Protocol of the Session on January 25, 2007

dem Dezember letzten Jahres gut begründet. Ich zitiere:

„Es ist ein Skandal, dass jedes siebte Kind von der Sozialhilfe abhängig ist.“

„Es ist unfassbar für mich, dass es in unserer Konsumgesellschaft Kinderarmut in diesem Ausmaß gibt.“

Meine Herren und Damen, so ging es auch uns. Wir kennen aktuelle Studien, die den Zusammenhang zwischen Armut und Kindesmisshandlung belegen. Kinder- und Jugendärzte schätzen, dass in Deutschland jährlich 100 Kinder durch Misshandlung und Verwahrlosung ums Leben kommen. Doch jenseits dieser spektakulären Fälle gibt es als Auswirkung materieller Benachteiligung häufig psychische Folgen wie Entwicklungsstörungen, Lernschwierigkeiten und erhöhte Gewaltbereitschaft. Wir in der SPD wollten deshalb wissen, in welchem Ausmaß sich Kinderarmut in Niedersachsen ausbreitet, und haben in Ermangelung eines entsprechenden, mehrfach angeforderten Berichtes der Landesregierung diese Anfrage einbringen müssen.

(Vizepräsidentin Astrid Vockert übernimmt den Vorsitz)

Armut heute bedeutet anders als in meiner Kinderzeit in erster Linie Teilhabearmut. Anders als damals trifft es nicht alle, sondern nur einen Teil der Gesellschaft, der in Ausstattung und Konsum nicht mithalten kann. Und das ist ein großes Problem insbesondere für die betroffenen Kinder. Diesen Kindern ist nicht damit geholfen, dass sich die Landesregierung dafür feiert, dass der Anteil der armen Familien mit 13,4 % in Niedersachsen um 0,6 % niedriger als in Gesamtdeutschland liegt, zumal die Zahl der Familien mit Kindern unter 18 Jahren, die Hilfe zum Lebensunterhalt bekommen, mit 7 % in Niedersachsen höher als im Bundesdurchschnitt liegt.

Für die Bearbeitung der Großen Anfrage möchte ich im Namen der SPD-Fraktion den Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen der Landesregierung für die schwierige Arbeit danken, zumal sie mangels nicht erhobener oder vorliegender Daten oft Näherungswerte zu erstellen oder Schätzwerte aus anderen Erhebungen entsprechend zu bearbeiten hatten. Trotzdem bleiben wirklich Wissenslücken, und Daten sind nicht vorhanden. Sozialberichter

stattung, meine Herren und Damen, findet in Niedersachsen nicht mehr statt und wurde trotz nachdrücklicher Forderung der Opposition zuletzt bei der Beratung des ÖGD-Gesetzes von den Mehrheitsfraktionen abgelehnt. Unserer Meinung nach ist aber eine solche Berichterstattung für zielgerichtete politische Entscheidungen und Initiativen nun einmal unabdingbar.

Nehmen wir das Beispiel Mehrkindfamilien: Mangels eigener Erhebung führt die Landesregierung auf der ihrerseits immer reichlich kritisierten Basis des Zweiten Reichtums- und Armutsberichtes der Bundesregierung ganz allgemein aus, dass die Erziehung mehrerer Kinder und/oder mangelnde Sprachkenntnisse in den Familien diese einem zunehmenden Armutsrisiko unterwerfen. Gezielte Unterstützungsleistungen erfordern doch wohl zuallererst gesicherte Daten für alle Ebenen staatlichen oder kommunalen Handelns. Aber: Fehlanzeige. Verfügbare Statistiken beinhalten nicht das Merkmal „vier und mehr Kinder“.

Betrachtet man die Antworten zum nicht ganz unwichtigen Thema Wohnraumversorgung und Bedarfsentwicklung von Familien mit Kindern, heißt es:

„Statistische Angaben zur Versorgung speziell von Familien bzw. großer Familien im Sinn der Fragestellung liegen nicht vor.“

Sehr geehrter Herr Ministerpräsident - er ist gerade nicht da; vielleicht richtet man es ihm aus -, wir in der SPD gehen nicht davon aus, dass mit der Abgabe der Wohnungsbauförderung an die LTS auch die Verantwortung für die entsprechende Bedarfsplanung und Entwicklung abgegeben werden darf.

(Beifall bei der SPD)

Nehmen wir weiter das Thema wohnungslose Personen in Mehrpersonenhaushalten oder, verständlicher ausgedrückt, Familien ohne Wohnraum: Auch hierzu gibt es keine eigene Datenbasis der Niedersächsischen Landesregierung. Ich finde die Tatsache, dass wir neben der Obdachlosigkeit von alleinstehenden Frauen und Männern davon ausgehen müssen, dass es in Niedersachsen offiziell 670 Familien mit Kindern und eine erhebliche Dunkelziffer von Familien gibt, die als wohnungslos gelten, mehr als erschreckend.

(Beifall bei der SPD)

Da tröstet es nicht, wenn ich lese, dass die Zahlen seit 2000 rückläufig seien. Das sind die Familien, die Sie mit der Haushaltsentscheidung 2006 durch die komplette Streichung der Obdachlosenhilfe geradezu bestraft haben. Oder nennen Sie das „christlich orientierte Sozialpolitik“?

(Beifall bei der SPD)

Es sind die Schätzzahlen der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe, auf die wir uns beziehen müssen. Genaueres weiß man nicht, und man gibt sich damit seit Jahren augenscheinlich zufrieden.

Meine Herren und Damen, zur finanziellen und sozialen Lage von Familien in Niedersachsen finden wir auf unsere Frage zur Zahl der überschuldeten Familien in Niedersachsen ebenfalls keine spezifischen Daten, durch die Landesregierung vorgelegt. Die Quersumme aus diversen Indikatoren, die wenigstens eine Annäherungszahl für überschuldete Haushalte in Niedersachsen ermöglicht, nämlich 7 %, reicht nicht hin, weil die Gefährdungslage der Kinder ausgeblendet bleibt. Will man aber gezielte Stützungsprogramme entwickeln, ist auch hier eine genaue Datenlage unerlässlich. Die Entwicklung der Aufwendungen für das Wohnen oder des Mietanteils für Familien kann ebenfalls nicht beziffert werden, und das, obgleich davon auszugehen ist, dass es sich um einen relevanten Anteil des Familienbudgets handelt.

Zur Armutsentwicklung der Familien seit 2000 kann die Landesregierung angeblich nur die Betroffenheit von Haushalten beziffern. Daten über die Betroffenheit von Kindern seien nicht verfügbar.

Geht man in der Beantwortung der Großen Anfrage weiter, stößt man jedoch auf bittere Zahlen zur wirtschaftlichen Situation der Familien im Kinderland Niedersachsen. Die alarmierendsten Antworten der Großen Anfrage sind wohl unter III 8 und 9 zu finden. Es geht um die Entwicklung und Verteilung der Betroffenheit von materieller Armut in unterschiedlichen Familiengrößen und Elternkonstellationen. Auch hier bleibt die Datenlage dünn. Wieder wird auf fehlende Datenerhebungen verwiesen. Die Näherungsaussagen allerdings weisen auf stetig steigende Bedürftigenzahlen von Kindern in niedersächsischen Familien hin; denn die materielle Armut steigt ungebrochen von 2000 bis 2005 in allen Altersgruppen bis zum 18. Le

bensjahr - und das trotz sinkender Geburtenzahlen und höherer Transferleistungen -, in Abhängigkeit von Elternpersonen am stärksten unter den weiblichen Haushaltsvorständen. Die Annahme, dass es sich hier um Alleinerziehende handelt, liegt nahe, ist aber mangels Datenlage leider nicht belegbar.

Dann gibt es das Thema „Eltern stärken“ - ein Thema, das angeblich der Landesregierung am Herzen liegt. Wir stellen fest: mehr Medienwirksamkeit als Substanz.

(Beifall bei der SPD)

Erziehungsberatungsstellen sind sowieso als kommunale Leistungen definiert und kosten den Landeshaushalt keinen Cent. Aber am Beispiel der Familienbildungsstätten weist die Zusammenstellung in der Anlage 3 eindeutig aus, dass die finanziellen Zuschüsse durch die CDU-geführte Landesregierung nahezu eingefroren sind. Es hat Umverteilungen innerhalb der Beratungslandschaft gegeben, aber keineswegs eine Anpassung an den gestiegenen Bedarf.

Die Verbände können aus diesem Verhalten der Landesregierung geradezu eine Regel ableiten: Achtung! Je mehr die Landesregierung über bestimmte Förderungen redet, desto weniger Geld stellt sie hinterher zur Verfügung.

(Beifall bei der SPD)

Und das geht so weiter. Die Hilfen für überschuldete Familien sind praktischerweise, wie die Erziehungsberatungsstellen, Angelegenheiten der Kommunen und ihrer Sparkassen. Es ist natürlich zu begrüßen, dass in steigenden Verschuldungssituationen von Einzelpersonen und Familien ein ausgeweitetes Angebot an Schuldnerberatung zur Verfügung steht. Doch versuchen Sie einmal, umgehend einen Termin zu bekommen. Die nicht privatisierten und sozialen Schuldnerberatungsstellen sind in einer Weise überlaufen, dass mit Wartezeiten um sechs Monate herum zu rechnen ist. Was das für eine Familie bedeutet, bei der der Gerichtsvollzieher vor der Tür steht, können Sie sich wohl ausmalen. Seit dem Regierungswechsel zur CDU sind wir in dieser Angelegenheit - geplante Beteiligung der Verbraucherkreditbanken und des Versandhandels auf freiwilliger Basis keinen einzigen Schritt weitergekommen.

Meine Herren und Damen, Kinderland ist abgebrannt. Die Beantwortung der Großen Anfrage zeigt mehr als deutlich: Es gibt viel zu tun, damit

wir es in Niedersachsen gerechter zugehen lassen können. Und wenn Sie es nicht können - wir übernehmen gern, spätestens 2008.

(Lebhafter Beifall bei der SPD)

Danke schön. - Für die Landesregierung erteile ich der Ministerin Frau Ross-Luttmann nach § 45 Abs. 5 Satz 2 unserer Geschäftsordnung das Wort. Dort ist festgelegt, dass nach der Fragestellerin oder dem Fragesteller das Wort der Landesregierung zu erteilen ist. Frau Ross-Luttmann!

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Frau Elsner-Solar, zunächst danke ich Ihnen dafür, dass Sie erkannt haben, wie umfangreich die Ermittlungen gewesen sind, die wir für die Beantwortung Ihrer Großen Anfrage vorgenommen haben.

Sie sind mehrfach auf die Sozialberichterstattung eingegangen. Dazu darf ich aus einer Kabinettsentscheidung vom 5. Oktober 1995 zitieren, in der von einer unserer Vorgängerregierungen - also nicht von unserer Regierung - beschlossen worden ist, das periodische Berichtswesen einzuschränken. Damit sollte Bürokratie abgebaut werden. Wenn Sie hier energisch eine Sozialberichterstattung einfordern, von der Sie sagen, dass sie wichtig ist, dann möchte ich sagen: Es hat eine Sozialberichterstattung gegeben, und zwar 1998. Danach waren sich die politischen Parteien wohl darüber einig, dass eine weitere Sozialberichterstattung nicht erforderlich sei. Konsequenzen aus Ihrer Sozialberichterstattung? - Nicht gezogen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, das Niedersächsische Landesamt für Statistik hat im Dezember den Niedersächsischen Armuts- und Reichtumsbericht 2006 vorgelegt. Danach gibt es durchaus Positives bei der Entwicklung der Armutsquote in Niedersachsen zu berichten. Die Armutsquote der Haushalte in Niedersachsen lag mit 13,4 % niedriger als im Bundesgebiet mit 14 %. Auch der Anteil der relativ armen Haushalte ist in Niedersachsen mit 0,3 % im Jahr 2005 geringer angestiegen als im gesamten Bundesgebiet mit 0,9 %. Dies zeigt: Wir sind auf dem richtigen Weg. Aber es zeigt auch: Es liegt noch sehr viel Arbeit vor uns.

Aber was steht eigentlich hinter dem Begriff der relativen Armut, die sich an einem bestimmten Prozentsatz, nämlich 50 % des verfügbaren Durchschnittseinkommens, orientiert? Wer ein Einkommen unterhalb dieser Grenze erzielt, der gilt als relativ arm. Wie variabel dieser Begriff ist, zeigt sich daran, dass - wenn man es rein mathematisch betrachten würde - die relative Armut auch dann zunehmen würde, wenn wir in Niedersachsen mehrere einkommensstarke Zuzügler hätten und somit das durchschnittliche Einkommen in unserem Land steigen würde.

Aber es geht um mehr. Es geht darum, wie sich die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter auseinanderbewegt.

(Zustimmung von Ursula Körtner [CDU])

Dies ist eine bundesweite Entwicklung, der sich Niedersachsen nicht entziehen kann.

Es geht aber um noch mehr, nämlich um die Lebens- und Verwirklichungschancen der Menschen in unserem Land. Wenn der Zugang zu Bildung, Gesundheit, ökonomischer und politischer Teilhabe offensteht, dann erscheint ein aktueller Zustand finanzieller Armut durchaus weniger problematisch. Hierzu bedarf es einer Politik, die darauf ausgerichtet ist, dass Verwirklichungschancen unabhängig von der aktuellen finanziellen Situation bestehen.

Die Gründe für Kinderarmut sind vielfältig. Dieses Problem kann daher nicht eindimensional angegangen werden, sondern es erfordert die Aktivität aller gesellschaftlich relevanten Kräfte. Arbeit und Bildung, meine Damen und Herren, sind die zentralen Punkte zur Herstellung von Chancengleichheit.

Ich möchte zunächst auf den Aspekt Beschäftigung eingehen. Ich glaube, es ist ein toller Erfolg unserer mittelständisch geprägten Wirtschaft, dass wir in Niedersachsen im November 2006 57 000 weniger Arbeitslose als im Vorjahr hatten, dass die Quote niedriger als vor der Arbeitsmarktreform war und dass es eine Novemberentwicklung gab, die die Regionaldirektion als „so positiv wie seit sechs Jahren nicht mehr“ beschreibt.

(Zustimmung bei der CDU und bei der FDP)

Das Plus bei den sozialversicherungspflichtig Beschäftigten fiel größer aus als im westdeutschen Schnitt. Zu diesem Erfolg auf dem Arbeitsmarkt hat die Landesregierung das ihrige beitragen, und sie ist mit zahlreichen Programmen und Projekten um die Integration in den Arbeitsmarkt bemüht. Diese Bemühungen treffen nicht nur Erwachsene, sondern vor allem auch junge Menschen in unserem Land. Denn diese jungen Menschen sind die Eltern von morgen.

Ich möchte beispielhaft einige Bereiche besonders erwähnen. Mit dem Niedersachsen-Kombi leistet das Land einen aktiven Beitrag zur Eingliederung langzeitarbeitsloser Menschen in den ersten Arbeitsmarkt.

Mit Kammern, Verbänden und Arbeitsagenturen haben wir einen Ausbildungspakt geschlossen.

Mit dem Stufe-2-Programm ermöglichen wir Jugendlichen, die nach der Ausbildung arbeitslos sind, den schnellen Einstieg in einen Job. 500 Euro pro Monat bekommen Unternehmen, die einen jungen Menschen mit Ausbildung einstellen. So konnten über 2 000 Jugendliche gefördert werden.

Im Jahr 2005 haben die 44 Pro-Aktiv-Centren über 22 000 Jugendliche beraten und betreut. Mehr als die Hälfte von ihnen konnte in eine Ausbildung, Beschäftigung oder Qualifizierungsmaßnahme vermittelt werden.

Mit dem frauenspezifischen Arbeitsmarktprogramm „Integration von Frauen in den Arbeitsmarkt“ unterstützen wir zahlreiche Projekte, die es gerade auch Frauen mit Kindern ermöglichen, einen Beruf zu erlernen, den Schritt in die Selbstständigkeit zu wagen oder durch eine Qualifizierung ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt zu verbessern.

Die über 100 Jugendwerkstätten in Niedersachsen haben die Aufgabe, gerade jungen Menschen den Übergang von der Schule in Ausbildung und Beruf zu erleichtern.