Wer bildungspolitische Signale setzen will, wer mit uns über Konsens reden will, der muss auch darauf eine angemessene und würdige Einlassung bieten und darf nicht einfach sagen: Nein, das wollen wir nicht. - Ich danke für die Aufmerksamkeit.
Zur zeitlichen Orientierung sei gesagt: Herr Busemann hat 27 Minuten Redezeit verbraucht. - Jetzt spricht Frau Litfin.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es war ja ganz nett, dass der Kollege Busemann wenigstens zum Schluss seiner umfangreichen Einlassungen auf den Kern unserer Debatte, nämlich auf den Haushalt, zurückgekommen ist.
Das, was er gesagt hat, lässt sich aber sehr schnell vom Tisch wischen. Die 2 500 zusätzlichen Stellen für Lehrer und Lehrerinnen finanziert die CDU mit ihren Haushaltsanträgen genau ein halbes Jahr lang.
Was ist danach, was passiert dann? Schmeißen wir die Leute dann wieder raus, oder erhöhen wir wegen der Personalkosten den Schuldenstand des Landes Niedersachsen, was wir aber nicht dürfen? - Daran sieht man, wie windig die Vorschläge sind.
Natürlich kann ich mich mit dem Kollegen Busemann auch auf das, was er inhaltlich zum Schulsystem, zu dessen Struktur und zu der Arbeit in der Schule gesagt hat, überhaupt nicht verständigen. Ich finde, er ist genau da, wo er vor einigen Jahren gestartet ist, nämlich in den 50er-Jahren,
und er kommt aus dieser Fessel einfach nicht heraus. Es ist doch sehr, sehr wichtig, dass erwachsene Menschen im Laufe ihres Lebens lernen, dass sich die Welt verändert, dass sich die Kinder verändern, dass sich auch die deutsche Gesellschaft verändert, dass sich die Herausforderungen verändern und dass sich selbstverständlich auch Schule verändern muss - es sei denn, Sie wollen über jede Schule den Spruch „Schuster bleib bei deinen Leisten“ nageln. Von dem Kollegen Busemann habe ich den Eindruck, dass er das will. Dann wird
es aber auch keine Entwicklung in der Gesellschaft geben. Keine gesellschaftliche Entwicklung heißt: Rückentwicklung. Wir können uns ausrechnen, wie schnell wir mit den Vorschlägen des Kollegen Busemann in der Bronzezeit, wie ich einmal sagen will, angekommen sein werden.
Aber, meine Damen und Herren, ich habe natürlich herbe Kritik an der Vorgehensweise der Landesregierung zu üben. Damit war ja auch zu rechnen.
Noch im Sommer hat die Landesregierung großspurig von einer Bildungsoffensive gesprochen, mit der sie Niedersachsen überziehen wollte. Inzwischen hat sie sich in ihrer Schulstrukturreform völlig verheddert. Sie sorgt selbst dafür, dass die große Bildungsoffensive den Stellenwert erhält, den sie verdient, nämlich gar keinen. Es ist alles ja auch folgerichtig. Denn die Landesregierung hat ihren Mund reichlich voll genommen, als sie ein paar zusätzliche Stellen in den Schulen „Bildungsoffensive“ genannt hat.
Seitdem die SPD in Niedersachsen allein regiert, hat sie das hiesige Schulwesen leider gründlich heruntergewirtschaftet. Trotz steigender Schülerzahlen sind jahrelang Lehrerstellen abgebaut worden. Bei der Schüler-Lehrer-Relation ist Niedersachsen von seiner einstigen Spitzenstellung unter den Bundesländern inzwischen unter den Bundesdurchschnitt abgerutscht. Die Sollzahlen für die Unterrichtsversorgung wurden drastisch gesenkt, und trotzdem liegt die statistische Unterrichtsversorgung in Niedersachsen bei nur 97,2 %. Jeder weiß, was diese Zahl im Schulalltag bedeutet.
Mit ihrer großartigen Bildungsoffensive will die Landesregierung die Unterrichtsversorgung gerade mal um 0,9 Prozentpunkte anheben - von 100 % noch weit entfernt.
Als Bildungsoffensive will die Landesregierung heute verkaufen, dass sie die Stellen wieder einrichtet, die sie selbst in den vergangenen Jahren, seitdem die SPD hier allein regiert, abgebaut hat.
Die Schülerzahl ist inzwischen - da hat die Kollegin Körtner Recht - um mehr als 100 000 gestiegen. Auch am Ende dieser so genannten Bildungsoffensive wird also, vorausgesetzt, der Landesregierung geht nicht zwischendurch die Puste - sprich: das Geld aus, die Schüler-LehrerRelation immer noch um 10 % schlechter sein als 1994. Das ist keine Bildungsoffensive, sondern ein Bildungsbluff. Ich glaube, weder Eltern noch Lehrkräfte noch die älteren Schüler und Schülerinnen lassen sich dadurch bluffen. Sie wissen genau, was mit ihnen geschieht.
Der Alltag wird in den niedersächsischen Schulen weiterhin von Mangelverwaltung gekennzeichnet sein. Meine Fraktion hat 17,5 Millionen Euro für 350 zusätzliche Stellen in ihre Haushaltsvorschläge eingesetzt. Die sollen dafür verwendet werden, die Unterrichtsversorgung anzuheben.
Im Gegensatz zu den Vorschlägen der CDU, die sich ja bombastisch anhören, sind diese Stellen durch die Haushaltsvorschläge meiner Fraktion real finanziert, und zwar langfristig und nicht nur bis übermorgen.
Nun ist es schlimm genug, dass die Landesregierung noch immer zu wenig Mittel für die Schulen einsetzt. Aber noch schlimmer ist es, dass sie diese Mittel nicht gezielt und sinnvoll einsetzt. Zweimal 45 Stellen sollen allein für zusätzlichen Unterricht in Naturwissenschaften in der Sekundarstufe I eingesetzt werden. Abgesehen davon, dass die Landesregierung Mühe haben wird, diese Stellen überhaupt zu besetzen, muss man dazu sagen: Mehr vom Gleichen hilft nicht weiter. - Wenn es der heutige Physik- und Chemieunterricht in aller Regel leider nicht schafft, die Schüler und Schülerinnen für diese Fächer zu begeistern, dann werden zwei Stunden mehr davon eher noch mehr Frust erzeugen.
Was wir brauchen, ist nicht mehr Unterricht, sondern ein anderer, ein besserer Unterricht, ein Unterricht, der an den Interessen der Schüler und Schülerinnen anknüpft, ein Unterricht, der problemlösungsorientiert ist, ein Unterricht, der Schülern und Schülerinnen Freude macht. Ich finde, die Dänen sagen völlig zu Recht: Die Lust ist das halbe Werk.
vor allem in der Grundschule gebraucht. Hier wird das Fundament für das weitere Lernen auch in den Naturwissenschaften gelegt. Deutschland leistet sich den zweifelhaften Luxus, weit weniger Mittel für den Grundschulbereich aufzuwenden als der Durchschnitt der OECD-Länder. Länder wie Japan und Schweden, die auch bei PISA deutlich besser abgeschnitten haben als wir, geben weitaus mehr Geld für ihren Grundschulbereich aus. In Italien, das wir vor einiger Zeit mit dem Kultusausschuss besucht haben, sitzen im Durchschnitt 15 Schüler und Schülerinnen in einer Klasse, und die Doppelbesetzung ist eher die Regel als die Ausnahme. In Italien werden grundsätzlich alle behinderten Kinder, alle Kinder mit Beeinträchtigungen in der Regelschule beschult. Auch Italien sieht beim Leistungsvergleich besser aus als wir.
An dieser Stelle, im Grundschulbereich, muss zunächst umgesteuert werden, und zwar zügig. Wir als Gesellschaft können es uns nicht leisten, damit bis zum Sankt-Nimmerleinstag zu warten. Aber auch hier kann es nicht um mehr des Gleichen gehen. Notwendig ist ein Unterricht, der alle Kinder dort abholt, wo sie stehen, und der alle Kinder in ihrer Vielfalt und in ihren Begabungen fördert.
Wenn ein Befund von PISA wirklich erschütternd ist, dann ist es der, dass nirgendwo sonst benachteiligte Kinder und Migrantenkinder so wenig gefördert werden wie in Deutschland. Darauf hat aber der Kollege Busemann in seinen Einlassungen überhaupt keine Rücksicht genommen. Er berücksichtigt nicht, dass die Experten in der PISA-Studie festgestellt haben, dass gerade die sehr frühe Selektion im deutschen Bildungswesen, also das Aufteilen nach Klasse 4, dafür sorgt, dass Kinder aus nicht bildungsbewussten Elternhäusern keine Chance im deutschen Schulwesen und damit auch keine Chance in der Arbeitswelt und zur Gestaltung ihrer Zukunft haben.
Aber der SPD-Landesregierung muss vorgeworfen werden, dass sie in Niedersachsen dafür gesorgt hat, dass es auch im Bereich der Benachteiligtenförderung schlechter geworden ist. Sie hat 1994 die Förderstunden um ein Drittel gekürzt. Mit den zwei Mal 115 Stellen für Förderstunden und für sozialpädagogische Maßnahmen an Haupt- und
Realschulen gibt die Landesregierung nicht einmal das zurück, was sie selbst den Schulen an Förderstunden genommen hat, obwohl auch dort inzwischen mehr Schüler und Schülerinnen mit zusätzlichem Förderbedarf sind.
Und warum wieder nur für die Sekundarstufe? Bereits in der Grundschule werden für viele Kinder die Weichen völlig falsch gestellt. Wenn sie dort nicht gezielt gefördert werden können - auch das sagen die Experten von PISA -, sind sie in den weiterführenden Schulen verloren.
Für das Projekt „Lernen unter einem Dach“ werden so wenig Mittel bereitgestellt, dass es nur noch ein Feigenblatt ist, um das Auslaufenlassen der Integrationsklassen in Niedersachsen zu kaschieren. Wenn es die Landesregierung mit der Förderung benachteiligter Kinder ernst meinen würde, dann müsste sie endlich dafür sorgen, dass das Projekt „Lernen unter einem Dach“ vorankommt und in Niedersachsen obligatorisch wird.
Denn nicht nur die Kinder mit offensichtlichen Beeinträchtigungen der Lernfähigkeit profitieren von sonderpädagogischer Förderung in den Grundschulen, sondern alle Kinder profitieren davon; selbst die Leistungsstarken werden besser. Das ist durch Integrationsklassen bewiesen worden, wenn sonderpädagogische Förderung in den Grundschulklassen stattfindet.
Unsere Gesellschaft kann es sich weder sozial noch ökonomisch leisten, dass ein Zehntel oder mehr der Jugendlichen ohne ausreichende Schulbildung bleibt, dass sie oftmals schon abgeschrieben werden, bevor sie die Schule verlassen haben. Hier muss sehr viel mehr Mühe, aber auch sehr viel mehr Geld aufgewendet werden, um diese Jugendlichen mitzunehmen.
Ich darf Sie noch einmal an die Bevölkerungsentwicklung erinnern, die wir bereits haben und die wir nicht umkehren können. Wir brauchen auch als Gesellschaft, auch für unsere wirtschaftliche Entwicklung jedes einzelne dieser Kinder. Keines darf verloren gehen.
Die Landesregierung hat im Sommer vollmundig auch ein flächendeckendes Ganztagsschulangebot versprochen. Auch bei diesem Thema sind inzwischen leise Töne eingekehrt. Zwei Mal 120 Stellen für Ganztagsschulen will die Landesregierung im Doppelhaushalt bereitstellen. Rheinland-Pfalz, das
Ministerpräsident Gabriel sich ja gerne zum Vorbild nimmt, setzt 1 000 zusätzliche Stellen für die Ganztagsschulen ein, obwohl das Land viel kleiner ist. Niedersachsen wird mit den 240 Stellen der SPD-Landesregierung vielleicht ein billiges Aufbewahrungsangebot organisieren können, ein sinnvolles ganztägiges Bildungsangebot wird so an den Schulen nicht zu schaffen sein. Das ist der gleiche Fehler, den die Landesregierung schon mit den Grundschulen gemacht hat. Sie verpulvert erhebliche Ressourcen für die Verlässliche Grundschule, nur um den Kindern eine Aufbewahrung bis 13 Uhr garantieren zu können.
Damit entlastet sie die Jugendhilfe - das ist ja auch ganz nett -, aber an zusätzlicher Bildungszeit für die Kinder bringt das gar nichts. Im Gegenteil, in vielen dieser Schulen können wir beobachten, dass in Krankheitsperioden Förderstunden für Vertretungsunterricht genutzt werden müssen, um die Aufbewahrungsgarantie einhalten zu können,
Die Kultusministerin ist immer schnell dabei, anderen die Schuld zuzuschieben, wenn über die Misere an den Schulen gesprochen wird. Mal sind es Schüler und Schülerinnen, denen es angeblich an Anstrengungsbereitschaft fehlt und die mit Kopfzensuren und mit immer mehr Vergleichsarbeiten angetrieben werden sollen. Mal sind es die Lehrer und Lehrerinnen, die angeblich nicht bereit sind, an Fortbildungen teilzunehmen. Tatsächlich war es die Kultusministerin, die die Lehrkräfte für die Teilnahme an Fortbildungen diskriminiert hat, die die Möglichkeiten zur Fortbildung drastisch eingeschränkt hat und die dann natürlich erleben musste, dass die Teilnahme an Fortbildungen deutlich zurückgegangen ist.