Protocol of the Session on June 26, 2003

(Beifall bei den GRÜNEN)

Wir haben jenseits der Debatte, die von Frau Konrath in zuspitzender Form wieder angefangen wurde, im Ausschuss versucht, das zusammenzuführen. Wir waren eigentlich nahe dran. Ich hätte sowohl den Vorschlag für einen gemeinsamen Antrag, der von den Fraktionen von CDU und FDP kam, als auch den Vorschlag für einen gemeinsamen Antrag, der von der SPD-Fraktion auf dem Tisch lag, gern als gemeinsamen Antrag aller Fraktionen unterschrieben. Allein, es fehlte das letzte Quäntchen sowohl für die eine als auch für die andere Seite, über diesen Zaun zu springen, um zu einem gemeinsamen Beschluss zu kommen.

Wo stehen wir jetzt? - Wir haben einen Antrag der Koalitionsfraktionen, der sich nicht mit Sticheleien gegenüber Rot-Grün im Bund zurückhalten kann, sodass wir als Grüne ihm nicht zustimmen können, und wir haben einen Antrag der SPD-Fraktion, die bis zum Februar dieses Jahres Regierungsfraktion war, die sich bei diesem Thema nicht zu fein ist, die eigenen Taten der letzten Jahre so sehr über den grünen Klee zu loben, dass auch dieser Antrag so nicht zustimmungsfähig ist.

Wir sind der Meinung, dass wir den jungen Menschen heute vorführen, wie die Politik mit ihnen umgeht, dass die Politik tatsächlich nicht bereit ist, in ihrem Interesse den Sprung über den ideologischen Graben zu wagen. Die 10 000 Jugendlichen, die rein numerisch in diesem Jahr vergeblich einen Ausbildungsplatz in Niedersachsen suchen, lassen wir mit den beiden Anträgen, die hier gegeneinander stehen, im Regen stehen.

Wir bedauern das. Die Fraktionen sollten nach der Landtagssitzung erneut aufeinander zugehen und für die Zukunft auf diesem Feld, auf dem es wirklich um die jungen Leute geht, die ideologischen Scheuklappen ablegen. Was zwischen uns stand, war wirklich nicht des Streites wert.

Wir fordern auch die Landesregierung auf, die ideologischen Scheuklappen gegenüber Rot-Grün im Bund abzulegen. Es lohnt sich nicht - die Bemühungen mit dem 100 000-Plätze-Programm für Jugendliche unter 25 Jahren und einem 100 000Plätze-Programm für schwervermittelbare junge Leute über 25 Jahren sind vorhanden, die Bundesanstalt für Arbeit finanziert inzwischen längst wieder auf dem Niveau des letzten Jahres -, mit Schuldzuweisungen zu arbeiten.

Herr Hirche, arbeiten Sie mit Rot-Grün im Bund im Interesse der niedersächsischen Jugendlichen

zusammen, die dringend unsere Unterstützung brauchen. Allein Telefonieren und Briefeschreiben reichen nicht aus. Wir müssen auch inhaltlichpolitisch die Weichen neu stellen. - Danke schön.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Frau Dr. Trauernicht!

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir sind uns offensichtlich einig: Die Situation für junge Menschen auf dem Ausbildungsmarkt ist zurzeit dramatisch. Die Lage ist so ernst wie nie. Das Landesarbeitsamt prognostiziert eine um 50 % größere Lücke als noch im letzten Jahr. Die Zahl der Ausbildungsplätze geht real zurück. 9 400 junge Menschen stehen auf der Straße. Hier gibt es erheblichen Handlungsbedarf, insbesondere auch deshalb, weil die jungen Menschen, die dieses Jahr nicht zum Zuge kommen, im nächsten Jahr den Nachfragedruck noch erhöhen werden.

Natürlich ist es in dieser Situation erfreulich, wenn der Ministerpräsident eine Telefonaktion unternimmt. Aber überschätzen Sie bitte nicht die Wirkung. 9 000 Betriebe sollen angerufen werden. 2 500 sind meines Wissens schon angerufen worden. 10 % der Betriebe sagen, sie könnten sich vorstellen, einen zusätzlichen Ausbildungsplatz einzurichten. Wenn es 5 % tun, sind das 150 zusätzliche Ausbildungsplätze. Das reicht natürlich nicht.

(Annette Schwarz [CDU]: Aber mehr als eine Ausbildungsabgabe! - Bernd Althusmann [CDU]: Besser, als nichts zu tun!)

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Deshalb ist es in dieser Situation unerfreulich, dass der Ministerpräsident nicht alle Bündnispartner mit in die Aktion einbezogen hat. Es ist unerfreulich, dass er das Bündnis für Arbeit und Ausbildung aufgelöst hat. Was bedeutet das denn? - Das bedeutet, dass die Wirtschaft aus der von ihr selbst eingegangenen Verpflichtung entlassen wird, in jedem Jahr in Niedersachsen zusätzlich 1 200 Ausbildungsplätze einzurichten, und dies vor dem Hintergrund der Tatsache, dass nur 30 % der Betriebe ausbilden. Sie sagen: Alles freiwillig, nur kein Druck. Dazu sage ich: Damit lassen Sie zu, dass

die für die Ausbildung zuständige Wirtschaft aus ihrer Verpflichtung entlassen und dieses mehr und mehr zu einer staatlichen Angelegenheit wird.

Sie wissen es selbst: Die Vollzeitschulen platzen zurzeit aus allen Nähten. Der Steuerzahler zahlt die Lehrer. Sie setzen insofern noch eines drauf, indem Sie durch Ihre Umschichtungspolitik diese zusätzlichen Lehrer zunehmend zulasten der Schwächsten, der Behinderten und der jungen Menschen, finanzieren.

(Reinhold Coenen [CDU]: Das stimmt nicht!)

Das ist eine Kette, die politisch nicht richtig ist.

Fazit muss also sein, dass der Druck auf der zuständigen Wirtschaft gelassen wird. Meine Damen und Herren, diese findet ja auch gute Lösungen. Gucken Sie hin, und versuchen Sie, diese Lösungen zu vervielfältigen. Ich erinnere an die Tarifverträge der Metallindustrie, an das Umlagesystem von Kammern und daran, dass manche Kammern Prüfungsgebühren erlassen. All das sind Schritte in die richtige Richtung. Ihre Aufgabe als Landesregierung wäre es, diesen Prozess zu moderieren. Tun Sie das bitte auch!

Ein weiterer Punkt ist die angesprochene Verbundausbildung, die sich bewährt hat. Zum Glück haben Sie sich durch die erste Beratung informieren und auch belehren lassen und haben die vorgesehenen Einsparungen in diesem Bereich wieder zurückgenommen. Ich weise aber noch einmal darauf hin: Sie müssen durch Umschichtungen mehr Geld bereitstellen. Sie müssen Ihre Aktivitäten zugunsten der jungen Menschen verstärken. Sie müssen an das Thema Stufenausbildung, modulare Ausbildung, herangehen.

(Reinhold Coenen [CDU]: Warum müssen wir das?)

Es müssen Motivation und Leistungsfähigkeit der jungen, unversorgten Menschen aufrechterhalten werden. Das heißt eben auch: Jugendsozialarbeit ist in diesen Zeiten eine politische Pflichtaufgabe.

Das Thema Ausbildung ist sehr ernst, aber das Thema Jugendarbeitslosigkeit auch. Sie wissen, die Zahl der jungen Arbeitslosen liegt wie im letzten Jahr bei ca. 40 000. Bei den Langzeitarbeitslosen haben wir in Niedersachsen im Mai noch eine sinkende Rate von 3,5 % gehabt. Das mag in Ihren Augen nicht viel sein, aber gemessen an der Bun

desentwicklung mit plus 22 % ist das die richtige Richtung. Deswegen gilt es, diese Entwicklung nicht zu verspielen, sondern durch Rahmenbedingungen vonseiten der Landespolitik weiter zu verstärken.

Wir wissen, dass sich die Integrationszuschüsse für den ersten Ausbildungs- und Arbeitsmarkt bewährt haben. Setzen Sie die Mittel ein. Sorgen Sie dafür, dass diese Mittel tatsächlich den jungen Menschen und den Betrieben zugute kommen. Ich habe mir erzählen lassen, dass es hier in der Abwicklung Sand im Getriebe gibt. Setzen Sie mehr Integrationszuschüsse ein. Setzen Sie auf Übernahmevereinbarungen innerhalb von Tarifverträgen, und nehmen Sie diese Zielgruppe in die regionalen Wirtschaftskonzepte auf.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! All das wird zurzeit als Chefsache von Ministerpräsident Wulff behandelt. Drei Minister haben Zuständigkeiten. Beide Fraktionsvorsitzenden haben sich das Thema auf die Fahnen geschrieben und eine Arbeitsgruppe eingerichtet. All das ist sehr vernünftig.

(Reinhold Coenen [CDU]: Sie sind nicht dabei!)

Aber die Ergebnisse stimmen noch nicht. Der Umgang mit wichtigen Partnern, z. B. mit den Gewerkschaften, lässt zu wünschen übrig. Zeigen Sie Handlungswillen, und gestehen Sie ein, dass es auch Handlungsmöglichkeiten auf der Landesebene gibt. Das setzt voraus, dass Sie sich zu ganz zentralen Zielen bekennen. Das erste Ziel ist, dass jeder Mensch einen Ausbildungsplatz braucht. Das zweite Ziel ist der Rückgang der Jugendarbeitslosigkeit in Niedersachsen bei einem bundesweit anderen Trend. Das dritte Ziel, das auch wir verfolgt haben, ist die Halbierung der Langzeitjugendarbeitslosigkeit. Meine sehr geehrten Damen und Herren! Daran werden Sie gemessen werden, und nicht nur an den Inputs. – Ich bedanke mich.

(Beifall bei der SPD)

Das Wort erteile ich nun Minister Hirche.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich fand es gut, dass die meisten Redner in dieser De

batte gesagt haben, der Landtag solle ein Stück mehr Einigkeit im Zusammenhang mit dem Thema beweisen. Ich bedaure ein bisschen, dass nach dem sehr konstruktiven Beitrag von Herrn Hagenah Frau Trauernicht das eben in dieser Art und Weise vorgetragen und versucht hat, unnötig Gräben aufzureißen.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Wenn es stimmt, dass wir hier eine der wirklich großen Aufgaben des Landes in diesem zweiten Halbjahr vor uns haben, dann ist es verdammt noch mal notwendig, dass alle versuchen, ihre unterschiedlichen Beiträge zusammenzutragen. Ich sage bewusst „zusammenzutragen“ und nicht „gegeneinander auszuspielen“.

Lassen Sie mich zunächst etwas zum Thema Jugendarbeitslosigkeit sagen, bevor ich dann zu den Ausbildungsplatzproblemen komme. Bei der Jugendarbeitslosigkeit zeigt sich heute etwas ganz anderes, als Frau Trauernicht das eben dargestellt hat. Der größte Teil der Jugendlichen, die keine Arbeit finden, hat eine Ausbildung. Es steht nicht mehr allein die Frage im Vordergrund, dass wir etwas für Benachteiligte in diesem Bereich oder für Jugendliche ohne Abschlüsse tun müssen. Daran zeigt sich vielmehr, dass es ein Problem der allgemeinen Wirtschaftspolitik ist.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Es gibt einfach enge Zusammenhänge. Wenn es keine Arbeitsplätze gibt, dann gibt es demgemäß weder für Ältere noch für Jüngere Arbeitsplätze. Das werden wir an anderer Stelle im Zusammenhang mit richtiger Wirtschaftspolitik diskutieren. Ich habe im Übrigen auch darauf hingewiesen, dass wir es uns manchmal sogar durch unsere arbeitsrechtlichen Bestimmungen, z. B. im Zusammenhang mit Jugendlichen, schwerer machen, junge Leute mit höherer Qualifikation als den Durchschnitt der Arbeitnehmer in den Betrieben zu halten. Wenn ein Betrieb in Schwierigkeiten kommt, müssen die, die als letzte in den Betrieb gekommen sind, zuerst entlassen werden. Da liegt ein Problem, das wir gemeinsam lösen müssen. Mehr will ich zu den Arbeitsplatzproblemen gar nicht sagen. Das ist das, was uns unmittelbar drängt.

Niemand in der Landesregierung hat sich der Illusion hingegeben, dass wir etwa allein durch eine

Telefonaktion die Ausbildungsplatzprobleme lösen können. Es ist anders, als Frau Trauernicht es eben dargestellt hat: Wir haben nach heutigem Stand 5 800 Betriebe angesprochen, und davon wünschen 800 – ich sage: immerhin 800 – eine nähere Information. Hier besteht vielleicht sogar die Hoffnung - obwohl auch das nicht ausreicht -, dass dort Ausbildungsplätze entstehen. Das ist bei 9 300 fehlenen Plätzen noch nicht einmal ein Zehntel. Wir brauchen uns doch gar nicht darüber zu streiten, dass das zu wenig ist. Wir wollen mehr. Dieser Weg ist ein Teilbeitrag zum Erfolg, zu dem auch die Pro-Aktiv-Zentren und die Aktivitäten der Kammern, ob Handwerks- oder Handelskammern, beitragen.

Ich weise insbesondere darauf hin, dass ab heute ein Programm meines Hauses zur Förderung von zusätzlichen Ausbildungsplätzen in kleinen und mittleren Unternehmen startet. Diese Förderung gilt für Ausbildungsberufe in den Informationstechnologien, in Berufen mit einem hohen ITAnteil, für Ausbildungsberufe im Tourismus- und Kulturbereich. Wir übernehmen dabei aus Landesmitteln und Mitteln des Europäischen Sozialfonds 50 % der Ausbildungsvergütung inklusive des Arbeitgeberanteils zu den Sozialversicherungen.

Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Schwarz?

Ich würde das gerne zu Ende vortragen. - Die Förderung ist gestaffelt und beträgt 60 % im ersten, 50 % im zweiten und 40 % im dritten Ausbildungsjahr. Um die Unternehmen nicht mit unnötigem bürokratischem Aufwand zu belasten, ist ein vereinfachtes Antragsverfahren entwickelt worden. Dieses neue Programm steht allen Unternehmen offen, deren Betriebssitz in einem niedersächsischen Ziel-2-Fördergebiet liegt. Hierzu gehören, wie Sie wissen, große Teile West-, Ost- und Südniedersachsens. Anträge können ab sofort gestellt werden.

Meine Damen und Herren, es gibt noch viele andere Maßnahmen und Vorschläge, die in den Ausschüssen diskutiert worden sind und die hier im Hause von allen Fraktionen zusammengetragen werden. Natürlich hat die Landesregierung über

haupt keine Probleme damit, wenn seitens der Bundesregierung zusätzliche Angebote gemacht werden. Um in diesem Lande im Interesse der Jugendlichen etwas zu tun, muss man darauf zurückgreifen. Da muss man doch gar nicht polemisch die Landesregierung ermahnen.

Meine Damen und Herren, ich wünsche uns tatsächlich, die Dissense, die wir in der Beurteilung der Wirtschaftspolitik haben, in diesem Zusammenhang zu diskutieren. Beim Thema Jugend aber sollten wir die Dinge zusammentragen und zusammen voranbringen, damit wir im Lande unsere Aufgaben als Parlament und Regierung gemeinsam lösen. – Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Zu Wort gemeldet hat sich der Abgeordnete Gabriel, dem ich bis zu zweieinhalb Minuten Redezeit zur Verfügung stelle.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Minister Hirche, ich bin auch der Überzeugung, dass es abseits der Wichtigkeit der Beratung über Entschließungsanträge im Kern auf die Frage ankommt: Was wird tatsächlich getan?

Unabhängig von der Beurteilung wirtschaftspolitischer Maßnahmen haben Sie natürlich Recht, wenn Sie darauf hinweisen, dass die Zunahme der Jugendarbeitslosigkeit und auch die Abnahme der Zahl der Ausbildungsplätze nicht von der allgemein schwierigen wirtschaftlichen Entwicklung losgelöst werden kann. Es ist ja nicht böser Wille beispielsweise von Handwerksbetrieben oder des Handels, wenn dort nicht mehr ausgebildet wird. Trotzdem habe ich die Bitte, dass wir uns auf ein paar Dinge abseits der Frage der Abstimmung über die Entschließungsanträge verständigen.

Das Erste ist: Sie haben Recht, wir haben ein großes Problem damit, dass zunehmend auch junge Menschen, die eine qualifizierte Berufsausbildung absolviert haben, in die Jugendarbeitslosigkeit kommen. Trotzdem zeigt die Tatsache, dass das Landesarbeitsamt erklärt „Im letzten Jahr hat das Programm der alten Landesregierung eine Abnahme von 40 % der Jugendarbeitslosigkeit bewirkt“ und dass wir in diesem Jahr wieder um 3 % heruntergehen, dass trotz schlechterer Rahmenbedin

gungen das Programm der Kooperation zwischen Arbeitsämtern und kommunalen Sozialhilfeträgern funktioniert. Deswegen wäre es gut, wenn die Landesregierung hier - das ist meine Bitte - weiter Druck ausübt, dass dieses Programm fortgeführt wird, weil es gute Erfolge gezeigt hat – nicht, weil wir es gemacht haben, sondern weil es die Sozialhilfebehörden und die Arbeitsämter gut machen. Das ist meine erste Bitte. Bei einer Abnahme von 43 % innerhalb von eineinhalb Jahren gegenüber einer Zunahme im Rest der Republik von 20 %, 30 % oder 40 % sollten wir Niedersachsen stolz darauf sein, dass wir dieses Ergebnis erzielen konnten. Das hat sonst niemand in ganz Deutschland geschafft.