Protocol of the Session on January 23, 2002

(Minister Bartling bespricht sich an der Regierungsbank mit Frau Elsner- Solar [SPD])

- Herr Innenminister!

(Wulff (Osnabrück) [CDU]: Das interessiert ihn gar nicht!)

Da sollten Sie wirklich zuhören! Sie haben einen richtigen Vorschlag unterbreitet, als Sie angeregt haben, den Bund mit den Sozialhilfekosten zu belasten, sodass die Kommunen entlastet werden. Aber was mussten Sie heute erleben, als wir Ihren Vorschlag zum Antrag erhoben hatten und hier zur Abstimmung stellen wollten? Wir mussten erleben, dass Ihre Fraktion Sie im Regen stehen gelassen hat.

(Beifall bei der CDU)

Herr Kollege, Sie müssen zum Schluss kommen.

Ich komme auch gleich zum Schluss. - Herr Innenminister, das Gleiche haben Sie bei der Terrorismusbekämpfung erlebt. Auch dort hat Ihre Fraktion Sie im Regen stehen lassen. Bei den entscheidenden Punkten haben Sie hier im Parlament keine Mehrheit mehr.

Meine Damen und Herren, die kommunale Ebene ist die Ebene, in der die Demokratie vom Bürger hautnah erlebt wird. Es muss Sie doch umtreiben, wenn überall gestrichen werden muss und die Kommunen überhaupt nicht mehr handeln können. Handeln Sie, meine Damen und Herren! Wir brauchen ein Sofortprogramm. Wir benötigen eine Gemeindefinanzreform. Sie haben diese Gemein

definanzreform schon für 1998 angekündigt gehabt. Jetzt soll ein Arbeitskreis gegründet werden.

(Wulff (Osnabrück) [CDU]: Und wenn ich nicht mehr weiter weiß, dann gründe ich einen Arbeitskreis!)

Wir haben die Konzepte. Gehen Sie ran an die Arbeit! Die Kommunen sind in Not. Herr Innenminister, leider Gottes haben Sie in diesem Parlament keine Mehrheit mehr, was in dieser Situation sehr bedenklich ist.

(Beifall bei der CDU - Frau Elsner- Solar [SPD]: Warum haben Sie 16 Jahre lang nichts gemacht?)

Herr Kollege Adam, Sie haben das Wort.

(Wulff (Osnabrück) [CDU]: Wilhelmshaven geht es gut!)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Thema, das die CDU hier angemeldet hat, heißt „Kommunen in Not“. Das, was geliefert wurde, heißt „Bartlings Beschimpfungen“. Zum Thema wurde nichts gesagt.

(Widerspruch bei der CDU - Möllring [CDU]: Wie geht es denn Wilhelms- haven?)

Herr Kollege Schünemann, heute großes Geschrei und gestern ziehen Sie sich aus der FAGKommission zurück bzw. werden von Ihrem Fraktionsvorsitzenden zurückgerufen, weil er Angst hat, dass diese Kommission erfolgreich arbeiten könnte und Sie dann zugeben müssten, dass der Innenminister hervorragende Arbeit leistet. Aus Ihrem Mund kommt nur Polemik und noch einmal Polemik, aber nichts Sachliches zu dem Thema.

(Beifall bei der SPD)

Nichtsdestoweniger eint uns, Herr Kollege Schünemann, dass wir gemeinsam mit Sorge die Entwicklung der Kommunen in unserem Lande betrachten müssen. Sie wissen aber, dass die Entwicklung der Kommunen nicht nur in Niedersachsen, sondern dass die Entwicklung der Kommunen in der Bundesrepublik Anlass zur Sorge gibt.

Wir wissen auch, dass diese Entwicklung vielfältige Ursachen hat. Ein Grund für diese Ursachen sind die dramatischen Einbrüche bei den Gewerbesteuereinnahmen. Der Deutsche Städtetag hat geschätzt, dass in diesem Jahr mindestens 16 % weniger Gewerbesteuern in die kommunalen Kassen fließen werden.

(Oestmann [CDU]: Warum ist das denn so?)

- Warum das so ist? Ich will Sie daran erinnern. Ihre CDU/FDP-Bundesregierung war es doch, die diese kommunaleindlichen Entscheidungen getroffen hat.

(Widerspruch und Lachen bei der CDU)

Heute schreien Sie, und gestern haben Sie diesen Brandherd selbst angezündet.

(Möllring [CDU]: Im Moment schrei- en nur Sie!)

Meine Damen und Herren, wir begrüßen die Position der Bundesregierung, die Gemeindefinanzreform durch die Einsetzung einer Expertenkommission noch in dieser Legislaturperiode anzugehen.

(Unruhe - Glocke des Präsidenten)

Wir halten eine Gemeindefinanzreform für notwendig und unterstützen insofern die Arbeit der Bundesregierung in dieser Frage. Wir brauchen eine Weiterentwicklung des Gemeindefinanzsystems, das den Kommunen einerseits verlässliche Einnahmen sichert und andererseits den kommunalen Entscheidungsspielraum erweitert und die Aufgabenerfüllung und die Finanzierung wieder in Einklang bringt. Wir glauben, dass wir durch die Einsetzung der Expertenkommission durch den Bundesfinanzminister auf dem richtigen Weg sind.

Meine Damen und Herren, bereits in der letzten Plenarsitzung im Dezember hat der Finanzminister hier Bausteine dargelegt, wie wir diese Problematik angehen wollen. Auf diesen Bausteinen werden wir aufbauen. Eines hilft den Kommunen auf keinen Fall: Polemik von der rechten Seite dieses Hauses und Anträge, die in keiner Weise finanzierbar sind.

(Beifall bei der SPD - Biallas [CDU]: Setzen!)

Das Wort hat der Kollege Klein. Bitte schön!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die kommunale Finanzkrise und die ausreichende Ausstattung der Kommunen mit Finanzen war bisher eher ein Insiderthema. Allenfalls wenn der Staatsgerichtshof in Bückeburg einmal ein Urteil gesprochen hatte, war es für kurze Zeit schlagzeilenträchtig. Den Einwohnerinnen und Einwohnern unserer Gemeinden war es im Prinzip egal, woher das Geld kam; Hauptsache, die Infrastruktur und die Dienstleistungen vor Ort blieben unverändert und unbeeinträchtigt.

Wir müssen zugeben, dass das Interesse an diesem Thema auch in diesem Hause eher begrenzt war. Das mag vielleicht auch ein wenig an der Einführung der Eingleisigkeit liegen; denn die kommunale Lobby, d. h. die Zahl der Abgeordneten in diesem Hause, die gleichzeitig ein Bürgermeisteroder Landratsamt innehaben, wird immer kleiner.

Meines Erachtens hat sich die Situation auf der kommunalen Ebene inzwischen aber erheblich geändert. Wir haben auf kommunaler Ebene mit dramatischen Einsparungen zu kämpfen. Ein wesentlicher Faktor ist, dass die Konjunkturschwäche auf die Gewerbesteuer durchschlägt. Das Minus beträgt in Niedersachsen durchschnittlich 15 % mit Spitzen bis zu 100 %, wie wir sie aus Holzminden kennen. Dieses Szenario kennzeichnet die Situation.

(Frau Körtner [CDU]: Der Pleitegeier kreist!)

Insbesondere für das Jahr 2002 gibt es äußerst düstere Prognosen. Das führt zum einen dazu, dass die chronisch finanzschwachen Kommunen inzwischen durchaus in Existenzbedrohung geraten sind. Das führt aber auch dazu, dass inzwischen sogar die finanzpolitischen Musterknaben, die es bisher durchaus noch gab und die aufgrund hervorragender Kofinanzierungsmöglichkeiten in der Lage waren, staatliche und EU-Mittel zu nutzen und dadurch eben auch ihre Investitionsquote hoch zu halten, gezwungen sind, in ihren Haushalten mit Defiziten zu kalkulieren, weshalb sie in der Folge natürlich auch ihre Investitionen herunterfahren.

Das ist – das ist leicht einzusehen – kontraproduktiv, denn es führt zu weiteren Einnahmeausfällen.

Deswegen begrüßen wir das Darlehensprogramm der Bundesregierung, das zumindest zum Teil dazu beiträgt, dass dieser Investitionsstau von den Gemeinden ein wenig aufgefangen werden kann. Das reicht nicht aus – das ist sicherlich richtig -, aber es hilft.

Ich frage mich, ob es auch hilft, wenn der Innenminister großes Verständnis für die Situation der Kommunen äußert. Herr Innenminister, Verständnis ist schon einmal gut, aber allein von Verständnis können sich die Kommunen nichts kaufen.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der CDU)

Man kann mit Verständnis weder Schulen renovieren noch Personal bezahlen noch Bibliotheken oder Schwimmbäder betreiben. Euros sind hier gefragt, Herr Minister; Euros, ganz blanke Euros.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der CDU)

Das Land darf in dieser Situation nicht bedauernd wegsehen und über die Schulter auf den Bund weisen. Denn die originäre Zuständigkeit und die Fürsorgepflicht für die Kommunen liegen in unserem föderalen System nun einmal beim Land und nirgendwo anders. Das Land muss also handeln!

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der CDU)

Herr Minister, Sie selbst haben den Handlungsbedarf benannt. Milliardenbeträge, so haben Sie gesagt, wären erforderlich, um die Probleme der Kommunen zu lösen. – Fangen Sie an! Wir sehen ein, dass Sie diese Milliardenbeträge sicherlich nicht auf einen Schlag auf den Tisch legen können. Aber fangen Sie an! Darauf kommt es an. Sie können damit beginnen, indem Sie auf eine Beteiligung der Kommunen an den Rückzahlungen an die BEB verzichten.

(Glocke des Präsidenten)

Sie können weiterhin die Verteilungssymmetrie neu prüfen und werden dabei, wie ich überzeugt bin, sicherlich zu dem Schluss kommen, dass sie zugunsten der Kommunen verändert werden muss. Die Entwicklungen der letzten Zeit machen deutlich, dass gerade keine ausgewogene Beteiligung und Betroffenheit herrscht, sondern dass die Kommunen sozusagen zu den letzten geworden sind, die die Hunde beißen.

Erst wenn man die Schularbeiten zuhause gemacht hat, kann man Forderungen entsprechend glaubwürdig nach außen stellen und auch auf der Bundesebene tätig werden. Wir haben unsere Vorschläge unterbreitet.

Natürlich brauchen wir eine große Lösung: mit einer wesentlichen Veränderung auf der Einnahmeseite, vor allem aber auch mit Veränderungen auf der Ausgaben- oder – besser gesagt – auf der Aufgabenseite. Aber das sind Aussagen, die schon seit 15 Jahren nicht geholfen haben. Hier müssen wir konkrete Lösungen anstreben.

Wir haben die Erbschaftsteuer genannt. Veränderungen in diesem Bereich wären in der Lage, die Schere zwischen öffentlicher Armut und privatem Reichtum ein wenig zu schließen. Hier können Sie im Bundesrat tätig werden.

Auch wir unterstützen die Forderung, dass der Bund Verantwortung im Bereich der Langzeitarbeitslosigkeit und der Sozialhilfelasten übernehmen möge. Einen ganz speziellen Vorschlag haben wir für den Bereich der Krankenhilfe. Würden die Sozialhilfeempfänger in die gesetzliche Krankenversicherung aufgenommen, würden damit zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen. Zum einen würde dies ganz wesentlich die Kommunen entlasten. Zum anderen würde die gesamtstaatliche Belastung der öffentlichen Hand dadurch reduziert, dass die Krankenkassen hier vernünftige Abrechnungen vornähmen.