Protocol of the Session on November 15, 2001

Die Zielrichtung des Zusatzprotokolls, das wir noch durchgesetzt haben, wird durch diese Verzögerungs- und Verschleppungstaktik der Sozialdemokraten in der Justizministerkonferenz und in der Bundesregierung konterkariert.

Die Bundesjustizministerin hat offensichtlich kein Interesse an einer Rückführung ausländischer Straftäter in ihre Heimatländer. Offensichtlich soll durch das neue Zuwanderungsgesetz die Zuwanderung nach Deutschland noch ausgeweitet werden. Durch die Sozialdemokraten im Europäischen Parlament wird der Asylkompromiss von 1993 quasi abgeschafft, indem die missbrauchsbegren

zenden Drittstaatenund Flughafenregelungen aufgehoben werden sollen.

Wir wollen, dass der Landtag in Niedersachsen wegen der besonders prekären Situation in unseren Haftanstalten jetzt darauf hinwirkt, dass endlich ein sachgerechter Gesetzentwurf zur Ratifizierung des Zusatzprotokolls vorgelegt wird. Wir erwarten schlechterdings nichts anderes, als dass die Landesregierung und die Bundesregierung, jeweils von der SPD gestellt, ihre Pflicht tun und den Ankündigungen Taten folgen lassen.

(Beifall bei der CDU)

Es spricht jetzt die Frau Abgeordnete Müller.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Wulff, die SPD ist eine alte Partei, was die Zeit unseres Bestehens angeht. Darauf sind wir sehr stolz. Wir sind nicht alt und unmodern in dem, was wir tun.

(Zurufe von der CDU: Das stand im Stern!)

- Mir ist egal, ob das im Stern steht. Im Übrigen müssen Sie auch nicht alles glauben, was im Stern steht.

(Lachen bei der CDU - Frau Pawelski [CDU]: Das waren Originalausfüh- rungen, unterschrieben von Herrn Gabriel!)

- Trotzdem: Wir sind nicht unmodern und nicht alt in dem, was wir tun!

(Zurufe von der CDU - Glocke des Präsidenten)

Nun zum Thema. Mit der Rückführung ausländischer Straftäter zur Haftverbüßung in ihren Heimatländern haben wir uns hier in diesem Hause in den 90er-Jahren schon des öfteren beschäftigt. Schon damals war klar, dass wir das von hier aus nicht regeln können, sondern dass dafür eine Bundesregierung tätig werden muss. 1997 ist die damalige Kohl-Regierung ein Stück weit tätig geworden, aber eben nur ein Stück weit, bruchstückhaft und nicht ausreichend. Ich komme auf den Begriff „bruchstückhaft“ gleich noch einmal zurück.

Grundsätzlich - das wissen wir - gibt es zwei Möglichkeiten, um ausländische Straftäter zur Haftverbüßung in ihre Heimatländer zurückzuführen. Zum einen geht das ohne völkerrechtlichen Vertrag, indem man einen ausländischen Staat ersucht, eine verurteilte Person zur Haftvollstreckung zu übernehmen. Dazu ist die Zustimmung der verurteilten Person nicht erforderlich. Allerdings muss mit dem aufnehmenden Staat in jedem Einzelfall verhandelt und muss eine Vereinbarung abgeschlossen werden. Das ist sehr aufwändig. Deshalb spielt dieses Verfahren in der Praxis so gut wie keine Rolle. Im Übrigen gibt es viele Staaten, die zu dieser so genannten vertragslosen Zusammenarbeit nicht bereit oder rechtlich nicht in der Lage sind.

Der zweite Weg wurde ebenfalls bereits beschrieben. Seit 1983 gibt es ein Übereinkommen des Europarates zur Überstellung verurteilter Personen, das von 49 Staaten ratifiziert worden ist. Dieses Übereinkommen setzt allerdings voraus, dass der Verurteilte in seine Überstellung einwilligt. Das war der Sachstand in den 90er-Jahren, als wir hier über dieses Thema diskutiert haben. Das ist auch heute noch der Sachstand in der Praxis. Insoweit ist das richtig.

Seit Dezember 1997 gibt es nun ein Zusatzprotokoll zu diesem Übereinkommen. In diesem Zusatzprotokoll wird festgestellt, dass auf die Zustimmung des Verurteilten verzichtet wird, wenn gegen ihn eine vollziehbare Ausweisungs- oder Abschiebungsanordnung vorliegt. Ich habe vorhin darauf hingewiesen, dass die damalige Bundesregierung leider nur bruchstückhaft tätig geworden ist. Das war genau bei diesen Protokollen 1997 der Fall. 1997 wurde dieses Zusatzprotokoll von der Kohl-Regierung zwar sofort gezeichnet, es wurde aber nicht ratifiziert.

(Wulff (Osnabrück) [CDU]: Sie haben es seit drei Jahren nicht ratifiziert!)

Auch das notwendige Ausführungsgesetz wurde nicht vorgelegt. Damals wurde noch nicht einmal ein Entwurf erstellt, meine Damen und Herren. Aus dieser Zeit sind auch besondere Anstrengungen der Opposition in diesem Hause, auf diesem Gebiet etwas besonders zu beschleunigen, nicht bekannt geworden.

(Wulff (Osnabrück) [CDU]: Das ist ja wohl der Witz des Jahrhunderts!)

So viel zu Ihrem heutigen Wunsch nach unverzüglichem Handeln.

Nach dem Regierungswechsel ist dann die Bundesjustizministerin tätig geworden und hat einen Entwurf zu diesem Ausführungsgesetz vorgelegt. Dabei wurde eine ganze Reihe von schwierigen rechtlichen Problemen deutlich, die eine Überarbeitung des ersten Entwurfs notwendig machten. Diese Überarbeitung erfolgte im Sommer 2001. Auch gegen diese überarbeitete Fassung gab es von allen Länderjustizministern Widerspruch. Es ist der § 3 in diesem Ausführungsgesetz, der der Knackpunkt bei dieser Geschichte ist. Wir wollen mit Ihnen darüber gern noch einmal im Rechtsausschuss diskutieren.

Klar ist aber, dass die in ihrem Antrag von der Opposition geforderte und angemahnte schnelle Ratifizierung allein ins Leere geht. So lange es keine Einigung über das Ausführungsgesetz gibt, hilft uns die Ratifizierung allein auch nicht weiter. Für die Einigung auf den Text eines Ausführungsgesetzes ist es sicherlich notwendig, dass sich alle Länderjustizminister noch ein Stück bewegen, um zu einer Übereinkunft zu kommen.

(Möllring [CDU]: Wer hat Ihnen das denn aufgeschrieben?)

Im Übrigen möchte ich Sie, Herr Wulff und die anderen Kollegen von der CDU, noch einmal auf Folgendes hinweisen: Es ist ja richtig, dass unsere Gefängnisse sehr voll sind und wir dort etwas tun müssen. Aber selbst wenn wir dieses Ausführungsgesetz haben, werden wir damit nicht all unsere Probleme lösen können.

(Möllring [CDU]: Alle nicht, aber ei- nen Teil!)

Es gibt in unseren Gefängnissen noch eine ganze Reihe von Ausländern, die nicht unter dieses Abkommen fallen, weil sie nicht europäischen Staaten angehören. Darüber werden wir uns sicherlich auch noch einmal unterhalten müssen.

(Beifall bei der SPD - Möllring [CDU]: Es wäre doch schon gut, wenn wir wenigstens einen Teil der Probleme lösen würden!)

Das Wort hat jetzt Herr Schröder für die Grünen.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der CDU-Antrag ist ein alter Hut. Wir haben über dieses Thema in diesem Hause seit 1996 schon mehrfach diskutiert. Nach dem Redebeitrag des Kollegen Wulff habe ich den Eindruck, dass es Ihnen, Herr Wulff, gar nicht so sehr um die Sache geht, sondern vielmehr um den erneuten Versuch, in den trüben Gewässern eines Richters Gnadenlos zu fischen.

(Beifall bei den GRÜNEN - Rolfes [CDU]: Das ist aber ein bisschen bil- lig!)

Ich will versuchen, das in der Kürze der mir zur Verfügung stehenden Redezeit zu begründen. Das Überstellungsübereinkommen des Europarates von 1983 ist zum 1. Februar 1992 für Deutschland in Kraft gesetzt worden. Die alte Bundesregierung brauchte also mal eben neun Jahre für die Umsetzung. Im Vergleich dazu ist das Arbeitstempo der rot-grünen Koalition in der Tat ein ICE-Zug, was das erste Zusatzabkommen angeht. Sie wollen keine nennenswerte Entlastung unserer Haftanstalten. Dieses Übereinkommen gilt nur für die Staaten des Europarates plus Nordamerika. Andere wichtige Herkunftsländer sind nicht dabei.

Das Zusatzprotokoll, mit dem es jetzt erstmals möglich ist, ohne Zustimmung des Gefangenen eine Überstellung in sein Heimatland vorzunehmen, ist erst für eine Hand voll europäischer Länder ratifiziert worden. Auch hier sind wichtige Herkunftsländer nicht mit dabei.

Sie unterschlagen in Ihren Ausführungen, dass die Aufnahme eines Gefangenen auch weiterhin im Ermessen des Herkunftslandes liegt. Die haben in der Regel kein ausgeprägtes Interesse daran, ihre Staatsangehörigen zurückzunehmen. Sie unterschlagen in Ihren Ausführungen, dass es in deutschen Justizverwaltungen erhebliche Vorbehalte gibt, weil die Haftzeiten in vielen Ländern erheblich kürzer wären als in Deutschland. Wollen Sie, Herr Wulff, dass ein solcher Täter deutlich weniger Strafe verbüßen muss, als er in Deutschland verbüßen müsste? In der Türkei ist eine Haftentlassung schon nach 42 % der Strafzeit die Regel. In Holland gibt es für Täter im Bereich weicher Drogen keine Strafe von mehr als vier Jahren. Von Holland werden Anträge mit der Begründung abgelehnt, es gebe in Deutschland im Drogenbereich eine exzessive Strafzumessung. Auch mit den Balkanstaaten gibt es ähnliche Probleme.

Außerdem unterschlagen Sie, dass es in der Umsetzung wichtige Detailprobleme gibt. Wollen Sie, Herr Wulff, dass Menschen, die hier in der zweiten oder dritten Generation leben, zur Strafverbüßung in ihr Herkunftsland oder in das Herkunftsland ihrer Vorfahren deportiert werden? Wollen Sie, Herr Wulff, dass deutsche Ehegatten eine Ehe führen müssen, bei der der ausländische Ehepartner eine Strafe im Ausland verbüßt? Das alles wollen auch Sie nicht.

(Wulff (Osnabrück) [CDU]: Das geht doch alles gar nicht!)

Das muss aber alles in einem solchen Gesetz konkretisiert werden. Genau über diese Fragen wird im Augenblick in Berlin diskutiert. Sie aber stellen sich hierhin und machen den starken Max von der rechten Kante. Wir müssen hier nicht zum ersten Mal über einen Antrag dieses Kalibers verhandeln. Sie haben mit einem Antrag, der von der Tagesordnung für die heutige Sitzung leider abgesetzt worden ist, gefordert - -

Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Leider nicht, Herr Präsident. - Sie haben mit einem Antrag, der von der Tagesordnung für die heutige Sitzung abgesetzt worden ist, gefordert, politisch Verfolgte unter leichteren Voraussetzungen in ihr Heimatland abschieben zu können. Sie haben sich im Ausschuss vom Gesetzgebungs- und Beratungsdienst darüber belehren lassen müssen, dass dieser Antrag gegen das Grundgesetz, gegen die Menschenrechtskonvention und gegen die Genfer Flüchtlingskonvention verstößt. Auf gut Deutsch: Dieser Antrag ist grundrechts- und menschenrechtswidrig. Sie haben einen Antrag auf härtere Verfolgung von Graffiti-Schmierereien gestellt. Sie mussten sich im Ausschuss erklären lassen, dass das, was Ihnen vorschwebt, dazu führen würde, dass Kreidepflastermalereien unter Strafe gestellt werden, dass ein mit Lippenstift auf einen Spiegel geschriebener Gruß auch strafbar wäre. Das zeigt, dass Sie lediglich versuchen, das Original Schill zu kopieren. Ich glaube, diese Strategie, Herr Wulff, wird nicht aufgehen. Damit werden Sie scheitern. Das ist, glaube ich, aber auch gut so. - Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Weiter Wortmeldungen liegen mir nicht vor. - Wir kommen jetzt zur Ausschussüberweisung.

Federführend tätig werden soll der Ausschuss für Rechts- und Verfassungsfragen. Mitberaten sollen den Antrag der Ausschuss für innere Verwaltung und der Unterausschuss „Justizvollzug und Straffälligenhilfe“. - Ich stelle die Beschlussfähigkeit des Hauses fest und frage Sie, ob Sie so beschließen wollen. - Die Gegenprobe! - Das ist so entschieden worden.

Ich rufe nun auf den

Tagesordnungspunkt 19: Erste Beratung: Notprogramm für die Bauwirtschaft - Vorfahrt für Investitionen - Antrag der Fraktion der CDU - Drs. 14/2838

und den

Tagesordnungspunkt 20: Erste Beratung: Einsetzung eines ad hoc-Ausschusses: „Impulse für Mittelstand, Investitionen und Beschäftigung“ gemäß § 10 Abs 2 GOLT - Antrag der Fraktion der CDU - Drs. 14/2839

Diese beiden Tagesordnungspunkte sollen vereinbarungsgemäß zusammen beraten werden.

Es bringt ein der Kollege Möllring.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! „Wir müssen uns auf einen sehr harten Winter einstellen. Schlimmer als wir alle dachten.“ So zitierte neulich der Chefvolkswirt Martin Hübner von der HypoVereinsbank. Herr Jürgen Kester von der Commerzbank setzte noch einen drauf und erklärte: „Wir befinden uns am Rande einer Rezession.“ Klaus Friedrich von der Dresdner Bank erwartet für Anfang 2002 mehr als 4 Millionen Arbeitslose in Deutschland. Das ifo-Institut München erwartet für 2002 250 000 Arbeitsplätze weniger in der Baubranche. Der Zentralverband des Deutschen Handwerks erwartet, dass bereits in diesem

Jahr im Handwerk 200 000 Arbeitsplätze wegfallen werden.

Dies alles muss uns doch zum Handeln zwingen. Stattdessen ist es in der Bundesrepublik Deutschland in den letzten Jahren zu weiteren Belastungen statt zu Entlastungen des Mittelstandes gekommen. Wir haben keine vernünftige Steuerreform für den Mittelstand, wie wir sie für die Großindustrie haben. Wir haben die Ökosteuer, die besonders der Mittelstand bezahlen muss, während sich die Großindustrie das erstatten lassen kann. Wir haben eine Verunsicherung durch Abschreibungssätze. Haben Sie gewusst, dass ein Lkw, der von der Industrie genutzt wird, innerhalb von neun Jahren abgeschrieben werden kann, während ein Lkw, der von einem Handwerker benutzt wird, aber einer Abschreibungsfrist von zwölf Jahren unterliegt? Wir haben die berühmten und berüchtigten Regelungen zur Scheinselbstständigkeit, zu den 630-DM-Jobs, die Einschränkung der befristeten Beschäftigungsverhältnisse, einen pauschalen Rechtsanspruch auf Teilzeit und die Änderung des Betriebsverfassungsgesetzes. All dies hat dazu beigetragen, dass der Arbeitsmarkt schwieriger geworden ist.

Wir haben in Niedersachsen leider eine Regierung, die alle diese negativen Entscheidungen mitgetragen und damit gegen die Interessen der Arbeitnehmer und der mittelständischen Wirtschaft in Niedersachsen gehandelt hat. Die Unternehmerverbände haben deshalb auch festgestellt: Bei allen wesentlichen Themen auf Bundesebene hat uns Gabriel nicht unterstützt oder in letzter Minute einen Rückzieher gemacht.