Protocol of the Session on October 24, 2001

zu diskutieren, ob die risikogefährdeteren Kraftwerke eher vom Netz genommen werden und den Unternehmen die Möglichkeit der Übertragung auf acht andere Kraftwerke gegeben werden sollte.

Ich warne davor, den Atomkonsens infrage zu stellen. Er ist eine Zäsur. Der Ausstieg hat hier eine echte Chance. Diese Debatte jetzt mit Ihren Fragestellungen zu beladen führt dazu, dass das ins Rutschen gerät. Deshalb bin ich der Meinung, dass die parlamentarische Beratung des Atomgesetzes abgeschlossen werden muss, dass dann mit der Betreiberseite darüber geredet werden muss, ob die im Konsens enthaltenen Möglichkeiten der Reststromübertragung nicht auch aus Sicht der Betreiber, auch aus Gesichtspunkten der Legitimation, sinnvollerweise noch einmal überprüft gehören und neben Wirtschaftlichkeitskriterien Sicherheitskriterien dort eingeführt werden sollten. Das ist aber keine Frage, die mit Atomrecht und Vorsorgeprinzip zu tun hat, sondern das ist eine notwendige politische Debatte zur Risikominimierung.

Das Ganze so zu verzahnen, wie Sie das hier gemacht haben, um zu Hause gut auszusehen und deutlich zu machen,

(Frau Harms [GRÜNE]: Ich sehe im- mer gut aus!)

Sie seien Vorkämpferin im Kampf gegen die Transporte, Frau Kollegin, diese Nummer läuft hier nicht. Hier stehen wir in der nationalen Verantwortung zur Rücknahme der Glaskokillen aus Frankreich. Die Frage, ob wir das können oder nicht, entscheidet sich nicht über Qualifikationsfragen der Behälter, sondern entscheidet sich an der Frage, ob die Polizei in der Lage ist, solch einen Transport sicher abzuwickeln. Solange uns die Gesamtgefährdungsabschätzung durch die Innenminister von Bund und Ländern unisono deutlich macht, dass eine Gefährdungssituation nicht vorhanden ist, ist Herrn Bartling die Möglichkeit des landespolitischen Alleingangs verwehrt. Wir sollten hier keine falschen Eindrücke aufkommen lassen. Dieser Transport ist unter sicheren Bedingungen gewährleistbar. Gleichwohl müssen wir im Bereich des Umgangs mit Zwischenlagern und mit den Atomkraftwerken überprüfen, ob der bisherige Sicherheitsstatus auf Dauer hinreichend ist. - Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Frau Kollegin Zachow!

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nach den schrecklichen Terrorangriffen in New York kam überall schnell die Frage auf: Wie sicher sind eigentlich unsere Kernkraftwerke?

Der Bundesumweltminister, Herr Trittin, hat schnell reagiert und sofort die Reaktorsicherheitskommission eingeschaltet. Uns allen liegt der sachorientierte Bericht vor, der deutlich macht, dass es erstens zwischen älteren und neueren Kernkraftwerken bei dem zufälligen Absturz einen Unterschied gibt, der aber auch zweitens ganz deutlich sagt, dass für gezielte Angriffe, bei denen Flugzeuge als Waffen eingesetzt werden, keine belastbaren Ergebnisse, Berechnungen vorliegen, ganz einfach aus dem Grunde, dass sich kein Mensch solche Wahnsinnstaten wirklich vorstellen konnte.

Erstaunt sind wir dann allerdings über die Grünen in Niedersachsen, zu denen Herr Trittin eigentlich auch gehört. Sie machen es sich ganz einfach, Sie sagen „abschalten“. Sie fordern, die Kernkraftwerke abzuschalten.

Stade wird 2003 abgeschaltet und soll bis auf den grünen Rasen zurückgebaut werden. Es wird auch kein Zwischenlager in Stade geben. Aber, meine Damen, meine Herren, wir müssen natürlich auch wissen, dass eine Stilllegung, ein Abriss nur funktionieren können, wenn wir auch Transporte akzeptieren, denn die Brennstäbe müssen raus. Aus Stade müssen ca. 40 Transportbehälter abgefahren werden.

Nun zu Ihnen, Herr Jüttner. Sie haben Frau Harms gerade vorgeworfen, sie nutze diesen schrecklichen Terror für parteipolitische Argumentationen. Ich muss sagen, aus den Presseberichten - heute haben Sie sich staatsmännisch gegeben - hatte man sehr stark das Gefühl, dass Sie auch als überzeugter Kernkraftgegner diese Argumentation gerne genutzt haben; und das finden wir perfide.

(Inselmann [SPD]: Nein, das kann man nicht so sehen!)

Wenn Sie wirklich so sehr um die Sicherheit fürchten, wie Sie es angegeben haben, dann, Herr

Jüttner, müssten Sie eigentlich alle Kraftwerke in Niedersachsen stilllegen.

(Zustimmung bei den GRÜNEN)

Dann müssten Sie aber auch ehrlich sein und sagen: Auch das nützt für die Sicherheit nur begrenzt; denn wir haben Abklingzeiten von sechs bis zwölf Monaten.

Herr Jüttner, es ist nicht richtig, nur die Kernkraftwerke allein zu betrachten. Wir müssen uns das etwas umfassender anschauen. Die Flugsicherheit steht ganz weit oben. Es muss beachtet werden, wie intensiv z. B. auf Flugplätzen kontrolliert werden wird. Die Reaktorsicherheitskommission sagt dazu: Um die Eintrittshäufigkeit eines derartigen Ereignisses zu reduzieren, muss bei der Flugsicherheit angesetzt werden. Das kann man nun ins Groteske übersteigern. Das lassen wir lieber.

Aber eine Konsequenz, meine Damen, meine Herren - das gilt ganz deutlich -, müssen wir aus diesem Bedrohungsszenario alle ziehen. Wir brauchen Endlager für radioaktive Abfälle, und zwar unter der Erde. Das muss schnell gehen. Für schwach- und mittelradioaktive Abfälle ist die Möglichkeit da. Schacht Konrad kann schnell genehmigt werden. Vor diesem Hintergrund ist das Moratorium für Gorleben überhaupt nicht zu verantworten.

(Beifall bei der CDU)

Unsere moderne Industriegesellschaft ist durch solchen Terror in vielen Bereichen, nicht nur bei den Kernkraftwerken, verletzbar. Aber die Antwort kann doch nicht heißen: Abtauchen, abschalten, abschließen und unser Leben lahm legen lassen. Dem Terror muss anders begegnet werden. - Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU)

Kollege Schwarzenholz für zweieinhalb Minuten!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Minister, in einem Punkt stimme ich Ihnen zu: Es kann keinen Atomkraftgegner befriedigen, eine solche Debatte führen zu müssen, also zu erleben, dass eine Gefährdung, die man mal abstrakt diskutiert hat, plötzlich in das reale Leben eintritt. Nie

mand kann dabei Befriedigung empfinden. Das ändert aber nichts daran, dass diese Situation nun mal eingetreten ist. Wir haben das ja schon heute Vormittag beschrieben. Die Perversion der Logik des Terrorismus macht diese Anlagen zu einem besonders attraktiven Ziel - ich meine jetzt die Atomkraftwerke und nicht andere Fragen; es gibt da eine Abstufung von Sicherheitsrisiken -, weil das Zerstören eines in Betrieb befindlichen Atomkraftwerks das Risiko der Kernschmelze beinhaltet. Dieses Risiko ist mit keiner anderen Industrieanlage, mit nichts anderem vergleichbar. Das ist einmalig und ungeheuerlich. Das kann man sich nur in der Größenordnung von Tschernobyl vorstellen, was passiert, wenn eine Passagiermaschine auf ein Atomkraftwerk knallt. Wir wissen zwischenzeitlich - ich glaube, darüber brauchen wir nicht mehr zu streiten -, dass es, falls das passiert, kein Halten mehr gibt, auch nicht bei den modernen Atomkraftwerken. Keine Anlage hält einer solchen Attacke stand.

Das bedeutet aber - darauf habe ich heute Morgen schon einmal hingewiesen, Herr Minister; darauf sind Sie die Antwort schuldig geblieben -: Die Genehmigung ist auf einer anderen Grundlage, auf einer anderen Rechtssachverhaltsbasis erteilt worden. Wir haben jetzt statt des Restrisikos ein Risiko. Dieses Risiko muss anders abgearbeitet werden. Das bedeutet auch, dass bestehende Genehmigungen bei veränderten Sachverhalten auf ihren Fortbestand hin zu überprüfen sind. Dieser Prozess muss relativ zwangsläufig, wenn das Risiko nicht vollständig ausgeschlossen werden kann, zur Stilllegung der Anlagen führen. Das ist eine relativ zwangsläufige Folge. Das muss in einem rechtsstaatlichen Prozess - das müssen Sie prüfen; da stimme ich Ihnen zu - zügig geschehen. Dann muss auch in aller Härte die Konsequenz gezogen werden. Das hat nichts mit dem Atomkonsens zu tun.

Lassen Sie mich noch eines zu den Transporten sagen. Machen Sie es sich nicht so einfach. Bedenken Sie, dass in La Hague zwischenzeitlich Flugabwehrgeschütze stehen. Die Dinger kommen dort her! Die Franzosen sehen das also anders. In den USA sind die Atomtransporte aus Gründen der nationalen Sicherheit eingestellt worden. Also nehmen Sie die Argumente bitte etwas ernster, die dagegen sprechen, zu diesem Zeitpunkt auch noch zusätzlich CASTOR-Transporte nach Gorleben zu führen!

(Zustimmung bei den GRÜNEN - Frau Stokar von Neuforn [GRÜNE]: Ein guter Mann! Der sollte in Berlin regieren!)

Herr Kollege Inselmann!

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich halte es nicht für fair, Herr Schwarzenholz, dem Minister zu unterstellen, dass er die Lage nicht ernsthaft analysiere und das Problem etwa nur geringfügig prüfe. Herr Jüttner hat als einer der Ersten sehr deutlich gemacht, dass Fragen zu beantworten sind. Ich finde es auch gut, dass er das verdeutlicht hat.

Ich möchte gerne auf drei Punkte eingehen, die auch Frau Harms hier problematisiert hat.

Erstens. Ich finde Ihre Einschätzung ebenso wie diejenige von Frau Harms etwas mutig. Denn die Reaktorsicherheitskommission, die ja wahrlich nicht mehr so wie in der Vergangenheit, sondern nach Vorschlägen von Herrn Trittin zusammengesetzt ist, kommt in ihrer 344. Sitzung am 11. Oktober 2001 zu folgendem Ergebnis:

„Es bleibt somit offen, ob bei einem solchen Ereignis“

- gemeint ist das, was wir hier diskutiert haben, ein gezielt zum Absturz gebrachter Boeing-Jet oder Airbus

„die maximal auftretenden mechanischen Belastungen ohne größere Schäden von dem Schutzmantel des Reaktors abgetragen werden können und alle zur Beherrschung des Ereignisses benötigten Systeme funktionsfähig bleiben.“

Am Ende kommt des Ergebnis - das hat bei Ihnen ganz anders geklungen, Frau Harms -:

„Ohne vertiefende Analysen, die auch die anlagenspezifischen Auslegungen und sonstigen Schutzgrade der jeweiligen Anlagen berücksichtigen, sind verlässliche Aussagen zu Schadenszuständen nicht möglich. Das betrifft alle Atomkraftwerke, deren erste Teilerrichtungsgenehmigung nach 1973 vonstatten gegangen ist.“

Das ist die Aussage der von Herrn Trittin beauftragten Kommission. Ich kann nicht feststellen, dass das mit dem übereinstimmt, was Frau Harms heute Morgen in der Diskussion über die Regierungserklärung und auch heute Nachmittag hier dargelegt hat.

(Frau Harms [GRÜNE]: Dann gibt es ja keinen Grund für den Vorschlag von Herrn Jüttner!)

Sie sollten zur Kenntnis nehmen, Frau Harms, dass Herr Trittin in Berlin nach meiner Kenntnis noch am Kabinettstisch sitzt. Sonst müssten Sie mir jetzt sagen, dass es eine neue Situation gibt. Nach meiner Kenntnis sitzt er noch dort.

(Frau Harms [GRÜNE]: Dass Sie da nicht sitzen, weiß ich!)

Er ist der zuständige Minister. Wir haben leidvoll erfahren, dass Niedersachsen die Fragen des Atomausstiegs nicht lösen kann, Frau Harms. Wenn Sie jetzt meinen, Sie müssten Herrn Jüttner dafür verantwortlich machen, dass Sie damit nicht bei Herrn Trittin landen können, und hier den Falschen schlagen, dann können Sie das ja tun. Der Versuch ist ja nicht strafbar, aber politisch auch nicht erfolgreich. Das will ich Ihnen so deutlich sagen.

(Frau Harms [GRÜNE]: Dann bin ich ja froh, dass das noch nicht strafbar ist, Herr Inselmann!)

Frau Harms, ich möchte Ihnen noch eines zu dem Stil sagen, wie hier miteinander umgegangen wird. Ich hätte hören wollen, was Frau Harms hier im Landtag gesagt hätte, wenn ein sozialdemokratischer Umweltminister in Gorleben beim Endlager, das untersucht wird, eingeflogen wäre und sich mit einer Arroganz sondergleichen geweigert hätte, mit den Demonstranten zu reden, und Frau Harms als örtliche Abgeordnete dabei ist. Das hätte anders geklungen als das, was wir heute hier von ihr gehört haben.

(Zustimmung bei der SPD - Zuruf von der CDU: Das, was Sie sagen, klingt auch nicht besser!)

Sie meinen immer Herrn Trittin, wenn Sie hier Herrn Jüttner ansprechen. So geht das nicht, Frau Harms! So können Sie hier nicht Berliner Politik machen! Sie müssen das dann schon dem verantwortlichen Minister in Berlin, der am Kabinettstisch sitzt, so deutlich sagen.

Das ist auch beim zweiten Punkt so, Frau Harms. Die Sicherheitslage in der Bundesrepublik Deutschland wird nun mal nicht von Niedersachsen aus festgestellt, sondern sie wird gemeinsam zwischen den Innenministern der Länder und des Bundes festgestellt. Dann befindet nach meiner Kenntnis das Kabinett darüber. Nach meiner Kenntnis hat es gesagt: Die Sicherheitslage ist so, dass der CASTOR-Transport stattfinden kann. Das Kabinett in Berlin hat dann gemeinsam mit Herrn Trittin beschlossen: Der CASTOR-Transport findet statt.

Lebe ich in einer anderen Republik, oder haben Sie das nicht zur Kenntnis genommen, Frau Harms? Das ist die Ausgangslage. Dann problematisieren Sie das bitte schön da, wo es hingehört, nämlich in Berlin! Dort muss man ansetzen und sagen „Wir haben hier Sicherheitsprobleme“. Dort müssen Sie sagen, dass Sie - anders als Ihr Bundesumweltminister, anders als der Innenminister des Bundes, anders als der Innenminister des Landes Niedersachsen und anders als der Umweltminister des Landes Niedersachsen - zu der Auffassung gelangen, dass die Sicherheitslage anders ist. Wir können das bislang nicht feststellen.

Deswegen geht es nach Recht und Gesetz. „Nach Recht und Gesetz“ heißt auch, dass wir auch völkerrechtlich verbindliche Verabredungen einhalten müssen und dass die Transporte durchgeführt werden müssen. Das ist die Ausgangssituation. Dann nützt es nichts, wenn man hier wendländisches Wunschdenken an den Tag legt. Ich muss hier ganz konkret denjenigen verteidigen, der die Rechtslage in der Bundesrepublik Deutschland schildert. Diese Rechtslage habe ich gerade beschrieben. Wenn Sie andere Erwartungshaltungen bei den Betroffenen wecken, Frau Harms, dann tun Sie sich, aber auch den Betroffenen keinen Gefallen.

Nun meine letzte Bemerkung, meine Damen und Herren, nämlich zur Risikoabschätzung. Ich meine, wir sollten in der Tat abwarten, bis die Reaktorsicherheitskommission ihren Bericht mit der Differenzierung zwischen den jüngeren und älteren Atomkraftwerken abgeschlossen und zur Verfügung gestellt hat, und dann sehen, wie weiter verfahren werden muss. Wenn darin Empfehlungen und Handlungsanleitungen an die Politik gemacht werden, dann werden wir darauf reagieren und wird auch in Berlin darauf reagiert werden. Zum heutigen Zeitpunkt gilt der Bericht vom 11. Oktober, Frau Harms. Dieser Bericht differen

ziert sehr wohl und stellt eine Menge Fragen, die ja die Reaktorsicherheitskommission selbst beantworten will. Sie machen daraus schon eine schlüssig bewiesene Situationsbeschreibung, dass ein akutes Gefährdungspotenzial vorhanden sei.