Protocol of the Session on June 6, 2007

Die Krankenkosten, die vorgeblich entstehen, dürfen meiner Ansicht nach ebenso wenig als Hinderungsgrund angeführt werden. Wir wenden auch bei anderen Erkrankungen nicht das sogenannte Verschuldensprinzip zur Ermittlung einer Behandlungsberechtigung an. Viele der heutigen Kosten sind eindeutig der Modellsituation geschuldet. Würden wir diese überwinden, wäre auch mit geringeren Kosten zu rechnen.

Wir als SPD-Fraktion bringen diesen Antrag heute ein, weil wir davon überzeugt sind, dass das laufende Projekt für die Betroffenen nicht abrupt enden darf. Das wäre staatlich verordneter Totschlag.

(Zustimmung bei der SPD)

Meine Herren und Damen, wir fordern daher die Landesregierung auf, sich auf Bundesebene erneut - und dieses Mal kraftvoll, vielleicht sogar mit Unterstützung des stellvertretenden Bundesvorsitzenden der CDU, Herrn Wulff - für die Veränderungen im Arzneimittel- und im Betäubungsmittelgesetz einzusetzen. Wir fordern die Landesregierung auf, bis dahin für ausreichende Finanzmittel zur Weiterführung des Modellprojektes zu sorgen und die Landeshauptstadt Hannover nicht allein für die Zentralitätskosten in dieser Angelegenheit aufkommen zu lassen.

Wir fordern Sie des Weiteren auf, die Beschränkung der Arzneimittelvergabe auf die schon im Projekt befindlichen 33 Suchterkrankten in Niedersachsen zu überprüfen. Es gibt begründete Zweifel an der vorgenommenen Restriktion, gerade weil sich diese Methode als einzig wirksame zur gesundheitlichen Stabilisierung der Erkrankten erwiesen hat.

Wir haben die Bundestagsfraktion auf Kurs gebracht und fordern Sie nun auf, mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln auch Ihre Parteifreundinnen und -freunde auf den Weg zu bringen, notfalls mithilfe des CDA-Vorschlags aus Baden-Württemberg, den Fraktionszwang in dieser Frage aufzuheben. Vielleicht hilft Ihnen ja das Schlusswort aus

der jüngsten Ausgabe eines Heftes des Niedersächsischen Städte- und Gemeindebundes: Wer immer nur der Herde folgt, sieht nichts als deren Hintern. - Ich danke für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD - Zustimmung bei den GRÜNEN - David McAllister [CDU]: Also keinen Fraktionszwang mehr?)

Danke schön, Frau Elsner-Solar. - Für die CDUFraktion hat jetzt Frau Kollegin Siebert das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wer in eine Abhängigkeit von Suchtmitteln geraten ist, der ist krank und braucht Hilfe. Das, meine Damen und Herren, ist uns allen bewusst. Wir sind uns sicherlich über alle Parteigrenzen hinweg darin einig, dass wir helfen wollen.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Doch wie kann bzw. muss eine solche Hilfe aussehen? Viele von Ihnen kennen sicherlich den Schlager „Am Tag, als Conny Kramer starb“. In diesem Lied wird der Einstieg, der Verlauf und das Ende einer Drogenkarriere besungen. Kurz bevor der Refrain zum ersten Mal einsetzt, klagt die Sängerin an: „Aber keiner bot Conny Hilfe an.“ Dieser Satz stimmte damals viele nachdenklich. Auch heute regt er noch - auch wenn sich inzwischen viel verändert hat - zum Nachdenken an.

Denn wie sieht nun eine angemessene Hilfe für Drogenabhängige aus? Wie kann man insbesondere Schwerstheroinabhängigen helfen? Wie gelingt es, dass sie nach der Therapie dauerhaft clean, also abstinent bleiben? Muss man eventuell von diesem Ziel abweichen, um ihnen zu helfen? Eines ist klar: Im besten Falle ist am Ende einer Therapie eine lebenslange Abstinenz erreicht. Das erfordert jedoch einen enorm starken Willen der Abhängigen sowie unermesslich viel Kraft.

Zudem bedarf es im Nachhinein vieler schwer beeinflussbarer Faktoren, die den Betroffenen die notwendige Stabilität in ihrem anschließenden Alltag ohne Drogen ermöglichen. Für viele Heroinabhängige ist es somit unmöglich, einen Entzug durchzustehen und danach dauerhaft ein völlig drogenfreies Leben ohne Rückfälle zu führen.

Wie kann nun die Hilfe für Heroinabhängige aussehen, die durch dieses Hilfsangebot des Entzugs und der anschließenden Therapie nicht erreicht werden? - Aus dieser Fragestellung entstand die Idee der Substitution mit Methadon, die sich inzwischen etabliert hat. Die Behandlung mit dieser Ersatzdroge wird in vielen niedersächsischen Städten und Landkreisen erfolgreich durchgeführt. Und ich möchte hier all denen danken, die sich den Abhängigen Tag für Tag widmen und sie begleiten. Denn das ist eine Aufgabe, die einem viel abverlangt, die aber allzu oft zu wenig Anerkennung bekommt.

(Beifall bei der CDU)

Auch mit diesem gut fundierten und erfolgreichen Methadonprogramm kann man leider nicht allen Abhängigen helfen. Insbesondere die Gruppe der Schwerstabhängigen ist dadurch nicht zu erreichen. Gerade deshalb bin ich besonders dankbar, dass sich unsere Landesregierung auch der Gruppe der bisher nicht erreichten Schwerstabhängigen verschrieben hat und das vom Bundesgesundheitsministerium durchgeführte Modellprojekt der staatlichen Heroinvergabe nicht nur mit 400 000 Euro finanziell unterstützt hat, sondern der Idee auch nach Auslaufen des Modellprojekts weiter positiv und offen gegenübersteht.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Der Einsatz für Schwerstabhängige ist keine Selbstverständlichkeit; das zeigt das Engagement anderer Länder. Das positive Engagement Hannovers darf in diesem Zusammenhang nicht unerwähnt bleiben. Sie sehen: Gemeinsam lässt sich viel erreichen, Frau Elsner-Solar. Deshalb freue ich mich besonders, dass die Opposition in diesem Haus die Regierung in ihrem Engagement für die Schwerstabhängigen unterstützen will.

Das Projekt der staatlichen Heroinvergabe wurde positiv evaluiert: Der Gesundheitszustand der Betroffenen verbesserte sich, da sie keine unreinen Mittel mehr spritzten. Die Zahl der HIV- und Hepatitis-Neuinfektionen nahm ab. Die Psyche der Betroffenen stabilisierte sich, insbesondere durch besonders enge psychosoziale Begleitung. Man löste sich von seinem alten suchtbelasteten Umfeld. Die Kriminalität, insbesondere die Beschaffungskriminalität, nahm ab. Zur Abstinenz führte das Projekt hingegen in nur wenigen Fällen. Aber auch hier gab es einige positive Beispiele.

Als das Modellprojekt mit dem Ende letzten Jahres auslief, stand man vor der Frage, wie man mit den noch im Projekt befindlichen Menschen verfährt. Ich glaube, wir alle sind der niedersächsischen Landesregierung dankbar, dass sie den betroffenen Personen einen Verbleib bei der Heroinvergabe ermöglicht hat und auf Bundesebene immer wieder für die Schaffung der erforderlichen gesetzlichen Grundlagen zur Fortführung des Projekts geworben hat und dafür noch immer wirbt.

Meine Damen und Herren, eine Entscheidung für die Fortführung oder gar Ausweitung der staatlichen Heroinvergabe ist nicht nur von der Bereitstellung von Haushaltsmitteln abhängig. Die staatliche Heroinvergabe darf nicht peu à peu verlängert oder gar ausgeweitet werden, ohne dass die erforderlichen gesetzlichen Grundlagen vorhanden sind und ohne dass man von einem dauerhaften Bestand der Heroinvergabe als Therapieform ausgehen kann.

(Beifall bei der CDU)

Vor allem die Behandelnden und die Patienten brauchen Sicherheit. Dazu brauchen wir bundesgesetzliche Vorgaben. Wir brauchen Veränderungen im Betäubungsmittelgesetz, im Arzneimittelgesetz und in der Betäubungsmittel-Verschreibungsverordnung.

(Christa Elsner-Solar [SPD]: Schön, dass das angekommen ist!)

Wir brauchen endlich ein dezidiertes Konzept auf Bundesebene.

(Beifall bei der CDU)

Denn nur wenn die Rahmenbedingungen stimmen, kann man sich den Erkrankten widmen. Alles andere wäre grob fahrlässig und für die Betroffenen keine Hilfe.

Meine Damen und Herren, Niedersachsen macht sich stark für Prävention, um Sucht- und Drogenkarrieren vorzubeugen. Niedersachsen macht sich stark für Suchterkrankte, und Niedersachsen ist ganz vorne dabei, wenn es um die Hilfe für Schwerstabhängige geht.

(Vizepräsidentin Ulrike Kuhlo über- nimmt den Vorsitz)

Unsere Sozialministerin hat sich auf der Konferenz der Gesundheitsminister immer für die Schaffung der gesetzlichen Grundlagen zur staatlichen Ver

gabe von Heroin eingesetzt. Das wird sie auch in Zukunft tun. Wir bieten den an Suchtmitteln Erkrankten in Niedersachsen viele Hilfen an - mit Erfolg. Wer Hilfe anbietet, der muss aber auch immer wirklich helfen können. Um das auch in diesem Fall tun zu können, brauchen wir auf Bundesebene solide gesetzliche Grundlagen. Dafür machen wir uns stark.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Frau Kollegin Langhans, Sie haben jetzt das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die SPD legt heute einen Antrag zur Fortsetzung der Behandlung schwerstkranker Drogenabhängiger mit Heroin vor. Wir unterstützen diesen Antrag. Er enthält Forderungen, die meine Fraktion bereits im letzten Jahr in eigenen Anträgen formuliert hat und denen der Sozialausschuss zugestimmt hat, allerdings, wie Sie wissen, mit der Folge, dass die Forderung nach Zulassung von Diamorphin als erstattungsfähiges Medikament anschließend auf Druck einiger in der CDU zurückgezogen werden musste - eine, wie ich finde, nicht zu überbietende Peinlichkeit. Schon damals ist sichtbar geworden, dass zumindest die CDU bei diesem Thema absolut uneins ist.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Diesen Schlingerkurs erleben wir zurzeit auch in der schwarz-roten Koalition in Berlin. Immer noch meinen einige in CDU und CSU, man könne durch repressive Maßnahmen von der Last befreit werden, auf der Straße Drogenabhängige ertragen zu müssen. Die damit verbundenen Illusionen von einer drogenfreien Gesellschaft werden in zynischer Weise auf dem Rücken der Schwerstabhängigen ausgetragen.

(Beifall bei den GRÜNEN - David McAllister [CDU]: Na, na, na!)

- So ist es!

Die Erfahrungen aus der Arbeit mit Drogenabhängigen im Rahmen des Bundesmodells zeigen ganz eindeutig, dass Schwerstabhängige nur mit dem Ansatz der Heroinsubstitution erreicht werden können.

Nun gibt es aber etliche CDU-Mitglieder, die längst erkannt haben, dass man mit rückwärtsgewandten und illusorischen Auffassungen nicht weiterkommt. Das haben im Übrigen auch die Oberbürgermeister aller Städte betont, in denen das BundesModellprojekt bisher lief. Auch sie haben die Fortsetzung der Heroinsubstitution angemahnt. Die Abgabe von Diamorphin an Schwerstabhängige ist eine medizinische Notwendigkeit.

Die Ergebnisse der wissenschaftlichen Auswertung der deutschen Modellprojekte belegen den Erfolg; darüber haben wir in den vergangenen Debatten ausführlich gesprochen. Auch das Sozialministerium hat bekannt, sich den aus der Studie gewonnenen Erkenntnissen nicht länger verschließen zu wollen. Doch welche Konsequenz haben Sie daraus gezogen? Die Ministerin hat sich geweigert, in diesem Sinne eine Bundesratsinitiative zu starten, offenbar in Sorge darum, dass dies den Berliner Hardlinern nicht gefallen könnte. Da war der hessische Ministerpräsident Koch schon wesentlich weiter. Die Devise der Großen Koalition lautet derzeit: vertagen, verschieben und aussitzen bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag. Ich habe das Gefühl, genau dieses Spielchen wird im Moment auch in Niedersachsen gespielt.

(Glocke der Präsidentin)

Es ist zu hören, dass das Hannoveraner Projekt - Frau Elsner-Solar ist darauf schon eingegangen vermutlich bis Mitte 2008 verlängert werden soll. Das bedeutet, dass Neuaufnahmen von Schwerstabhängigen in dieses Projekt nicht gestattet werden. Das bedeutet, dass Abhängigen Hilfe verweigert wird. Solange sich die Bundeskoalitionäre einer Änderung des Betäubungsmittelgesetzes verweigern, muss nach meinem Dafürhalten geklärt werden, wie zumindest die Weiterführung des einzigen Heroinabgabeprojektes in Niedersachsen finanziell gesichert und wie die Aufnahme weiterer Schwerstabhängiger geleistet werden kann.

Meine Damen und Herren, auf Bundesebene wurde zu dieser Thematik inzwischen ein gemeinsamer Antrag von FDP, Grünen und Linken erarbeitet. In diesem Zusammenhang appelliere ich an die FDP, sich an Ihren Koalitionspartner CDU zu wenden,

(Glocke der Präsidentin)

um endlich darauf hinzuwirken, dass die notwendigen Konsequenzen aus dem Modellversuch gezo

gen werden. Im Übrigen halte auch ich den Vorschlag der CDA, den Fraktionszwang aufzuheben und die Abstimmung über diese ethisch wirklich tiefgreifende Frage freizugeben, für sehr gut.

Das war ein gutes Schlusswort, Frau Kollegin. Ihre Redezeit ist nämlich abgelaufen.

Ich bin sicher: Das wird sich für die Schwerstkranken auf jeden Fall positiv auswirken. - Ich danke Ihnen.

(Beifall bei den GRÜNEN)