Protocol of the Session on June 5, 2007

(Jörg Bode [FDP]: Um das Plazieren von Wanzen!)

- Herr Bode, ich diskutiere gerade über ein Themengebiet, auf dem neue Rechtsgrundlagen geschaffen werden sollen. Es soll in den Intimbereich der Bürger eingegriffen werden. Auf Bundesebene wird dieses Vorhaben auch von Ihrer Partei abgelehnt. Das hat mit alten Gesetzen nichts zu tun. Hierbei geht es um ein neues Gesetz, das Sie einführen wollen. Wir halten das für eine sehr problematische Angelegenheit.

Meine Damen und Herren, ich habe in diesem Zusammenhang besondere Sympathien für die Position eines Vertreters der FDP, nämlich für die des baden-württembergischen Justizministers Goll, der sich klar und deutlich gegen die SchäublePläne ausgesprochen hat, eine Ermächtigungsgrundlage im Hinblick auf Onlinedurchsuchungen zu schaffen. Er sieht darin einen Schritt zum Überwachungsstaat. Denn dadurch könne sich der Staat Zugriff auf das komplette Leben seiner Bürger verschaffen: von den Hochzeitsfotos über Akti

endepots bis hin zur letzten Ersteigerung bei eBay. Delikte wie Terrorismus und Kinderpornografie ließen sich schon jetzt wirkungsvoll bekämpfen. So äußerte sich Herr Goll. Vielleicht hören Sie einmal auf ihn. Mit Ihnen von der FDP hätten wir hier im Landtag eine Mehrheit für unseren Antrag.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Nächster Redner ist Herr Ahlers von der CDUFraktion.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Antrag der SPD-Fraktion vom April dieses Jahres wurde in der letzten Landtagssitzung nicht beraten, obwohl es gerade zu diesem Zeitpunkt interessante Erkenntnisse des Innenausschusses des Deutschen Bundestages gab. In dem von der SPD-Landtagsfraktion eingebrachten Antrag ist zu lesen, dass die Einführung von Befugnissen zur Onlinedurchsuchung das Ansehen des Rechtsstaates und das Vertrauen in die Sicherheit der Informationstechnik massiv beschädigen würde. Weil die heimliche Onlinedurchsuchung tief in die Privatsphäre des Einzelnen eingreift, hat sich die SPD in ihrer Begründung auf Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble gestürzt, wie es Herr Bartling gerade ausgeführt hat.

(Sigrid Leuschner [SPD]: Genau!)

Aber, meine Damen und Herren von der SPD, das Interessante ist, dass der Innenausschuss des Bundestages im April dieses Jahres folgende Tatsache festgestellt hat - auch wenn Sie, lieber Herr Bartling, das energisch bestreiten -: Die rot-grüne Bundesregierung hat dem Bundesamt für Verfassungsschutz und dem Bundesnachrichtendienst im Sommer 2005 im Rahmen einer Dienstvorschrift mit ausdrücklicher Zustimmung des damaligen Bundesinnenministers Otto Schily - SPD - die heimliche Onlinedurchsuchung erlaubt.

(Hört, hört! bei der CDU)

Weil diese Dienstvorschrift nach ihrem Bekanntwerden zunächst einmal verfassungsrechtlich überprüft werden soll, hat der jetzige Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble - CDU - diese Praxis im April dieses Jahres gestoppt.

(Hört, hört! bei der CDU)

Insofern, meine Damen und Herren von der SPD, hätten Sie Ihren Antrag lieber rückwirkend an den damaligen Bundesinnenminister von der SPD richten sollen.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Insgesamt stellt sich für uns alle deshalb die Frage: Was soll durch die Onlinedurchsuchung bewirkt werden? - Früher gab es noch keine Telefone. Also gab es auch keine Telefonüberwachung. Als es Telefone gab, war es möglich, sich mit Hilfe des Telefons zu Straftaten zu verabreden. Als Reaktion des Staates wurde daraufhin die Telefonüberwachung gesetzlich verankert. Heute nutzen Verbrecher Computer. Also müssen wir sie überwachen, um schwerste Straftaten verhindern zu können.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Erst kürzlich haben die Mitglieder des Innenausschusses, also Vertreter aller Fraktionen, den Bericht des Verfassungsschutzes entgegengenommen. Wohl alle Mitglieder des Landtages waren sehr bestürzt über das im Internet gezeigte Video eines Selbstmordattentäters.

Meine Damen und Herren, wir dürfen nicht die Augen verschließen. In diesem Video wurde uns allen deutlich offenbart, wie aus Menschen Selbstmordattentäter werden. In der Übersetzung des Videos konnten wir hören, wie der Selbstmordattentäter seine geplante Tat huldigte, indem er sich bei seinem Gott Allah dafür bedankte, dass er Menschen aus der von ihm so sehr gehassten Welt in die Luft sprengen durfte.

(Sigrid Leuschner [SPD]: Das war nicht übersetzt!)

Das Video endete mit der Vollendung der Tat. Der Selbstmordattentäter fuhr mit seinem mit Sprengstoff beladenen Pkw in einen Militärkonvoi. - Liebe Frau Leuschner, Sie haben das Video gesehen. Daher wissen Sie: Die Detonation und die Druckwelle waren so stark, dass der Kameramann beim Filmen kaum noch seine Kamera halten konnte.

(Sigrid Leuschner [SPD]: Ja, richtig! Aber da war nicht die Übersetzung dabei!)

Dieses Beispiel habe ich deshalb ausgewählt, weil es verdeutlicht, was online möglich ist. Lager, in

denen militante Kämpfer ausgebildet werden, wie es sie in Syrien und Afghanistan gibt, sind offensichtlich nicht mehr nötig. Anleitungen zur Vorbereitung terroristischer Handlungen und schwerster Straftaten, z. B. dem Basteln von Bomben, sowie zum strategisch-terroristischen Vorgehen gegen die gesamte zivile Welt können im Internet heruntergeladen werden.

Meine Damen und Herren von der SPD, die Überwachung erstreckt sich nicht auf Kavaliersdelikte, sondern auf Handlungen zur Vorbereitung von Straftaten. Wir alle müssen uns überlegen, wie wir den Menschen ihre Freiheit, den Schutz vor Terroristen und damit auch ihre körperliche Unversehrtheit ermöglichen können.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Der Präsident der Bundeskriminalamtes, Herr Zierke, referierte kürzlich vor Führungskräften der Polizei. Er sagte: Die Gegner der Überwachung sprechen immer von der Freiheit vor dem Staat. Worüber sie nicht reden, ist die Freiheit durch den Staat.

Meine Damen und Herren, der Rechtsstaat dient dazu, die Überwachung auf das notwendige Maß zu begrenzen,

(Zuruf von der SPD: Es gibt aber kein Maß dafür!)

sie transparent zu gestalten und zu kontrollieren. Unser Staat ist ein Freiheitsstaat. Er muss seinen Bürgerinnen und Bürgern im Rahmen der freiheitlichen Grundordnung ein hinreichendes Maß an Sicherheit gewährleisten. Wir glauben, dass sich die Große Koalition in Berlin auf die Einführung der Onlinedurchsuchung verständigen wird. Auch glaube ich, Herr Bartling, dass sich die SPD, was die Gewährleistung der Sicherheit der Polizeibeamten angeht, insgesamt bewegen wird.

Heute Morgen konnten wir der Bild-Zeitung entnehmen, dass sich der Vorsitzende des Innenausschusses des Deutschen Bundestages, Herr Edathy von der SPD, vorstellen kann, dass die Polizei im Rahmen gewalttätiger Demonstrationen sogar Gummigeschosse einsetzen darf. Noch vor wenigen Jahren war die von uns immer wieder erhobene Forderung nach Einführung dieses Einsatzmittels aufseiten der SPD nicht vorstellbar. Die Bundes-SPD scheint einsichtiger zu sein als die Landes-SPD.

(Beifall bei der CDU)

Lieber Herr Bartling, die SPD in Niedersachsen scheint grundsätzlich viele Dinge anders zu sehen. Deshalb sage ich zum Schluss: Seit ihrem Bestehen war die Bundesrepublik Deutschland weder auf Bundesebene noch in den Bundesländern ein Überwachungsstaat.

(David McAllister [CDU]: Richtig!)

Deutschland wird auch kein Überwachungsstaat werden.

(David McAllister [CDU]: Nein!)

Für die CDU-Landtagsfraktion gilt, dass alle bisherigen und alle geplanten Maßnahmen auf verfassungsrechtlichen Grundlagen stehen müssen. Aus den anfangs genannten Gründen lehnen wir Ihren Antrag deshalb ab. - Danke schön.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Jetzt erteile ich Herrn Professor Dr. Lennartz von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort.

(Hans-Christian Biallas [CDU]: Jetzt musst du nur mal sagen, dass Otto Schily ein Grüner war!)

Das wissen doch alle.

(Hans-Christian Biallas [CDU]: Hier nicht! Manchmal gerät das in Verges- senheit!)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der neueste Schrei bei konservativen Innenpolitikern - an ihrer Spitze Herr Schäuble und natürlich auch Herr Schünemann - ist das sogenannte Onlinehacking, d. h. die technische Fähigkeit, entfernte PCs durchsuchen zu können, ohne selbst am Standort des Geräts anwesend zu sein. Diese Technik existiert, und sie wurde bereits eingesetzt. Zwischenzeitlich ist bekannt, dass der Onlinezugriff der Geheimdienste unzulässig war. Der Bundesgerichtshof hat mit Beschluss vom 31. Januar 2007 festgestellt, dass eine solche Maßnahme im Bereich der Strafverfolgung rechtswidrig sei. Dann ruderte Bundesinnenminister Schäuble zurück und fordert jetzt, Rechtsgrundlagen bis hin zu einer Änderung

des Grundgesetzes - wahrscheinlich Artikel 13 - zu schaffen.

Auch Innenminister Schünemann lässt nach Informationen der hannoverschen Presse derzeit überprüfen, welche Regelungen in das Gesetz über den Verfassungsschutz eingefügt werden müssen, damit bei Verdacht auf extremistische Aktivitäten eine solch Maßnahme möglich wird. Sie müssen wissen, dass beim Bundesverfassungsgericht zurzeit verschiedene Verfassungsbeschwerden anhängig sind, u. a. von Herrn Baum von der FDP. Wir werden nachher noch zu zwei Verfassungsbeschwerden beschließen, dass der Landtag keine Stellungnahme abgeben wird.

(Jörg Bode [FDP]: Weil das üblich ist!)

Erst dann, wenn das Bundesverfassungsgericht entschieden haben wird, wird klar sein, ob es im präventiven Bereich - also außerhalb der Strafverfolgung - eine solche Maßnahme durch Änderung des Grundgesetzes geben könnte oder nicht. Ich aber sage Ihnen: Wir wollen sie nicht.

Jetzt noch einmal zurück zur Chronologie, die vorhin dargestellt worden ist: Vorhin wurde gesagt, dass solche Maßnahmen seit 2005 angeblich auf der Grundlage einer Dienstanweisung des Innenministeriums in Berlin vom Bundesnachrichtendienst und vom Bundesamt für Verfassungsschutz durchgeführt worden seien. Nach meiner Information ist diese Dienstanweisung vom damaligen Staatssekretär unterzeichnet worden. Dieser hat sich dahin gehend eingelassen, dass er nicht genau gewusst habe, was er unterschrieben habe. Das spricht, im Nachhinein betrachtet, nicht unbedingt für die Qualität der Arbeit; denn er meinte, er würde nur das Einloggen in ein Internetforum freizeichnen. Tatsächlich aber wurde der Zugang auf private Festplatten und auf andere Arbeitsspeicher eröffnet. Fakt ist: Das war unzulässig. Eine Dienstanweisung ist natürlich nie eine geeignete untergesetzliche Rechtsgrundlage für solche Handlungen. Wenn, dann geht das nur nach einer Änderung des Grundgesetzes. Wir halten eine solche Änderung aber für falsch, auch wenn es möglich wäre. Das will ich Ihnen jetzt kurz begründen:

Die Onlinedurchsuchung greift tiefer als andere gesetzlich zulässige Maßnahmen der polizeilichen Überwachung in die Privatsphäre ein. Die auf einem Computer gespeicherten Daten können aufgrund ihrer besonderen Sensibilität Einblick in die Persönlichkeit des Betroffenen geben. Der Schutz

des Kernbereichs privater Lebensgestaltung wird damit gefährdet. Dies gilt umso mehr, wenn Nachrichtendienste die Möglichkeit des heimlichen Zugriffs auf diese Informationen erhalten, obwohl ihnen noch nicht einmal die offene Erlangung durch eine Beschlagnahme gestattet ist.

Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung und Privatheit - das ist jetzt eine Aussage der Datenschutzbeauftragten und der Länder in ihrer jüngsten Konferenz - würde unvertretbar eingeschränkt, wenn Durchsuchungsmaßnahmen zugelassen würden, bei denen aufgrund ihrer Heimlichkeit niemand wissen kann, ob und wann sie getroffen wurden oder ob in Zukunft damit zu rechnen ist.

Meine Damen und Herren, man muss diese Planungen aber auch in den Gesamtzusammenhang rücken. Der heißt: Umbau des Rechtsstaats in einen Präventionsstaat. - Seit Jahren werden immer wieder neue technische Möglichkeiten der Überwachung eingeführt. Jeweils sollte von diesen Maßnahmen die Sicherheit der Bevölkerung und des Landes abhängig sein. So war es beim Lauschangriff, bei der Ausweitung der Telefonüberwachung, beim Luftsicherheitsgesetz, beim biometrischen Personalausweis, bei der Schleierund Rasterfahndung, bei der Antiterrordatei und schließlich beim heimlichen Zugriff des Verfassungsschutzes auf private Bankkonten. So ist es jetzt bei der Videoüberwachung, bei der automatischen Gesichtserkennung, bei der Verwendung von Mautdaten zur Fahndung und bei der Vorratsspeicherung von Telefon- und Internetdaten. Der Staat baut sein Sicherheitssystem systematisch und im Vorfeld des Strafrechts aus, weil dort dessen strenge Prinzipien zum Schutz des möglicherweise unschuldigen Einzelnen nicht gelten. Es geht in erster Linie nicht mehr um die Verfolgung von Straftaten, sondern darum, im Vorfeld der Realisierung Risiken zu bekämpfen. Dazu werden Mittel und Methoden angewendet, die im Strafrecht nur gegen Verdächtige möglich waren.