ausdrücklich angesprochen worden. Das, was einem hier teilweise geboten wird, ist schon ein dreistes Stück. Ich möchte hier einige Punkte ansprechen. Ist Ihnen in den letzten vier Jahren vielleicht bewusst geworden, dass der Bildungsetat des Landes von 2003 bis heute noch nie so hoch wie heute dotiert war? Haben Sie vielleicht bemerkt - der Kollege Böhlke hat es angesprochen -, dass wir in Niedersachsen derzeit so viele Ganztagsschulen wie noch nie haben? Schlappe 150 Schulen habe ich übernommen. 550 bis 560 sind es in diesen Tagen, und es werden ständig mehr werden. Das ist auch richtig so.

Außerdem ist das Thema „Sozialarbeit an den Schulen und anderswo“ angesprochen worden. Haben Sie in diesen Tagen vielleicht bemerkt - gestern waren Sie doch auch schon hier und im nächsten Monat hoffentlich auch -, dass wir das beitragsfreie dritte Kita-Jahr beschließen, eine Leistung für Familien und für Kinder, die pro Jahr immerhin 120 Millionen Euro ausmacht? Ist das etwas, was man beiseitewischen kann? Kann man in diesem Zusammenhang etwa von Ausgrenzung sprechen? - Sie sollten das, was wir tun, auch einmal würdigen.

Haben Sie bemerkt, dass wir im letztjährigen Etat für dieses Jahr schon ein 100-Millionen-EuroProgramm rund um das Thema Kinder, Brückenjahr usw. festgelegt haben?

Haben Sie bemerkt, dass wir unter Führung von Frau von der Leyen eine tolle bundesweite Diskussion führen - Bund, Länder und Gemeinden nehmen daran teil - und in den nächsten Jahren 12 Milliarden Euro ausgeben werden, um die Zahl der Krippenplätze entsprechend aufzustocken? Das bedeutet für Niedersachsen, dass wir allein im

nächsten Jahr 65 Millionen Euro hierfür aufbringen müssen. Das werden wir auch tun.

Mich ärgert besonders, Frau Helmhold - Sie stehen hier ja sonst immer für Political correctness -, dass Sie sich zur Sprachförderung gewissermaßen aus der Hüfte heraus geäußert haben und dazu gesagt haben: Das haben die in Niedersachsen zusammengeschossen. - Was ist das überhaupt für eine Wortwahl? Was die Budgetmittel für die Brennpunktstandorte anbelangt, liegen wir in den Haushaltsanträgen im Bereich von 6 oder 7 Millionen Euro nur etwa 1 Million Euro auseinander. Wir haben auch etwas getan, worauf Sie gar nicht gekommen sind: Derzeit sind fast 300 Grundschullehrer mit Vollzeitstellen in den Kitas tätig, die dort Sprachförderung betreiben. Das ist ein Gegenwert von 15 Millionen Euro. Davon haben Sie nicht geredet, geschweige denn geträumt. Nehmen Sie das zur Kenntnis! Ich lasse es nicht auf uns sitzen, dass hier von „zusammengeschossen“ gesprochen wird. Das ist nicht in Ordnung und auch nicht redlich!

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Ich weiß nicht, ob Sie die Frage der Lernmittelfreiheit angesprochen haben. Klar muss sein, dass die sozial Bedürftigen keine Nachteile erleiden. Beiläufig sei gesagt, dass dieses Thema im Lande so stark verinnerlicht zu sein scheint, dass nicht einmal der Oppositionsführer gestern bei seiner Haushaltsrede dazu eine Idee hatte. Dieses Thema ist beim Sozialabbau, den Sie inkriminieren, nicht einmal erwähnt worden. In diesem Bereich läuft also offenbar alles zufriedenstellend und glatt.

Nun zum Thema Essen. Ich lasse es nicht auf uns sitzen, dass gesagt wird: Dieser Schulminister lässt Kinder hungern usw. - Es ist nicht in Ordnung, wenn da dieser Zungenschlag hereingebracht wird. Eines will ich Ihnen sagen: Ich bin weiß Gott mehr an den Schulen und nehme dort vielleicht auch mehr wahr als Sie. Es gibt in der Tat - das Ganztagsschulthema macht dies offenbar einen Kreis von Kindern, die nicht das Geld dabeihaben, um am Essen teilzunehmen. Das ist durchaus bemerkt worden. Dies ist ein Riesenproblem. Wir können über dieses Problem wahrscheinlich auch nicht hinweggehen, indem wir sagen: Die Eltern bekommen Sozialhilfe, die Eltern bekommen Hartz IV, diese Leistungen sind auch dafür berechnet, dass sie ihre Kinder vernünftig versorgen und mit Geld ausstatten, sodass sie das Essen in der Mensa bezahlen können. - Hier stellt sich

durchaus ein Problem. Es liegt aber - damit das völlig klar ist - außerhalb der Zuständigkeit eines Kultusministers oder eines Landes. Wir haben hierüber debattiert und kommunale Zuständigkeiten angesprochen. Es muss auch klar sein, dass wir die großen Armenspeisungszentralen nicht brauchen, die Ihnen bei Ihren Hintergedanken vielleicht vorschweben. Es müssen vielmehr vor Ort sensible Regelungen gefunden werden. Die werden auch gefunden. Wenn Sie vielleicht aus irgendeinem Wahlkampfinteresse in dem hier angesprochenen Sinne daherreden, diskreditieren Sie auch die Leute in Fördervereinen und in privaten Gruppierungen oder Spender, die diskret und sensibel sagen: Wir regeln das Problem, das sich dort aufgetan hat.

(Zustimmung bei der CDU)

Hier eine Landeszuständigkeit zu konstruieren, ist nicht in Ordnung.

Ich sage Ihnen noch etwas: Irgendwann wollen Sie auch wieder einmal regieren. Wenn Sie ein Land regieren und Geld für Bereiche ausgeben wollen, für die Sie gar nicht zuständig sind, dann werden Sie nie regierungsfähig. Das will ich in diesem Zusammenhang auch einmal sagen.

Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Nein, keine Zwischenfragen. Ich bin auch gleich am Ende. - Ich könnte noch ein paar andere Felder herausgreifen. Mich stört, wie gesagt, diese Ungeniertheit und auch die Scheinheiligkeit, wie hier ein wichtiges Thema im Grunde genommen missbraucht wird.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Ein Letztes. Wenn ich in den Antrag hineinschaue, stelle ich fest, dass er sich weitgehend auf Bundesrecht bezieht. Insofern würde es Bundesratsinitiativen bedürfen. In diesem Antrag wird natürlich auch das Lieblingsthema dieser Tage, der Mindestlohn, angesprochen. Ebenso ist von dem Arbeitnehmer-Entsendegesetz die Rede. Okay, darüber mag im Bund eine Diskussion geführt werden. Mit der Großen Koalition haben wir dort eine interessante Konstellation. Die Große Koalition möge auch ihre Arbeit machen, aber bitte genau im Auge behalten, wer wo zuständig ist und wo Vorwürfe

gemacht bzw. nicht gemacht werden können. Danke schön.

(Lebhafter Beifall bei der CDU und bei der FDP - Ursula Helmhold [GRÜNE] meldet sich zu Wort)

Frau Helmhold, nach meiner Uhr haben Sie noch eine halbe Minute Redezeit. Wie soll ich Ihre Wortmeldung verstehen?

(Zuruf von Ursula Helmhold [GRÜNE])

- Dann müssen Sie das „K“ zeigen, damit ich weiß, was Sie möchten. Oder wollen Sie zusätzliche Redezeit?

(Zuruf von Ursula Helmhold [GRÜNE] - Unruhe)

- Was möchten Sie denn? Ein „K“? Okay. Auf wen? Auf den Minister? Oder wollen Sie zusätzliche Redezeit?

(Zurufe - Unruhe)

- Sie kennen doch als Parlamentarische Geschäftsführerin mit Sicherheit unsere Geschäftsordnung. Sie müssen sich jetzt entscheiden: Möchten Sie zusätzliche Redezeit haben, ja oder nein?

(Ursula Helmhold [GRÜNE]: Ich möchte zusätzliche Redezeit!)

- Bitte schön, so geht es doch. Ich erteile Ihnen zwei Minuten.